Hilfsgelder von Deutschland nach Afghanistan werden nur unzureichend kontrolliert

Deutsche Hilfsgelder sollen in Afghanistan Projekte finanzieren – angeblich ohne Einflussnahme durch die Taliban. Doch das ist unrealistisch: Vielmehr sorgen dürftige Kontrollmechanismen dafür, dass Missbrauch und Korruption kaum feststellbar sind. Von Munawar Khan

IMAGO / ITAR-TASS
Der afghanische Außenminister Amir Khan Muttaqi bei einer Veranstaltung im russischen Kasan im Jahr 2023.

Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 hat die Bundesregierung über 400 Millionen Euro an Hilfsgeldern nach Afghanistan geschickt. „Hilfe für Afghanistan ohne Kooperation mit Taliban“ nennt dies das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Doch wer erhält dieses Geld eigentlich, wenn nicht mit der Taliban-Regierung kooperiert werden soll? Und wer kontrolliert die damit getätigten Ausgaben?

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Taliban-Sprecher Suhail Shaheen bestätigte diese Woche in einem Interview, dass die amtierende afghanische Regierung nicht über die Hilfsgelder aus Deutschland und den Vereinten Nationen verfüge. Das Geld fließe direkt an bestimmte Nicht-Regierungs-Organisationen, die damit spezifische Projekte finanzieren würden. Auch wenn die Regierung keinen Einfluss auf die Ausgaben hätte, sei sie dankbar für das Engagement, das bei der Lösung der vielfältigen Probleme im Land helfe.

Doch es erscheint fraglich, dass die Taliban-Regierung keinerlei Zugang zu den Geldern haben soll. Denn schließlich obliegt ihr die politische Kontrolle über das Land und das dortige Geschehen. Projekte können nicht ohne die Genehmigung der politischen Stellen betrieben werden. Somit entscheiden die Taliban mindestens indirekt über die Verwendung der Hilfsgelder mit.

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Darüber, dass Teile der Gelder auch direkt abgezweigt werden, kann indes spekuliert werden. Denn nach dem Korruptions-Index von „Transparency International“ stand Afghanistan 2023 auf Rang 162 von 180 Staaten. Suhail Shaheen lastete dies allerdings vor allem der früheren afghanischen Regierung und deren Hinterlassenschaften an, deren diplomatische Vertretungen noch immer von den westlichen Regierungen anerkannt werden.

Das habe zum Beispiel zur Folge, dass viele bekannte Kriminelle legal nach Europa einreisen könnten und dann nicht wieder abgeschoben werden. Denn zum Einen werde mit der Taliban-Regierung nicht konsularisch kooperiert, zum Anderen werden mit ihr auch keine Abschiebeabkommen oder Regelungen zur Behandlung abgeschobener Straftäter ausgehandelt.

Stattdessen wenden sich viele afghanische Bürger für Dokumente an die diplomatischen Vertretungen Afghanistans in Europa. Dortige Mitarbeiter, die noch von der ehemaligen Regierung eingesetzt worden waren, verlangten angeblich für die Bearbeitung oft viel mehr Geld als gesetzlich vorgeschrieben. „Wenn die Gebühr beispielsweise 100 Dollar beträgt, verlangen sie 10000 Dollar und stecken alles in ihren eigenen Taschen. Außerdem werden in manchen Fällen Visa an Kriminelle vergeben“, sagte Suhail Shaheen.

Shaheen bezichtigt somit die europäischen Länder der indirekten Förderung der Korruption: „Die Konsulatsmitarbeiter arbeiten mit Agenten Hand in Hand. Beide nehmen zusätzlich zu den offiziellen Gebühren Geld und bereichern sich persönlich daran. In bestimmten Fällen haben sie sogar die offizielle Gebühr, die der Regierung zusteht, selbst eingesteckt.“ Auch zur Verschleierung dieser Machenschaften würden dem afghanischen Außeministerium keine Berichte darüber erteilt, wie viele Visa eigentlich erteilt und welche Dokumente an wen ausgestellt wurden.

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Was bei den Gebühren für Dokumente anfängt, setzt sich bei den Hilfsgeldern für NGOs fort. Auf zwei Ende 2023 und Anfang 2024 gestellte Kleine Anfragen im Bundestag antwortete die Bundesregierung auf die Frage nach Geldflüssen an die Taliban-Regierung durch deutsche Hilfsgelder: „Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem Gelder der Bundesregierung an die De-facto-Regierung geflossen sind.“

Bezüglich eines Projekts der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zur „Förderung der beruflichen Bildung“ antwortete die Bundesregierung, dieses diene der „Ausbildung von Hebammen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Orthopädietechnikmechanikerinnen und -mechanikern sowie der Fort- und Weiterbildung in traditionellen Handwerksberufen“. Die Umsetzung der Maßnahme vor Ort erfolge „ausschließlich über sieben Nichtregierungsorganisationen (NROs) auf Basis von Finanzierungsverträgen“. Um die Projekte, ihre Umsetzung und das Personal vor Ort „durch Kenntnisnahme Unbefugter“ nicht zu gefährden, würden aber die Namen der Organisationen nur dem Deutschen Bundestag im Rahmen seines privilegierten Auskunftsrechts zur Verfügung gestellt. Eine öffentliche Nennung der lokalen Partner sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Auch über die Personalzusammensetzung in Afghanistan könne die Bundesregierung aus Sicherheitsgründen keine Auskunft geben.

