Wer den Staat tatsächlich regiert

Die Fraktionsmiglieder der Parteien steuern mit ihren steuerfinanzierten Mitarbeitern die Parteien von oben, statt die Mitglieder sie von unten. Das ist die Wirklichkeit der innerparteilichen Demokratie.

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Zwei bis maximal drei Abgeordnete je Fraktionsvorstand der im Parteienstaat akkreditierten Parteien entscheiden, was wann im Bundestag geschieht – und vor allem, was nicht. Zusammen also eine Art Elferrat. Die übrigen Abgeordneten von den derzeit rund 730 und nach der nächsten Wahl 630 Abgeordneten nicken im sogenannten Fraktionszwang ab. Jetzt, nach dem Ampel-Aus sind nur die von SPD, Union und Grünen relevant, der Elferrat ist bis zur vorzeitigen Bundestagswahl auf fünf – Scholz, Merz, Mützenich, Frei und Habeck – geschrumpft (bei den Grünen bestimmt nicht der Fraktionsvorstand, sondern Habeck). https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzverteilung_20wp

In Berlin-Mitte würde irgendein Gartenhäuschen für den Elferrat reichen, die anderen könnten vom Homeoffice aus elektronisch übertragen ihre jetzt auch folgenlosen Reden halten, zustimmen und applaudieren.

Doch bevor ich zu einem besonderen Missbrauch des Deutschen Bundestags im
Reichstagsgebäude komme, muss ich endlich einen Satz, den ich wiederholt auf TE zitiert habe, zum Ehernen Gesetz der Entscheidungsfindung erklären: „Alle wirklich wichtigen Entscheidungen werden ausnahmslos von Gremien getroffen, die es nicht gibt.“ Walter Scheel, Bundestagsabgeordneter, FDP-Vorsitzender, erster Entwicklunghilfe-Minister, Außenminister und Bundespräsident, prägte den Satz im geselligen Ausklang einer Großgremiensitzung.

Die Betriebskosten des Bundestags bezifferte die NZZ 2021 auf bald eine Milliarde Euro – doppelt so viel wie 2005. In dieser gigantischen Summe versteckt sich ein ganz besonderer Systemskandal. Die immer weiter gestiegenen Personenzahlen und Kosten der inzwischen 4.500 Abgeordneten-Mitarbeiter sind heimlich, still und leise in Wirklichkeit tragender Teil der Parteienfinanzierung geworden.

Die Parteien werden bei jeder Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung unvermeidlich durch die Medien gezogen, die Mitarbeiterkosten-Explosion geht im riesigen Bundestagstopf unter. Kenner der Parteienwirklichkeit wissen, dass die Parteien ihre Infrastruktur-Kosten aus der staatlichen Parteienfinanzierung allein noch nie bestreiten konnten. In den Sechzigern und Siebzigern verwendeten die Parteien erhebliche Mittel ihrer Politischen Stiftungen als Personalverstärkung. Die frühen Grünen klagten 1983 gegen diese Verwendung des dafür maßgeblichen öffentlichen Zuschusstopfes, der sogenannten Globalmittel aus dem Bundesinnenministerium. Das Bundesverfassungsgericht rief die Stiftungen da unddort zur Ordnung, ließ ihnen aber die systemisch wichtigen Globalmittel.

Als Otto Schily, der die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hatte,
1998 selbst Bundesinnenminister wurde, waren die Grünen, die Schily 1989 zur SPD verlassen hatte, längst in den Parteienstaat aufgenommen und somit auch mit einereigenen Stiftung im Genuss der Steuergelder für die Parteienstiftungen.

Jeder Bundestagsabgeordnete erhält eine Mitarbeiterpauschale von 26.000 Euro, aus der er Mitarbeiter im Bundestag und in seinem Wahlkreis bezahlen darf. Die 96 deutschen Mitglieder des EU-Parlaments dürfen ebenfalls Mitarbeiter sowohl in Brüssel wie in Deutschland beschäftigen. In der Summe lebt die Parteieninfrastruktur aus Parlamentsmitteln. Die versteckte Parteienfinanzierung ist das eine, die massivepolitische Wirkung die andere.

Die Mitarbeiter der Abgeordneten in den Wahlkreisen tun zweierlei. Erstens. Siehalten die Partei regional unter Kontrolle. Zweitens. Sie bereiten sich auf ihre Beförderung zum Mitarbeiter in Berlin, in der Landeshauptstadt, ihre eigene Kandidatur für Landtag oder Bundestag oder EU-Parlament vor (oder in einem Ministerium, einer NGO – fachliche Kenntnisse oder Erfahrungen nicht erforderlich). Sprich, die Fraktionsmiglieder der Parteien steuern die Parteien von oben, statt die Mitglieder von unten. Das ist die Wirklichkeit der innerparteilichen Demokratie. Was in den Lehrbüchern der Bundeszentrale für politische Bildung steht, im politischen Schulunterricht gelehrt wird, an Volkshochschulen, in sozio- oder politologischenFächern oder so, ist schöner Schein.

Und nun zur Krönung: Wer auf die Listen der Parteien (und inzwischen meist auch zur Direktkandidatur) kommt, liegt am Ende auch in den Händen der illustren Miniminderheit Elferrat. Sic transit gloria democratiae.

