Gesunkene US-Inflation beflügelt Zinshoffnungen

Anhaltende Zinssenkungshoffnungen nach frischen Konjunkturdaten versetzten die Wall Street am Freitag abermals in Rekordlaune. Erstmals seit Mai beteiligte sich auch der Leitindex Dow Jones Industrial wieder an der Jagd nach Höchstständen. Die zum Wochenschluss veröffentlichten Konjunkturdaten deuteten Beobachtern zufolge unter dem Strich weiterhin darauf hin, dass die Leitzinsen eher früher als später sinken dürften.

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„Wer in Deutschland laut über Steuersenkungen nachdenkt, muss sich auf atemlosen, zornigen Widerspruch einstellen“, spottete die „Neue Zürcher Zeitung“ in der vergangenen Woche. In der Tat wurden Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner in den vergangenen Tagen an diese Tatsache erinnert. Ihr Vorschlag, ausländische Fachkräfte mit Steuervergünstigungen ins Land zu locken, stieß auf breite Ablehnung – von rechts bis links. Bei den Überlegungen handelt es sich zwar auch um „Inländer-Diskriminierung“ (die frühere Ernährungsministerin Julia Klöckner, CDU) und „gesellschaftlichen Zündstoff“ (die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, SPD), aber in erster Linie zeigen sie das Scheitern der deutschen Steuer- und Abgabenpolitik. Die hat – das zeigen die Vergleiche der OECD, die Deutschland regelmäßig an der Spitze zeigen – inzwischen jedes Maß verloren und macht das Land nicht nur für ausländische Arbeitskräfte unattraktiv. Eine Korrektur gerade für die hier ansässigen Arbeitskräfte ist überfällig. Sogar der grüne Wirtschaftsminister Habeck hat nun offensichtlich gemerkt, dass der übergriffige Fiskus zu einem Problem für den Standort Deutschland geworden ist. Die ideologische Verbohrtheit führt ihn aber wieder einmal zum falschen Schluss: Die eine oder andere Fachkraft mag man mit einem Steuerbonus ins Land locken, aber die Leistungsbereitschaft in diesem Land wird durch die Tatsache gebremst, dass der Spitzensteuersatz bereits ab einem Jahresbruttoeinkommen von 66 761 Euro fällig wird, also etwa dem anderthalbfachen des Durchschnittsverdienstes. 1965 setzte er etwa bei 15-fachen des Durchschnittseinkommens ein. Mit der obersten Progressionsstufe werden heute also nicht mehr die oberen Zehntausend ins Visier genommen, sondern die breite Mittelschicht. Kein Wunder also, dass nicht nur ausländische Fachkräfte nicht kommen, sondern inländische Fachkräfte dem Land den Rücken kehren. Der Saldo zwischen zu- und ausgewanderten Fachkräften – so eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung – ist deshalb durchgehend negativ. Um den Wanderungsverlust von Fachkräften nicht noch weiter zu verschärfen, kann das politische Programm deshalb nur lauten: Steuern runter für alle. „Das aber“, so kommentieren die eingangs zitierten Kollegen aus Zürich süffisant, „würde ein weiteres Eingeständnis der Regierungskoalition voraussetzen: dass sich nämlich der Staat mit seinen Ausgaben zurücknehmen muss.“ Und davon sind Habeck, Lindner und ihre Kabinettskollegen, wie jedermann sehen kann, Lichtjahre entfernt.

Die Börsen lassen sich gleichwohl nicht beirren. Anhaltende Zinssenkungshoffnungen nach frischen Konjunkturdaten versetzten die Wall Street am Freitag abermals in Rekordlaune. Erstmals seit Mai beteiligte sich auch der Leitindex Dow Jones Industrial wieder an der Jagd nach Höchstständen. Zudem erreichte der breit aufgestellte S&P 500 ein Rekordhoch. Die wichtigsten Technologie-Indizes zogen zwar etwas an, nachdem sie am Vortag noch unter Gewinnmitnahmen gelitten hatten. Für das Erreichen von Höchstmarken aber reichte der Schwung diesmal nicht. Der Dow schloss 0,6 Prozent höher bei 40.001 Punkten. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Plus von 1,6 Prozent. Der S&P 500 gewann am Freitag knapp 0,6 Prozent auf 5.615 Punkte. Im Technologiebereich stieg der Nasdaq 100 ebenfalls um knapp 0,6 Prozent auf 20.331 Punkte.

