Lieferung von Taurus-Flugkörpern an die Ukraine – Welche Folgen das haben könnte

Die Ukraine greift Russland mit ATACMS-Raketen aus den USA an. Der Einsatz von Langstreckenwaffen wirft wieder die Frage auf, ob Deutschland sich beteiligen soll - durch die Lieferung des begehrten Taurus. Jetzt drängt die FDP auf eine Bundestagsabstimmung. Doch der Taurus-Einsatz könnte den Konflikt weiter eskalieren. Von Hans Hofmann-Reinecke

picture alliance / abaca | ABACA

In diesen Tagen fällt immer wieder der Begriff „Taurus“, und es wird diskutiert, ob Deutschland diese Waffe an die Ukraine liefern soll. Ist den Betreffenden eigentlich klar, worüber sie da so leichtfertig reden? Putins Vertrauter Dimitri Medwedew kommentierte die deutschen Absichten mit den Worten: „Generell ist es überraschend, in welchem Ausmaß die gegenwärtige Generation europäischer Politiker den Krieg auf ihr Territorium ziehen will.“

Aber worum handelt es sich dabei? Ist Taurus eine Rakete, eine Drohne, ein „Marschflugkörper“, ein Geschoss? Die technischen Daten sind leicht zugänglich, und an einem fiktiven Szenario soll hier demonstriert werden, was auf dem Spiel steht.

Kein unbekanntes Flugobjekt

Der Taurus ist ein Flugapparat, so lang (5 m) und so schwer (1,5 t) wie ein größeres Auto, mit einer Spannweite von 2 Metern. Mit solchen Stummelflügeln würde der schwere Apparat bei rollendem Start niemals vom Boden abheben. Deshalb wird er unter ein Flugzeug gehängt, etwa eine McDonnell Douglas F-15, und dann bei hoher Geschwindigkeit (ca. 900 km/h) ausgeklinkt.

Jetzt ist er ein autonomes Flugzeug, mit Autopiloten, Navigationssystemen und einer halben Tonne Sprengstoff an Bord. Die genauen Zielkoordinaten samt Route sind bei der Einsatzplanung am Boden programmiert worden. Angetrieben wird der Taurus von einem „Turbofan“ mit 7 kN Schub; diese Kraft entspricht etwa der Hälfte seines Gewichts. Turbofans treiben in größerer Ausführung, und für eine längere Lebensdauer ausgelegt, auch unsere Airliner an.

Der Treibstoff reicht für einen 45-minütigen Flug, das ergibt gut 500 km. Und noch etwas: Der Taurus ist in der Lage, sein Ziel zu erkennen. Er hat ein dreidimensionales digitales Modell davon gespeichert und vergleicht es beim Anflug mit dem, was seine Kamera sieht. Und was würde passieren, wenn er sein Ziel nicht zu Gesicht bekäme? Dann fliegt er weiter zu einem vorprogrammierten Ort, an dem er sich schadlos in die Luft sprengt. (Janes.com)

Der Spieß wird umgedreht

Wie sähe nun ein Taurus-Einsatz in der Praxis aus? Drehen wir dazu den Spieß um: Nehmen wir an, auch Russland hätte so einen Taurus zur Verfügung – eine vermutlich ganz realistische Annahme.
Von der Luftwaffenbasis Levashovo bei St. Petersburg startet eine Suchoi 57 mit solch einer Waffe unter dem Rumpf, nimmt Kurs nach Westen und steigt auf die übliche Flughöhe. Bald ist sie über der Ostsee und wird auf den Radarschirmen der estnischen und finnischen Luftüberwachung sichtbar. Für die ist das keine Überraschung, denn russische Piloten machen hier gerne ihre „Dogfights“.

Eine halbe Stunde später dreht die Suchoi nach Südwesten und setzt ihren Flug über Wasser fort. Nach einer weiteren halben Stunde, in der Nähe der Insel Bornholm, drückt der Pilot einen roten Knopf. Für den Taurus ist es das Signal, sein Triebwerk anzulassen und sich auszuklinken, worauf die Suchoi eine steile 180-Grad-Wende macht und wieder nach Hause fliegt.

