Die Emotionen schlagen beim Thema Homo-Ehe haushohe Wellen – dafür und dagegen. Mehr Klarheit in einen solchen Schlagabtausch zu bringen, ist schwer, weil beide Seiten keine Argumente hören wollen, sondern „Bekenntnisse“. Der Bekenntnis-Druck ist in unseren Tagen nicht nur beim Thema Homo-Ehe groß, aber hier im Übermaß. Wobei wenigen auffällt, dass diese Bekenntnis-Inflation zu einem drastischen Wertverlust der Währung Bekenntnis führen muss. Wo man sich zur PKW-Maut ebenso „bekennt“ wie zur europäischen Wertegemeinschaft, zur Freiheit ebenso wie zur Freizeit, werden Bekenntnisse wertlos.
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Die neue Form von Ehe-Krieg erinnert mich an den Streit über die Wehrpflicht. Als sie im Volk längst die Unterstützung der Mehrheit verloren hatte, hielt die Politik noch immer daran fest: aber nicht wegen des Wehrdienstes, sondern des Zivildienstes. Die billigen Hilfskräfte in vielen sozialen Diensten wurden für unersetzbar gehalten. Hat jemand von einem Mangel an Freiwilligen bei Rettungsdiensten, in Alten- und Pflegeheimen usw. seit Abschaffung der Wehrpflicht gehört? Im Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) gibt es nicht mehr Geld als früher im zivilen Ersatzdienst. Die Skepsis vieler Politiker erwies sich als ungerechtfertigt, Bufdis gibt es mehr als nötig. Der freiwillige Dienst kann sechs bis 24 Monate dauern und entpuppt sich zusätzlich als Berufsfindungsphase. Nun ist die Ehe unabhängig davon, was die Widerstreitenden damit meinen, kein gesetzlich vorgeschriebener Wehr- oder Zivildienst. Aber die Bedeutung und Kraft der freiwilligen Selbstverpflichtung zweier Menschen jeden Geschlechts zu einander zu stehen und für einander einzustehen, ein Leben lang oder für Lebensabschnitte, suche ich im lautstarken Stimmengewirr des Ehe-Streits vergeblich.
Die Zivilehe als säkulares Sakrament
Fangen wir doch vorne an. Im Deutschen Reich löste die obligatorische Zivilehe 1875 das Monopol der Staatskirchen der einzelnen deutschen Länder auf die legale Ehe ab. Es lohnt daran zu erinnern, dass nur Angehörige der jeweiligen Staatskirche getraut wurden, Andersgläubigen blieb nur die illegale Gemeinschaft, die Wilde Ehe. Der Titel im Deutschen Reichsgesetzblatt vom Februar 1875 sagt, worum es geht: „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“. Die bürokratische Beurkundung hatte bis dorthin bei den Kirchen gelegen, sie führten die Tauf-, Heirats- und Sterbe-Matrikel. Die Kirche war Standesamt. Ganz im Geiste des Napoleonischen Code Civil begründet seit 1875 allein die Zivilehe den Rechtsstatus, die kirchliche Trauung wurde zum rein privaten religiösen Akt. Kirchlich durfte fortan nur noch heiraten, wer vorher „standesamtlich“ getraut worden war. Im Laufe der Zeit gaben evangelische Kirchen die eigenständige kirchliche Trauung auf und „segneten“ stattdessen die zivilrechtlich Verheiraten. Und alle Standesbeamten bemühen sich seither redlich, bei der Trauung den Pfarrern einen Feierlichkeits-Wettbewerb zu liefern. Die „Jugendweihe“ in DDR-Tradition kommt einem in den Sinn. Beide sind gewissermaßen säkulare Sakramente.
Vielen verborgen geblieben dürfte eine Rechtsänderung sein, mit der Deutschland meiner Kenntnis nach weltweit ziemlich allein dasteht: Seit 2009 darf ein Paar wieder ohne vorherigen staatlichen Eheschluss kirchlich heiraten: auch ohne die Absicht der zivilrechtlichen Bindung. Damit stehen die kirchliche Trauung als privat vor Gott abgegebenes Versprechen „bis dass der Tod uns scheidet“ und die staatliche Beurkundung ohne Dauerverpflichtung völlig getrennt nebeneinander. Wer sich allein kirchlich traute, verzichtet auf die Rechte und Privilegien im Steuerrecht und anderswo, die nur zivilrechtlich Verbundene in Anspruch nehmen können. Lediglich kirchlich Getraute sind nach ihrem und der Kirche Verständnis eine Ehe, nicht aber für den Staat: Nach Recht und Gesetz sind sie eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, eine Wilde Ehe. Mit erheblichen Folgen: kein Erbrecht, kein Unterhalt beim Scheitern der Ehe, kein Zugewinnausgleich, kein Steuerfreibetrag, kein Zeugnisverweigerungsrecht – keine Partnerrechte bei der Organtransplantation, bei lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen und der Totensorge.
