Zu den politischen Ritualen des Jahreswechsels gehört seit 1991 die Wahl „Unwort des Jahres“. Für 2024 kürte die Jury „biodeutsch“, gefolgt von „Heizungsverbot“. Was macht einen Ausdruck zum Unwort, und gibt es für 2024 nicht passendere Unwörter als die – politisch korrekten – der Jury?
Vor zweihundert Jahren definierte Johann Heinrich Campe in seinem Wörterbuch der deutschen Sprache (Braunschweig 1811) „Unwort“ folgendermaßen: (1) Ein Wort, … was keinen vernünftigen Sinn ergibt. (2) Ein unwürdiges, beleidigendes Wort. Im heutigen Sprachgebrauch nennt man ein Unsinnswort (fiderallala u. Ä.) nicht mehr „Unwort“, ebenso wenig übliche Beleidigungen wie Depp, Idiot, Schwachkopf (laut DUDEN „abwertend für dummer Mensch“).
Als „Unwort“ gilt ein „unschönes“ Wort (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) und, in erster Linie, ein sprachlicher Ausdruck, der einen Sachverhalt in manipulativer Absicht verschleiert und/oder schönredet. Ein typisches politisches Unwort ist – rückblickend gesehen – „antifaschistischer Schutzwall”, mit dem DDR-offiziell das 1961-89 bestehende Grenzregime zur Bundesrepublik bezeichnet wurde: Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl dienten aber nicht dazu, das Staatsgebiet der DDR vor einem äußeren Feind zu schützen, sondern die Massenflucht der eigenen Bevölkerung zu verhindern.
Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“
Im politischen Sprachgebrauch ist „Unwort“ erst seit den 1990er Jahren üblich geworden, und dies steht im Zusammenhang mit einer sprachkritischen Aktion, die 1991 der Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser begründete: Eine Jury wählt zu Jahresbeginn auf der Grundlage von Vorschlägen aus der Bevölkerung das (politische) „Unwort“ des vergangenen Jahres. Schlosser (*1937), der am 24. Februar letzten Jahres starb und dessen Todesanzeige mit dem Satz beginnt: „Ein schwieriger Kopf hat sich zur Ruhe gebettet“, leitete die Jury von 1991 bis 2010, und in diesen zwanzig Jahren war das „Unwort des Jahres“ politisch nicht festgelegt: Es konnte die Wirtschaft treffen ( 2004 Humankapital), die Asyl-, Finanz- und Sozialpolitik (1992 aufenthaltsbeendende Maßnahmen, 1994 Besserverdienende, 1996 Umbau des Sozialstaats) oder die Bundeskanzler: Kohls Wort 1993 kollektiver Freizeitpark [Deutschland] und Merkels Phrase 2010 alternativlos: „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe“.
Nach der Ära Schlosser politisierte sich die Jury, und zwar links-grün. Diese Politisierung hat sich seit 2021, als eine völlig neue Jury gebildet wurde, noch verstärkt; entsprechend lauten die Unwörter: 2021 Pushback [von Flüchtlingen], 2022 Klimaterroristen: „kriminalisiert und diffamiert Aktivist*innen“, 2023 Remigration: „Euphemismus [beschönigender Ausdruck] für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte“.
Offensichtliche Unwörter ignorierte die Jury, zum Beispiel 2022 die in den Verfassungsschutzberichten eingeführte neue Verdachtskategorie „Delegitimierung des Staates”, die faktisch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aushebeln kann.
Dieser Begriff hatte (und hat) ein ganz anderes politisches Kaliber als das damals gewählte Unwort „Klimaterroristen“: Die Klimakleber haben zwar, umgangssprachlich ausgedrückt, andere „terrorisiert“, aber sie deswegen als „Terroristen“ zu bezeichnen, ist eine – leicht erkennbare – rhetorische Übertreibung, kein irreführendes Unwort.
Mit den Unwörtern 2024 bleibt die Jury, bestehend aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten, ihrer politischen Linie treu. Heizungsverbot („irre-führende Bezeichnung, … um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren“) passt zum Wahlkampf, um die Politik des grünen Wirtschaftsministers und Kanzlerkandidaten zu stützen.
Beim Adjektiv „biodeutsch” („konstruiert eine rassistische, biologistische Form von Nationalität“ und macht „eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiographie“), stellt sich zunächst die Frage, wie viele Deutschsprecher es überhaupt kennen. Das Wort kommt so selten vor, dass im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) „nicht genügend Daten“ für statistisch aussagekräftige Häufigkeitsangaben vorhanden sind. In der Wochenzeitung Die Zeit tritt „biodeutsch“ in sämtlichen Ausgaben 2008-2023 (für 2024 liegen noch keine Daten vor) insgesamt neunmal auf, davon zweimal 2023.
