Die Angst des Friedrich Merz vor der AfD, ein unnützes Parlament und die ewige GroKo

Die Aussprache über die Regierungserklärung von Olaf Scholz gerät zu einem vielsagenden Rededuell zwischen dem CDU-Chef und der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel. Dabei wird klar: Merz will Kanzler werden und hat sonst wenig Neigung zu einer politischen Wende. Und er pfeift auf das Parlament.

picture alliance / Anadolu | Halil Sagirkaya

Wer kalt in eine Bundestagsdebatte stolpert, holt sich nicht selten eine Hirnzerrung. Zum schnellen Aufwärmen deshalb ein ganz kurzes Rate-Quiz: Wer hat’s gesagt?

„Weder vorher noch nachher noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gibt es eine Zusammenarbeit meiner Fraktion mit Ihren Leuten – egal, mit wie vielen Leuten Sie hier im nächsten Deutschen Bundestag sitzen werden.“

Wir lösen auf: So spricht Friedrich Merz an die Adresse der AfD, in seiner Antwort auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers am Mittwoch. Der CDU-Chef keilt insgesamt wüst gegen die Blauen und nennt die – wie er vom Volk gewählten – AfD-Abgeordneten „Truppe von Rechtsnationalen“.

Das tut er übrigens genau einen Satz, nachdem er Olaf Scholz für dessen rüde Tonart und dessen Ausfälle gegen Christian Lindner rügt. Kein Witz.

Wir befinden uns da, wie gesagt, gerade in der Aussprache über die Regierungserklärung, die der Kanzler eben vorgetragen hatte. Rein formal bezieht sich Merz auch darauf, genauso wie es etwas später die AfD-Chefin Alice Weidel tun wird. Inhaltlich und politisch entwickelt sich diese Debatte allerdings zu einem Rededuell zwischen Merz und Weidel, bei dem der Bundeskanzler nur am Rande vorkommt.

Wir kommen gleich darauf zurück. Zunächst sagt der CDU-Chef an die Adresse von Olaf Scholz viele richtige Dinge:

„Was Sie hier sagen, ist nicht von dieser Welt. Sie leben offensichtlich in ihrem eigenen Kosmos. (…) Sie suggerieren Zusammenhalt. Aber Sie spalten das Land. (…) Ihre Rede (zur Entlassung von Christian Lindner, d. Red.) war eines Bundeskanzlers unwürdig.“

Stimmt alles. Aber der richtigen Analyse lässt Merz dann Schlussfolgerungen und Ankündigungen folgen, die die gute Stimmung, die man in diesem Moment vielleicht gehabt hat, sofort wieder zunichtemachen. Und zwar, wie die Grünen sagen würden, nachhaltig.

Denn Friedrich Merz schließt ein ums andere Mal in seinem Vortrag jedwede Zusammenarbeit mit der AfD aus. Damit manövriert er sich und seine Union taktisch und strategisch in eine Ecke, in der er und seine Partei machtpolitisch komplett bewegungsunfähig sind.

Der Oppositionsführer macht nicht nur Wahlkampf für eine Große Koalition, sondern er nimmt sich auch jede andere Regierungsoption selbst aus der Hand. Dazu reicht ein Blick auf die jüngsten Wahlumfragen. Ohne ins Detail zu gehen, sagen die Folgendes:

  • Zusammen mit der AfD könnte die Union wohl sicher eine Regierungskoalition bilden. Das will sie aber ums Verrecken nicht.
  • Zusammen mit der SPD klappt das – aber nur, wenn die FDP es nicht wieder in den Bundestag schafft.
  • Überspringt die FDP wider Erwarten die Fünf-Prozent-Hürde doch, dann brauchen Union und SPD einen Dritten im Bunde.

Nachdem der SPD-Kanzler Olaf Scholz gegenüber dem FDP-Chef Christian Lindner öffentlich so übel ausfällig geworden ist, scheint ein Bündnis von Sozialdemokraten mit Liberalen auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. Da ist echte Feindschaft entstanden, die hält noch ein bisschen.

Also würden dann CDU/CSU, SPD und Grüne die nächste Bundesregierung bilden. Da wäre Friedrich Merz als Vorsitzender der größten Partei zwar Kanzler. Aber welche Politik könnte er mit diesen Partnern machen?

