Wieder Ärger bei der Aufarbeitung des Atomausstiegs

Der interne E-Mail-Verkehr im Bundeswirtschaftsministerium wirft erneut einen Schatten auf die angeblich ergebnisoffene Untersuchung zum Weiterbetrieb der Kernenergie. Der damalige Staatssekretär Patrick Graichen soll um Lösungen gebeten haben, die die Laufzeitverlängerung ausschlossen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

In den letzten Monaten war es wieder ruhiger geworden, was die Hintergründe des Atomausstiegs anging. Die Debatte im Zuge der Energiekrise ist in den Köpfen verblasst; die Cicero-Recherche wurde abgetan. Doch nun gibt es neue neue Hinweisen darauf, dass das Bundeswirtschaftsministerium die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in der Energiekrise 2022/23 nicht ergebnisoffen geprüft haben soll – obwohl Minister Robert Habeck (Grüne) das öffentlich zugesagt hatte. Vielmehr habe sein Staatssekretär Patrick Graichen (Grüne) dem Stromreferat des Ministeriums Vorgaben zum gewünschten Ergebnis der Untersuchung gemacht, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Das Blatt zitiert aus einer E-Mail von Graichens persönlicher Referentin vom 1. März 2022, in der es zu dem Fachvermerk heißt: „Patrick bittet insbesondere darum, darzustellen, wie wir auch ohne die drei in Rede stehenden Atomkraftwerke die Versorgungssicherheit sichern können.“ Das Ministerium sieht darin keine Vorfestlegung, sondern teilte der FAZ mit, Graichen habe sich auf erste Einschätzungen der Kraftwerksbetreiber bezogen, wonach der Weiterbetrieb der letzten drei Reaktoren nicht möglich sei.

Laut Atomausstieg sollten die Kraftwerke am 31. Dezember 2022 vom Netz gehen. Doch gab es Überlegungen, sie in der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bis zum 31. März 2023 weiterlaufen zu lassen. Die grün geführten Ministerien für Wirtschaft- und Umwelt sprachen sich am 8. März 2022 gegen die Laufzeitverlängerung aus, obgleich der Vermerk des Stromreferats vom 3. März wohl zu einer anderen Einschätzung gelangt war.

Im Vermerk hieß es:

„Die Verschiebung der Stromerzeugung von Kernkraftwerken vom Sommer 2022 in den Winter 2022/23 wird als Maßnahme geführt, weil sie potentiell zu einer Gasverbrauchssenkung beitragen kann.“ In Wetterlagen, die für die Ökostromerzeugung ungünstig seien, gebe es „ggf. nicht genug Erdgas, um die Kraftwerke zu betreiben […]. Eine Laufzeitverlängerung bis zum 31.3.2023 sollte als Vorsorgemaßnahme weiter geprüft werden, weil sie den Erdgasverbrauch im Stromsektor auf ein Minimum reduzieren kann.“

Damit widersprach das Fachreferat der Einschätzung Habecks, dass die Kernkraft für den Winter 2022/23 „nicht helfen“ werde. Stattdessen erklärte das zuständige Referat, es sei „äußerst risikoreich, die Stromerzeugung aus Erdgas im nächsten Winter ausschließlich durch die zusätzliche Stromerzeugung aus Reserven und bereits stillgelegten Kohlekraftwerken zu stützen. […] Auch deswegen sollte die Notwendigkeit einer Laufzeitverlängerung weiter geprüft werden.“ Gerade im Winter könne die Laufzeitverlängerung die Lage entspannen.

Dass das Referat so freimütig antwortete, hatte offenbar mit dem internen E-Mail-Verkehr zu tun. Auf den Prüfungsauftrag reagierte die Leiterin des Büros einschränkend: Man könne zwar aufschreiben, „welche Auswirkungen eine Abschaltung / Nichtabschaltung der letzten AKW auf die Versorgungssicherheit hat“. Nicht zuständig aber fühle man sich für die von oben bestellte „politische Bewertung des Weiterlaufens“. Die Entgegnung folgt, dass für die „politische Bewertung“ Patrick Graichen zuständig sei.

