Kleinkrieg ums Kreuz: Grünen-Abgeordneter beschwert sich bei Bundestagspräsidentin

Kleinlich und undankbar: Eine Fraktion stellt hilfsbereit ihre Räume zur Verfügung, aber ein Grünenabgeordneter stört sich am Wandkreuz – damit stellt er nicht nur seine eigene Intoleranz unter Beweis, sondern auch, dass er das Prinzip der Neutralität missversteht.

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Mai Außendorf (Bündnis '90/ Die Grünen)

Man sollte meinen, die Grünen hätten derzeit zu viele Sorgen, als dass sie kleingeistig Skandälchen provozieren müssten. Dass indes auch Wahlschlappen und das Scheitern so gut wie jedes politischen Vorhabens die grüne Anspruchshaltung nicht im Mindesten geschmälert haben, beweist nun der Grünenabgeordnete Maik Außendorf: In einem Schreiben an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beschwert er sich allen Ernstes über das Kreuz im Fraktionsaal der Union.

Was macht ein Grüner in diesem Fraktionssaal? Nun, in christlicher Nächstenliebe hatten die Christlich Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union den eigenen Sitzungssaal dem Wirtschaftsausschuss zur Verfügung gestellt, da dieser aufgrund von Renovierungsarbeiten auf andere Räumlichkeiten ausweichen musste.

— MohnundGedächtnis 🇺🇦🇩🇪🇮🇱 (@UndMohn) October 28, 2024

Anstatt sich aber wie ein Gast den Gegebenheiten beim Gastgeber anzupassen, vermeinte Außendorf, diese kollegiale Geste nutzen zu können, um einen Kleinkrieg vom Zaun zu brechen: „Das sichtbare Kreuz als Symbol einer bestimmten Religionsgemeinschaft widerspricht dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche“, so Außendorf in seiner Beschwerde, Bas solle daher dafür Sorge tragen, „dass die kommende Ausschusssitzung in einem weltanschaulich und religiös neutralen Sitzungssaal stattfinden kann“.

Das ist zum einen wie gesagt schlicht undankbar. Es sind nun einmal die Räume von Parteien, die sich bereits in ihrem Namen zum Christentum bekennen. Als Gast, genau genommen gar als Bittsteller, sollte sich Außendorf darüber freuen, dort aufgenommen zu werden, obwohl die weltanschauliche Position seiner Partei mit dem C von CDU/CSU in großen Teilen völlig unvereinbar ist.

Zweitens ist es ein Ausweis von Intoleranz und Inflexibilität. Wenn sich Außendorf durch das Kreuz an der Wand bereits zwangsmissioniert vorkommt, sollte er wohl eher die Belastbarkeit seiner eigenen Überzeugungen überprüfen. Es sei die Frage erlaubt, ob er auch in einem von Muslimen genutzten Raum nicht tagen wollen würde, weil dort Koransuren an der Wand hängen, oder ob ihn eine Buddhastatue ebenso stören würde wie zwei einfache Holzbalken.

Freiheitsrechte auf dem Prüfstand
Toleranz für alle – außer für religiöse Menschen?
Die eigentliche Ironie aber liegt darin, dass Außendorf im Grunde ja lediglich selbst einen Raum einfordert, der seiner Weltanschauung entspricht, nämlich jener von der Abwesenheit von verfasster Religion. Müsste er eine solche Weltanschauung nicht gemäß seiner eigenen Haltung ebenfalls von seiner Arbeit für den Staat trennen? Hier zeigt sich, warum dieses Gezänk auf ein tieferes Missverständnis hindeutet: Er – und man kann davon ausgehen, auch viele seiner weltanschaulichen Genossen – hat nicht begriffen, dass „weltanschauliche Neutralität“ nicht die Nichtexistenz von Weltanschauungen bedeutet. Eine solche Neutralität gibt es nicht. Auch die Ablehnung von Glaubensinhalten oder Glaubenszeichen ist Ausdruck einer spezifischen Weltanschauung, die Entfernung oder Abwesenheit solcher Zeichen ebenso.

Wenn Außendorf im Kreuz einen Widerspruch zur Trennung von Staat und Kirche erblickt, dann muss er auch die Existenz einer Partei, die das Glaubensbekenntnis zum Kreuz bereits im Namen trägt, ablehnen, dann wären Parteien wie CDU und CSU gar nicht mit weltanschaulicher Neutralität kompatibel.

Zudem ist das Kreuz eben nicht primär Symbol einer „Kirche“, sondern Symbol des christlichen Glaubens. Die CDU/CSU-Fraktion zeigt mit der Präsenz dieses Symbols in ihren Räumen, dass sie sich zu einer unverfügbaren Menschenwürde aller Menschen bekennt, zur Verpflichtung der Nächstenliebe, und dazu, dass nicht menschliche Meinungen und Ansichten die Letztinstanz der Wahrheit darstellen, sondern die Wahrheit an sich, über die der Mensch gleichfalls nicht verfügen kann. Sie bekennt sich damit also zur Verantwortung vor Gott und den Menschen, die immerhin auch das Grundgesetz in Erinnerung ruft, nicht zur Einflussnahme der Kirche auf den Staat.

Es ist ein Irrglaube, dass die Menschheit in ihrem Urzustand glaubensfrei, der öffentliche und politische Raum religionsfrei seien. Da Menschen immer irgendetwas glauben, prägen ihre Glaubensvorstellungen auch immer die Politik. Wo das Kreuz fehlt, manifestiert sich eben etwas anderes, wie wir derzeit in Deutschland in jedem Bereich feststellen dürfen. Bisher scheinen die angebotenen Alternativen wie Regenbogen-, Klima- oder Gesundheitskulte, Islam, Materialismus oder Transhumanismus kein tragfähiges Gerüst zu bieten, das so wie das Christentum die Entwicklung von Demokratie und Sozialstaat begünstigt, den Schutz von Freiheitsrechten und Menschenwürde sicherstellt.

Im Gegenteil: Je weniger unsere Gesellschaft im Christentum verankert ist, desto mehr Erosion stellen wir in allen Bereichen fest. Nur den Zusammenhang zwischen der Absage an christliche Werte und dem Zerfall unserer Gesellschaft mag niemand sehen, da damit fest verankerte Glaubenssätze darüber, was Fortschritt sei, in sich zusammenstürzen würden.

Es ist daher mehr als nur ein lächerlicher Kleinkrieg, wenn ein Grünenabgeordneter nun wie eine beleidigte Leberwurst und Petze auf dem Schulhof zugleich für sich einfordert, dass sich Parlamentsräume ihres christlichen Gepräges zu entledigen hätten, um sich der ebenfalls weltanschaulich begründeten Forderung nach „Freiheit von Religion“ zu unterwerfen. Es zeigt, dass Außendorf nicht weiß, auf welchem Fundament Grundgesetz, moderne Demokratie und Freiheitlichkeit ruhen. Überraschend klar ist indes die Haltung der kritisierten Fraktion. Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei stellte in der „Rheinischen Post“ umgehend klar: „Das Kreuz in unserem Fraktionssitzungssaal ist nicht verhandelbar.“

Anzeige

Unterstützung
oder