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Zum Stand des Projekts gefragt, kam Anfang des Jahres folgende Antwort: „Der Bundesregierung liegt noch kein Projektfortschrittsbericht zu dem Vorhaben vor. Dieser wird bis Ende März 2024 erwartet. Der Bericht wird nicht veröffentlicht. Das BMZ erhält durch regelmäßige Treffen mit der Durchführungsorganisation GIZ mündlich Informationen zum Stand der Projekte in Afghanistan.“ Der Bundesregierung seien „bis dato keine Mittelfehlverwendungen im Rahmen des Projekts gemeldet worden“. Die Partnerorganisationen würden aber darauf verpflichtet, keine Projektgelder über die De-facto-Regierung zu leiten und Versuche der Einflussnahme zu melden. Alle Partnerorganisationen der Bundesregierung hätten „interne Kontrollmechanismen zur Überprüfung der Mittelverwendung“.

Das heißt konkret, dass die Organisationen, an die Millionenbeträge an deutschen Steuergeldern fließen, der Öffentlichkeit nicht genannt werden. Diese Organisationen kontrollieren nur intern, wie die an sie fließenden Mittel verwendet werden. Das Bundesministerium erhält zum Einsatz der Gelder und zu den Projekten nur mündlich Informationen über die GIZ.

Das Bruttonationaleinkommen eines Afghanen betrug 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 450 Euro pro Jahr. 400 Millionen Euro an deutschen Hilfsgeldern sind also ein hoher Geldbetrag für afghanische Verhältnisse. Dafür sind die Kontrollmechanismen dürftig. Es ist anzunehmen, dass einiges von diesem Geld in private und politische Taschen abgezweigt wird, die nicht in den offiziellen Projektberichten auftauchen.

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Kommentare ( 16 )

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Martin Mueller
1 Stunde her

Ich denke, es gibt genug arme deutsche Rentnerinnen, denen das Geld zusteht. Und wenn dann ein Euro übrig bleibt, kann er zur Weltrettung verwendet werden…
Alles andere ist Raub am deutschen Solidarvermögen…

Last edited 1 Stunde her by Martin Mueller
Kassandra
22 Minuten her
Antworten an  Martin Mueller

If your country can afford to give your money away to other countries, then your pay too much in taxes. Fact  https://x.com/WallStreetSilv/status/1836612986443842036

Raul Gutmann
12 Minuten her
Antworten an  Martin Mueller

Sehr geehrter Herr Müller, bitte vergessen Sie die deutschen Rentner nicht.
Ist es nicht auffällig, daß nahezu ausschließlich deutsche alte Menschen Flaschen sammeln? – Honi soit qui mal y pens
Hochachtungsvoll

Paul Brusselmans
3 Stunden her

Da dürfte die Dame aber Probleme bekommen. Es gibt da einen verbindlichen EU-Beschluss des Rates, der nur humanitäre Hilfen in engen Grenzen zulässt. Wieder erweist sich Deutschland als der unzuverlässigste Partner.

epigone
4 Stunden her

Ob man es mag oder nicht: Afghanistan hat die Regierung, die die Mehrheit der Bevölkerung offenbar toleriert oder sogar gut findet. Anders kann man den extrem raschen Zusammenbruch des alten, vom Westen installierten Regimes nur schwerlich begreifen. Daher halte ich es auch für vollkommen unangebracht und sogar feindselig, wenn man die diplomatischen Kontakte zur Taliban Regierung verweigert. Im übrigen ist die Einschätzung, was man als Korruption ansieht natürlich nach westlichen Maßstäben getroffen. In tribalistischen Kulturen, wie der afghanischen und praktisch allen muslimischen und schwarzafrikanischen Kulturen ist die bevorzugte Versorgung des eigenen Clans mit Mitteln und Gütern nicht nur Ehrensache sondern… Mehr

Last edited 4 Stunden her by epigone
Kassandra
20 Minuten her
Antworten an  epigone

Danke. Letztendlich ist es eine Einmischung des Westens wie in der Ukraine. Oder anderswo, wo ein Michael Roth von der spd aus dem Außenamt zum Stammgast als Redner der Opposition werden kann.

