Die neuen Adligen von Berlin

Deutschlands politische Klasse zeigt immer häufiger feudale Allüren: Maskenbildner und Hoffotografen auf Staatskosten, Instrumentalisierung der Justiz gegen Kritiker, Gleichgültigkeit gegenüber der Wirtschaftskrise. Sie führt sich so selbstgefällig auf wie keine Generation vor ihr

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, kommt auf dem Ben-Gurion-Flughafen Tel Aviv an. Bundesaußenministerin Baerbock ist zu ihrem fünften Besuch seit Beginn des Gaza-Krieges nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas Anfang Oktober 2023 in Israel.

Es war einmal eine aufstrebende Politikerin, die bei ihrem Amtsantritt versprach, sie werde Linienflüge nehmen, wann immer es möglich sei. Sie trachtete damals danach, bescheiden zu wirken. Dazu gab es auch allen Grund. Denn im Wahlkampf hatte sie einen Lebenslauf veröffentlicht, der sie wichtig und prächtig erscheinen ließ, aber allzu geschönt gewesen war. Überdies zeigte sich, dass sie ihr Buch, mit dem sie landauf, landab die Leute beeindrucken wollte, aus fremden Quellen zusammengestoppelt hatte.

Trotzdem erhielt die Frau ohne Berufserfahrung den edlen Posten der Außenministerin, worüber sie sich freute wie eine Schneekönigin. Und deshalb versprach sie, sich durch Bescheidenheit der großen Ehre als würdig zu erweisen. Apropos, für das Versprechen, nicht immer die große Regierungsmaschine zu nehmen, gab es noch ein zweites, nicht ganz unwichtiges Motiv: Unsere frischgebackene Amtsträgerin gehört nämlich einer Partei an, die das Fliegen generell für schädlich hält und ihren Untertanen – pardon, Bürgern – Kurzstreckenreisen durch die Luft am liebsten ganz verböte.

Es spricht einiges dafür, die Geschichte dieser Politikerin und die der anderen Ampelminister wie ein Märchen zu beginnen. Denn Märchen spielen bekanntlich im Reich von Königspaaren, Prinzen und Prinzessinnen, von prächtigen Schlössern und güldenen Kutschen. An Dukaten mangelt es nie, und falls irgendetwas doch nicht
läuft wie gewünscht, dann liegt es nicht an den Helden auf dem Thron, sondern an bösen Hexen und Zauberern – wie Staatsdelegitimierer früher hießen.

Während der Fußball-EM demonstrierten die Oberen aus Berlin, dass sie sich mittlerweile ganz selbstverständlich am Spitzenpersonal dieser Märchenwelt ausrichten. Alles in ihrem Auftreten sagt: Achtung, hier kommen keine bescheidenen Diener der Öffentlichkeit, sondern der neue Adel. Das halbe Kabinett – Olaf Scholz mit Gattin, Nancy Faeser, Karl Lauterbach, Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger und Annalena Baerbock – nahm nicht nur die vom DFB geschenkten sogenannten Ehrenkarten in Anspruch, sondern ließ sich auch per Regierungsmaschine zu den Vergnügungsterminen fliegen. Gesamtkosten: mehr als eine halbe Million Euro.

Nachflugverbot gilt nur für Normale

Nur beim Kanzler und der auch für Sport zuständigen Innenministerin bestand ein dienstlicher Anlass. Die anderen zweifelten trotzdem keine Sekunde daran, dass sie für ihren Auftritt in die Steuerkasse greifen durften. Baerbock, die Bescheidene mit der Linienflugankündigung, zog es außerdem vor, sich nach dem Spiel Deutschland – Schweiz am 26. Juni die 270 Kilometer von Frankfurt nach Luxemburg mit der Regierungsmaschine spedieren zu lassen, spätabends, als das von den Grünen eisern verteidigte Nachtflugverbot galt – jedenfalls für Normalmenschen.