Auf sich allein gestellt

Der Taurus ist jetzt auf sich allein gestellt. Als Erstes verlässt er seine Flughöhe und geht in steilem Sinkflug auf 10 oder 20 Metern über dem Wasser. Jetzt ist er unter dem Radar. Eine ganze Palette von Systemen zeigt ihm seine genaue Position an. Falls das GPS gestört sein sollte, benutzt er sein INS (Inertial Navigation System), dann hat er noch eine Kamera an Bord, welche die Landschaft beobachtet und mit der digitalen Landkarte des Bordcomputers vergleicht. Über Wasser ist das zwar keine Hilfe, aber das Bordradar erkennt die Küstenlinie, und aus all diesen Daten kann der Taurus seine Position auf ein paar Meter genau berechnen.

Um seinen Bestimmungsort zu erreichen, fliegt er weiter Kurs Südwest, und zwar mit Mach 0,9, das sind 300 Meter pro Sekunde oder 18 Kilometer in der Minute. Nach 10 Minuten ist er über der Bucht von Greifswald und dreht nach Süden. Unter ihm ist jetzt die Mecklenburger Landschaft, die er mithilfe seines TFR („Terrain Following Radar“) in geringer Höhe, aber mit unverminderter Geschwindigkeit überfliegen kann. Nach weiteren 10 Minuten hat er die Stadtgrenze von Berlin erreicht. Jetzt zieht er steil nach oben, um sein genaues Ziel, wie ein Adler, aus großer Höhe zu identifizieren.

Und da ist es auch gefunden: der rechteckige Grundriss mit der Kuppel in der Mitte lässt keinen Zweifel daran, genau so ist es in seinem Programm gespeichert. Der Taurus stürzt sich jetzt von oben herab genau mitten in sein Ziel hinein. Zuerst zündet die „Penetration Charge“, das ist die kleinere Ladung, die zum Durchdringen einer möglichen Schutzwand notwendig ist. Sie zerfetzt die gläserne Kuppel in tausend kleine Splitter. Nach einigen Millisekunden explodiert dann die eigentliche große Bombe von ca. 400 Kilo und legt das Reichstagsgebäude, von innen heraus, in Schutt und Asche. Das Schicksal der Menschen darin: unvorstellbar.

Die Suchoi ist inzwischen unversehrt in Levashovo gelandet.

Die beste Verteidigung?

Bei dieser Mission hat der Angreifer dem Gegner einen maximalen Schaden zugefügt, ohne selbst ein Risiko eingegangen zu sein. Das macht den Taurus zu einer sehr begehrten Waffe. Aber dient er auch zur Abwehr eines Feindes? Nur wenn Angriff für die beste Verteidigung gehalten wird. Aber diese Strategie führt zwangsläufig zu einer rasanten Eskalation jeden Konfliktes; da kann der Streit um eine Halbinsel in einen Weltkrieg ausarten, so wie das Attentat auf einen österreichischen Erzherzog.

Die Lieferung von Taurus-Flugkörpern an die Ukraine könnte also weitreichende, nicht abzusehende Konsequenzen haben. Die aktuelle Debatte dazu wird dem nicht gerecht, sie wird auf dem falschen Niveau und in den falschen Kreisen geführt. Wer eine Maschine, die zum Massenmord eingesetzt werden kann, stolz auf seinem (oder ihrem) T-Shirt herumträgt, ist geschmacklos oder zynisch. Das wird nur noch übertroffen von der Redaktion eines Fernsehprogramms für Kinder, wo diese Mordmaschinen als schnuckelige Tierchen den Fünfjährigen näher gebracht werden sollen.

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Ganz offensichtlich ist Taurus alles andere als generisches Rüstungsmaterial. Der Lieferant ist zwangsläufig mehr oder weniger aktiv am Einsatz jedes einzelnen Flugkörpers beteiligt. Das ist anders als beim Verkauf von 5,56 mm Munition für Sturmgewehre. Wenn da die Ware über den Ladentisch geschoben ist, kann der Lieferant sie vergessen; er braucht nicht zu wissen, wo und wie sie eingesetzt wird.