Laut Jury wurde das Wort „im Jahr 2024 im öffentlichen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch verstärkt verwendet“. Mag sein, aber selbst wenn der Gebrauch von „biodeutsch“ in der Zeit sich 2024 verdreifacht hat, ergäbe das nur sechs Belege – viel zu wenig, um wissenschaftlich begründete Aussagen über einen neuen Wortgebrauch zu machen.
Der DUDEN 2024 definiert biodeutsch als „meist ironisch abwertend für deutscher Abstammung und in Deutschland heimisch“. Die Jury kritisiert diesen abwertend-ironischen Gebrauch, der zunächst nur von Migranten verwendet wurde, ausdrücklich nicht. Kritisiert wird vielmehr, dass Herkunftsdeutsche, also Personen, die von Eltern deutscher Staatsangehörigkeit abstammen, sich nun selbst als „biodeutsch“ bezeichnen. Ob das so ist, dafür fehlen die sprachlichen Belege; aber wenn es stimmt, wäre das eine normale sprachliche Entwicklung: Es kommt öfter vor, dass eine Gruppe das Schimpfwort, mit dem andere sie bezeichnen, für sich übernimmt: Zum Beispiel war „schwul“ bis in die 1980er Jahre „abwertend“ und ist heute eine Selbstbezeichnung der Homosexuellen. Wo liegt das Problem für „biodeutsch“?
Ein Gegenvorschlag
Die von der Jury aus den insgesamt 655 verschiedenen Vorschlägen (wovon 80 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen) gewählten zwei Unwörter überzeugen nicht. Deshalb ein Gegenvorschlag für Platz 1: unsere Demokratie (im Folgenden als ein Wort geschrieben). Begründung:
Die Floskel UnsereDemokratie, die ein Hochwort (Demokratie) mit einem besitz-anzeigendem Pronomen (unser) verbindet, machte in den beiden letzten Jahren Karriere; sie wird meist zur Rechtfertigung der bestehenden politischen Verhältnisse in Deutschland verwendet, in Sprüchen wie „Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!“ (Vizekanzler Habeck, SPIEGEL 2/2025), „Verteidige unsere Demokratie!“ (SPD-Flugblatt) usw.
Aber wer gehört zu UnsereDemokratie? Alle Deutschen? Nein: Der letzte Bundeskanzler, der „Wir Deutsche“ sagte, war Gerhard Schröder (Amtszeit 1998-2005). UnsereDemokratie kennt keine „Deutschen“ mehr, sondern nur „Menschen“, darunter die „schon länger hier Lebenden“ (Bundeskanzlerin Merkel 2007), von denen die meisten „deutsche Staatsbürger“ sind. Aber auch diese gehören nicht alle zu UnsereDemokratie, sondern nur diejenigen, die eine bestimmte politische Einstellung („unsere Werte“) teilen; die übrigen – und das ist derzeit die Mehrheit – gehören nicht dazu: Sie sind belanglos oder gar „Demokratiefeinde“ (zum Beispiel AfD-Anhänger). Das Pronomen „unser“ täuscht also ein allgemeines Wir vor, schließt aber faktisch nicht alle ein, sondern viele aus. Nach den Kriterien der Unwort-Jury wäre UnsereDemokatie ein typisches Unwort: Es wirkt erstens „diskriminierend“ (gegenüber Andersdenkenden) und, zweitens, „irreführend“ (Einige geben sich als Alle aus).
Fazit der Unwort-Aktion 2024: „Viel Lärm(en) um Nichts“.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Meine persönlichen Favoriten der neuen “ Grünen-Sprache“ :
„Wohlstand des Weniger“
“ Männer sind Frauen “
“ Diskriminierungs-Beauftragter “
“ Demokratie- Fördergesetz “
„Demokratie & Vielfalt“
“ staatsdelegitimierend “
“ Hass & Hetze “
„demokratische
Parteien“
„Mensch mit internationaler Geschichte“ ( ansatt Flüchtling)
“ Energiewende “
“ Klimawende “
Von Menschen frei erdacht & erfunden, die sogar beim
Sprechen Rechtschreibfehler machen….
Aber das ist doch die Bereicherung von der die Grünen, die CDU und die Linken immer schwärmen, oder? Jetzt leben hier neben Biodeutschen, schon länger hier Lebende und Rußlanddeutsche, sowie Paßdeutsche, Deutsch-Türken, Deutsch-Syrer, …, und Nichtdeutsche. Die ersten drei erwirtschaften i.d.R. das, womit die anderen gut und gerne leben..
