Wenn das BSW die Brandmauer bröseln lässt

In Dresden sorgen Wagenknecht-Abgeordnete zusammen mit der AfD dafür, dass Sachsen einen offiziellen Corona-Untersuchungsausschuss bekommt. Die SPD kritisiert das übermäßig laut – kann ohne das BSW aber die eigene Regierungsbeteiligung vergessen. Es tut sich was in Deutschland.

IMAGO / Robert Michael
Sächsischer Landtag, Dresden (Symbolbild)

Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten: Das war eine gängige Parole der anarchistischen (und fast immer gewaltbereiten) Linken in der alten Bundesrepublik – also vor dem Fall der Mauer.

Rudi Dutschkes Erben heute erleben, dass Wahlen sehr wohl etwas ändern können. Allerdings ist das den Möchtegern-Progressiven allüberall jetzt auch wieder nicht recht, weil ihnen die Änderungen nun mal so gar nicht gefallen.

Ein Beispiel liefert gerade die EU (was uns hier nicht so sehr interessieren soll), ein anderes Sachsen (was uns hier sehr interessiert).

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Kurzes Vorspiel: Durch die Wahlen in der Republik Moldau und in Georgien wurden die Eurokraten in Brüssel aus ihrer Hybris aufgeschreckt. Sie sehen sich jetzt mit der Erkenntnis konfrontiert, dass mehrere europäische Länder sich nicht annähernd so sehr nach einem EU-Beitritt sehnen, wie von der Leyen & Co. das in ihrer Selbstgefälligkeit vorausgesetzt hatten.

In Sachsen passiert Ähnliches: Da haben die jüngsten Landtagswahlen die Verhältnisse nicht nur zahlenmäßig, sondern auch politisch gehörig durcheinandergewirbelt. Jetzt stellen die Moral-Heuchler in den etablierten Parteien fest, dass ihre mühsam und unter Absingen schmutziger Lieder errichtete „Brandmauer“ zur AfD gerade eingerissen wird – und zwar nicht, wie man es vielleicht erwartet hatte, von rechts, sondern von links.

Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ hat am Freitag im Dresdner Landtag gemeinsam mit der AfD für die Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses gestimmt. Der Antrag kam sogar von den Blauen, was die BSW-Abgeordneten aber ersichtlich kein Bisschen störte.

Die SPD ist nun erkennbar verwirrt und weiß nicht, was sie tun soll. Ein Dreier-Bündnis mit CDU und BSW ist die einzige Chance für die mit nur noch 7,3 Prozent bei der Landtagswahl leicht gerupften sächsischen Sozialdemokraten, an einer künftigen Regierung beteiligt zu sein.

Das BSW hatte aus dem Stand 11,8 Prozent erreicht und tritt entsprechend selbstbewusst auf. Dazu gehört, jetzt nach der Wahl das zu tun, was man schon vor der Wahl gesagt hatte: nämlich die „Brandmauer“ zur AfD zu ignorieren. Wagenknecht hatte dieses Quasi-Verbot jedweder Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland immer wieder als untauglich kritisiert und für gescheitert erklärt.

Theater in Thüringen
Wolf gegen Wagenknecht: Damengambit beim BSW
Gemeinsame Sache mit einer Partei zu machen, die sich weigert, die AfD in politische Quarantäne zu sperren: Das fällt den ach so moralischen Sozialdemokraten in Sachsen offenbar teuflisch schwer. Jedenfalls hat die SPD die Sondierungsgespräche mit CDU und BSW erstmal unterbrochen. Das dürfte nicht nur am formalen Akt der gemeinsamen Abstimmung von BSW und AfD liegen, sondern auch am politischen Inhalt der Sache.

Denn der Corona-Untersuchungsausschuss, den die Wagenknecht-Truppe und die AfD da gemeinsam beschlossen haben, zielt maßgeblich auch auf Gesundheitsministerin Petra Köpping – und die war, welch’ ein Zufall, die ziemlich erfolglose SPD-Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf. Der U-Ausschuss solle „die Fehler schonungslos offenlegen, die Herr Kretschmer, Frau Köpping und andere sächsische Entscheidungsträger gemacht haben“, legte Sachsens AfD-Vorsitzender Jörg Urban die Marschrichtung fest – und dankte dem BSW für die Unterstützung, durch die das für einen U-Ausschuss nötige Quorum erreicht wurde.

Die SPD schäumt: Das BSW könne doch nicht einerseits mit SPD und CDU eine Regierung bilden wollen – und andererseits zusammen mit der AfD einen Untersuchungsausschuss gegen Köpping auf den Weg bringen. Doch, man kann, sagt der BSW-Abgeordnete Ingolf Huhn: „Dass das Regierungshandeln in der Corona-Krise untersucht werden muss, ist völlig klar.“ Dafür brauche es einen Untersuchungsausschuss. Eine Enquête-Kommission, wie sie der SPD und auch der CDU vorschwebt, sei nur eine „Wohlfühlveranstaltung“.

Der amtierende sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD ließ durchblicken, worum es den Sozis wirklich geht: Sie wollen eine Aufarbeitung der Corona-Zeit möglichst verhindern. Auf X-früher-Twitter schrieb er: „Wie soll eine vertrauensvolle Atmosphäre bei Koalitionsverhandlungen entstehen, wenn BSW den Ministerpräsidenten Kretschmer und die Sozialministerin Köpping so anprangern und anklagen wollen?“

Dass es höchstwahrscheinlich mehr als nur einen guten Grund dafür gibt, seine Parteifreundin Köpping wegen ihrer Handlungen in der Corona-Zeit äußerst kritisch zu hinterfragen: Das kommt Dulig vermutlich zwar in den Sinn, aber er sagt es nicht.

