Gefangener der Freiheit

Hamed Abdel-Samad ist Deutschlands mutigster Religionskritiker. Wegen seiner negativen Aussagen zum Islam muss er unter Polizeischutz leben. Sein Buch „Der Preis der Freiheit“ ist ein Kassenbon für unsere Gesellschaft. Unterm Strich ist ihm kein Preis zu hoch.

Wenn Abdel-Samad über Freiheit schreibt, ihren Verlust und den Preis derselben, sind das keine leeren Phrasen. Er lebt unter gleich zwei Fatwas, islamischen Todesurteilen, die gegen ihn ausgesprochen wurden. Wo auch immer er hingeht, wird Abdel-Samad von Personenschützern der Polizei begleitet. Ausfahrten sind nur in einem gepanzerten Wagen möglich. Als er 2015 die Buchmesse besuchen wollte, um ein Buch vorzustellen, musste er eine kugelsichere Weste tragen. Wenn er im Supermarkt einkaufen geht, stehen zwischen Nudeln und Konservendosen bewaffnete Leibwächter, die das Supermarktregal abschirmen.

Seine Bücher kosteten ihn die Freizügigkeit. Die Sorglosigkeit. Sie kosteten ihn die letzten Augenblicke mit seiner Mutter, die er nicht am Sterbebett in ihrem Heimatdorf besuchen konnte. Sie kosteten ihn die Ehe, die an der ständigen Bedrohung zerbrach. Sie kosteten ihn aber nicht die Freiheit.

Um zu verstehen, warum er diesen Preis zu zahlen bereit war, muss man „Der Preis der Freiheit – Eine Warnung an den Westen“ lesen. An seinem eigenen Lebensweg zeichnet er den Weg in die Freiheit, unter Polizeischutz leben zu müssen, nach. Missbrauch auf dem Weg zum Kindergarten, die Kindheit vor den Toren Kairos, Muslimbruderschaft, deutsche Universität, Psychiatrie und Buddhistischer Tempel.

Intime Einblicke in ein bewegtes Leben

Es sind intime Einblicke in sein Leben, die Abdel-Samad gewährt. Was trieb ihn zur islamistischen Muslimbruderschaft – und wieder fort? Schon in den 1990er Jahren konnte er an den deutschen Universitäten nicht die Freiheit finden, die er suchte. Abdel-Samad kann nicht eingeengt leben. Seine Gedankenwelt kann sich niemandem unterordnen, keinen Kompromiss eingehen. Freiheit ist keine hohle Phrase, kein amorphes Ideal.

TE-Interview mit Hamed Abdel-Samad
Hamed Abdel-Samad: Wie Wokismus und Islamismus die Freiheit erdrücken
So ist er gleich doppelt gefangen: Er kann nicht unfrei Leben; doch der Preis dafür ist, dass ihm die scheinbare Freiheit des Alltags verwehrt wird. Abdel-Samads Begriff von Freiheit verlangt auch nicht, dass ihm alle Nöte abgenommen werden.

Wenn linke Autoren von Freiheit schreiben, meinen sie immer wieder die Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen oder Verantwortung. Das lehnt Abdel-Samad ab. Er sucht die Freiheit der Tat. Was bedeutet es, sich keinem geistigen Zwang unterzuordnen?

Der freie Westen ist nicht frei

Doch Abdel-Samad konfrontiert auch die falsche deutsche Vorstellung von Freiheit. Er nennt es „müde Freiheit“. Die Gesellschaften Europas glauben frei zu sein, weil es keine Sittenpolizei gibt, die Frauen zum Verschleiern zwingt. Doch das ist nur ein Baustein der Freiheit. Europa ist zunehmend gefangen in einem „verkommenen Individualismus“, der nur oberflächlich im Gegensatz zu den Stammesgesellschaften Ägyptens, des Irans oder Afghanistans steht.

Wenn Salman Rushdies Buch Satanische Verse als „Provokation“ abgewunken, Kritiker wie Abdel-Samad und andere gecancelt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden, dann ist das ein Symptom einer Gesellschaft, die geistig nicht frei ist. Im Gespräch mit Tichys Einblick sagte Abdel-Samad:

GEDANKEN NACH EINEM MORDVERSUCH
Salman Rushdies Buch „Knife“: Ein Stich ins Herz der Dummheit
„Wenn man selbst in der Freiheit geboren und aufgewachsen ist, dann entwickelt man mit der Zeit die Einstellung, dass alles selbstverständlich ist und alles von allein kommt. Aber ich komme aus einer Diktatur. Ich weiß, was es bedeutet, dass mir meine Freiheit entzogen wird. Ich weiß, was es bedeutet, dass ich nicht sagen darf, was ich denke. Und dass ich dann irgendwann im Gefängnis landen musste, wegen einer Meinung. So weit sind wir nicht im Westen. Aber wir bewegen uns auch dorthin, denn wir schätzen die Freiheit nicht. Und die Freiheit hat erst eine Geltung, wenn sie die Freiheit des Andersdenkenden ist.“