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Kommentare ( 21 )

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Klaus Kabel
2 Stunden her

„Zwei bis maximal drei Abgeordnete je Fraktionsvorstand der im Parteienstaat akkreditierten Parteien entscheiden, was wann im Bundestag geschieht – und vor allem, was nicht.“ Wobei die Grünen eindeutig den Takt über das Geschehen angeben. Unter den Grünen durfte schon Merkel ihr Unwesen treiben, so es im Sinne der Grünen war und sollten die Grünen nicht mehr in die Regierung kommen, ist Merz der Statthalter und Kanzler unter den Grünen. Die Grünen haben den Staat infiltriert und mit Metastasen überzogen. Sie sind die neuen Herren Deutschlands, die mit der dümmsten Energiepolitik, dem Klimagedönse, der Mgranteninvasion und anderen Undingen die Vorgaben machen.

FundamentalOpposition
2 Stunden her

Solange es in Deutschland politische Vereine gibt, bleibt Deutschland eine Diktatur

eisenherz
2 Stunden her

++ Wer den Staat tatsächlich regiert ++
Beispiel:
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Partei der Grünen, Matthias Berninger, auch ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium Ernährung und Landwirtschaft.
Wurde nach seinem Ausscheiden aus der Politik “Lobbyist beim US amerikanischen Nahrungs- und Süßwarenkonzern Mars”, zuständig für “Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit“.
Seit längerer Zeit ist Berninger Leiter des Bereichs “Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit” bei Bayer Monsanto, und muss sich laut Recherche im Internet “auch mit Fragen zum Pflanzenschutzmittel Glyphosat auseinandersetzen”.

Tesla
2 Stunden her

Wenn nur noch die wenigen Parteioberen entscheiden bzw. sich auskungeln, was im Bundestag geschieht, dann fällt es mir schwer, diese Praxis als „Demokratie“ anzuerkennen. Das erinnert mich eher an die Volkskammer. Diese war auch so ein Abnickverein für alles, was das Politbüro ausbrütete. Das macht diesen Bundestag nach meinem Verständnis eher zu einem Frühstückskartell, das seine Entscheidungen inkl. des Abstimmungsverhaltens im Sinne des Fraktionszwangs dann autoritär in den jeweiligen Parteien und letztlich im Parlament durchdrückt. Der Wille der Wähler bleibt dadurch naturgemäß auf der Strecke, und das praktisch immer öfter. Wie in Bananenrepubliken. Ich frage mich immer wieder, wer davon… Mehr

FundamentalOpposition
2 Stunden her
Antworten an  Tesla

Die Demographischen Wahlanalysen sind hier ganz klar, das Problem sind Frauen aus Kommunistischen Priesterseminaren, genannt „Universitäten“, und beide Geschlechter ab 60+. Der Rest der Wähler möchte die Köpfe der Einheitsparteien Mitglieder und deren Klans

Montesquieu
2 Stunden her

Und die Bevölkerung wird gleich mit gesteuert. Die Pyramide steht auf dem Kopf.

Haba Orwell
2 Stunden her

Nach dieser Beschreibung der Kartellparteien-Korruption wundert noch mehr, dass immer wieder jemand hier erwartet, die Woke Union könnte aus dem System ausbrechen.

TFischer
2 Stunden her

So seht es wahrscheinlich aus. Schon Hans Herbert von Arnim traf die Aussage, die Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht. Ich bin dafür, die Listenmandate abzuschaffen und das Mandat in Bundes- und Landtagen auf 2 Legislaturperioden zu begrenzen. Eine zusätzliche Legislaturperiode nur mit 2/3 Mehrheit Zustimmung zur entsprechenden Person. Zusätzlich sind die Vergünstigungen massiv zu beschränken. Jeder Steuerzahler hat dem Finanzamt gegenüber seine Werbungskosten mit entsprechenden Rechnungen zu belegen. Wofür also werden den Abgeordneten Pauschalen gezahlt. Möge man mir nicht damit kommen, unter diesen Bedingungen wären keine engagierten Politiker mehr zu finden. Diese haben wir auch im Augenblick… Mehr

flo
3 Stunden her

Der faktische Fraktionszwang ist Gift für die parlamentarische Demokratie. Wer sich namentliche Abstimmungen im Bundestag ansieht, wird feststellen, dass sich die einzelnen Parteien immer bemerkenswert einig sind. Da fragt man sich natürlich, warum der Bundestag so groß sein muss. Wenn von den Fraktionen sowieso die große Mehrheit jeweils dieselbe Ansicht vertritt, müssen nicht aufwändig 733 Menschen befragt werden, da reichen dann auch kleine Gruppierungen, die Ja, die Grünen sind dafür, oder Nein, die Union findet’s nicht gut, sagen.

imapact
3 Stunden her

Alle aktuellen Zustände zusammengefasst, kommt man zwangsläufig zu dem Schluß, daß die Demokratie in Deutschland (nicht nur da vermutlich) gescheitert resp. nur eine äußere Fassade ist. Natürlich haben die Parteien sich den Staat schon lange vor der Ampel zur Beute gemacht; nur werden die Zustände (Stichwort: Kartellisierung, Beschneidung der Meinungsfreiheit, „Brandmauer“ etc. ) immer schlimmer. Originelle Köpfe, aufrichtige Charaktere, abweichende Meinungen, werden vom Apparat schnell aussortiert und haben keine Chance auf einen der vorderen Listenplätze. Kein Wunder also, wenn sich in der CDU überhaupt kein Widerstand gegen die Kollaboration einer ehedem konservativen Partei mit den Linksgrünen regt. Übrig bleiben bei… Mehr

dubium
3 Stunden her

Das, was hier beschrieben wurde, wussten schon die Kommunisten und nannten es „demokratischer Zentralismus“.
Um so etwas zu begrenzen sollte es mehr Direktmandate geben. Die Menschen vor Ort kennen ihre Pappenheimer am besten.