Ein Schreckenstag für Israel

Wie wird Israel nach dem direkten Angriff des Iran in der Nacht reagieren? Teheran begründet seine Attacke mit dem Vorgehen Israels im Libanon - obwohl die Vernichtung des Judenstaates prinzipielles Ziel bleibt. Deutschland steht bisher als Zuschauer am Rand.

picture alliance / Anadolu | Wisam Hashlamoun

Ajala Chasson gehört zu den bekanntesten TV-Moderatoren Israels. Sie moderiert im öffentlich-rechtlichen Sender „Kan“ eine Nachrichtensendung und hat schon einiges erlebt: Sie war auf Sendung, als die Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel einfiel, konnte später eine Geiselbefreiung verkünden. Auch den gestrigen Tag wird Chasson vermutlich nicht so schnell vergessen – weil sich innerhalb einer Stunde live auf Sendung ein unglaubliches Drama abspielte.

Der Tag hatte schon mit einer neuen Information begonnen: Die israelische Armee gab bekannt, „gezielte“ Bodenrazzien im Südlibanon gegen Stellungen der Hisbollah durchzuführen. Später machte sie öffentlich, dass israelische Soldaten in den vergangenen Monaten längst zahlreiche solcher Razzien auf libanesisches Gebiet unternommen hatten – weitgehend unbemerkt. Dennoch: eine neue Phase im Kampf gegen die schiitische Terrormiliz Hisbollah im Südlibanon, die Israel seit einem Jahr mit Raketen beschießt.

Am Abend dann brachen sich Meldungen über einen Terroranschlag in Jaffa, südlich von Tel, Aviv Bahn. Chasson moderierte live eine zunächst chaotische Lage. Erste Bilder von einer Tram-Haltestelle gingen ein; sie zeigten Menschen, die auf offener Straße massakriert wurden – Aufnahmen, die an den 7. Oktober erinnerten. Zunächst waren die zwei Täter noch auf der Flucht – dann konnte Chasson vermelden: „beide sind eliminiert“. Mindestens sieben Menschen verloren bei dem Anschlag ihr Leben.

Doch es blieb keine Zeit, sich weiter damit zu beschäftigen. Live im Jerusalemer Studio erhielt Chasson eine Meldung, dass sie sich in einen Schutzraum begeben müsse. Nach kurzer Verwirrung wurde klar, dass ein bereits seit dem Nachmittag erwarteter iranischer Großangriff begonnen hat. Am Anschlagsort in Jaffa warfen sich nun die Sanitäter zum Selbstschutz vor Raketen auf den Boden.

Die TV-Moderation verlagerte sich derweil Richtung Schutzraum. Dorthin begaben sich nun auch Millionen Israelis im ganzen Land, denn die anfliegenden Raketen lösten Alarm vom Süden bis fast ganz in den Norden aus. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Geschosse am Himmel auftauchten und ein Knall den anderen jagte.

Insgesamt umfasste der iranische Angriff – der zweite Direktangriff in der Geschichte überhaupt – nach israelischen Zählungen an die 200 Geschosse. Ein Gesamtbild über die Schäden ist schwer zu erstellen, erste Bilder über teils schwere Sachschäden gingen aber schnell durchs Netz. Armeesprecher Daniel Hagari hatte am Dienstagabend betont, es habe „einzelne“ Einschläge in Zentral- und Südisrael gegeben. Der Magen David Adom, die israelische Version des Roten Kreuzes, berichtete nur von einigen Leichtverletzten. In den Palästinensergebieten wurde ein Mann durch ein herabfallendes Trümmerteil erschlagen.

Schnell in den sozialen Medien kursierende Aufnahmen hatten indes teils ein deutlich dramatischeres Bild vermittelt: Dort schien es, als sei das israelische Raketenabwehrsystem überwältigt worden und in der Folge zahlreiche Geschosse in Israel eingeschlagen. Viele der Dokumentationen ließen aufgrund der Dunkelheit keine genaueren Rückschlüsse zu und sind daher mit Vorsicht zu genießen.