Eine Urlaubermaschine aus Mallorca mit Kurs auf Berlin wurde im Juli zwangsweise nach Hannover umgeleitet, weil sie die erlaubte nächtliche Landezeit verpasst hatte – um zehn Sekunden. In solchen Fällen heißt es natürlich: Pech gehabt, Vorschrift ist Vorschrift. Zudem erscheinen den Nobelpolitikern die 47 000 Euro für Baerbocks Ultrakurzflug vermutlich als popeliger Betrag, anders als gewöhnlichen Steuerzahlern, denen die Regierung von jedem zusätzlich verdienten Euro gerade noch 47,4 Cent übrig lässt.

Im Verhältnis zu dem, was die Außenministerin für das Schminken und Frisieren aufwendet, wirken die Kosten für die Spritztour nach Luxemburg in der Tat wie Kleinkram. Die Baerbock-exklusive Staatsvisagistin kostet gut 137000 Euro pro Jahr. Damit liegt die Politikerin noch nicht einmal an der Spitze, wenn es um die Ausgaben für Glanz und Gloria geht. Das Bundespresseamt gab 2022 insgesamt 510 764 Euro aus, um den Bundeskanzler auf Fotos und Videos möglichst vorteilhaft erscheinen zu lassen. Wirtschaftsminister Robert Habeck suchte kürzlich nach einem Fotografen, der ihn ständig begleiten und gefällige Bilder liefern soll. Jahresetat: 350 000 Euro. Im neoadligen Berlin gibt es also moderne Entsprechungen zu Kammerzofen und Hofmalern – ohne jedes schlechte Gewissen.

Noch Gerhard Schröder besaß als Kanzler ein Gespür dafür, welche Grenzen ein Politiker lieber nicht überschreiten sollte. Er feuerte seinerzeit seinen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, als der sich mitten in der Wirtschaftskrise Kleider für Zehntausende Mark von einem PR-Berater schenken ließ. Das Gefühl für das Angemessene scheint den Repräsentanten grundsätzlich verloren gegangen zu sein – nicht nur bei Reisen und Extras. Seit 1. März genehmigt sich das Bundeskabinett trotz aller Klagen über das angeblich knappe Geld eine kräftige Gehaltserhöhung von 6,67 Prozent für den Kanzler und von 6,98 Prozent für die Ministerriege. Zum 1. Juli stiegen außerdem die Diäten der Bundestagsabgeordneten um sechs Prozent. Diäten und Kostenpauschale zusammengenommen, kommt man auf stolze 16 279 Euro pro Monat.

Völlig wirklichkeitsfremd

Vertreter der Regierungskoalition mahnen gern, die Bürger sollten weniger „Veränderungsmüdigkeit“ zeigen. Wenn es um das eigene Vergütungssystem geht, kennen sie allerdings höchstens Veränderungen nach oben. Dass Minister schon nach vier Amtsjahren eine Pension von 4990 Euro pro Monat kassieren, hält beispielsweise der Steuerzahlerbund für viel zu üppig, ebenso das Übergangsgeld von mindestens 81 000 Euro, das einem Kabinettsmitglied schon nach einem einzigen Tag im Amt zusteht.

In Berlin begreift man sich längst nicht mehr als Diener – genau das bedeutet „Minister“ nämlich –, sondern als Herrscher, für den einfach andere Regeln gelten als für den Pöbel, dessen vornehmste Aufgabe darin besteht, das nötige Geld heranzuschaffen.

Heute gelten nicht etwa diese Sonnenkönigsallüren als Staatsdelegitimierung. Dafür kann die Kritik daran schnell riskant werden – und zwar für die Kritiker. Robert Habeck gab kürzlich bekannt, dass er seit 2023 schon 700 Strafanzeigen wegen echter oder vermeintlicher Beleidigung gestellt hat. Darunter finden sich tatsächliche Bedrohungen und justiziable Beschimpfungen, aber auch völlig legaler Spott, etwa durch den „Welt“-Kolumnisten Rainer Meyer, besser bekannt als „Don Alphonso“.