Weshalb die große Koalition bei der Änderung des Personenstandrechts 2008 das Verbot gestrichen hat, ohne vorherige standesamtliche Trauung kirchlich zu heiraten, scheint niemand zu wissen, nicht einmal Familien- und Kirchenrechtler. Und beide christlichen Kirchen wollen es am liebsten bei der gewohnten Folge, erst Standesamt, dann Kirche lassen: Die Evangelische, weil sie die Zivilehe „segnen“ statt ersetzen will, die Katholische, weil sie Haftungsfolgen beim Scheitern der „nur“ kirchlichen Ehe scheut. Ein Treppenwitz bleibt es trotzdem, dass Bismarcks lauter Kulturkampf, den er zusammen mit den Liberalen gegen die Katholische Kirche führte, 2008 in einer Nacht-und-Nebel-Gesetzgebung lautlos zu Ende ging. Denn eine Aussprache dazu fand im Bundestag nicht statt.
Ehebruch war bis 1969 strafbar
Die Anglikanische Kirche verdankt ihre Existenz der Weigerung eines Papstes, einen englischen König von seiner politischen Ehe zu befreien. Dem Anglikanischen Klerus erspart das den Zölibat. Die letzten Nachwirkungen des heiligen Sakraments der unauflöslichen Ehe der Katholischen Kirche auch im Zivilrecht enden in unseren Tagen. Wer erinnert sich noch daran, wie lange die unauflösliche Ehe auch die Grundlage der Zivilehe blieb? Ehebruch war bis 1969 strafbar. Einvernehmlich trennen ging nur, wenn sie oder er eine – oft konstruierte – Schuld auf sich nahm. Leisten konnten sich Frauen die Scheidung ohnedies nicht, weil sie wirtschaftlich vom Mann völlig abhängig waren. Heute geht die Entwicklung eindeutig dahin, dass Frauen genauso selbstverständlich einem Beruf nachgehen wie Männer. Das kann für Kinder nur eine Folge haben, über deren Wirkungen die Meinungen sehr auseinandergehen, aber denkwürdiger Weise nicht annähernd solche Bugwellen erzeugen wie die Homo-Ehe.
Kindererziehung an den Staat delegiert – Privilegien streichen
Kindererziehung verlässt den Ort Elternhaus. Die Zeit, die Kinder zuhause verbringen, sinkt weiter mit hohem Tempo. Zwischen Geburt und Krabbelstube oder Krippe liegen Monate, nicht mehr Jahre wie noch gestern bis zum Kindergarten. Kita und Ganztagsschule werden Standard. Was das bedeutet, haben viele noch gar nicht als Frage erkannt, geschweige Antworten zur Hand. Aber für das Thema der bisherigen Privilegierung der bisherigen Zivilehe kann das ebenso wenig ohne Folgen bleiben wie ihr anderer grundlegender Wandel. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist von der Familie als Keimzelle des Staates die Rede. In meinem Bild ist die Familie die Keimzelle der Gesellschaft. Aber ich verstehe die Staatssicht der Verfassungsrichter schon. Die Familie, vor allem die Frau erbrachte gesellschaftliche Dienstleistungen, die der Staat nun in dem Ausmaß übernehmen muss, in dem Familien sich in ihrem Charakter verändern und diese Leistungen immer weniger erbringen. Es kommt nicht darauf an, ob ich und andere das mögen oder nicht, es geschieht vor unseren Augen.
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Dann aber ist es Zeit, die Privilegien zu streichen, die der Staat unter der Überschrift Schutz von Ehe und Familie vor allem im Steuerrecht, aber noch an vielen anderen Stellen errichtet hat. Privilegien für Ehen mit Kindern auf Kinderlose auszuweiten, war schon inkonsequent – wer will, kann auch ungerecht sagen. Unter den veränderten Bedingungen der Vervielfachung der Zusammensetzung von Partnerschaften und ihrer in der Regel zeitlich befristeten Lebensdauer spricht alles für die Abschaffung der bisherigen Zivilehe als säkulares Sakrament. Mehr als jede dritte Ehe wird heute schon geschieden. Wie lange dauert es noch, bis es jede zweite wird? Und denken wir bitte an jene Partnerschaften und Wahlverwandtschaften wie Alters-WGs: der Phantasie keine Grenzen.
Ein Selbstbedienungs-Standesregister
Ich schlage ein öffentliches Standesregister vor, in das sich jede und jeder jeglichen Geschlechts einträgt und austrägt; Online am besten. Das spart Standesämter. Für den Bedarf an Ritualen wie Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen habe ich jedes Verständnis. Wer will, nehme die Angebote seiner Kirche in Anspruch oder beauftrage eine Event-Agentur. Zurück zum öffentlichen Standesregister: Welche rechtlichen Verpflichtungen Menschen für welche eingehen, befristet oder unbefristet, mögen bitte alle individuell selbst beurkunden. Sozusagen in einem Multiple-Choice von Partner-Vertrag, rechtlich einklagbar. Unterhaltspflichten für Kinder, leiblich eigene wie adoptierte müssen wie bisher allgemeiner Gesetzgebung und Rechtsprechung obliegen und können nicht „abgewählt“ werden.