Die zum Wochenschluss veröffentlichten Konjunkturdaten deuteten Beobachtern zufolge unter dem Strich weiterhin darauf hin, dass die Leitzinsen eher früher als später sinken dürften. Zwar hatten die Erzeugerpreise im vergangenen Monat mehr zugelegt als prognostiziert. Allerdings wog schwerer, dass sich die von der Universität Michigan erhobene Stimmung der Verbraucher im Juli unerwartet eingetrübt hatte. Zudem sanken deren längerfristige Inflationserwartungen leicht auf 2,9 Prozent, wohingegen Analysten im Schnitt einen unveränderten Wert von drei Prozent prognostiziert hatten.

Nach Auffassung des Volkswirts Thomas Ryan von Capital Economics ist der erneute Rückgang des Verbrauchervertrauensindex der Universität Michigan ein weiterer Beleg dafür, dass die Konsumenten zunehmend mit den hohen Zinsen zu kämpfen haben. Obwohl der Zusammenhang zwischen Vertrauen und privatem Verbrauch in den letzten Jahren eher locker gewesen sei, erhöhe das schwache Stimmungsniveau das Risiko, dass das Konsumwachstum nach einer anscheinend schwachen ersten Jahreshälfte gedämpft bleibe.

Unter den Einzelwerten standen Geschäftszahlen aus dem Bankensektor im Fokus. So hatte das größte US-Geldhaus JPMorgan zwar den Gewinn im zweiten Quartal gesteigert. Das lag aber an einem Buchgewinn im Zusammengang mit der Umstrukturierung der Beteiligung von JPMorgan an dem Kreditkartenriesen Visa . Die Anleger überzeugte das offenbar nicht, zumal die Risikovorsorge für Kreditausfälle erhöht wurde. Die Aktien der Bank fielen am Dow-Ende um mehr als ein Prozent.

Gut laufende Geschäfte etwa im Investmentbanking rund um Anleiheemissionen und Börsengänge hatten zwar der Citigroup im zweiten Quartal einen Gewinnanstieg beschert. Wegen regulatorischer Strafen rechnet das Institut aber nun mit Blick auf das Gesamtjahr mit Kosten eher am oberen Ende der selbstgesetzten Spanne. Die Aktien verloren fast zwei Prozent. Auch Wells Fargo ringt offensichtlich mit anziehenden Kosten. Hier mussten die Anleger ein Minus von sechs Prozent verkraften. Die Aktien waren damit das Schlusslicht im S&P 500.

Für ein positives Ausrufezeichen sorgte die Bank of New York Mellon, deren Papiere um gut fünf Prozent anzogen. Die älteste Bank der USA hatte beim bereinigten Gewinn je Aktie die Markterwartung übertroffen. Alles in allem habe das Finanzinstitut stark abgeschnitten, urteilten die Analysten der kanadischen Bank RBC.

Am Devisenmarkt profitierte der Euro von der schwachen Verbraucherstimmung in den USA und notierte zuletzt bei 1,0906 US-Dollar. Am US-Anleihenmarkt legten Staatspapiere etwas zu. Die Rendite zehnjähriger Staatspapiere fiel auf 4,18 Prozent.

Zuvor war schon der deutsche Aktienmarkt den dritten Tag in Folge gestiegen. Die Hoffnung auf sinkende Zinsen ließ den Dax am Nachmittag auf den höchsten Stand seit fünf Wochen steigen. Er schloss knapp 1,2 Prozent höher bei 18.748 Punkten. Daraus resultierte für den Leitindex ein Wochengewinn von rund anderthalb Prozent. Damit fehlen dem Börsenbarometer nur noch gut 100 Punkte bis zu seinem Rekordhoch von Mitte Mai. Für den MDax ging es letztlich um 0,6 Prozent auf 25.904 Zähler nach oben.

