Er gilt als einer der profiliertesten Umwelt- und Energieexperten Deutschlands: Der Chemiker Fritz Vahrenholt war von 1991 bis 1997 Umweltsenator der Hansestadt Hamburg und ist Autor des Bestsellers „Die große Energiekrise“. Er plädiert für Maßnahmen, die uns nicht verarmen lassen.
Tichys Einblick: Die Tage sind kurz geworden, der Wind jahreszeitlich schwächer. Wie kriegen wir in der „Dunkelflaute“ die Wohnung warm und halten in Deutschland die Industrie am Laufen?
Fritz Vahrenholt: Wir kriegen die Wohnung immer noch mit Gas warm. Allerdings ist das ein Energieträger, den Wirtschaftsminister Robert Habeck und die Bundesregierung so schnell wie möglich loswerden wollen. Denn die Bundesregierung will den Gasverbrauch schon ab 2045 stoppen.
Aber die Ampel ist ja jetzt schon am Ende …
Sie hat jedenfalls den Gasnetzbetreibern wegen des Ausstiegs in 2045 erlaubt, die Preise in 2025 zu erhöhen. Stadtwerke und Gasversorger haben früher in so ein Gasnetz für eine Betriebsdauer von 50 Jahren und mehr investiert. Bundesweit ist das Netz 270 Milliarden Euro wert. Und da diese Bundesregierung wirklich die schrille Idee hat, das in jeder Straße liegende Gasnetz herauszureißen oder stillzulegen und zu zerstören, erlaubt sie den Betreibern ab 1. Januar nächsten Jahres, höhere Beträge vom Bürger und Verbraucher zu fordern, damit die Lasten statt auf 50 Betriebsjahre auf nur 20 Jahre verteilt werden.
Das erhöht die Gebühren entsprechend. Das heißt, wir kriegen eine fette Erhöhung der Gasnetzkosten in unserer Gasrechnung, die von der Bundesregierung gewollt ist. Im Übrigen steigen die Gaspreise seit einem halben Jahr wieder, weil Gas knapper geworden ist und das LNG-Gas naturgemäß teurer ist als das frühere Pipelinegas. Und drittens hat die Biden/ Harris-Regierung die Exporte von LNG beschränkt, damit der Gaspreis in den USA niedrig bleibt. Also: Wir kriegen die Wohnung warm, aber wir haben mehr zu bezahlen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, sagen Sie: Wir finanzieren jetzt unsere eigene Zerstörung der Infrastruktur.
Nun sagen viele Leute: Was geht es mich an? Ich habe Fernwärme. Aber die wird ja auch teurer – warum?
Die Fernwärme speist sich ja auch im Wesentlichen aus Gas und Kohle. Und da haben sich eben EU und Bundesregierung verschworen und haben gesagt: Wenn wir schon den Leuten die Gasheizung nicht austreiben können – sie haben es ja versucht mit dem ominösen Heizungsgesetz –, dann machen wir eben das CO2 teurer. Da auch ein Fernwärmelieferant auf Basis Gas oder Kohle CO2 im Abgas produziert, muss er pro Tonne CO2 60 bis 70 Euro bezahlen und reicht die Kosten an die Kunden weiter. Diese Abgabe ist seit 2021 locker vervierfacht worden.
Nun heißt es, der Industriestrompreis solle ebenfalls erhöht werden, weil die bisher geltende Mengenrabattstaffel wegfällt. Was steckt dahinter?
Wir haben in Deutschland 400 Industriebetriebe, die rund um die Uhr produzieren, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Das kann man sich in Berlin nicht richtig vorstellen. Das ist das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Und die Betriebe bekamen bislang einen Rabatt in der Netzgebühr, weil sie nicht nur die teuren Maschinen, sondern auch Netze und Kraftwerke gut auslasten. Die Kosten verteilen sich auf mehr Stunden. Deswegen hat bislang, wer mehr als 7000 Stunden im Jahr Strom aus dem Netz zieht, eine günstigere Netzgebühr bekommen.
Und das will Habeck nun stoppen. Er sagt, wir müssten es hinkriegen, dass Unternehmen vornehmlich dann produzieren, wenn Sonne und Wind da sind. Deswegen soll dieser Rabatt weg. Die Preisstruktur sei so zu gestalten, dass die Produzenten von Stahl, Kupfer, Zink, Glas und Papier produzieren, wenn sehr viel Sonne und Wind da ist. Der Hebel ist die Netzgebühr, mit der man die Produktionsweise in Deutschland umgestalten will.
Und das geht so ab ohne Protest?
Die chemische Industrie hat protestiert und klargestellt: Wenn wir eine chemische Reaktion gerade begonnen haben, dann brauchen wir Strom, zum Beispiel für Pumpen. Und jetzt kommt jemand und sagt: Ihr solltet besser mittendrin aufhören? So funktioniert Industrie nicht. Da merkt man, wie weit weg die Bundesregierung von der Wirklichkeit ist. Das ist auch ein Sicherheitsproblem, wenn man sozusagen Industrieanlagen nur nach Sonne und Wind fährt. Dieses Vorhaben legt Deutschland still.
Das ist die angebotsorientierte Stromversorgung. Also Arbeit nur, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht.
Die Idee der Bundesregierung ist also: Arbeit nur, wenn die Sonne scheint und Wind weht. Das heißt, es kann passieren, dass ich als Malocher morgens in die Fabrik komme und der Schichtführer sagt: Jungs, Mädels, kein Strom da, geht Kartenspielen oder geht wieder heim. Kriegen die das dann bezahlt?
