Matthias Berger: Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Wie der unabhängige und direkt gewählte Kandidat Matthias Berger den Spuk im Sächsischen Landtag erlebt: Ausgrenzen ist nicht seine Sache. Der langjährige Grimmaer Oberbürgermeister möchte mit seiner Stimme den Etablierten bei ihren Machtspielen Brücken statt Brandmauern verordnen. TE hat ihn besucht.

Olaf Opitz
Der gelernte Forstwirt und studierte Rechtsanwalt Matthias Berger sitzt durch ein Direktmandat für die Freien Wähler seit 1. Oktober im Dresdner Landtag. Sein Amt als Oberbürgermeister im sächsischen Grimma hat er aufgegeben, Aufnahme vom 8. Oktober 2024

Der Oktober lässt noch einmal kurz seine Wärme übers Muldental streifen. Der Mais ist reif und die Blätter färben sich zart. Die sächsische Mulde fließt friedlich, aber gut gefüllt dahin. Von medial verbreiteter Trockenheit keine Spur.

Das war nicht immer so in Grimma. Gleich zwei Mal strömte das Hochwasser durch den Stadtkern im August 2002 und Juni 2013. Gleich zwei Mal organsierte Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger oft in Gummistiefeln den Wiederaufbau seiner Muldestadt mit rund 29.000 Einwohnern. Sie ist wieder mit ihrem historischen Kern und der barocken Pöppelmannbrücke eine Reise wert.

Seit dem 10. Juni 2001 regierte Berger die sächsische Stadt mit ihren 65 Ortsteilen – bis September 2024: Nach 23 Jahren OB ist jetzt Schluss. Er war damals mit 33 Jahren „ein absoluter Neuling und Quereinsteiger“, wie er rückblickend sagt. Seit 1. Oktober gehört er nun erneut als Quereinsteiger dem Sächsischen Landtag an.

Der 56-jährige Berger holte bei Sachsens Landtagswahl am 1. September in seinem Wahlkreis mit 36,6 Prozent der Erststimmen ein Direktmandat für die Freien Wähler. Kein Wunder: Berger ist als gelernter Forstwirt bodenständig, verheiratet, hat zwei Kinder und lebt ländlich mit seiner Frau, zwei Hunden und großem Garten bei Grimma. Ein Kandidat fern des politischen Elfenbeinturms, das kommt beim Wahlvolk an.

„Eine Wahl ist am Schluss kein Spaß. Die Leute haben mich mehrheitlich gewählt und haben mir einen Auftrag gegeben, und der heißt eigentlich Veränderung“, begründete Berger nach der Wahl seine Entscheidung, das OB-Amt aufzugeben. Zudem möchte er mit seiner Stimme eine Sperrminorität für die AfD im Parlament ermöglichen. Der Mann ist nicht nur Freier Wähler, sondern von Beruf Rechtsanwalt. Er hatte in Konstanz gleich nach dem Mauerfall Jura studiert. Demokratie und Rechtsstaat sind ihm wichtig.

Der AfD-Bewerber kam in seinem Wahlkreis auf 30,7 Prozent und der CDU-Kandidat nur auf 22,2 Prozent – der Rest fiel mit deutlich unter jeweils fünf Prozent unter ferner liefen.

Ein konservatives Politikangebot ohne Brandmauern setzt sich am Ende durch. Von dieser Erkenntnis scheint die CDU noch Lichtjahre entfernt. Denn im Wahlkreis Leipzig Land 3 votierten insgesamt fast 90 der Wähler für konservative Bewerber. Doch den Volkes Willen mag Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer partout nicht akzeptieren. Der 49-jährige Machtpolitiker aus Görlitz schmiedet lieber Brandmauer-Bündnisse gegen die Alternative für Deutschland mit Parteien, die weder inhaltlich noch politisch zusammengehören.

Kretschmer will, nur um nicht auf AfD-Stimmen angewiesen zu sein, entgegen allen CDU-Grundsätzen, sogar ein Bündnis mit der SPD und den SED-Nach-Nachfolgern eingehen. Mit der ehemaligen Sprecherin der Kommunistischen Plattform der PDS und heutigen BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat sich Kretschmer gleich eine Woche nach der Wahl in Berlin getroffen, um eine Zusammenarbeit auszuloten. Ein CDU- und Regierungschef ist also bereit, mit diesem extrem linken BSW-Klub von 650 oder schon 900 exklusiv ausgesuchten Mitgliedern, keiner weiß es so genau, das strukturell konservative Sachsen nach Rot-Grün nun mit Rot-Rot noch linker zu regieren.