Der machte sich auf X über das gelegentlich nachlässige Erscheinungsbild des Vizekanzlers lustig, wobei er noch nicht einmal dessen Namen nannte. Habeck fand genügend Zeit, um einen persönlichen Strafantrag zu stellen; erst in der zweiten Instanz sprach ein Gericht den Journalisten frei.

Auch das gehört zum Lebensstil der selbst erhobenen Adligen von Berlin Mitte: Selbst harmlose Kommentare gelten ihnen als Majestätsbeleidigung. Und die Staatsanwaltschaften tun ihnen in der Regel den Gefallen, bei läppischen Bemerkungen Ermittlungsverfahren anzustrengen, während sie gewöhnliche Landesbewohner bei gleicher Sachlage gern auf den Privatklageweg verweisen.

Stark im Austeilen, selbst hochsensibel

An der Spitze aller klagenden Politiker steht die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die bis zu 250 Strafanzeigen pro Monat verschicken lässt. Umgekehrt tun sich die empfindsamen Politiker wenig Zwang an. „Covidioten“, die Bezeichnung von SPD-Chefin Saskia Esken für Bürger, die nicht alle Corona-Maßnahmen der Regierung beklatschten, oder „ein Haufen Scheiße“ – Strack-Zimmermanns Bemerkung zur AfD – gelten ihnen nicht etwa als Beleidigungen, sondern als „deutliche Worte“.

Im Berliner Regierungsviertel lässt sich eine neue höfische Kultur besichtigen: Amtsträger, die sich als Herrscher aufführen, Medienleute, die voller Stolz durchblicken lassen, zu bestimmten exklusiven Hintergrundzirkeln und zur Entourage im Regierungsflieger zu gehören, Journalisten der Plattform Correctiv, die kein Problem darin sehen, dass ihr Unternehmen üppige Gelder aus der Staatskasse empfängt.

Nicht nur von Medien, auch von der Wissenschaft erwarten die Oberen heute vor allem eins: Bestätigung und Gefolgschaft. Fachleute gelten dann als willkommen, wenn sie die erwarteten Stichworte und Schmeicheleien liefern. Kritische Köpfe gelangen gar nicht erst in Beratergremien – oder sie werden geräuschlos entfernt, etwa aus dem Sachverständigenrat für Umweltfragen.

Und wie an Höfen so üblich: Der Bestand der Ministerialbürokratie wächst und wächst und wächst. Je mehr Bedienstete, desto bedeutender die Herrscher. Seit 2017, also der letzten Regierungsperiode Angela Merkels plus drei Jahre Ampel, stieg die Zahl der Beamten und Angestellten in den Bundesministerien im Schnitt um gut 35 Prozent. Ganz vorn: das Bundeswirtschaftsressort mit einer Wachstumsrate von fast 55 Prozent.

Apropos Wachstumsrate: Zum pseudoadligen Auftreten gehört auch die Gleichgültigkeit, die man in Berlin Mit- te gegenüber all denjenigen demonstriert, die nicht zu den steuergeldabgesicherten Kreisen zählen. Das Land steckt in einer Rezession, die Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal erneut. Der Chemieriese BASF baut Jobs in Ludwigshafen ab, der Getriebehersteller ZF will konzernweit bis zu 14000 Stellen streichen. Die Krise erreicht längst gut verdienende Facharbeiter, Selbstständige und Unternehmer.

Die Horrornachrichten von ZF und anderen Automobilzulieferern scheinen allerdings gar nicht mehr zur politischen Elite durchzudringen, genauso wenig wie die Berichte über die sprunghaft ansteigenden Fälle von Messer- und anderer Gewaltkriminalität. Weder kommen Amtsträger auf die Idee, dass es in diesen Zeiten verstörend wirkt, wenn sie weiter Geld mit vollen Händen für ihre eigene Welt ausgeben, noch dämmert es ihnen, dass Leute, die nicht ständig Personenschützer um sich haben, zumindest eine Abschiebung notorischer Straftäter erwarten.