Unter den Einzelwerten im Dax gewannen MTU Aero Engines 2,6 Prozent auf 251,60 Euro. Die US-Bank Jefferies hatte ein Kursziel von 300 Euro für die Papiere des Triebwerksherstellers ausgerufen und zum Kauf geraten.
Im MDax sackten die Aktien von Lufthansa nach einer Gewinnwarnung zwischenzeitlich um bis zu 3,8 Prozent ab, erholten sich jedoch im späten Handel und endeten mit einem Plus von 0,8 Prozent. Die Fluggesellschaft reduzierte nach einem deutlichen Gewinnrückgang im zweiten Quartal das Ziel für das operative Ergebnis 2024.

Der Internetdienstleister Ionos stutzte nach den ersten sechs Monaten sein Umsatzziel für das Gesamtjahr zurecht. Die Aktie fiel als SDax-Schlusslicht um 8,4 Prozent.

Redcare Pharmacy erholten sich mit plus 3,3 Prozent etwas von dem deutlichen Rücksetzer am Vortag. Bei Gerresheimer, Süss Microtec und Fielmann wurden Gewinnmitnahmen registriert. Süss Microtec gaben mit 7,4 Prozent am stärksten nach. Alle drei Aktien hatten am Vortag kräftig zugelegt.

Am Anleihenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,57 Prozent am Donnerstag auf 2,53 Prozent.

Der deutsche Aktienmarkt dürfte sich in der neuen Woche im Spannungsfeld zwischen einem zunehmenden Zinsoptimismus und Befürchtungen einer enttäuschenden Berichtssaison der Unternehmen bewegen. Zugleich könnte es wegen der beginnenden Urlaubssaison ruhiger zugehen.
Nach den unerwartet niedrig ausgefallenen US-Inflationsdaten am vergangenen Donnerstag ist nahezu allen Fachleuten zufolge eine erste Zinssenkung in den Vereinigten Staaten noch im September wahrscheinlicher geworden. „Auf ihrer Sitzung am 31. Juli dürfte die Federal Reserve zwar noch nicht an der Zinsschraube drehen. Der Weg für eine Leitzinswende auf der September-Sitzung scheint nun jedoch frei“, konstatierte Uwe Streich, Aktienstratege der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Einige Indikatoren ließen jedoch befürchten, dass die lange Zeit robuste US-Konjunktur inzwischen schwächele. Die Anleger fürchteten deshalb, dass die jetzt begonnene Quartalsberichtssaison der Unternehmen enttäuschen könnte. Dies könnte insbesondere für die Megacaps aus dem Tech-Sektor gelten, welche den breit gefächerten Index S&P 500 zuletzt auf Rekordjagd trieben, glaubt Streich.
Die Marktteilnehmer dürften vor allem bewerten, ob die Kursgewinne der vergangenen Wochen und Monate im Tech-Sektor durch die Ergebnisse und Geschäftsausblicke gerechtfertigt werden können, bemerkten die Experten der DZ Bank. Enttäuschungen bei den von den Hoffnungen rund um Künstliche Intelligenz verwöhnten Tech-Giganten könnten entsprechend ihrer hohen Gewichtung für den Gesamtindex ein Schwankungstreiber sein.
„Diesseits wie jenseits des Atlantiks gilt, dass die saisonal typische Sommerflaute nun unmittelbar bevorstehen dürfte“, sagte Streich. „Deren Dauer wie Ausmaß hängen nicht zuletzt auch von der jeweils vorherrschenden Stimmung an den Märkten ab: Ist sie angeknackst, nehmen die Anleger sinkende Kurse vielfach zum Anlass, ihrerseits jetzt ebenfalls schwindende Gewinne zu sichern, bevor die Kurse möglicherweise noch stärker sinken. Ist sie hingegen gut, empfinden sie Dips stattdessen oftmals als Kaufgelegenheiten und steigen zügig wieder ein“.

Nach Aussage von Thorsten Weinelt, Investmentchef bei der Commerzbank, erwarten die Investoren von den im S&P 500 vertretenen Unternehmen im zweiten Quartal ein Gewinnwachstum von durchschnittlich sieben Prozent, was einer recht hohen Messlatte entspreche. Bei den großen US-Technologiekonzernen werde gar mit einem Gewinnwachstum von mehr als 20 Prozent gerechnet.

