Rumpf-Regierung stellt neue „Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ vor

Die neue „Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ ist alles andere als wegweisend. Das gerade einmal elfseitige Papier bietet wenig Konkretes, spart dafür aber viele wichtige Fragen und Probleme aus. Es ist äußerst fraglich, ob deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik so zukunftsfähig gemacht werden kann.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine begann vor 1016 Tagen – am 24. Februar 2022. Seither führt Putin einen zerstörerischen Krieg nicht nur gegen die ukrainische Armee, sondern gegen die ukrainische Bevölkerung und gegen die ukrainische Infrastruktur. Mit Hilfe massiver Waffenhilfe vor allem aus den Nato-Staaten, an erster Stelle aus den USA, aber auch aus Deutschland, konnte sich die Ukraine – allerdings bei erheblichen eigenen personellen und Flächen-Verlusten – bislang der Angriffe erwehren.

1016 Tage: Ebenso lang brauchte die Bundesregierung, die vormalige „Ampel-“ und jetzige Rumpf-Regierung, um eine „Neue Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie (SVI)“ zu erarbeiten. Am 4. Dezember 2024 nun wurde die „SVI“ von den Bundesministern Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz; Grüne) und Boris Pistorius (Bundesminister der Verteidigung; SPD) vorgestellt. Diese SVI soll die Vorgänger-Strategie des Jahres 2020 ersetzen.

Das 11-Seiten-Papier der neuen SVI reißt niemanden vom Hocker. Trotz des seit 1016 Tagen währenden Krieges in der Ukraine wirkt das SVI-Papier wie schnell noch kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl mit fixer Nadel gestrickt.

Mit der neuen SVI soll – so regierungsamtlich die Auskunft – das seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs stark veränderte Sicherheitsumfeld der Bundesrepublik Deutschland und ihrer europäischen Partnernationen berücksichtigt werden.

Pistorius unterstrich bei der Vorstellung der SVI: „Für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist entscheidend, dass wir innovative und leistungsfähige Rüstungsunternehmen im Land haben. Nur so gelingt es uns, hochmoderne Waffensysteme – auch gemeinsam mit unseren Verbündeten – zu entwickeln und vor allem auch in ausreichender Stückzahl zu produzieren. Die aktuelle Bedrohungslage erfordert, dass wir Schlüsseltechnologien in Deutschland fördern. Gleichzeitig erleichtern wir europäische und internationale Kooperation (…) Mit der SVI verbessern wir die Rahmenbedingungen für die Unternehmen und schlagen ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Staat und Industrie auf, ganz im Sinne der Zeitenwende.“

Habeck assistierte noch weiter ausholend: „Oberste Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik ist es sicherzustellen, dass wir in unserem Land auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können. Danach bemisst sich unser Handeln. (…) Unsere Strategie ist daher ein klares Signal an die Industrie, dass wir sie hierbei als unverzichtbaren Bestandteil sehen und unterstützen. Wir brauchen mehr eigene Kapazitäten, Unabhängigkeit und Resilienz. Mit der neuen Strategie schaffen wir Planungssicherheit und fördern Innovationen, um die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu wappnen (…).“ Habeck fügte an: „Gleichzeitig gilt, dass wir eine restriktive Rüstungsexportkontrollpolitik verfolgen, für die Menschenrechte ein entscheidender Maßstab sind.“

Die SVI soll diese allgemeinen Ziele erreichen, indem sie sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien weiter schärft und fördert und den Fokus dabei noch stärker auf europäische und internationale Kooperation legt. Sie beschreibt Maßnahmen zum Schutz von Lieferketten und soll finanzielle Rahmenbedingungen für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie stärker in den Blick nehmen. In Bezug auf Geldanlagen stellt sie klar, dass zum Beispiel ein nachhaltiger Fonds auch in Sicherheits- und Verteidigungsindustrie-Unternehmen investieren kann. Die SVI soll hemmende Regularien identifizieren und bei Bedarf Anpassungen anstoßen. Sie adressiert zudem intensiv die weitere Sicherung der Fachkräftebasis.

Was fehlt?

Nun ja, all das fällt der (geschäftsführenden) Bundesregierung 1016 Tage nach der hochgerühmten „Zeitenwende“-Rede von Kanzler Olaf Scholz vom 27. Februar 2022 ein – rund 80 Tage vor der voraussichtlich auf den 23. Februar 2025 vorgezogenen Bundestagswahl. Gemessen an den 1016 Tagen, aber wahrscheinlich den genannten 80 Tagen geschuldet, sind die 11 Seiten dürftig ausgefallen. Viele wichtige Bereiche bleiben ausgespart.

Erstens vermisst man konkrete Initiativen, mit denen die deutsche Rüstungsindustrie wieder auf die Beine kommt. Laut SIPRI-Ranking (Stand: 2023) nehmen deutsche Rüstungsformen weltweit gerade eben die Plätze 26 (Rheinmetall mit 5,48 Milliarden $), 66 (Thyssen-Krupp mit 1,99 Milliarden), 73 (Hensoldt mit 1,85 Milliarden) und 83 (Diehl mit 1,35 Milliarden) ein.