Gefühl, über dem Gesetz zu stehen

Das dritte Merkmal der abgehobenen Klasse ist das bedrohlichste von allen: Sie glauben wie mancher absolute Herrscher früher, über dem Gesetz zu stehen. Wenn das Verfassungsgericht ihnen die Haushaltstrickserei durchkreuzt oder den Versuch vereitelt, per Wahlgesetzänderung die CSU aus dem Bundestag zu halten, reagieren die Ampelpolitiker nicht etwa schuldbewusst, sondern mit einem Schulterzucken.
Am deutlichsten zeigt Innenministerin Faeser, dass das Grundgesetz sie nicht kümmert. Beim Verbot der Rechtsaußen-Zeitschrift „Compact“ instrumentalisierte sie kurzerhand das Vereinsrecht, ohne überhaupt eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit vorzunehmen, die der Grundgesetzartikel 5 schützt – und zwar ausdrücklich als Abwehrrecht gegen den Staat.

Die Meinungsfreiheit gilt, wie vom Verfassungsgericht mehrfach festgestellt, auch für extreme, überzogene, ja sogar für verfassungsfeindliche Äußerungen, solange sie die Grenze zum gewaltsamen Sturz der Ordnung nicht überschreiten. Entsprechende Ermitt- lungsverfahren gab es gegen „Compact“ bisher nicht. Alles egal: Faeser bretterte im Dampfwalzenstil über das Grundgesetz, um sich als Kämpferin „gegen rechts“ in Szene zu setzen.

In der historischen Betrachtung wirkt es faszinierend: Sozialdemokraten, deren Kanzler Willy Brandt einmal „mehr Demokratie wagen“ wollte, und Grüne, die sich betont widerborstig gaben, solange sie nicht selbst an den Schaltstellen der Macht saßen, geben sich heute alle Mühe, als die autoritärste und selbstgefälligste Politikergeneration in die Geschichte einzugehen. Statt der ständig beschworenen „Augenhöhe“ gilt wieder: Wir hier oben, ihr da unten. Statt Bürgern sehen die Regierenden wieder Untertanen.

Falls die Wähler demnächst in Sachsen und Thüringen die Quittung entsprechend ausstellen, dürfte der Kommentar der politisch-medialen Klasse lauten: Das Volk hat sich als unreif erwiesen. Und sollte vielleicht besser gar nicht abstimmen dürfen.


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Kommentare ( 2 )

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Alf
3 Stunden her

Unsere Politdarsteller sind keine Politiker, nur schlechte Darsteller. Und sie haben Angst davor, nie wieder gewählt zu werden. Unsere Politdarsteller werden vom Volk die Quittung für ihre Verstiegenheit bekommen.. Unsere Politdarsteller haben vergessen, daß sie auf Zeit gewählt und beim Volk angestellt sind. Das Volk soll sich als unreif erwiesen haben? Hier das Zeugnis von Wendelin Wiedeking: „Wir werden heute von Politikern gelenkt, die über keinerlei wirkliche Berufserfahrung verfügen. Frau Lang von den Grünen hat keine. Gucken Sie Herrn Kühnert von der SPD an: Der hat ein abgebrochenes Studium und hat in einem Callcenter gearbeitet. Und diese beiden Herrschaften definieren… Mehr

Holger Wegner
3 Stunden her

Schöner Selbtsbedienungsladen. Und so gut konzipiert, dass z.B. die grosszügigen Wohngelderhöhungen in knappen Abständen oder auch das ständig erhöhte Bürgergeld und der Mindestlohn immer auch zu Erhöhungen im Offentlichen Dienst und bei den Beamten führt, alles bezahlt von der immer kleiner werdenden Mitte, die oft genug nicht profitiert.