Notre-Dame im Ikea-Stil

Bald ist es so weit: Notre-Dame de Paris wird am 7. Dezember endlich wieder ihre Portale öffnen – mehr als fünf Jahre nach dem schrecklichen Brand, der nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa, ja in der ganzen Welt für Bestürzung gesorgt hat. Im Gegensatz zu den Forderungen diverser Progressisten wurde die bauliche Substanz zum Glück mehr oder weniger originalgetreu rekonstruiert - aber die neue Innenausstattung wird wohl, wie zu erwarten war, eine Katastrophe werden.

Bild: David Engels

Bald ist es so weit: Notre-Dame de Paris wird am 7. Dezember endlich wieder ihre Portale öffnen – mehr als fünf Jahre nach dem schrecklichen Brand, der nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa, ja in der ganzen Welt für Bestürzung gesorgt hat. Im Gegensatz zu den Forderungen diverser Progressisten wurde die bauliche Substanz zum Glück mehr oder weniger originalgetreu rekonstruiert – aber die neue Innenausstattung wird wohl, wie zu erwarten war, eine Katastrophe werden.

Das Christentum ist überall in Europa auf dem Rückzug, seitdem nicht nur radikal-laizistische Nationalstaaten wie Frankreich, sondern selbst der vormalige „Christenclub“ Europäische Union sich zum verlängerten Arm des militanten Atheismus gemacht haben.

Woher also der allgemeine Schock nach dem schrecklichen Brand? Die Bestürzung gründete nicht nur auf der Tatsache, dass die Brandursachen letztlich bis heute umstritten sind und der Verdacht willentlicher Zerstörung nie ganz ausgeräumt werden konnte – kein Wunder in einem Land, in dem die Kirchen nahezu im Wochentakt Opfer von Vandalismus oder Brandstiftung werden. Nein, es war vor allem die plötzliche Einsicht, dass das Kulturgut des Abendlandes keine Selbstverständlichkeit darstellt, sondern ebenso wie alles andere beschädigt und zerstört werden kann. Selbst Nichtchristen zeigten sich daher schockiert von der Tatsache, dass die wichtigste Kirche Frankreichs um ein Haar unwiderruflich verschwunden wäre: Man will zwar christliche Transzendenz ebenso wie christliche Werte weitgehend aus dem Alltag verbannen, um ganz ungehindert so zu leben, wie es dem eigenen hedonistischen Lebensentwurf entspricht, aber die Symbole christlicher Kultur ganz auslöschen – das geht vielen dann doch zu weit.

So ist der Brand von Notre-Dame als gewaltiges Memento mori der abendländischen Zivilisation empfunden worden, und es ist daher gar nicht so einfach zu bestimmen, in welchem Grade die Unbedingtheit, mit der von den meisten Franzosen eine unmittelbare und detailgetreue Rekonstruktion der verschwundenen Bauteile gefordert wurde, der Liebe zum Gebäude an sich entsprang oder vielmehr dem beharrlichen Wunsch, dass alles „so wie früher“ werden sollte, um so schnell wie möglich die tieferen historischen wie individuellen Implikationen des Ereignisses verdrängen zu können.

Entsprechend umstritten waren daher auch die diversen Vorschläge verschiedenster Politiker, Intellektueller, Künstler und Influencer, keine historische, sondern vielmehr eine „kreative“ Rekonstruktion der Kirche in Angriff zu nehmen oder gar den Bau vollends in eine Art Museum für liturgische Kunst zu verwandeln. Zum Glück war der öffentliche Widerstand gegen jene zahlreichen Versuchsballons zu groß, doch ganz auf eine Verschlimmbesserung wollte man dann doch nicht verzichten. Und was in den letzten Monaten in die Presse durchgesickert ist, spricht Bände über die Unbelehrbarkeit der modernen Amtskirche auch in Frankreich und ihren Wunsch, selbst im Jahr 2024 mit sturer Zielsicherheit weiterhin alle jene Rezepte zu verfolgen, die das Christentum seit dem Zweiten Vaticanum ins gesellschaftliche und spirituelle Aus geschossen haben.