Das sah man im Referat wohl als Zeichen, dass man unideologisch argumentieren dürfe – mit fatalen Konsequenzen für Graichen, der einen anderen Vermerk bekam, als eigentlich bestellt.

Ein im Juli 2024 eingesetzter Atom-Untersuchungsausschuss des Bundestags soll daher klären, ob die Entscheidung der Ministerien transparent und unvoreingenommen zustande kam.

Nach Recherchen der FAZ und einer von der Zeitung veröffentlichten Mail hatte das Ministerbüro von Habeck den Vermerk mitbeauftragt. Es präzisierte auch mehrfach den Auftrag an die Fachebene, die mögliche Laufzeitverlängerung zu prüfen. Dennoch blieb das Ministerium gegenüber der Zeitung bei der Darstellung, Habeck habe das Ergebnis der Prüfung nicht gekannt: „Der in Rede stehende Vermerkentwurf lag in der Leitungsebene nur Staatssekretär Graichen vor.“

Im Gegensatz zu den Grünen wollte innerhalb der Ampelkoalition die FDP die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Den Streit beendete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Oktober 2022. Mit seiner Richtlinienkompetenz legte er fest, dass die drei Kraftwerke bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben sollten. Seitdem erzeugt Deutschland keine Kernenergie mehr.

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Kommentare ( 15 )

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15 Comments
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November Man
1 Stunde her

Habeck hat mit der von ihm erzwungenen Abschaltung unserer Atomkraftwerke unsere sicher Stromversorgung gefährdet, die Strompreise künstlich nach oben gedrückt und damit nicht nur die Bürger, die Automobilindustrie, sondern auch einen wichtigen Zweig unsere Wirtschaft, die deutsche Stahlindustrie, an den Rand des Bankrott gedrängt. Nach großem Stahlgipfel: Ostdeutscher Konzern kritisiert Habecks grünen Wasserstoff. Wirtschaftsminister Robert Habeck verspricht „grünen Stahl“ durch Wasserstoff. Norwegen ist übrigens gerade aus dem Pipeline-Projekt in großem Stil Wasserstoff nach Deutschland zu liefern ausgestiegen. Die Stahlindustrie hält grünen Stahl für eine grüne Illusion. Die Stahlindustrie steckt trotz Milliardenhilfen an Thyssenkrupp Dank den Grünen tief in der Krise.… Mehr

Cabanero
2 Stunden her

Sinn machen würde dieser Beitrag nur unter folgender Prämisse: Die Partei Die Grünen würde einen Ausstieg aus der Kernkraft ergebnisOFFEN betrachten – oder die „Restlaufzeiten“ der letzten drei Kraftwerke. Warum nimmt TE das an und skandalisiert dann, daß es nicht so war? Restlaufzeiten kann es überhaupt nur geben, wenn man aus der Kernkraft aussteigen will. Nirgend sonst auf der Welt gab oder gibt es solche „Restlaufzeiten“. Zur Erinnerung: Schin seit Jahren bestand ein nationaler Konsens, die Kernkraft aufzugeben, und zwar bei den Parteien CDU, SPD, Grüne, AfD und Partei die Linke. Nur bei der FDP gab es lauwarmen Widerstand, der… Mehr

Schwabenwilli
3 Stunden her

Vielleicht sollten wir, wenn diese unsägliche ampelregierung ihr Ende gefunden hat, bei den Chinesen die Kernkraftwerke der neuesten Generation einkaufen, dann klappt es auch wieder mit der CO2 Reduktion.

jwe
1 Stunde her
Antworten an  Schwabenwilli

AKWs gehen nicht, weil dann die Umverteilung von unten nach oben stockt. Die Strom- und Spritpreise sollen weiter steigen, damit bestimmte Kreise sich bestens die Taschen voll stopfen können. Das ist der Zweck der Energiewende und deshalb wird der Bevölkerung mit allen Mitteln Angst gemacht. Man schaue nur am Wochenende die Spartensender von ARD und ZDF, betreutes Denken.