Kraichgau
4 Stunden her

da muss man gar nicht auf die Talibs abheben…ich war in mehreren middle east/asia staaten arbeiten,also real vor Ort und habe durchaus auch die GIZ getroffen,da mein Arbeitsfeld die internationalen Hotels dort waren.
in vielen Regionen stossen GIZ oder USAID Projekte zwar theoretisch an,die Umsetzung bleibt aber lokal und das bis zum Ende unkontrolliert,denn jeder „Kontrollbesuch“ wird weit im Vorraus angemeldet,was dann potemkische Dörfer befördert.
auch lustig,das man beim GIZ etc selbst für gut ausgebaute Städte wie Luxor nur die teuersten Benz Geländemobile braucht 🙂

Kassandra
15 Minuten her
Antworten an  Kraichgau

Da sie im Auftrag deutscher Unternehmen handeln scheint das schon schlau, mit dem, was winkt, wenn man sich dem Kapitalismus nähert, ins Blickfeld zu fahren – oder?
Das muss alles weg. Trump hat schon recht, wenn er die USA an erste Stelle setzt.
Bei uns haben wohl, wie von Arnim beschreibt, wohl welche seit Bestehen der Republik ihren Reibach mit Steuergeldern machen können.
Schon 2008 ist u. a. in „Die Deutschlandakte – Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun“ und wie und wie lange das entstandene System Land und Bürger schädigt darüber zu lesen. Inhaltsverzeichnis und erste Seiten hier: https://bilder.buecher.de/zusatz/33/33755/33755313_lese_1.pdf

Baron Fred
4 Stunden her

Und jetzt möchte der Taliban-Autor, der hier auf unsere Kosten lebt die Kontrolle über die Geldflüsse übergeben bekommen?
Keine Ahnung wer oder was Munawar Khan ist. Wird auch nicht gesagt. Ein sehr dubioser Artikel.
Fakt ist: Diese Verschwendung von Steuergeld an dubiose Regierungsorganisationen muss aufhören und die Verschwender vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden.

Kassandra
12 Minuten her
Antworten an  Baron Fred

Der Name scheint öfter vergeben. U.a. findet man jemanden, der mit Immobilien zu tun hat – aber auch einen „Illusionisten“

Raul Gutmann
4 Stunden her

…diene der „Ausbildung von Hebammen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Orthopädietechnikmechanikerinnen

… sowie, drängt es den gepeinigten deutschen Steuerzahler zynisch hinzuzufügen, der Ausbildung von Märchenerzählerinnen à la „Des Kaisers neue Kleider“.
Hebammen, Physiotherapeutinnen und Orthopädietechnikmechanikerinnen in Afghanistan?! – Sicher! Gelächter!

alter weisser Mann
5 Stunden her

Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt …
Die gleiche Bundesregierung, die an milliardenteure CO2-Minderungsprojekte in China glaubte? … die in den hamasregierten Gaza-Streifen zahlte? …ach so.

Flaneur
46 Minuten her
Antworten an  alter weisser Mann

„Kenntnis haben“ ist ein sogenanntes „Kontrolldelikt“, das gibt es nur, wenn man auch danach sucht. Wie mit den Drogenverkäufern in Berlin. Keine Kontrolle, keine Verkäufer. Zumindest offiziell.

Raul Gutmann
5 Stunden her

Zwei Leserkommentare zu Deutschlands Unterstützung Indiens U-Bahnen, die hier vorzüglich passen:
Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode, nämlich dem eigenen Volk zu schaden, wo es nur geht… (Martin Mueller)
Josef Fischer brachte es in den 90er Jahren auf den Punkt: „Das Geld der deutschen Steuerzahler muß in der ganzen Welt verteilt werden – egal ob das Geld für sinnvolle oder für -lose Projekte verwendet wird. Hauptsache, den Deutschen wird das Geld weggenommen.“ (Privat)
Und die Bürger stimmen dieser Politik in der Wahlkabine zu, DAS ist Demokratie.

Elmar
5 Stunden her

Wer wissen will, wie erfolgreich Hilfe aus Deutschland für Afghanistan funktioniert, sollte sich noch einmal mit dem Projekt Straßenbeleuchtung für Kabul befassen.

Kassandra
5 Minuten her
Antworten an  Elmar

Ja. Das scheint das in der Doku gut recherchierte Muttermodell für all das, was sie uns in den Ressorts seit Zeiten „verkaufen“. Seit den 60er Jahren fließt Entwicklungshilfe. Und wie davon Millionen, inzwischen Milliarden, nicht nur aus Afghanistan wieder retour fließen und in schwarzen Löchern verschwinden, zeigt diese wdr-Doku aus 2009: „Die teuerste Ampel der Welt – dunkle Geschäfte mit Entwicklungshilfe“ https://www.youtube.com/watch?v=vSL1xTI2DH0 Dass sie auch dort Hawala (ab min. 31:00) kennen ist bekannt – und dass das auch das Außenamt zu Transfers nutzt, ebenso. Wo dieses Deutschland hinsichtlich Korruption einzuordnen sein wird – lassen Sie uns nachdem sie den Film… Mehr