Zweitens macht das Papier einen Bogen um die Tatsache, dass das 2022 aufgelegte 100-Milliarden-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr in Kürze aufgebraucht sein wird und Deutschland dann wieder zu den Nato-Ländern gehören wird, die weit unter der 2-Prozent-Vereinbarung bleiben, die vorsieht, dass 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben werden.

Drittens ist im Papier an keiner Stelle davon die Rede, wie die „Dienste“, also der Bundesnachrichtendienst BND und der Militärische Abschirm-Dienst MAD, für die Abwehr von Spionage und Sabotage gestärkt werden können.

Viertens klammert das Papier die Bedeutung und die Notwendigkeit sicherheits- und militärisch relevanter Forschungen an Universitäten aus. Solche Forschung findet de facto nicht mehr statt, weil sich fast alle Hochschulen in Deutschland eine pazifistische „Zivilklausel“ verpasst haben, die jede militärisch relevante Forschung unterbindet.

Fünftens ist das Bundesinnenministerium nicht eingebunden. Dieses hätte mit seinem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), mit der Sicherung der kritischen Infrastruktur durch die Bundespolizei, mit seiner Zuständigkeit für den Zivil- und Bevölkerungsschutz usw. durchaus ebenfalls einbezogen werden müssen.

Alles in allem: Wegweisend ist eine solche „Strategie“ nicht. Man darf gespannt sein, welche Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie eine neue Bundesregierung auflegt. Und ob sie auch drei Jahre braucht, hier zu liefern.


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Kommentare ( 16 )

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16 Comments
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Alf
1 Monat her

Man darf gespannt sein, welche Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie eine neue Bundesregierung auflegt. Und ob sie auch drei Jahre braucht, hier zu liefern….
Wer ist hier gespannt?
Wenn die Kassen leer sind, wird es nichts geben.
Auch fehlt der Wille.
11 Seiten – lächerlich..
Egal welche Politdarsteller am Hebel sitzen, die Bundeswehr ist genauso wehrhaft wie die Demokratie.
Da helfen auch keine Begriffe wie „kriegstüchtig“.

Last edited 1 Monat her by Alf
verblichene Rose
1 Monat her

Wenn man bedenkt, dass die kürzeste Doktorarbeit nur drei Seiten umfasst haben soll, sind elf Seiten für eine sog. SVI doch schon ganz vorzeigbar. Rein mathematisch betrachtet müssen sich aber leider sechzehn Bundesländer dieses Papier untereinander aufteilen, wenn denn überall die Sicherheit und Verteidigung gewährleistet sein soll. Aber gut, auch ich gehe manchmal mit einem schnell geschriebenen Einkaufszettel los, um dann hinterher fest zu stellen, nur die Hälfte meines eigentlichen Bedarfs erworben zu haben. Gut, dann gibt es eben mal den Kaffee nur schwarz und in der Not schmeckt das Brot auch ohne Wurst. Mich wundert nur, dass zuvor die… Mehr

GR
1 Monat her

Wir sind die Guten und alle anderen haben zu tun was wir wollen! Damit das klar ist!!!

Teiresias
1 Monat her

Strategisch gesehen definieren sich Angreifer und Verteidiger aus der Konstellation:

Zwei Hunde, ein Knochen.
Der den Knochen hat, ist Verteidiger, der den Knochen will, ist Angreifer – das gilt natürlich auch dann, wenn der mit dem Knochen als erster zubeisst, um den ständig lauernden Angreifer zu vertreiben und einem bevorstehenden Angriff präventiv zu unterbinden.

Die USA sitzt auf dem grössten Schuldenberg der Welt, der sie bei Verlust des Petrodollarprivilegs in den Abyss reissen wird.
Russland sitzt auf dem grössten Rohstoffberg der Welt.

Wer will da wohl was von wem?

Pankratius
1 Monat her

Zitat Aus dem Artikel: „Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine begann vor 1016 Tagen – am 24. Februar 2022. Seither führt Putin einen zerstörerischen Krieg nicht nur gegen die ukrainische Armee, sondern gegen die ukrainische Bevölkerung und gegen die ukrainische Infrastruktur“. Könnte es sein, dass der ansonsten von mir geschätzte Herr Kraus zuviel von der öffentlich-rechtlichen und der haltungsmedialen Journalistik berieselt worden ist? Auch er schreibt das Unisono sämtlicher Haltungskollegen einfach fort. Der Einmarsch der Russen in die Ukraine war ein Präventivschlag gegen die Blockade ihres Landes von der westlichen Hemisphere, die über den angestrebten Nato-Hafen Sewastopol und die… Mehr

Waldschrat
1 Monat her

Und wieder ist der böse Putin als Schuldiger ausgemacht. Schaut man den gar nicht über den Tellerrand hinaus? Geostrategische Strategie- und Machtspielchen des Westens, insbesonder der USA und GB werden nach wie vor völlig ausgeblendet. Auch Russland hat Sicherheitsinteressen, aber die spielen in der Westdenke offenbar keine Rolle.

