Scholz verkündet Ende der Spaltung der Gesellschaft

Olaf Scholz erklärt, in Deutschland überwiege die Zahl der Vernünftigen und Anständigen gegenüber den "Lauten". Statt Spaltung der Gesellschaft sieht er lediglich Hass und Hetze im Internet. Dabei gibt es ein Thema, bei dem die Leute lagerübergreifend einig sind - und Scholz persönlich etwas tun könnte.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Deutschland lebt in den besten Zeiten. Erst letzte Woche hat Robert Habeck das Ende der Energiekrise verkündet. Jetzt ist der Bundeskanzler selbst dran: Olaf Scholz verkündet in einer Videoansprache das Ende der Spaltung der Gesellschaft. Die „totale Spaltung“ sieht der SPD-Politiker nicht.

„Deutschland sei total gespalten – das höre ich in diesen Tagen immer wieder“, sagt Scholz. Bei allen Gesprächen, die er im Land führe, habe er dagegen den Eindruck, man liege nicht so weit auseinander. „Ich wünsche mir, dass wir weiter miteinander reden, statt nur noch übereinander oder aneinander vorbei“, so der Kanzler weiter. Denn es komme nicht darauf an, „wer am lautesten schreit“. Die Mehrheit in der Mitte sei viel größer. „Die Vernünftigen, die Anständigen sind viel, viel mehr.“

Mehrheit, Mitte, Vernunft. Ein Dreiklang, der möglicherweise tatsächlich auf die deutsche Gesellschaft zutrifft – warum aber folgt die Ampel-Politik nicht dieser Devise, sondern schreibt dem Bürger vor, welche Heizung er im Keller zu entfernen hat, und enteignet damit große Teile derselben Mitte? Wieso will sie über die Kindergrundsicherung und ideologische Bildungsprojekte noch mehr auf Kinder zugreifen, macht aber mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine Politik gegen Frauen und für verschwindend kleine Minderheiten?

Ein beliebter Strohmann der Politik seit Merkel ist „die Mehrheit“. Sie wird immer dann beschworen, wenn sie zufällig aufseiten der Regierung steht. Wenn sie das nicht tut, wie etwa kürzlich in Sachsen und Thüringen, dann steht wiederum die Bewahrung der Demokratie gegen den Mob im Vordergrund. Derselbe Mob ist dann wiederum Ausweis des Wahren, Guten und Schönen, wenn etwa – wie zu Jahresanfang – regierungstreue Märsche organisiert werden, die „Wir sind mehr!“ skandieren, indes die zuvor veranstalteten Bauerndemonstrationen von rechts unterwandert oder russisch ferngesteuert sind.

Es kommt dabei im Übrigen nicht einmal darauf an, wie groß die Spaltung ist oder wo sie stattfindet; denn eine 50:50-Spaltung der Gesellschaft ist theoretisch so gut wie nicht denkbar. Sie hat demnach immer eine Mehrheit oder Minderheit. Überdies ist die Zugehörigkeit zu einer Mehrheit nicht a priori ein höheres Gut oder ein Ausweis des Besitzes höherer Wahrheit. Auch hier verhält sich das vom Kanzler immer wieder beschworene Demokratie-Narrativ widersprüchlich: denn ansonsten erhält jede Minderheit in Deutschland ihren eigenen Catering-Service, nur eben die politische Minderheit nicht. Weil es wenige sind, müssen sie bereits irren.

Außer sie sind Teil einer Minderheitenpartei wie etwa SPD und Grüne.

Die demokratische Schaumschlägerei erhält aber auch deswegen einen faden Beigeschmack, weil es der Kanzler, seine Minister und die Ampelpartei sind, die sich vorsätzlich für die Spaltung der Gesellschaft einsetzen – etwa in der Corona-Politik, in der Energie-Politik und auch der Migrationspolitik. Obwohl die Ampel eine parlamentarische Mehrheit hat, haben ihr Programm und ihre Regierungspolitik nie zur Kittung der verschiedenen Risse in der Gesellschaft beigetragen. Während man ja einiges aus der Merkel-Ära gewohnt ist, so war doch zumindest damals die „Behauptung“, dass es nur zwei Geschlechter gäbe, noch kein Grund für eine Grundsatzdebatte und mögliche Umerziehung.

Geflissentlich räumt der neue Kanzler der Einheit solche Einwände beiseite. „Die ganz große Mehrheit von uns weiß zum Beispiel, dass es ziemlich mau aussehen würde in unseren Krankenhäusern, auf unseren Baustellen, in Kitas und Pflegeheimen ohne all die Arbeitskräfte aus dem Ausland, die vieles am Laufen halten.“ Und zugleich erwarteten die allermeisten zu Recht, dass man sich aussuchen könne, wer zu uns komme.