Der Autopilot des Taurus dagegen muss mit einem Flugplan für seinen spezifischen Einsatz gefüttert werden, so wie aus dem oben beschriebenen Beispiel ersichtlich. Dafür bedarf es großer Mengen präziser, möglicherweise auch geheimer geographischer und militärischer Daten. Und es bedarf gut ausgebildeter Spezialisten, um auf Basis dieser Daten und dem Ziel der Mission das Profil des Einsatzes auszuarbeiten.

Vermutlich sind solche Experten nicht sehr zahlreich und sicherlich könnten sie ihr Wissen nicht in ein paar Tagen dem Personal des kriegsführenden Militärs vermitteln, ohne sich selbst dabei an der konkreten Mission zu beteiligen. Egal, was für eine Uniform diese Experten dann anziehen würden, Deutschland als Lieferant des Taurus wäre dann im Krieg mit Russland.


Dieser Artikel erscheint auch im Blog des Autors Think-Again.

Fußnote: Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Angaben ihres Generalstabs nachts ein Munitionslager in der russischen Grenzregion Brjansk mit von den USA gelieferten ATACMS-Raketen getroffen (FAZ).

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Kommentare ( 95 )

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HPs
1 Stunde her

Die Pseudo-Friedenstäubchen,
von SED/afd/BSW – früher wie heute gesteuert von KGB und Stasi.

H. Priess
1 Stunde her

Ich sage es seit Monaten. Der Krieg gegen Russland ist beschlossene Sache es wird nur noch nach einem Anlaß gesucht. Für viele scheint ein kleiner nuklearer Schlagabtausch über Deutschland eine verlockende Sache zu sein. Die Kommentare bei tiktok aber auch im Focus oder Welt sind teils so gehässig und triefen vor Haß auf Russland, daß ich mich frage: Warum seid ihr nicht an der Front? Das Böse bekämpfen!!
Ich bin überzeugt, Russland wird eine angemessene Antwort auf einen Raketen oder Taurusangriff finden. Dann Gnade uns Gott!

bkkopp
1 Stunde her

Das Beispiel Kursk scheint gut gewählt. Es ist nicht plausibel, dass die Chancen von President-elect Trump den Krieg von binnen 24 Std. zu stoppen – also Waffenruhe – beeiträchtigt wären, wenn es den Ukrainern kurzfristig gelingen könnte, die genannten 50 Tsd. russischen, und 10 Tsd, Nordkoreaner operativ auszuschalten. Es würde auch viele Tote geben, aber im Vordergrund sollte stehen, dass deren materiellen Kapazitäten so weitgehend zerstört wären, dass sie keine Waffensysteme, keine Munition und keinen funktionierenden Nachschub hätten. Sie müßten für ihr tägliches Brot davonlaufen. Wahrscheinlich haben die Ukrainer gar nicht so viele Raketen. Trump soll nur liefern was er… Mehr

Fulbert
2 Stunden her

Im Grunde nicht mehr als eine V1 mit hoch entwickeltem Steuerungssystem – wobei die V1 mehr Sprengstoff transportieren konnte und vor allem ungleich billiger war. So gesehen ist der Taurus ein irrsinniger finanzieller Aufwand, um gerade einmal 400 Kilo konventionellen Sprengstoffs zu befördern, was wiederum an das unsinnige, Ressourcen verschlingende Projekt V 2 denken lässt. Ob derartige Projektile tatsächlich zum Gamechanger taugen, darf also getrost bezweifelt werden. So wie es schon beim Leopard und diversen anderen Wunderwaffen der Fall war. Somit wäre der Taurus eigentlich nur beim Einsatz von Nuklearsprengköpfen ein Gamechanger – wenn auch in einem ganz anderen Sinne.… Mehr

Last edited 1 Stunde her by Fulbert
Ralf Poehling
2 Stunden her

Schönen Gruß ans Bundeskanzleramt.
Ich wiederhole: Bei Taurus NICHT einknicken.
Ich halte die geforderte Taurus Lieferung für eine Falle, um Deutschland aus der Neutralität direkt in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu ziehen und damit dann den Einmarsch in Deutschland zu rechtfertigen.
Unbedingt durchhalten, egal was passiert!
Die Geschichtsbücher werden uns im Nachgang Recht geben, wenn wir hier und jetzt NICHT nachgeben.