„Viele verwenden den Begriff Freiheit sehr oft ideologisch und auf die Interessen der eigenen Gruppe bezogen. Es kommt selten vor, dass jemand von der geteilten Freiheit spricht, von Freiheit als einem hohen Gut – einem hohen Gut für uns alle. D.h. dass ich diese Freiheit nicht nur für mich beanspruche. Ich beanspruche die Freiheit der freien Rede für mich, aber auch die Freiheit des Moslems, seine Religion auszuüben. Die Freiheit eines Wählers, die AfD zu wählen, ohne als Nazi bezeichnet zu werden. Die Freiheit eines Linken, sich zur Haltung der Regierung in Sachen Umweltschutz zu äußern. All das, ohne dass sich eine Gruppe über die anderen moralisch überhebt und sich für die richtige und die eigene Freiheit für die einzig gültige zu betrachten. Das Konzept der Freiheit beginnt zu zerbröseln und keine Bedeutung mehr zu haben, wenn wir nur für uns in Anspruch nehmen, Freiheit zu genießen, aber anderen nicht zugestehen, dass auch sie die gleiche Freiheit verdient haben. Freiheit ist unteilbar.“

Der Preis der Freiheit ist hoch. Abdel-Samad war bereit ihn zu zahlen. Sein Buch ist bedrückend und inspirierend zugleich, denn es konfrontiert den Leser auch mit den Momenten, in denen er selbst unfrei ist – in denen er sich dem Diktat anderer beugt. Im Lesen konfrontiert man sich selbst, macht Kassensturz. Der Preis der Freiheit ist hoch. Sind wir bereit, ihn zu zahlen?


Hamed Abdel-Samad, Der Preis der Freiheit. Eine Warnung an den Westen. dtv, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 24,00 €.


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Kommentare ( 5 )

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verblichene Rose
1 Monat her

„Der Preis der Freiheit ist hoch. Sind wir bereit, ihn zu zahlen?“ Das kommt ganz darauf an, an wen ich zu zahlen habe, bzw. frage ich mich, ob ich überhaupt jemanden etwas schulde. Ignorante Menschen kann ich nämlich (noch!) einfach im Regen ihrer dümmlichen Meinung stehen lassen. Aber wie sieht es mit Fanatikern aus, die mir nicht aus dem Weg gehen wollen, obwohl ich deren Nähe gar nicht gesucht habe? Hamed Abdel-Samad muss sich daher fragen lassen, ob es angesichts einer Masseneinwanderung von (…) nicht klüger gewesen wäre, einfach den Mund zu halten. Ja, manchmal ist es tatsächlich „günstiger“, seinen… Mehr

Rob Roy
1 Monat her

Für den Schutz des Herrn Abdel-Samad sind viele Beamte beschäftigt. Bei nur zwei Personenschützern, die ihn immer begleiten, benötigt man für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung vielleicht 12 bis 15 Kräfte, womöglich mehr, wenn öffentliche Auftritte abzusichern sind. Ein Dutzend oder mehr Polizisten, die allein für ihn da sein müssen. Nur, weil er seine Meinungs sagt. Dazu die Kosten für gepanzerte Fahrzeuge und die Ausrüstung der Beamten. Ich sag mal, da kommen schnell 100.000 Euro und mehr zusammen. Monat für Monat. Und er ist ja nur einer der Bedrohten, die geschützt werden müssen. Auch diese Kosten gehören mit zum Preis, den wir für… Mehr

Last edited 1 Monat her by Rob Roy
verblichene Rose
1 Monat her
Antworten an  Rob Roy

Volle Zustimmung!
Ich bin übrigens gerne bereit für etwas zu zahlen das „seinen Preis“ hat.
Nur habe ich mir dann einen ganz individuellen Vorteil erkauft.
Einladungen verschicke ich deshalb auch nur an Menschen, die meine Großzügigkeit zu würdigen wissen.
Leute, die dann aber ungefragt ihre Füße auf meinen Tisch legen, müssen damit rechnen, dass ich das mindestens missbillige 🧐

giesemann
1 Monat her
Antworten an  Rob Roy

Ja, die Invasion kostet – und bezahlen muss der Eroberte. Nennt man „Besatzungskosten“.

Raul Gutmann
1 Monat her

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2024: In einer heterogenen Gesellschaft werden Hamed Abdel-Samad, Salman Rushdie und viele andere medial Unbeachtete angesichts ihrer polit-religiösen Klasse bedroht und gesellschaftlich vernichtet – hinzu kommen die vielen Volksvertreter der aktuell politischen Alternative, die in einer Weise gesellschaftlich schikaniert werden, die es jedoch verbietet, öffentlich adäquat auszudrücken.
Angesichts der aktuelle Situation in Syrien: die Aussichten der gegenwärtigen „deutschen“ Gesellschaft sind bestenfalls dystopisch
1914: Eine homogene Gesellschaft, die aus heutiger Perspektive friedlich und einer wohlgestimmten Zukunft entgegensah.