Ich habe keine Idee. Ich habe schon überlegt, eigentlich müssen ja die Gewerkschaften auf der Zinne sein. Denn es wird in diesem Habeck’schen Traumland keinen Sommerurlaub mehr geben. Im Sommer muss gearbeitet werden, da ist Sonne da. Also das ist alles so idiotisch, da braucht man gar nicht drüber nachzudenken. Das wird auch nicht kommen. Aber die Denke allein, der Versuch allein, ganz Deutschland an die Irrtümer der Energiewende anzupassen, das ist eigentlich schon Grund genug zu sagen: Man muss diejenigen, die sich so was sich ausgedacht haben, die nächsten zehn bis 20 Jahre ganz weit von der Macht fernhalten.
Nun sagt Wirtschaftsminister Habeck, bald gebe es Differenzverträge. Das heißt, wenn die Energie so viel teurer ist – wie in ihrem Amerika-Beispiel –, dann kriegt die Firma so hohe Subventionen, bis sie preislich wieder auf Weltmarktniveau ist. Dann könnte die Firma sich umstellen und auf grün machen. Haben Sie da ein Problem?
Ja. Erst macht man die Produktion zu teuer, dann subventioniert man sie mit Steuergeldern. Das kennen wir aus der DDR. Wenn die Produktion in der DDR zu teuer war, nicht weltmarktfähig war, dann hat die Zentrale die Differenz ersetzt.
Habeck will nun zweistellige Milliardenbeträge ausgeben. Industrie auf Pump?
Wer diesen Weg geht, muss am Ende die Schuldenbremse kippen. Wir reden dann am Ende nicht von zehn Milliarden Euro, die er jedes Jahr verteilen kann, sondern vom Zehnfachen. Und er wird den Bundeshaushalt damit sprengen. Am Ende werden die Produzenten die Produktion nach China oder in die USA verlagern und dort mehr CO2 ausstoßen. Es wird ja nur noch über CO2 geredet. Alles andere ist ja völlig wurscht. Welche Produkte wir wie produzieren, ist egal, es wird alles dem Ziel, CO2 zu vermeiden, unterworfen. Wie gut oder wie schlecht das Produkt ist, das interessiert nicht. Hatten wir auch schon mal in der DDR.
Nun will Habeck das über die CO2-Steuern finanzieren – bei der Heizung, bei jedem Produkt. Damit wird ja auch der Verkehr verteuert.
Man müsste tatsächlich mal eine Übersicht machen, wo der Staat verdeckt mit CO2-Abgaben die Bürger und die Betriebe abkassiert. Dieses Abkassieren findet also bei der Gasheizung statt, das findet bei der Ölheizung statt, es findet an der Tankstelle statt – da sind ungefähr 15 Eurocent CO2-Steuer drin beim Benzin. Es findet mittlerweile beim Schiffsverkehr statt. Jede Tonne, die nach Deutschland kommt oder aus Deutschland rausgeht, wird mit zwei Euro pro Tonne CO2-Steuer belegt. Da denkt man sich: Zwei Euro, das ist doch nicht so schlimm. Aber: Thyssenkrupp importiert 20 Millionen Tonnen Erze und Kohle und muss 40 Millionen Euro CO2-Steuer bezahlen, die das Unternehmen gut gebrauchen könnte.
Nun sind Sie ja selbst Politiker gewesen, Umweltsenator für die SPD in Hamburg. Ist das, was Sie uns hier in einfachen Worten erklären, eigentlich so schwer zu verstehen?
Das hat ja nun auch Sigmar Gabriel gemerkt. Es hat zwei Ursachen: Die einen glauben wirklich, dass sie mit dieser Politik das Klima retten können. Da muss man natürlich einfach mal auf die Statistik schauen. China allein hat im letzten Jahr 660 Millionen Tonnen zusätzlich ausgestoßen. Das ist mehr als das, was Deutschland insgesamt emittiert. Man kann versuchen, Deutschland abzuschaffen, es ändert sich nichts am Klima.
Es gibt aber auch sicherlich einige, die mit Industrie, Kapitalismus und Marktwirtschaft noch nie so richtig etwas anfangen konnten. Hauptsache, alle kriegen gleich viel, auch wenn es Wohlstand kostet. Wenn wir das nicht stoppen, enden wir in einer Armut erzeugenden Staatswirtschaft. Der Staat wird dann nicht nur die Art der Produktion bestimmen, sondern auch die Art, wie wir leben. Es gibt dann eben immer weniger an Stromzuteilung etwa für das Elektroauto. Am Anfang darf man noch 5000 Kilometer, dann 500 Kilometer und am Ende vielleicht nur noch 50 Kilometer am Tag fahren.
Lässt sich das durchsetzen?
Ich glaube, dass immer mehr Menschen erkennen, dass es nicht gut ist, wenn der Staat bestimmt, was wir produzieren und wie wir zu leben haben. Wir haben eine Deindustrialisierung der energieintensiven Industrie von 20 Prozent, weil in Deutschland Leute am Werke sind, die zum Wohlstand nicht nur keine Beziehung haben, sondern sich offenbar zur Aufgabe gemacht haben, den Wohlstand zu zerstören.
Fritz Vahrenholt, Die große Energiekrise – und wie wir sie bewältigen können. LMV, Hardcover, 208 Seiten, 22,00 €
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