Grund genug für Tichys Einblick, sich bei einem Freien Wähler vor Ort zu erkundigen, wie er die Lage im Sächsischen Landtag erlebt. Er habe etwas Zeit und sei noch „arbeitslos“, begrüßt Berger den TE-Autor lächelnd. Ein Büro hat er in Dresden noch nicht, aber eine Terrasse zu Hause.

Tichys Einblick: Hätten Sie solch schwarz-rot-rote Bündnisse nach der deutschen Einheit vor 34 Jahren zum Gruseln gebracht, Herr Berger?

Matthias Berger: Damals undenkbar, aber heute nicht mehr überraschend. Zum Schluss steht der eigene Machterhalt immer im Vordergrund.

Sie erleben jetzt hautnah den etablierten Machtbetrieb als Freier Wähler im Sächsischen Landtag. Worüber wundern Sie sich?

Bemerkenswert war für mich das Wahlergebnis des zweiten Vizepräsidenten, immerhin der AfD-Kandidat der zweitstärksten Fraktion. Es lässt zwingend darauf schließen, dass große Teile der CDU anders als in anderen Parlamenten für den AfD-Bewerber mit insgesamt 84 von 120 Abgeordneten gestimmt haben – also mehr als zwei Drittel des Landtags. Wo ist also die Brandmauer?

Was halten Sie denn von der Brandmauer-Politik der CDU nach den Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, um rund 30 Prozent des Wählerwillens in Ostdeutschland auszugrenzen?

Für mich ist die Brandmauer ein von Linksgrün kreiertes politisches Instrument, um die übergroße Mehrheit der konservativen Bevölkerung zu spalten, und die Union in linke Regierungsbündnisse zu zwingen. Rund 70 Prozent der sächsischen Bevölkerung sind im Grunde konservativ, aber das spiegelt sich nicht in der Landesregierung wider.

Warum will Sachsens CDU-Regierungschef Kretschmer um jeden Preis mit linken Bündnissen seine Macht sichern?

Er muss es wohl wegen der unsinnigen Brandmauer zur AfD tun. Weite Teile der CDU würden doch lieber eine bürgerlich-konservative Regierung zum Beispiel auch mit den Freien Wählern bilden. Doch dafür wäre nur eine Minderheitsregierung möglich, die aber nicht unmöglich ist. Wir wären dazu bereit.

Weshalb konnte sich das konservative Angebot der Freien Wähler in Sachsen nicht durchsetzen?

Ich wünschte mir, statt allein mit Direktmandat lieber mit sieben Kollegen der Freien Wähler als Fraktion im Landtag zu sitzen. Denn wir hatten professionelle Bewerber im Angebot. Doch leider wurden wir im politischen Elefantenrennen zwischen CDU und AfD zerrieben. Gleichzeitig konnten wir uns als neue konservative Kraft nicht gegen das von den Medien unterstützte, vermeintlich neue Bündnis Sahra Wagenknecht durchsetzen.

Ist ein rot-rotes CDU-Regierungsbündnis gut für Sachsen?

Nein, denn bereits bei den Wahlen der Landtagsvizepräsidenten sind die Mehrheiten für Kandidaten eines solchen Bündnisses gescheitert. Immerhin verfügt eine mögliche schwarz-rot-rote Koalition über 66 Stimmen von 120. Aber der BSW-Kandidat fiel im ersten Wahlgang durch und wurde erst im zweiten mit 70 Stimmen gewählt. Der AfD-Kandidat erhielt zuvor 84 Stimmen. Noch schlimmer erging es dem SPD-Bewerber für das extra neu geschaffene Amt des vierten Landtagsvizepräsidenten. Er fiel sogar zwei Mal krachend durch und wurde erst im dritten Anlauf mit 60 Stimmen gerade so mit relativer Mehrheit gewählt. Bei so wenig Vertrauen und Verlässlichkeit will diese instabile schwarz-rot-rote Konstellation Sachsen regieren?

Der Linksausleger BSW, ein politischer Klub mit wenigen handverlesenen Mitgliedern und schon gar keine basisdemokratische Partei, möchte jetzt ein Land regieren. Ist das noch Demokratie, Herr Rechtsanwalt?