Wieder der Strohmann. Es ist ja nicht die AfD, die etwa engagierte asiatische Kirchenchormitglieder abschiebt, sondern die SPD, indes man sich gerade so zur Abschiebung afghanischer Intensivtäter durchringen kann. Die perfide rhetorische Taktik, dass begrenzte Zuwanderung oder umfassende Abschiebung letztlich Fremdenhass insinuieren, ist zwar seit 2015 bekannt, doch die Verbindung mit einer angeblichen „Auslese“ neu. In der Tat hält vermutlich eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung nichts an einer solchen Regierungspolitik; sie hat aber schlicht nichts mit der Regierungspolitik dieses Kanzlers (oder seiner Vorgängerin) gemein. Scholz regiert also gegen das Milieu, das er als Zeugen aufruft.

Scholz sieht die öffentliche Debatte als Grund für die aufgeheizte Stimmung. „Denn wenn man ins Internet schaut, in die sozialen Medien und manchmal auch ins Fernsehen, dann kann man schon den Eindruck kriegen: Je extremer die Meinung, desto größer die Aufmerksamkeit“, sagte er. Oft höre man vor allem die Extreme, aber es komme nicht darauf an, „wer am lautesten schreit“.

Wir schauen in die Zukunft der Demokratie: Eine Demokratie, in der die Debatte schadet. Wie nun aber die Debatte regulieren? Deutschland hat darauf mit dem NetzDG erste Vorarbeit geleistet, so umfassend sogar, dass sich ein Land wie die demokratieliebende Volksrepublik China ein Beispiel daran nimmt. Der EU-Digital Service Act ist einer ganzen Reihe linker deutscher Politiker noch nicht weitgehend genug. Am liebsten hätten sie brasilianische Zustände. Demokratie ohne Meinungsfreiheit: Ein Paradies! Einzig die regulierende Staatsmacht kann hier noch eingreifen, um den Bürger vor Hass und Hetze zu schützen, indem man all jenen den Mund verbietet, die an der Demokratie der Regierenden etwas auszusetzen haben.

Denn auch das gilt seit Merkel: Regierungskritik ist Demokratiekritik, seit Neuestem Delegitimierung des Staates und ein Ausweis für Hetze. Natürlich hat Scholz Recht, dass es bei der Unterbindung unliebsamer Meinungen keine Spaltung der Gesellschaft mehr gibt. Es herrscht dann demokratische Friedhofsruhe.
Die Mehrheit in der Mitte sei „viel, viel größer“ ergänzt der Kanzler. „Die allermeisten von uns stehen in all den großen Fragen näher beieinander, als es manchmal scheint.“ Der Kanzler geht in dieser Darstellung nicht fehl. Es gibt zahlreiche große Fragen, bei denen man sich in allen politischen Lagern einig ist. Etwa bei der Zufriedenheit mit der Ampelregierung.

Wenn der Kanzler also ein Kanzler der Mitte ist, und etwas gegen die Spaltung der Gesellschaft unternehmen will, wären ein Rücktritt und eine Auflösung der Ampel wohl tatsächlich ein erster Schritt, den eine überwältigende Mehrheit der Bundesbürger begrüßen würde. Schließlich geht es doch um Mehrheit, Mitte und Vernunft.

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Kommentare ( 80 )

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Ohanse
13 Minuten her

Meint der das etwa ernst? Also, Humor ist ja eine ernste Sache und ein Witz lebt davon, daß seine Pointe eine überraschende Wendung der Situation bringt. Aber Scholz ist ja bisher nun wirklich nicht dadurch aufgefallen, humorvoll, witzig und unterhaltsam zu sein. Aber wiederum: Wenn etwas wie ein Witz aussieht und alle Komponenten eines Witzes enthält und die Leute lachen, wenn sie es hören, dann muss es doch ein Witz sein? Ja, wird wohl so sein. Olaf hat sich einen Witz über seine eigene Politik ausgedacht. Sachen gibt’s.

Last edited 12 Minuten her by Ohanse
Der Ingenieur
34 Minuten her

Scholz erinnert mich an einen ganz anderen Herren, der noch bis zuletzt von der großen Einheit der Volksgemeinschaft fabulierte, dessen Vasallen und letzten Getreuen fanatisch an „Wunderwaffen“ glaubten, die noch den Untergang verhindern könnten.

Alle heutigen grünen „Wunderwaffen“ Habecks erweisen sich jedoch als Seifenblasen, die gerade platzen und sich in Luft auflösen:

„E-Auto“, „Massiver Ausbau des ÖPNVs und der Bahn“, „Massiver Ausbau der Windkraft“, „Produktion von Grünem Wasserstoff“, „Wasserstoffwirtschaft“, „Grüne Stahl- und Zement-Produktion“, „Batteriewerke für E-Autos“, „Intel-Chip-Fabrik“, „Ausländische Fachkräfte“ bis hin zur „Grünen Energiewende“ und dem versprochenem „Grünen Wirtschaftswunder“.