Del. Delos
4 Stunden her

Die sog. „Leitmedien“ (hier die FAZ) nehmen offenbar eines nach dem anderen eine distanziertere Haltung nicht nur gegenüber den Grünen ein. Es ist zwar prinzipiell ein gutes Zeichen, wenn die Ratten das sinkende Schiff verlassen, weil es eben auch ein Indikator für „Sinken“ ist, aber es ist irgendwo auch WIDERLICH, die Charakterlosigkeit der Medienschaffenden wieder und wieder vor Augen geführt zu bekommen. Was sind das bloß für vaterlandslose Gesellen, die erst zuschauen bzw. massivst dabei MITMACHEN, ihr Land zu zerstören und dann, wenn die Folgen der Zerstörung sichtbar werden, so tun, als hätten sie damit rein gar nichts zu tun.… Mehr

Klaus Kabel
5 Stunden her

Wir werden von Kriminellen regiert, von Lügnern und Betrügern. Man sollte keine Skrupel haben, es diesen „Eliten“ heimzuzahlen.

Buck Fiden
5 Stunden her

Wer die GEZ nicht bezahlt, kommt zum Schluss in den Knast. Aber so fragwürdige Cum Exler, Graichens oder Roberts dürfen frei herumlaufen. Dabei geht es um weitaus mehr Kohle, als so eine läppische GEZ- Forderung. Stech Menschen ab, vergewaltige (in) Gruppen – und Dir steht die Welt offen. Parke falsch oder lass den Staat ahnen, dass Du noch Kohle hast, die er sich unter seinen gierigen Nagel reissen könnte, und der Knast ist Dein. Incl. Fussfessel und so. Ich spare mir die Frage, warum Greichen, Habeck und einige andere noch nicht eingeknastet sind. Richtig, hier die Antwort: Der Staat macht… Mehr

Bernd Simonis
5 Stunden her

Wie kann man auch nur auf die Idee kommen, die hätten objektiv geprüft? Aus dem Märchenalter bin ich raus.

Lars Baecker
5 Stunden her

Wenn man sich vor Augen hält, dass in der Politik nur Lügner und Betrüger im Auftrag Dritter (die nicht die Wähler sind) herumlaufen, dann wundert man sich über solche Nachrichten nicht mehr.

Haeretiker
5 Stunden her

Das „Aussitzen“ ist die einzige Form, durch die die Ampel sich an der Macht hält.
Was haben wir da:

der hier diskutierte Atomausstiegdie RKI-filesSprengung NordstreamCarlola-Brücke in DresdenRettung PCK SchwedtBau LNG-Terminal in einem Biosphären-ReservatWärmepumpen-ZirkusMessermorde als fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens….Das perlt an diesen Figuren einfach ab. Sie waren Merkels gelehrige Schüler.

Last edited 5 Stunden her by Haeretiker
Del. Delos
4 Stunden her
Antworten an  Haeretiker

WIR sind schuld, denn nur durch UNS haben diese Typen ja erst gelernt, dass sich Aussitzen lohnt und dass man dann NIEMALS belangt wird.
Also sollten wir jetzt nicht meckern, sondern EBENFALLS lernen.
Diese Leute gehen nicht freiwillig.
So etwas wie Anstand und/oder Moral war gestern.
Denen geht es doch am Ar..vorbei, wie WIR über sie denken.
Denen ist nur wichtig, ob sie ihre Ideologie und das, was die Strippenzieher bei der UN, dem WEF, der WHO etc. sich wünschen, auch durchgesetzt bekommen.
WIE, DAS IST DENEN EGAL.

Last edited 4 Stunden her by Del. Delos
littlepaullittle
6 Stunden her

„politische Bewertung“
Klingt wie die Corona-Spritze.
Oder wie der Krieg (Israel oder Ukraine).
Oder wie der Wirtschaftsniedergang.
Oder wie der Migrationsfluss.
Klingt aber auch wie Autokratie.
Oder wie Regime.