Die BSW-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag spielt Duligs Spiel nicht mit. Die Unterbrechung der Sondierungsverhandlungen durch die SPD sei „verantwortungslos“, erklärt Sabine Zimmermann: „Damit schadet die SPD dem Land. Wir fordern die Sozialdemokraten auf, schleunigst an den Verhandlungstisch zurückzukehren – zumal es nicht den geringsten Grund für eine Unterbrechung gibt.“ In Bayern nennen sie das eine Watschn.

Für Montag haben sich die Spitzen von CDU, BSW und SPD nun erstmal zu einem „klärenden Gespräch“ verabredet.

Wir lernen: Die Linken in den etablierten Parteien haben sich innerlich vom Konzept demokratischer Massenentscheidungen längst verabschiedet – weil sie merken, dass diese demokratischen Massenentscheidungen eher selten zu den in der linken Reichshälfte gewünschten Ergebnissen führen.

Dass ausgerechnet Sahra Wagenknecht in Sachsen jetzt die SPD diese Lektion lernen lässt, ist ein weiterer Beweis dafür, dass das Schicksal einen ausgesprochen bizarren Sinn für Humor hat.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 20 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

20 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Klaus Uhltzscht
23 Minuten her

Was haben denn Kretzschmer ung Köpping als Funktionäre der Corona-Plandemie zu verbergen, daß sie so gegen eine Untersuchung kämpfen? War da was Strafbares dabei? Korruption vielleicht? Wurden Menschenleben gefährdet? Fand eine Transformation von Volksvermögen statt? Darüber kann man doch vernünftig in einem U-Ausschuß reden! Ich verstehe nicht, warum die sich so dagegen wehren.

Boudicca
1 Stunde her

Warum es besser ist nicht zu regieren als schlecht zu regieren sieht man an der Lindner-FDP. Die CDU in den östlichen Ländern will mit BSW regieren, holt sich aber die knallharte Opposition ins Boot, dass sie bis zum Kentern an der linke Seite herunterdrückt bis ihre Forderungen erfüllt sind.
Merz sollte sich bewusst darüber werden, dass er viele Stimmen verlieren wird, wenn er sich nicht endlich gegen eine Koalition mit dem BSW in den ostdeutschen Bundesländern ausspricht.

Sani58
1 Stunde her

Die AfD in Sachsen hat´s ja auch bequem. Hat zusammen mit dem Abgeordneten der „Freien“ eine Sperrminorität, kann Anträge einbringen und durchsetzen, und kann ansonsten auf Grund der Berliner Politik der weiter sterbenden Wirtschaft, durch Weggang und Insolvenzen und dem absolut Überlasteten Sozialsystem in den Gemeinden, den steigenden Arbeitslosenzahlen und dem Sinken des allgemeinen Wohlstands zusehen. Die Blauen können nur lernen, wie man es nicht macht…..und falls sie irgendwann, dann …. Aber in den nächsten 3/4 Jahren wird´s abwärts gehen und zwar heftig. #EU-Gesetze, die die Nationalität und Wirtschaft mit ihrer Vergemeinschaftungs- u. Klimaagenda aushebelt.

Gerd07
1 Stunde her

Es überrascht mich, dass jemand vom Verhalten des BSW überrascht ist. Eine Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen während der Panhysterie ist eines der zentralen Wahlversprechen von Wagenknecht und Co. gewesen.

Und da die nächstes Jahr in den Bundestag wollen, wäre es natürlich maximal dämlich jetzt einen auf Merkel 2013 zu machen.

Zum alten Fritz
1 Stunde her

Im Vergleich zu Thüringen liefert BSW Sachsen wie vor der Wahl verkündet und das auch zeitnah.

Endstadium0815
2 Stunden her

Die selbsternannten demokratischen Parteien rasten total aus, wegen einem demokratischen Vorgang. Deutschland 2024!!!!!

Reimund Gretz
2 Stunden her

In einer #EchtenDemokratie würde es sowas nicht geben!
Weil BSW mit AfD stimmte: SPD unterbricht Sondierungsgespräche
Niemand hat einer anderen Partei vorzuschreiben wie sie abzustimmen hat, auch die SPD nicht!
Auch den Abgeordneten darf man die Abstimmung nicht vorschreiben, denn er ist den Wähler verpflichtet und nicht der Partei!

JamesBond
2 Stunden her

Achtung Rentner: Die Union möchte „. „Für eine faire Verteilung der Lasten unter den Generationen sollte wieder die frühere Grenze für das Rentenniveau von 43 Prozent gelten“, heißt es in dem Beschluss.“
Besser eine Alternative wählen, statt Bügergeld für Ukrainer bitte höhere Renten und die Fahnenflüchtigen aus der Ukraine abschieben!

HansKarl70
2 Stunden her

Vielleicht beginnt ja in Sachsen die Revolution, man weiß es nicht, zu wünschen wäre es auf jeden Fall. Es wäre die Richtige Antwort auf das sogenannte Parteienkartell. Wenn jetzt noch Merz wegkäme, dann hätte Deutschland vielleicht wieder eine Zukunft.

Last edited 2 Stunden her by HansKarl70
imapact
2 Stunden her

Was sagt die Kretschmer Truppe dazu? Die muß ja auch jede Kröte schlucken, die BSW ihr auftischt. Denn Koalitionsalternativen, die sie als Druckmittel einsetzen könnte, besitzt sie dank Brandmauer ja keine.