Komisch. Eine „Biotomate“ hat dann nicht zu befürchten, als „Ungemüse“ bezeichnet zu werden, da die Vorsilbe bio ja nur ihre Eigenschaft beschreibt. Nämlich, dass sie mit keinen Substanzen gezogen wurde, die nicht zum normalen Aufwuchs einer Tomate gehören. Jedenfalls nicht solche Substanzen, die ihr dann das „Siegel“ verwehren würden, sich bio nennen zu dürfen. Tja, so kommt man heute vom Biodeutschen zurück zum Arier, zumindest wenn man die eigentliche Bedeutung „Arier“ noch kennt und man das dritte Reich mal aussen vor lässt, aber den bösen Biodeutschen an sich wohl in solche Zeiten zurück katapultieren möchte. Da kann man sich nur… Mehr
Das „Unwort des Jahres“ könnte man auch in „unbequeme Wahrheit des Jahres“ umbenennen. Regelmäßig werden Wörter ausgewählt, die woke-linke Lebenslügen entlarven. „Biodeutsch“ macht eine Bevölkerungsgruppe identifizierbar, die laut deren Weltbild gar nicht von anderen abgrenzbar sein sein dürfte, weil alle gleich sein müssen. Es gibt aber faktisch erkennbare Unterschiede zwischen einem Einwanderer, der die Kultur des Landes kaum kennt und jemandem, dessen Vorfahren schon vor Jahrhunderten hier gelebt haben. Und genau das wollen Woke-Linke nicht wahrhaben, da für diese Identität beliebig änderbar und neu erfindbar ist. So wird „biodeutsch“ zum Unwort, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Es geht gegen das Konzept, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund eigene Bezeichnung erhalten… Jede Gruppe bekommt eine Bezeichnung – PoCs, Deutsch-Türken,Juden, Deutsch-Syrer…
Nur die Deutschen nicht…
Würde es das Wort „Deutsch-Deutscher“ geben, würde man es garantiert auch zum Unwort küren.
hier muss ich eine Bildungslücke bekennen. Erst jetzt habe ich aus der Presse das „Unwort“ erfahren. Da ich mich sehr umfangreich informiere, scheint es nicht so wichtig zu sein und nur von einer Minderheit gebraucht.
Wer ein Deutscher ist, kann doch kein Syrer sein… WEr sich als Deutsch-Syrer oder Deutsch-Türke bezeichnet ist einfach ein Türke, der in DE lebt… Ein Deutscher ist er nicht…
Duden
Remigration
Rückkehr in das Land, aus dem eine Person zuvor emigriert ist
Beispiele
Für die Flüchtlinge des Jugoslawienkrieges war Remigration noch völlig normal.
Irgendwann dann kam beim Duden hinzu
massenhafte Ausweisung und daraus folgende Ausreise von Menschen mit Migrationsgeschichte
Gebrauch
verhüllend
Beispiel
https://www.duden.de/rechtschreibung/Remigration
Richtig: Bio Deutsche ist diskriminierend gegenüber denen, deren Vorfahren bereits hier geboren wurden und die dieses Land aufgebaut haben.
Man kann sich ja zu Recht darüber streiten, ob „biodeutsch“ ein gelungenes neues Kompositum ist. Aber bezeichnend ist, dass sich die Jury in ihrer Begründung gar nicht mit dieser Wortschöpfung beschäftigt, sondern vielmehr kritisiert, dass man überhaupt ein Wort für „Deutsche ohne Migrationshintergrund“ gebildet hat, weil man dieses Wort ja diskriminierend gebrauchen kann.
Für eine Entität, die nun mal faktisch existiert, will die Jury kein eigenes Wort zulassen, damit man über diese Entität gar nicht mehr reden kann. So funktioniert Orwells Neusprech.
Diejenigen, die allen Ernstes zu glauben scheinen, rassistische und biologistische Formen von Nationalität seien „konstruiert“, können keine Augen im Kopf haben, oder sie waren die letzten 20 Jahre in keiner deutschen Großstadt. Biologistisch, das wäre mein kaum zu toppender Kandidat fürs Unwort 2025. Als ob meine biologische Herkunft bloße Ideologie wäre, und die Einsicht in die Relevanz derselben politischer Extremismus. Biologisch oder nicht, es gibt die deutsche Gründlichkeit, und die linksradikalen Staats-, Volks-, Kultur-, Wohlstands- und Freiheitszerstörer, alles Begriffe, die es in der linken Kampfpresse zum Unwort bringen könnten, werden diese zu spüren bekommen, wenn ihre ideologistischen Kartenhäuser zusammenfallen und… Mehr
Das Wort „biodeutsch“ macht für mich keinen Sinn. Für mich reicht das Wort deutsch, und es ist keineswegs gleichbedeutend mit „besitzt die die deutsche Staatsangehörigkeit.“
Und das gilt ja nicht nur für mich. Eine nicht kleine Gruppe von Einwanderern, die inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, würde sich ebenso wenig als „deutsch“ bezeichnen.