Im Netz kursierten auch schnell Behauptungen, dass es zu massiven Einschlägen auf Luftwaffenbasen der israelischen Armee gekommen sei. Die Spekulationen wurden angeheizt von den iranischen Medien, die eifrig die Angaben der iranischen Revolutionsgarde verbreiteten: Demnach seien die Hauptziele des Angriffs, bei dem auch Hyperschallraketen eingesetzt worden seien, zwei Militärbasen und das Mossad-Hauptquartier gewesen; 90 Prozent der Geschosse hätten ihr Ziel erreicht.

Ein klarer Fall von Staatspropaganda. Gleichwohl sind auch die israelischen Angaben über geringe Schäden vorerst zurückhaltend zu beurteilen. Zu beachten ist, dass in Israel eine Militärzensur in Kraft ist, die bestimmte, militärtaktisch relevante Informationen aus den Medien fernhalten kann. Armeesprecher Hagari selbst appellierte am Mittwoch an die Öffentlichkeit, keine Orte von Einschlägen zu „enthüllen“. Damit helfe man „dem Feind“.

Die Frage ist nun, wie Israel reagieren wird. Die Debatte darüber läuft bereits; im Spiel ist der übliche Reigen an Optionen. Auf den ersten iranischen Angriff im April, der glimpflich abgelaufen war, hatte Jerusalem mit einem eher symbolischen Luftschlag im Iran geantwortet. Nun fordern einige eine umfassende Attacke, etwa auf Ölanlagen oder gar das iranische Atomprogramm, das in Israel als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird und bei dessen Stopp die „internationale Gemeinschaft“ kläglich versagt hat.

Auffällig ist, wie Teheran seinen jetzigen Großangriff, der Millionen Israelis terrorisierte, rhetorisch verpackt: nämlich als Reaktion auf die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanije Ende Juli in der iranischen Hauptstadt sowie auf die Ausschaltung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah jüngst in Beirut, bei der auch ein iranischer Spitzenmilitär ums Leben kam. Der Generalstabschef der iranischen Streitkräfte, Mohammed Bagheri, behauptete, sein Land sei auf Bitten der Amerikaner und der Europäer zuletzt durch eine „schwere Zeit der selbstauferlegten Zurückhaltung“ gegangen.

Durch das „Martyrium“ Nasrallahs und des iranischen Militärs in Beirut sei die Lage nun aber „nicht länger tolerabel“ gewesen. Außenminister Abbas Araghchi führte bei X zudem Artikel 51 der UN-Charta, das Recht auf Selbstverteidigung, ins Feld. Sowohl Bagheri als auch Arachchi wissen sehr genau, was westliche Ohren hören wollen. Nicht ausgeschlossen, dass ihr Narrativ auch hierzulande auf fruchtbaren Boden fällt, wo allzu gern über angebliche „Eskalationsschritte“ von israelischer Seite sinniert wird.

Doch wer den Schwarzen Peter nun Israel zuschieben will, verliert das größere Bild, den alles überwölbenden Kontext, aus dem Blick. Dieser Kontext lautet, dass das Mullah-Regime die „zionistische Entität“, also „Israel“ – stets in Anführungsstrichen geschrieben – vernichten will. Das ist keine Verschwörungstheorie: Der Iran bekundet dieses Ansinnen ganz offen. Er will einen Staat auslöschen, mit dem er nicht einmal Gebietsstreitigkeiten hat, weil Teheran von Jerusalem mehr als 1.500 Kilometer Luftlinie entfernt liegt.

Zu diesem Zweck haben die Mullahs in der ganzen Region ihre Stellvertreter teilweise aktiv platziert, teilweise hochgerüstet und finanziert: die Hisbollah im Libanon und in Syrien, Milizen im Irak, die Hamas insbesondere im Gazastreifen, die Huthis im Jemen – letztere noch weiter von Israel entfernt als das Mullah-Regime und trotzdem immer wieder entschlossen, Raketen Richtung Israel zu feuern.

Welche Rolle spielt Deutschland bei dem Ganzen? Bestenfalls eine als Zuseher. Die USA haben Israel nicht nur über den bevorstehenden iranischen Angriff vorgewarnt, sie haben auch mitgeholfen, die Geschosse vom Himmel zu holen. Großbritanniens Kampfjets waren nach BBC-Informationen ebenfalls im Einsatz. Von Deutschland ist Entsprechendes bislang nicht bekannt. Beim Angriff im April hatte die Bundeswehr immerhin geholfen, andere Jets aufzutanken. Möglicherweise wird Ähnliches auch jetzt wieder geschehen sein.