Was im öffentlichen Streit volles Adoptionsrecht genannt wird, sollten wir bitte getrennt diskutieren. Das Adoptionsrecht als Keule im Kampf für und gegen die Homo-Ehe verbietet sich angesichts des Stellenwerts der Kindeserziehung. Ich traue mir ein abschließendes Urteil nicht zu, wir wissen nicht nur zu wenig, mehr können wir noch gar nicht wissen. Was ich weiß, ist, wie dieser Streit ausgeht. Das volle Adoptionsrecht kommt. Ich sehe niemanden in der politischen Arena, der sich diesem Meinungswandel am Ende nicht anschließt. Die Entscheidung einer so tief katholischen Gesellschaft wie Irland ist ein klares Indiz für den Geist der Zeit.
Von der staatlichen Beurkundung des Personenstandes, den Bismarck im Kulturkampf den Kirchen wegnahm, bis zur staatlichen Privilegierung der Zivilehe im Steuer- und Sozialstaat führte ein gerader Weg. Während die staatliche Förderung der herkömmlichen Ehe und Familie ausgebaut wurde, verlor diese Keimzelle der Gesellschaft immer mehr ihrer einst zentralen Rolle. Der Zugang zu allen staatlichen Rechten und Privilegien spielt in der Forderung nach der Zivilehe in allen verschiedenen geschlechtlichen Zusammensetzungen eine wichtige Rolle. Aber auf die Kombination der alten staatlichen Privilegien der Ehe mit der Delegation der Kindererziehung und Altenbetreuung an den Staat, für die es diese Privilegien gibt, kann die Gesellschaft keine Zukunft bauen, lässt sich kein Staat machen. Privilegien ohne Gegenleistung wäre keine Gerechtigkeit, was immer wer darunter verstehen will in unserer Zivilreligion.
Beziehungs- und Gemeinschafts-Vielfalt
Vom Ende der traditionellen Ehe und Familie wird spätestens seit 1968 geredet. Beide sind immer noch die vorherrschende Gemeinschaftsform, auch wenn Zahl und Gestalt anderer, informeller, unverbindlicherer Partnerschaften hinzutreten. Immer mehr leben viele Jahre zusammen, mit und ohne Kinder, und heiraten erst spät danach. Die weiter zunehmenden Scheidungsraten machen die Scheidung zur Normalität. Die lebenslange Ehe ist schon heute die Ausnahme. Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden und das offen sagen, treffe ich immer öfter. Zuerst schieben andere das Kinderkriegen auf, um die ersten Stufen auf der Karriereleiter unbelastet nehmen zu können. Bei vielen von ihnen gilt danach die Priorität einem anderen Aufschubgrund: das Haus, die Wohnung, die Ferienwohnung, die Weltreise. Und irgendwann ist es einfach zu spät oder sie trennen sich. Andere entscheiden sich nach Jahren tatsächlich für Kinder mit der Folge, dass Frauen oft mit 40 und älter Kinder kriegen. Ob „alte“ oder „junge“ Eltern besser sind, debattieren Experten bis heute ohne eindeutige Ergebnisse.
Der massenhafte Umzug der Landbevölkerung in die Arbeiterviertel der entstehenden Industrie markiert das Ende der Großfamilie. Von da führt ein gerader Weg zur Ehe mit zwei, drei Kindern, dem Vater als Alleinverdiener und der sogenannten Hausfrau. Früher als viele meinen, begann diese Hausfrau selbst hinzuzuerwerben. Bald sind alle Frauen und Männer berufstätig. Dass er oder sie als alleinige Aufgabe ihren Haushalt mit und ohne Kinder managen, wird zeitlich befristet häufiger, als Dauerlösung seltene Ausnahme. Wohnformen, die es mehreren Paaren erlauben, wie in WGs, Wohngemeinschaften, teilweise gemeinschaftlich, teilweise getrennt zu leben, sind Gegenstand von kreativen Architekten. Der Blick nach Asien zeigt das Nebeneinander des Wohnens in Kleinstgrößen, die uns Europäern (noch) völlig inakzeptabel erscheinen, und von Größtwohnungen, die auf Hochhausdächern Villen mit Gartenanlagen sind, zu denen man im Autolift nach oben fährt.
Die Formen des Zusammenlebens werden auch im Jahre 2050 den Formen des Arbeitens folgen und daher vielfältig, flexibel und ständig im Fluss sein. Das wird neue Freiräume schaffen, vielfältige Entwürfe ermöglichen und damit viele unterschiedliche Wahlmöglichkeiten von Partnerschaften. Die lebenslange Einehe wird dabei sein – als moralisches Luxusmodell. Die Zivilehe als privilegierter Zugang zu den Segnungen des Wohlfahrtsstaats wird obsolet, weil die Megacity von 2050 das komplett neu organisiert, was wir heute Sozialstaat nennen. Aber das ist eine andere Geschichte.
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