Interessanterweise fragt Merz sich das auch selbst. Er listet die Punkte einer „grundlegend anderen Politik“ auf, die er machen will, zum Beispiel:

  • Zurückweisungen an den Grenzen
  • Ende des Familiennachzugs
  • Bürgergeld in der jetzigen Form wieder abschaffen
  • Steuern senken.

Er sagt auch Sätze wie:

„Wir müssen alles tun, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft wiederherzustellen. Wir müssen jetzt alles tun, um sehr schnell die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft zu erhöhen.“

Das ist sprachlich jetzt nicht besonders elegant gelöst, aber man erkennt den Gedanken dahinter. Genau wie hier:

„Wir wollen weg von der einseitigen Festlegung auf Wind- und Sonnenenergie, auf E-Mobilität und Wärmepumpe. Wir wollen hin zu einer wirklich technologie-offenen Energie- und Verkehrspolitik.“

Hört, hört, denkt man da. Klingt prima. Und mit wem will Friedrich Merz all das umsetzen? Mit der AfD ja schon mal nicht, das macht er selbst mehr als einmal mehr als deutlich. Aber mit den anderen geht das auch nicht – jedenfalls sagt Merz genau das:

„Das ist doch mit Ihren Leuten an keiner Stelle zu machen.“

Und damit meint er diesmal, wohlgemerkt, die SPD und die Grünen (und vielleicht auch die FDP).

Zusammengefasst: Merz will eine Politik, von der er selbst sagt, dass sie mit SPD und Grünen nicht möglich ist. Die FDP wird für diese Politik absehbar aus arithmetischen Gründen aber auch nicht zur Verfügung stehen. Und zur einzigen Partei, die diese Politik wohl mittragen würde – zur AfD – zerschneidet Merz mit jedem seiner Sätze auch noch den letzten winzigen verbliebenen Tischtuchrest.

Die Aussagen von Merz – „neue Politik“ einerseits und „nur ohne AfD“ andererseits – sind miteinander also völlig unvereinbar, und zwar absolut offensichtlich. Entweder, er merkt das wirklich nicht – dann müsste man an seinem Geisteszustand zweifeln. Oder er merkt es – dann ist eine der beiden Aussagen, pardon, eine blanke Lüge.

An dieser Stelle kommt Alice Weidel ins Spiel, denn die sieht das nicht nur genauso, sondern sie sagt es auch. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland hält an diesem Nachmittag die beste Rede. Weidel hat keine sympathische Ausstrahlung, das ist bekannt. Ihr Vortrag in der Debatte nach der Regierungserklärung holt aber inhaltlich und rhetorisch den Tagessieg.

Zunächst gibt sie eine Zustandsbeschreibung des Landes und der gescheiterten Ampel ab, die ähnlich ist wie die von Merz – nur klarer und deutlicher.

„Diese Ampel hat, wie keine Regierung zuvor, Wohlstand vernichtet.“

„Sie fluten das Land mit illegalen Migranten, während Sie einheimische und ausländische Arbeitskräfte gleichermaßen in die Auswanderung treiben.“

„Auf den Straßen toben sich importierte Judenhasser aus.“

„Sie spalten das Land mit dem Ungeist der Bespitzelung, der Meldestellen, mit Zensurmaßnahmen und grotesken Gesslerhut-Gesetzen wie dem Selbstbestimmungsgesetz, das die Leugnung biologischer Tatsachen zur strafbewehrten Pflicht macht.“

Das sitzt. Das verrät ein Blick in die Gesichter in den Reihen von SPD und Grünen.

Nachdem sie mit der gescheiterten Ampel fertig ist, knöpft sich Weidel ihren Vorredner vor. Auch da lässt sie es an Klarheit nicht mangeln. Merz hatte zuvor grob auf die Blauen eingedroschen. Weidel zahlt das mit gleicher Münze zurück.

„Sie wollen keine Politikwende für Deutschland, sonst würden Sie sich nicht hinter Ihrer Brandmauer verstecken und ganz offen darauf spekulieren, dass diese abgewirtschaftete SPD und die Grünen Sie zum Kanzler machen. (…) Mit Ihnen als Ersatz-Scholz kommt Deutschland nicht voran. Sie können nichts von dem umsetzen, was Sie versprechen.“

Das größte Problem an dieser Aussage ist: Nach dem Auftritt von Friedrich Merz gibt es dazu keine aussagenlogisch plausible Alternative – ganz gleich, aus welchem politischen Lager man selbst kommen mag.

