Weniger glauben

Ohne eine wirklich grundlegende Strukturänderung der politischen Willensbildung, Auflösung des Parteienkartells und Herstellung einer echten Gewaltenteilung ist keine Besserung möglich.

© Sean Gallup/Getty Images

Mit den Mitgliedern und Anhängern der Grünen war es an deren Anfang genau so wie viel später bei den Piraten und dann der AfD: wie bei neuen Parteien immer. Sie fielen nicht vom Himmel, sondern kamen enttäuscht aus anderen Parteien und als deren gewesene Anhänger. Das hätte die SPD davon abhalten sollen, mit den frühen Grünen damals so dachlattenartig (Holger Börner) umzugehen wie heute die CDU mit der AfD.

Die meisten AfD-Leute zählten vorher zur CDU. Dass sie dieser lange ziemlich und weitgehend vertraut haben, hält erstaunlich viele nicht davon ab, nun der AfD mit der gleichen Gläubigkeit zu begegnen wie einst der CDU.

Ein paar mal habe ich geschrieben, dass ich mir von Parteien nichts erwarten kann, die im engmaschigen Machtgeflecht des deutschen Parteiensystems keine Chance haben, an eben diesem System, das alle staatlichen und halbstaatlichen Strukturen in Besitz genommen hat, etwas Erwähnenswertes auszurichten. Anhänger von neuen Parteien wollen das nicht hören. Wo die AfD in Landtagen vertreten ist, hätte sie sich der korrumpierenden Kraft der versteckten Sonderbezahlung von Fraktionsspitzen zu verweigern und diese offenzulegen. Hat sie nicht, steckt also ein Stück weit schon im System.

Hans Herbert von Arnim mit neuem Buch
Die Hebel der Macht und wer sie bedient
Auch die Grünen haben sich diesem System nicht besonders lange verweigert. Es ist lange her, dass sie ernsthaft versucht haben, sich den älteren Parteien nicht anzupassen. Inzwischen übertreffen sie die anderen bei der Organisation von immer neuen Zugängen zu Steuergeldern für ein unübersehbares Netz von Projekten und Personen, die davon leben. Es gibt taktische Wähler, die Masse stellen sie nicht. Diese sagen, erst mal AfD wählen, damit die anderen sich ändern und Personen austauschen müssen. Wenn die neue Partei dann so ist wie die alten, ziehen wir eben weiter. Es sind zum Teil dieselben, die nun sagen, wir wollen weder die SPD noch Schulz, aber wenn wir Merkel anders nicht wegkriegen, dann eben so.

Im politischen Spektrum gibt es keine Kraft, die sich für einen Systemwechsel vom exzessivem Parteienstaat weg hin zu einer stark dezentralen Politikstruktur einsetzt mit einem intelligenten Mix aus viel „politikloser“ Gesellschaft in echter „kommunaler Selbstverwaltung“, direktdemokratischen Elementen auf allen Ebenen und dem Übergang zur direkten Personenwahl ohne dazwischen geschaltete Parteien.

Bei den nächsten Folgen meiner Besprechungsserie der umfassenden Analyse von Hans Herbert von Arnim – „Die Hebel der Macht und wer sie bedient“ – komme ich darauf zurück. Leider ist es deutsche Wissenschafts-Tradition, sich einer Sprache zu bedienen, die so viel Juristen- und Behördendeutsch, soviel fachchinesisch hat (Marcel Zhu wird verzeihen), dass sie nicht von vielen gelesen werden. Angelsächsische Wissenschaftler schreiben erzählerisch, witzig, bildlich – laden zum Lesen ein. Ich werde mich als „Dolmetscher“ bemühen.

Ohne eine wirklich grundlegende Strukturänderung der politischen Willensbildung, Auflösung des Parteienkartells und Herstellung einer echten Gewaltenteilung ist keine Besserung möglich. Solange der Anteil der „Gläubigen“ in der Gesellschaft so hoch ist, kann sich nichts ändern. Und? Werden etliche sagen.

Warum fangen wir nicht an, über Wege aus der Sackgasse zu diskutieren? Auf Tichys Einblick gibt es täglich viele Leser, die selbst Vieles beizutragen haben. Wenn sogar schon die NZZ ihre Kommentar-Funktion einschränkt, fühlen Sie sich doch bitte eingeladen, ihre Vorschläge, Ideen und Hinweise noch zu intensivieren. Zusammenstellungen Ihrer Gedanken werden wir gerne immer wieder allen bekannt machen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntagabend.

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