Rhetorisch geben Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock beim Griff in die Nahost-Phrasenkiste zumindest wieder alles. Ersterer verurteilte den Angriff des Iran „aufs Schärfste“, Letztere „auf das Allerschärfste“. Unterdessen brach nach dpa-Informationen bei einer anti-israelischen beziehungsweise pro-palästinensischen Demonstration im Berliner Wedding Jubel aus, als sich die Nachricht über den Angriff aus dem Iran verbreitete.

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Kommentare ( 25 )

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Analeur
1 Stunde her

Heute Iran, morgen Israel, es ist ein hin und ein her. Israel ist ein Fremdkörper in einer Islamischen Welt. Tote Familienmitglieder sorgen nicht für eine Befriedung der Situation. Die Amis haben alle Indianer dezimiert, so das sie keine Chance mehr hatten. Was bedeutet das für Israel? Es ist ein Ping Pong spiel des Hasses. So wird niemals ruhe einkehren. Das letzte Jahr wird wieder für mindestens eine Generation Hass sorgen, auf beiden Seiten. Man streitet sich immer weiter um das selbe Land. Das Land wurde Israel geschenkt von jemandem dem es gar nicht gehörte.

Leroy
1 Stunde her
Antworten an  Analeur

Wem hat das Land denn „gehört“?

Thomas
47 Minuten her
Antworten an  Analeur

Früher, auch noch heute in deutlich reduziertem Umfang, haben viele Religionen und nicht nur Araber sondern auch andere Völker dort gelebt.

Leroy
1 Stunde her

Wo sind denn die „Nie wieder ist jetzt“-Gratismutigen, wenn der Arabermob in Berlin auf der Straße tanzt und die Vernichtung Israels ( natürlich meinen sie die Juden) propagiert?

Hieronymus Bosch
1 Stunde her

In der deutschen Bananenrepublik wird höchstens mit Bananen geworfen! Für einen militärischen Einsatz unserer Gurkentruppe gibt es weder Nachschub noch ersatzteile, damit die Gerätschaften überhaupt funktionsfähig sind! Unser Verteidigungsminister, ein Sprüchklopfer vor dem Herrn, hat bislang wenig getan, um die Verteidigungsbereitschaft seiner Truppe zu erhöhen! Außer rhetorischen Grabenkämpfen ist da nichts gewesen!

Analeur
1 Stunde her
Antworten an  Hieronymus Bosch

Geld macht Millitär, noch mehr Geld macht noch mehr Militär und wofür? Für Krieg! Also macht noch mehr Geld = Krieg. Genau so ist es. Denn Waffen muss man ja im Krieg testen. Die Ukraine war jetzt ein Wunderbares Testgeländer für Deutsche Leopard Panzer, Abwehrhaubitzen, Raketenabwehrsysteme, Hyperschallraketen etc. … Ja, Geld und Waffen führen zu Krieg, ein Grund wird sich immer finden. Es gibt auch eine Industrie die produziert Waffen und verdient sehr viel Geld damit, die finden Krieg auch immer ganz toll.

Werner Brunner
1 Stunde her

Ich hätte da mal eine Frage :
Darf mann / frau sich über die iranischen Raketenangriffe
freuen , oder ist dies verboten ???
Weiß da jemand Bescheid ?

Leroy
1 Stunde her
Antworten an  Werner Brunner

.Brunner . Sie dürfen sich freuen über was sie wollen. Sie dürfen sich auch ein Loch ins Knie bohren, auch das ist Ihnen erlaubt.

Dundee
2 Stunden her

Herr Serafin, ich verstehe ihre einseitige Sicht auf Israel bzw. Ihre einseitige Sicht von Israel aus auf andere Staaten. Sie befürchten ganz konkret, dass der Iran Israel auslöschen wird. Herr Serafin, genau das ist die Gefahr. Nirgendwo auf der Welt lebt es sich seit einem Jahr als Nomalbürger gefährlicher als in Israel. Das hat Israel also geschafft. In nur einem Jahr seit dem 7ten Oktober 2023. Glauben Sie wirklich, dass Netanjahu an dieser Entwicklung völlig unschuldig ist? Vor einem Jahr sprach noch niemand davon, dass Israel gefährdet ist ausgelöscht zu werden. Jetzt ist diese Gefahr bereits greifbar. Sie schreiben für… Mehr

Last edited 2 Stunden her by Dundee
Leroy
1 Stunde her
Antworten an  Dundee

@ Dundee. Ich wundere mich woher Sie diese Informationen nehmen.