Dass die renovierte Kirche durch Reinigung der Säulen, Wände und Gewölbe nicht mehr in das mystische Dunkel jahrhundertealten Kerzenrußes getaucht scheint, sondern aseptisch in hellem Sandstein erstrahlt, wird man den verantwortlichen Autoritäten zwar nicht wirklich anlasten dürfen, wenn sich dadurch das Endresultat auch noch weiter vom Originalzustand entfernt: Schließlich war die Kirche im Mittelalter innen wie außen zu nicht unwesentlichen Teilen angemalt, wie anlässlich der Renovierungsarbeiten übrigens auch archäologisch schön nachgewiesen werden konnte. Dass aber die Gesamtheit der neuen liturgischen Geräte, vertraut man den bisher zugänglichen Informationen, in einer grässlich vereinfachten, ikea-artigen Weise aus völlig schmucklosem Metall gehalten wurde (die eucharistischen Gefäße silberhell, alles andere rostbraun), ist eine optische Katastrophe – und schuld daran ist nicht etwa der Staat, der nur für das Gebäude zuständig ist, sondern das Erzbistum selbst, das gesetzlich für die innere Ausstattung zu sorgen hat.

Vom Taufbecken über den „Volksaltar“, die Bischofskathedra und den Ambo bis hin zu den heiligen Behältnissen für die Eucharistie erwecken die neuen Kultgegenstände den Eindruck, man habe sie aus einer beliebigen brutalistischen Provinzkirche nach Paris gebracht, obwohl sie allesamt eigens zu horrenden Preisen für Notre-Dame angefertigt worden sind. Auch die Bestuhlung ist optisch eine Katastrophe: Keine Bänke, sondern 1500 eckige und schnörkellose Einzelstühle wurden aus heller, massiver Eiche angefertigt und verbreiten den Charme eines protestantischen Sitzkreises. Obwohl auch in Frankreich die postvatikanische „Amtskirche“ im freien Fall begriffen ist und junge Leute ebenso wie ein Großteil der neuen Priester sich allesamt der alten Messe und dem auch ästhetischen Traditionalismus zuwenden, scheinen die Institutionen unfähig zur Kehrtwende – und man muss kein besonders begnadeter Kulturmorphologe sein, um vorherzusagen, dass spätestens in 15 oder 20 Jahren, wenn es soweit ist, dass die Traditionalisten die katholische Kirche übernehmen, die komplette, sündhaft teure Inneneinrichtung Notre-Dames wieder erbarmungslos beseitigt werden dürfte.

Die Wiedereröffnung der Kirche soll sich stufenweise vollziehen: Am 22.11.2024 wurde bereits die inmitten des Schuttes wundersamerweise völlig unbeschädigt vorgefundene „vierge du pilier“ aus dem 14. Jh. wieder auf den Vorplatz zurückgeführt, am 7.12. soll der Erzbischof die schweren Portale der Kirche feierlich öffnen und das Gotteshaus den Gläubigen zurückgeben, und am 8.12. soll der neue Altar geweiht werden und die erste Messe stattfinden. Doch hat sich auch der politisch schwer angeschlagene Präsident in die Planung eingemischt und einseitig verkündet, am 29.11.2024 ein großes Fest für die Bauarbeiter und Geldgeber veranstalten zu wollen, bei dem erste offizielle Bilder des fertiggestellten Inneren veröffentlicht werden sollen: Die Bauarbeiten zur Errichtung der entsprechenden Zelte und Tribünen sind im vollen Gang.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Geltungssucht Emmanuel Macrons mit der Autorität des Erzbischofs Laurent Ulrich in Konflikt gerät und es letztlich um die Lösung der Frage geht, inwieweit Notre-Dame nun schwerpunktmäßig als aktives Gotteshaus oder vielmehr als nationales kunsthistorisches Denkmal zu betrachten sei; eine Frage, die sich auch in der Debatte niedergeschlagen hatte, ob der Zugang zur Kirche weiterhin kostenlos sein soll oder, wie damals von Rachina Dati, der französischen Kulturministerin algerisch-marokkanischer Herkunft und muslimischer Religion gewünscht, gegen Eintrittsgeld. Bislang konnte sich die Kirche durchsetzen…

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