Das ganze grüne Kartenhaus bricht in sich zusammen …

Last edited 27 Minuten her by Der Ingenieur
Elki
48 Minuten her

Ich mache mir nicht mehr viel aus solchem Gerede, denn es ist gleichgültig geworden, aus welchem Mund es kommt. Ob von Roten, Grünen, Gelben oder Schwarzen ist für mich Einerlei, nur Propaganda ohne Substanz. Die CDU hatte in der Opposition viele Jahre Zeit, die Politik zu beeinflussen und ob die einen von Brandmauer und die anderen von Anstand reden, zum Wohle Deutschlands und seiner Bevölkerung etwas zu ändern wünschen sie offenbar Beide nicht. Dann ist mir ein Kanzler, der wenigstens in der Frage der Lieferung von weitreichenden Raketen standhaft bleibt doch lieber als ein ständiger Umfaller, dessen Partei mit den… Mehr

Kassandra
31 Minuten her
Antworten an  Elki

Das Transkript zur PK damals in Washington mit Joe Biden, als die Nordstream Pipeline angesprochen wurde, ist Ihnen bekannt?
„Wenn man liest, was Scholz da alles von sich gegeben hat, dann erscheint Bidens Satz eher als freundliche Zustimmung zu dem, was Scholz will, und um auch mal was zu sagen.“ schreibt einer woanders:
Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Biden am 7. Februar 2022 in Washington (Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-dem-praesidenten-der-vereinigten-staaten-von-amerika-biden-am-7-februar-2022-in-washington-2003648
Es sieht so aus, als wären wir die, die vernichtet werden sollen?

Der Ingenieur
4 Minuten her
Antworten an  Kassandra

Vielen Dank für diesen Link!

Damon71
1 Stunde her

Wenn Habeck das Ende der Wirtschaftskrise verkündet und Scholz das Ende der gesellschaftlichen Spaltung, dann erkläre ich mal eben das beide in die Psychiatrie einziehen können, vorzugsweise in Zwangsjacken.
Dort können sie siuchd ann ein Zimmer mit gepolsterten Wänden teilen und mit einem zwischen die Zehen geklemmten Stift Wahlergebnisse im dreistelligen Prozentbereich an die Wände kritzeln.

Waldschrat
1 Stunde her

Da muss man Scholz mal fragen, wo er die Gespräche führt, in Wolkenkuckucksheim? Scholz wünscht sich, „dass wir weiter miteinander [?] reden.“ Da hat er ja recht, aber er und seine grünrotschwarzen Genossen inkl. ihrer medialen Helfershelfer verhindern doch genau das. Die woke Blase ist doch die, die am lautesten schreit, notfalls auch „aua“, wenn sie sich unverstanden fühlt. Er glaubt, dass er und die Mehrheit zu den Vernünftigen gehören. Weil man Links ist, ist man vernünftig, alles was nach deren Verständnis Rechts ist, ist dann unvernünftig oder was? Da zeigt sich einmal mehr der totale Realitätsverlust. Wenn jetzt alle Krisen… Mehr

Danton
1 Stunde her

Als würde Caspar Hauser zu uns reden, nachdem er sein dunkles Verließ zum ersten mal verlässt.

flo
1 Stunde her

„Ich wünsche mir, dass wir weiter miteinander reden, statt nur noch übereinander oder aneinander vorbei.“ Ach, ist das schön. Das klingt mir nur alles zu sehr nach Predigt in der Kirche, wobei die Kirche ja auch nicht mehr so solidarisch-gemütlich ist wie früher, – und nach Bundespräsident. Doch, die Gesellschaft  i s t  gespalten in eine lautstarke Minderheit mit der Verfügungsmacht über Steuergeld und politischer Definitionshoheit und den stilleren Rest, früher „Mehrheitsgesellschaft“ oder „Mitte“ genannt. Aber spätestens die Friedrich-Ebert-Stiftung (auch SPD) hat ja die wahlweise „fragil“, „verloren“ oder „im Umbruch“ befindliche „Mitte“ diffamiert mit ihren Mitte-Studien in Form von Rechtsradikalismus-Studien.… Mehr

Raul Gutmann
1 Stunde her

Was die Herrschenden hier treiben und sagen, ist reinster „Orwell“: Erst mit einer schädlichen Politik großen Widerspruch erzeugen, diesen anschließend kriminalisieren und abschließend die regierungsfinanzierten Verblieben als große, ungespaltene Mehrheit titulieren.
Michael Klonovsky urteilte hierzu, wenn auch in anderem Zusammenhang, der Wohlfahrtsstaat entwickle sich zum Sozialismus und dieser führe automatisch zum Totalitarismus.
C’est ca!

Vau8
1 Stunde her

„Bei allen Gesprächen, die er im Land führe, habe er dagegen den Eindruck, man liege nicht so weit auseinander.“
LOL! Klar, er redet mit allen innerhalb der Nationalen Front. Die liegen i. d. R. jetzt nicht sooo weit auseinander.

ceterum censeo
1 Stunde her

Erst letzte Woche hat Robert Habeck das Ende der Energiekrise verkündet. Jetzt ist der Bundeskanzler selbst dran: Olaf Scholz verkündet in einer Videoansprache das Ende der Spaltung der Gesellschaft.“ Alles „par ordre du mufti“. Erinnert daran, dass seinerzeit im Wehrdienst auch der Sommer befohlen wurde…