In der neuen Woche startet Sartorius am Freitag die Berichtssaison unter den Dax-Unternehmen. In Europa stehen unter anderem die Zahlen von Richemont , ASML , Burberry , Rio Tinto , BHP Group und Anglo American auf der Agenda.

In den USA werden unter anderem Goldman Sachs , Bank of America , Morgan Stanley, Johnson & Johnson, Netflix und American Express über ihre jüngste Geschäftsentwicklung berichten.

Aus Konjunktursicht richten sich die Blicke in der neuen Woche vor allem auf China, wo unter anderem das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal, die Industrieproduktion sowie Einzelhandelszahlen anstehen. Zudem rücken deutsche und US-amerikanische Einzelhandelsumsätze sowie Daten zum dortigen Immobiliensektor und zur Industrieproduktion der Vereinigten Staaten in den Fokus.
Am Mittwochabend veröffentlicht die US-Notenbank ihren als „Beige Book“ bezeichneten Konjunkturbericht, gefolgt von der Sitzung der Europäischen Zentralbank am Donnerstag. „Nach der ersten Zinssenkung bei der vorausgegangenen Sitzung dürften Lagarde & Co. die Leitzinsen dieses Mal unverändert lassen“, erwarten die Experten von LBBW.

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Kommentare ( 6 )

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Johny
5 Monate her

Die USA werden Ende 2024 – wenn der Zentralbankzins so bleibt – etwa 1,6 Billionen Dollar nur Zinsen an die Gläubiger zahlen, die Zinszahlungen sind dann der größte Posten im US- Haushalt. Absetzbewegungen aus dem Dollar finden längst statt. Man kann das Armageddon auch etwas hinausschieben, nur vermeiden lässt es sich nicht. Fast egal ob die Währung in digitaler Form oder mit Papier gehandelt wird – Das sind letztlich nur Förmlichkeiten.

Tiguan5N2014
5 Monate her
Antworten an  Johny

Und woher kommen die wahrhaft hellseherischen Fertigkeiten, dass dies passiert? Nur weil ein Land hohe Schulden hat sagt das gar nichts. Die Wirtschaftskraft ist entscheidend und da überholt die USA nicht nur Deutschland um ein vielfaches sondern alle Diktatorenländer der Welt. Freiheit schafft Wohlstand und Diktatur nur Leid. Lieber eine Demokratie mit Schulden als ein Land das von Diktatoren ausgebeutet wird und das Volk leidet.

Christian1
5 Monate her

Die Börsen in den USA steigen, da es seit gestern Grund gibt zu glauben, dass die Demokraten (Linke) bei der nächsten Wahl aus dem weißen Haus entfernt werden.

Tiguan5N2014
5 Monate her
Antworten an  Christian1

Eine mehr als abenteuerliche These. Nahezu immer war das Jahr der Präsidentenwahlen ein erfolgreiches Börsenjahr – egal wer gewählt wurde. Es gibt auch statistisch keinen Nachweis, dass ein bestimmter Präsident besonders gut oder schlecht für die Börse war. Lieber Christian1 das war eine These ohne Substanz!

Torsten99
5 Monate her

Etwas verwirrend, erst über die deutsche Steuerlast zu schreiben, um dann komplett in den USA zu verweilen.

Deutsche Steuerlast vom Brutto:
20%ESt, dann entweder 25%Kapitalertragssteuer oder 19%Mehrwertsteuer. In dem Nettopreis des Kunden sind noch alle Unterbehmenssteuern zwischen 25-30% entahlten
Steuerlast für den Verbraucher somit 70%. Schluß mit woken Wolkenkukucksheimen. Es darf nur noch Steuersenkungen geben.

Tiguan5N2014
5 Monate her

Aus der Ablehnung Ausländern Steuerminderungen zuzugestehen ein Scheitern der Finanz- und Wirtschaftpolitik der Regierung zu zimmern, ist schon ein starkes journalistisches Mißgeschick.