Denn der CDU-Chef macht zuvor recht unverblümt Wahlkampf für eine Große Koalition. Er lobt den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich für die „Kooperation“ bei der Suche nach einem Neuwahltermin. Zu Deutsch: Merz bedankt sich für den gelungenen Coup von CDU, SPD und Grünen, weitgehend am Geist des Grundgesetzes vorbei (und mit Bundespräsident Steinmeier als Komplizen) den Bundestag aufzulösen.

Die beiden größten Schatten, die die erkennbar unvermeidlich nahende neue GroKo wirft, sind auch die am meisten furchterregenden:

Merz sagt der SPD zu, noch in diesem Jahr das Grundgesetz zu ändern mit dem Ziel, den etablierten Parteien – also allen außer der AfD und dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ – den Zugriff auf das Bundesverfassungsgericht zu sichern.

Und dann zeigt der CDU-Chef sein wahres Gesicht, seine wahre (fehlende) demokratische Gesinnung und seine wahre Angst vor der AfD:

Er bietet der SPD und den Grünen ernsthaft an, vor den Neuwahlen im Bundestag nur noch Inhalte zu beraten, auf die sich diese drei Parteien vorab verständigt haben. Alle anderen Anträge von allen anderen Parteien will Merz gar nicht erst auf die Tagesordnung setzen. Seine Begründung: Damit keine „zufällige Mehrheit mit denen da zustande kommt.“ Dabei zeigt er auf die AfD.

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat kein Oppositionsführer im Deutschen Bundestag seine Verachtung gegenüber dem Wählerwillen, gegenüber dem Parlament und gegenüber der Demokratie so offen vorgeführt.

Da ist man auch als langjähriger Beobachter des deutschen Polit-Betriebs dann doch etwas sprachlos.

Alice Weidel ruft dazu ins Gedächtnis, dass alle beredten Klagen der CDU/CSU über die Eierei von Olaf Scholz bei der Vertrauensfrage und beim Termin für Neuwahlen letztlich gegenstandslos sind, weil es für eine andere Politik längst eine Mehrheit im Bundestag gäbe.

„Wichtige Sofortmaßnahmen gegen den weiteren Abstieg Deutschlands – die Rücknahme des Verbrennerverbots, den Wiedereinstieg in die Kernkraft, die Verschärfung des Asylrechts und die Zurückweisung an den Grenzen – hätten wir längst beschließen können, mit oder ohne Vertrauensfrage des Bundeskanzlers. (…) Sie stellen die Brandmauer über Deutschland.“

Nach dieser Debatte lässt sich dagegen nur schwer argumentieren.

Vielleicht will Friedrich Merz, in der Tiefe seiner Seele, aber in Wahrheit ja doch mit der AfD koalieren. Vielleicht hindern ihn nur die immer noch einfluss- und vor allem zahlreichen ewigen Merkelianer in der Union daran, die Brandmauer einzureißen und eine wirklich andere Politik in Deutschland zu machen.

Das kann man glauben oder auch nicht. So oder so ist nur schwer von der Hand zu weisen, was Alice Weidel abschließend zum Zustand der Union sagt:

„Nach 16 Jahren Merkel und drei Jahren Merz ist die CDU nicht mehr das Gegengewicht zum linksgrünen Narrenschiff, sondern sein willfähriger Kollaborateur.“

Und zumindest dieser Mittwoch im Bundestag liefert dazu kein brauchbares Gegenargument.

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Kommentare ( 173 )

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moorwald
2 Stunden her

Merz biedert sich schon mal bei der SPD und den Grünen an. Er übt so ein bißchen mitregieren, statt harte Opposition zu bieten. Aber es paßt irgendwie zu diesem glatten Typ. Allerdings kann man sich auch in den Graben taktieren.
Im übrigen: Scholz wird bald den Biden machen.

Landdrost
3 Stunden her

Wir können uns also auf das Traumpaar Blackrock-Friedel als Kanzler und Goldman-Sachs-Jörgi als Finanzminister freuen, die mit einer Schleifung der Schuldenbremse Deutschland den Gnadenstoß verpassen werden.