GefanzerterAloholiker
1 Monat her

Frage an den Autor. Woher haben Sie das „Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine begann vor 1016 Tagen …? Haben Sie das überprüft? Sicher nicht gegen das Tucker Carlson Interview mit Lavrov. Gibt es dazu eine nennenswerte Studie? Und das hier? „Mit Hilfe massiver Waffenhilfe vor allem aus den Nato-Staaten, an erster Stelle aus den USA, aber auch aus Deutschland, konnte sich die Ukraine ..“ Tausende Nato Leute , Offiziere und gedungene Söldner sind eliminiert worden. Waffenhilfe wäre auch ohne deren Eliminierung eine ganz schwache Beschreibung , denn Aufklärung und Zielprogrammierung sind die Voraussetzung, um Waffen einzusetzen. “ stark veränderte Sicherheitsumfeld… Mehr

GefanzerterAloholiker
1 Monat her

Die Wirklichkeit straft die Hetze Lügen. Die Sonderaktion wurde unternommen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die rassistischen Gesetze in der Ukraine waren lange vor 2022 da. sie führten zu indiskriminierender Bombardierung einer Stadt. Alle haben die lange Militärkolonne 2022 noch in Erinnerung – mit Ausnahme der Hetzer jedenfalls. Aber niemand hat die Ukraine „besetzt“ , man hat nur die Ost – West Logistik behindert. Mehr war da nicht. Die Kolonne ist auch weg. Von Waffenlieferungen keine Spur, sonst würden weder Wafen auf dem Schwarzmarkt landen noch Depleted Uranium in der Ukraine von der Armee der russ Föderation… Mehr

GefanzerterAloholiker
1 Monat her

Mir ist die Verhältnismäßigkeit nicht mehr vermittelbar. Der Autor will gemeine Sache machen mit Leutchen wie den USA, die stets durch einen Ozean getrennt Biowaffenlabore unterhalten? Wie in der Ukraine. Was sagt eigentlich die NATO dazu? Wer hat den Angelsachsen gestattet, ihr depleted Uranium auf dem eurasischen zu entsorgen? Was soll das alles? Weder gab es etwas, was Deutsche ihr eigen nennen dürfen, noch wird es das geben. Ob es zu Blackrock oder nach Dänemark, Frankreich oder Polen abgeliefert wird, es wird alles gestohlen. Man ist fassungslos. Es wird auch keine Rüstungspolitik geben. Die Patente werden geklaut werden. Oder in… Mehr

Last edited 1 Monat her by GefanzerterAloholiker
Memphrite
1 Monat her

Schon wieder das Märchen vom Überfall. In der Ukraine tobte seit 2014 (was ist da bloß passiert fragt sich der friedlich Westler) ein Bürgerkrieg. Kiew gegen die russischsprechenden abtrünnigen Republiken. Auch das Märchen das der „Westen“ erst seit 2022 Kiew massiv aufrüstet. Einfach mal die die Zahlen seit 2014 auf den Tisch legen, da erkennt man das di ukr. Armee vor 2022 eine NATO-Truppe war. Russland hat seit 2008 davor gewarnt die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Als die Spannung seit Biden weiter anstiegen und es klar wurde das die Ukraine in die NATO aufgenommen werden soll, hat Moskau wieder… Mehr

Aegnor
1 Monat her

Nichts gegen eine einsatzbereite Armee die unsere Interessen schützt. Auch gerne mit Einklang mit Verbündeten, wenn sich die Interessen überschneiden. Was wir nicht brauchen sind Milliarden für eine Armee die dann als Vasallenarmee für fremde Interessen, ev. sogar gegen unsere Eigenen, eingesetzt wird. Da kann man sich die Milliarden auch sparen. Ich halte auch nichts von solchen schwachsinnigen Aussagen, wie dass wir Deutsche unsere Interessen nicht einfordern dürfen, wegen geopolitischer Gründe, der Vergangenheit, usw.. Wenn die aktuelle Bündnissituation in EU, Nato etc uns mittlerweile mehr Nachteile als Vorteile bringen sollte, müssen wir sie halt ändern. Was wollen die Nachbarländer oder… Mehr

alter weisser Mann
1 Monat her

Der Rechtsanwalt und Obergefreite Pistorius ist nicht von einem zweckdienlichen Fach und der Dr. phil. und Kinderbuchautor Habeck mal auch bloß gar nicht.
Was erwartet man denn von solchen Figuren, nur weil er eine sich nicht so um Kopf und Kragen redet wie seine MinisterInnendarstellerInnenkollegInnen und der andere die Haare schön verstrubbelt hat, schön daherschwätzt und so dolle auf bestimmte FrauentypInnen wirkt?