Hovercraft
2 Stunden her

Für mich eskaliert der Irrsinn zur Unzeit, Biden ist ein sehr schlechter Wahlverlierer, der den Wählerwillen der Amerikaner ignoriert. Trump will den Krieg beenden und das ist sehr gut so! Das sterben muss aufhören. 3 Jahre Waffenlieferung haben zu nichts geführt ausser zu Blutvergießen. Wir dürfen diesen schlechten Weg nicht fortführen. Wie wäre es endlich mit Verhandlungen und Waffenstillstand? So helfen wir den betroffenen Menschen und verringern die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges. Selbst wenn alles konventionell bleibt brauchen wir keine endlosen Kriegszustände wie im Nahen Osten hier in Europa, die auf tiefen Hass basieren der über Jahre erzeugt wurde. Putin wird… Mehr

Matthias
2 Stunden her

Liebe Leute, schreibt an Eure lokalen (aus dem jeweiligen Bundesland) Bundestagsabgeordneten von FDP und CDU/CSU und überschüttet sie mit Protesten bzgl. der beantragten Tauus-Lieferungen an Kiew. Es sind nur ein paar Klicks!

Leander
2 Stunden her

Was sagt mir die Beschreibung von Hr. Reinecke?

Taurus ist eine hervorragende Verteidigungswaffe! Zerstören des Nachschubs mit Eisenbahnlinien, Verkehrsknoten, Brücken, Lager für Munition/Ersatzteile/Treibstoffe/Fahrzeuge, zerstören grenznaher Kasernen und Aufmarschgebiete, Zerstörung von Flugplätzen für Kampfflugzeuge…
Aber die Ukraine braucht Taurus eh nicht, wenn sie genug ATACMS aus den USA haben. Die können das auch, wie wir heute mit der Zerstörung eines Mun-Lagers bei Brjansk gesehen haben.

Haba Orwell
1 Stunde her
Antworten an  Leander

Man darf nicht vergessen, dass die westliche Seite dafür kämpft, dass westliche Oligarchen „you will own nothing“ der fast gesamten Weltbevölkerung verpassen können und nicht „nur“ dem westlichen Fußvolk, Wer dort dazugehört, kann sich unmöglich freuen – erst kürzlich haben etwa griechische Arbeiter Waffenlieferungen für diesen Krieg blockiert.

Charly
2 Stunden her

Wie pervers und geisteskrank muss man sein, den Einsatz solcher Waffen
zu fordern.Die Befürworter dieses Einsatzes sollten zwingend an vorderster
Front aktiv sein um die Kriegserfahrungen direkt zu machen. Vielleicht sind sie
dann von geheilt.

RubbeldieKatz
1 Stunde her
Antworten an  Charly

Es reicht schon, wenn man einen Besuch in den besonders zerstörten Gebieten der Ukraine macht. Dann weiß man auch, was pervers und geisteskrank bedeutet!

Haben Sie sicher nur vergessen zu erwähnen.

RMPetersen
2 Stunden her

Solche Angriffswaffen wie Taurus werden auch die Russen haben; sie setzen sie ua für die Zerstörung v on Kraftwerken in der Ukraine ein.
Ist das ein Grund, Taurus samt Know-How und stummer Unterstützung in der Einsatzplanung an die Regierung Selenskyj zu geben? Nein.
Der Krieg geht uns nichts an. Im Donbass wir ebenso wenig „unsere Freiheit“ verteidigt wie vor einigen Jahren am Hindukusch oder zB in Mali. Die USA und deren Handlanger in Kiew haben gezockt, Russland provoziert und ihre Karten überreizt.
Die Kriegsziele „Schwächung der EU und Russlands, Zerstörung der Zusammenarbeit Deutschland – Russland“ haben die USA erreicht.