Boris G
2 Stunden her

Gestern bin ich zufällig in eine Reportage im ÖRR über Feier-Paraden in Jerusalem gezappt: Hunderte/Tausende junge Siedler zogen durch vorwiegend von Arabern bewohnte Viertel Jerusalems und skandierten „Tötet die Araber!“
Ich erinnerte mich an meine Jahresarbeit „Der Palästinakonflikt“ im Leistungskurs Geschichte 1973.
Oberstudienrat Dr. H. tadelte mich ob meiner antisemitischen Zusammenfassung. Ich hatte geschrieben „Wo so viel Hass über Jahrzehnte wächst und eine Gruppe mit dem Alten Testament in der Hand Landnahme betreibt, kann es keinen Frieden geben.“ Mea culpa – eine Jugendsünde eben. Fast alle diversen Gesellschaften sind grausam gescheitert.

Schlaubauer
3 Stunden her

Was ist die Staatsräson wert, wenn nicht gehandelt wird? Israel unter Beschuß, also auch wir. Die letzten Reste der Bundeswehr sollten umgehend zum Schutz Israels in Marsch gesetzt werden.

Thomas
1 Stunde her
Antworten an  Schlaubauer

Meine Meinung: Deutsche Soldaten nur auf deutschem Boden.
Aber im Gegensatz zur Ukraine würde ich nicht gegen Waffenlieferungen (gegen Bezahlung oder auf Kredit) nach Israel sein.

Wilhelm Roepke
3 Stunden her

Netanjahu hat recht: der Iran hat einen großen Fehler gemacht. Wenn Israel den Iran ernsthaft mit einem Gegenschlag angreift, wird das bitterer Ernst sein, denn so dilettantisch wie die Hisbollah mit ihren Piepsern, Pagern und Funkgeräten, mit ihren Billigraketen und mit dem MIssbrauch Minderjähriger als lebender Schutzschild ist die IDF garantiert nicht organisiert.

BK
3 Stunden her

Wie soll man die Rolle Deutschlands einschätzen? Vielleicht so, was der Ballermann auf Mallorca für die Deutschen ist, ist Deutschland für die Araber in der Welt. Eben ein Ort der Willkommenskultur, zur Entspannung und zum Feiern, wenn der Staat Israel mal wieder terrorisiert wird. Was an den Israelis bewundernswert ist, dass sie sich als ein Volk verstehen, das in den schwersten Stunden zusammensteht und sich wehrt. Sollte Ähnliches in Deutschland passieren, wird dieses Land zerbrechen, um es anschließend den Clans und dem Mob zu überlassen.

aviator
3 Stunden her

Von Deutschlands amtierender, mehrheitlich linksradikaler (und m.M. n. ebenso antisemitischer) Regierung unter Führung des Außenamtes von Frau Baerbock ist weder militärische noch moralische Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil, rechthaberische und weltfremde Ratschläge von der Seitenlinie, zu konkreterem ist die „werteorientierte“ deutsche Außenpolitik nicht fähig. Kanzler Scholz deckt durch Schweigen (ich befürchte sogar, das er zustimmt) dieses außenpolitische Fiasko. Der Schutz Israels als deutsche Staatsräson ist eine leere, reine Sprechblase. Jeder der konsequent gegen den islamistischen, bestialischen und fanatischen Terror in der einzig richtigen Art und Weise konsequent vorgeht, wird von unseren links-grünen Ideologen diffamiert, im Inland, im Ausland und selbstredend… Mehr

Karl Martell74
2 Stunden her
Antworten an  aviator

Frau „weltbeste Außenminister Darstellerin“ braucht und will keiner.
Aber für 3 Stunden Bullshit und danach das Scheckbuch – soviel Zeit nimmt man sich

Thomas
1 Stunde her
Antworten an  aviator

War ja schon was wenn die Juden in Deutschland ohne Angst leben könnten. Nicht mal das bekommen sie hin. Siehe das Lagerfeld Zitat.

Last edited 1 Stunde her by Thomas