Mit einzelnen Mitgliedern des BSW mag ich nicht so hart ins Gericht gehen. Natürlich sind von den Linken einige dabei, die ihre Karrierechancen schwinden sahen und schnell zum BSW gewechselt sind. Die meisten Unterstützer sind sich jedoch nicht bewusst, dass sie von Sahra Wagenknecht, der es nur um die Bundestagswahl geht, instrumentalisiert werden. Obendrein wird das BSW von der linkgrünen Mainstreampresse massiv unterstützt, um einen linkspopulistischen Gegenpol zur AfD aufzubauen.

Der gescheiterte CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz aus Sachsen will noch einen AfD-Verbotsantrag in den Bundestag einbringen, bevor er das Parlament verlässt. Was halten Sie davon?

Vielleicht ist es gut, um das Thema endlich einmal abzuschließen. Denn ich glaube nicht, dass der Antrag Erfolg haben wird. Allerdings hinterlässt der Antrag den faden Beigeschmack, dass sich Parteien der politischen Konkurrenz, der man sich inhaltlich nicht stellen möchte, entledigen möchte.

Viele Ostbürger erkennen in ihren Landtagen wieder eine Nationale Front. Doch diesmal stellen sich fast alle Parteien gegen eine Partei auf. Ist das für Sie noch Demokratie?

Dass Parteien politische Bündnisse schließen, ist normal. Aber gefährlich wird es, wenn es zwischen den Lagern von links und rechts nicht mehr zu einem politischen Diskurs kommt, sondern nur noch Ablehnung herrscht.

Die Asyleinwanderung bezeichnete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2018, bevor er danach einknickte, als „Mutter aller politischen Probleme“. Gilt das noch?

Ja, das gilt weiter. Zuerst geht es vor allem darum, was wir bei der Migration überhaupt noch leisten können. Eine Hauptursache für das Einwanderungsdesaster ist die deutsche Überheblichkeit, alles besser machen zu wollen als unsere Nachbarn. Der prominestete Vertreter dieser Politik ist die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer angeblich ausschließlich „feministischen, wertebasierten Außenpolitik“. Stattdessen sollte Außenpolitik nicht erst seit Henry Kissinger immer ausschließlich die eigenen Landesinteressen vertreten. Die gegenwärtige Außenpolitik ist das Ergebnis von jahrzehntelanger westdeutscher Wohlstandsdekadenz eines grünlinken politischen Milieus.


Matthias Berger sitzt ab jetzt allein für die Freien Wähler im Sächsischen Landtag. Er hat noch kein festes Büro. Neben Inhalten geht es ihm vor allem um die freie und offene Diskussionskultur. „Ich habe den Eindruck, ich war der einzige Abgeordnete, der bei allen Redebeiträgen, egal ob links oder rechts, geklatscht hat. Das gebietet doch die Achtung voreinander.“ Leider saß er mit seiner Sicht der Dinge allein im Parlament.

Doch das will er so nicht hinnehmen. „Ich bin bereit, meine 23 Jahre kommunalpolitischen Erfahrungen allen Parteien zur Verfügung zu stellen.“ Dazu gehöre, mit allen zu reden, ohne Vorbehalte und Mauern in den Köpfen. „Gerade wir Deutsche sollten doch wissen, das Mauern trennen, statt zu verbinden“, mahnt Berger seine neuen Kollegen.

Berger schaut auf seiner Terrasse in die Herbstsonne. Sein Haus mit Garten liegt etwas außerhalb von Grimma mit Blick von einer Anhöhe auf das Muldental. Vermisst er jetzt seinen Job als Oberbürgermeister?

„Nicht mehr 365 Tage im Jahr und rund um die Uhr für fast alles vom Obdachlosen bis zum Schlagloch verantwortlich zu sein, ist nach 23 Jahren schon ein merkwürdiges Gefühl. Aber ich möchte jetzt als Brückenbauer für ein politisches Miteinander wirken.“ Denn als Bürgermeister im wahren Leben habe er genügend Brücken, Kindergärten, Schulen und Feuerwehren gebaut.

Unerschrocken zog einst der Held der Gebrüder Grimm, der Töpfersohn Michel, beim Fürchtenlernen ins verfluchte Spukschloss, um furchtlos in einer Nacht den Fluch für seine Prinzessin zu brechen.
Wie weit der Grimmaer Ex-Bürgermeister als Freier Wähler die Machtspiele von CDU-Kretschmer und BSW-Wagenknecht aus dem Konzept bringen kann, muss er noch beweisen. Fürchten muss Matthias Berger sie nicht – eher sie ihn als freie Stimme einer noch freien Welt.

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