TruthHurts
3 Stunden her

Was wollen eigentlich die vielen CDU Wähler? Was ist deren Ziel, eine Partei zu wählen, die diesen ganzen Käse weitermachen will und wie wir ja wissen, gestartet hat.
Ist hier vielleicht im Forum jemand, der mir mal wenigstens ein Argument vorbringt? Ernsthafte Frage…

Reiterhofer
3 Stunden her

An all die seltsamen Merz-Fans die hier in den Kommentaren das Merkelhorn „Wer AfD wählt, wählt rot-grün!“ tuten: Sie lügen! Aus welchen Gründen auch immer. Der Anteil von SPD und Grüne liegt derzeit bei ~22-28%. Daran ändert keine einzige Stimme die von der CDU zur AfD abwandert etwas. Was soll also dieses Unsinnsnarrativ? Das Einzige was man mit einer CDU-Stimme anrichtet, ist dass man einem Kanzler Merz die Absolution erteilt mit der SPD und/oder den Grünen zu koalieren. Selbst wenn die Hälfte der AfD-Wähler den Blackrockfritz ihre Stimme gäben, dann erhielte er halt 38-40%, und würde sich trotzdem ins rotgrüne… Mehr

Klara-Verstand
3 Stunden her

Let’s Go, Alice!

Peter Pascht
4 Stunden her

Die Gefangenenlager und Gefängnisse in den Diktaturen der Nazis und Bolschwisten wurden nicht erfunden um „Schuldige“ einzusperren, sondern um „Verdächtige“, „Verdachtsfälle“ der „falschen politischen Gesinnung“ einzusperren. Juden waren bei den Nazis und Bolschewisten davon vorrangig gefährdet.
Wenn man heute von deutschen Gerichten von einer „erlaubten Beobachtung von Verdachtsfällen“ durch den Geheimdienst hört,
dann fragt man sich, ob Menschen in der Position von Richtern, dermassen so ignorant geschichtlich ungbildet sein dürfen, es nicht zu wissen.
Oder ist es noch viel schlimmer? Sie haben aus der Geschichte nichts gelernt, nicht lernen wollen.

Last edited 3 Stunden her by Peter Pascht
Der kleine Muck
4 Stunden her

„Weidel hat keine sympathische Ausstrahlung, das ist bekannt.“
Woran genau Herr Fröhlich machen Sie Sympathie fest? Augenklimpern? Schmollmund? Dauerlächeln? Sie sagt was ist, setzt sich für Deutschland ein. Das ist für mich sympathisch!

Rainer Unsinn
5 Stunden her

„Weder vorher noch nachher noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gibt es eine Zusammenarbeit meiner Fraktion mit Ihren Leuten – egal, mit wie vielen Leuten Sie hier im nächsten Deutschen Bundestag sitzen werden.“
Und da gibt es Mitbürger, die die Nase rümpfen, wenn wir den Begriff „Parteienkartell“ verwenden? Merz ist den lebende Beweis für die Existenz eines Kartells in der deutschen Parteienlandschaft.

Peter Pascht
3 Stunden her
Antworten an  Rainer Unsinn

Das ist so banales Wissen, das man es gar nicht mehr errwähnen muss.
Den Begriff „politisches Kartell“ verwendet Staatsrechtler Prof. H.H.von Arnim in seinen Büchern und Essays. Denen er
Korruption ist die Seele des Systems“ attestiert.

Last edited 3 Stunden her by Peter Pascht
simon
5 Stunden her

Ich hatte mal große Hoffnungen in Merz gesetzt und bin jetzt maßlos enttäuscht von diesen Mann und von der Union, die sich jetzt den Roten und/oder den Grünen ausliefern. Die Union hat eine Brandmauer gebaut und ein ein Gefängnis für sich selbst. Es gibt eine konservativ-bürgerliche Mehrheit, die sich nicht in einer schlagkräftigen Regierungskoaltion manifestieren darf; was für ein abstruses Demokratieverständnis. Ich hoffe, die Union wird dafür bestraft.

Peter Pascht
5 Stunden her

Vom 16. Nov. 2024 bis zur Vortag der Wahl 23. Feb. 2025 sind 97 Tage.
97 Tage, das ist die Frist lt. Bundeswahlgesetz in der vor der Wahl spätestens „Kreiswahlvorschläge“ und „Partei-Landeslisten“ eingereicht sein müssen.
Wir haben heute den14.Nov.2024.
Das heißt bis Samstag 16. Nov. spätestens müssen „Kreiswahlvorschläge“ und „Partei-Landeslisten“ eingereicht sein, wobei „Partei-Landeslisten, dazu 200 Unterschriften von Wählern brauchen.
Ich bezweifle, dass das geht. Viele Bewerbungswillige werden aussen vor bleiben, nach denen kein Hahn krähen wird.