Die amerikanischen Internet-Riesen Amazon, Apple und Google zeigen, dass sie nicht davor zurückschrecken, Server von Unternehmen rigoros abzuschalten und mit den Daten anderer umzugehen wie Hütchenspieler. Twitter löscht den Account des Noch-Präsidenten Trump, der mit seinen Tweets übrigens das bis zu seinem Amtsantritt dahinsiechende Unternehmen erst groß gemacht hatte.
Der Online-Handelsriese Amazon feuert fast gleichzeitig den Messenger-Dienstleister »Parler« aus seiner Daten-Wolke. Dieses Unternehmen hatte sich in der Amazon-Cloud im Vertrauen darauf, dass der Konzern seinen Verpflichtungen nachkommt und zuverlässig hostet, eingemietet. Dabei verlegt es seinen wertvollsten Besitz – Programme und Daten – vollständig in die Hände eines anderen Unternehmens, in diesem Falle Amazons. Das Unternehmen ist nicht nur Onlinehändler, sondern mit seinen riesigen Rechenzentren ein Gigant unter den Cloud-Anbietern.
Aber Amazon wurde wortbrüchig und kündigte die Dienstleistungen. Für den vor zwei Jahren gegründeten Dienst Parler bedeutet das: Verlust sämtlicher Daten und der Geschäftsbasis. Der Dienst wird so lange nicht erreichbar sein, bis er einen neuen technischen Dienstleister gefunden hat, der nicht nur über die nötigen Kapazitäten verfügt, sondern auch hinreichend schnell an Datenleitungen angebunden ist. Die deutsche Aktivistenplattform Wikipedia änderte übrigens flugs ihren Eintrag ins Präteritum: »Parler war eine soziale Plattform«.
Doch in Wirklichkeit bedeutet dies einen Dammbruch, den man so noch nicht gesehen hatte und der nicht folgenlos bleiben wird. Die IT-Giganten haben ihren Sündenfall einmal begangen, sie werden es wieder tun. Kein Unternehmen, niemand sollte sich mehr in den ach so bequem gewordenen watteweichen Digitalwolken sicher fühlen.
Bei jedem kleinen und mittelständischen Betrieb müssen spätestens jetzt sämtliche Alarmglocken laut schlagen. Jedes Unternehmen muss wissen, was ihm blüht, wenn es sich auf die Versprechungen einlässt. Da mögen die Angebote noch so bequem und auf den ersten Blick billiger als eigenen Lösungen sein. Die amerikanischen Internet-Giganten haben jetzt mit ihren Abschalt- und Rausschmissaktionen drastisch die Gefahren vor Augen geführt.
Künftiger Anlass kann ein beliebiger Konflikt sein, der eben nicht irgendwelchen »Standards« oder »Regeln« passt. Beispiel könnte Nordstream 2 sein. Beteiligten Unternehmen wird ratzfatz gekündigt und die Wolke verbarrikadiert.
Wenn ein Unternehmen seine Daten in eine amerikanische Cloud auslagert und Amazon dicht macht, ist es ganz einfach: Kein Zugriff auf Daten mehr – Firma tot. Da bleibt auch nicht mehr viel Raum zu zeitraubenden Klagen gegen solche unfairen Geschäftspraktiken oder Verstöße gegen irgendwelche Geschäftsbedingungen. Bis die juristisch entschieden sind, ist alles vorbei. Es herrscht Wildwest, da zählen keine feinsinnig ausgetüftelten juristischen Klauseln mehr.
Auch Apple beging jetzt seinen großen Sündenfall, scherte sich nicht um die Millionen an Nutzern und löschte die App von Parler aus seinem Appstore. Apple zeigt damit weiterhin, wie wenig Wert seine relativ geschlossene Welt hat, wenn man mit seinen teuren iPhones plötzlich nicht mehr auf seine Daten und Beiträge zugreifen kann, weil das Unternehmen aus Cupertino rücksichtslos löscht. Höchste Vorsicht gegenüber Apple ist fortan angebracht, wenn mit einem »Federstrich« oder besser mit ein paar Mausklicks sämtliche Kontakte gelöscht werden.
Nicht bekannt ist übrigens, dass Apple, Google & Co gegen Diktatoren vorgehen. Khamenei darf weiter über Twitter zur Vernichtung Israels ausrufen. Das ist in Ordnung. Immerhin verlor der Dienst bisher rund fünf Milliarden Dollar an Wert.
Es rächt sich zudem, dass es in Europa eine kaum vergleichbare leistungsstarke IT-Infrastruktur gibt. Aus Brüssel kommen ausschließlich großspurige Ankündigungen und kümmerliche Versuche, die Internetgiganten wie Google und Amazon ein wenig zur Kasse zu bitten. Das einzig Ärgerliche aus Brüsseler Sicht sind lediglich die Steuervermeidungen vom Amazon, Google & Co.
Bizarr wirken die Sprüche der deutschen Digitalisierungsbeauftragten Dorothee Bär. ‚Die Digitalisierung müsse vorangetrieben werden‘ als regelmäßig wiederholte Plattitüde ist erschreckend dünn, praktisch kommt nichts heraus.
Schulen verfügen noch nicht einmal über genügend Computertechnik, damit zumindest ein Teil der Unterrichtsstunden über elektronische Heimschule erledigt werden kann – mal abgesehen davon, ob derartige Versuche pädagogisch wertvoll sind oder nicht. Schließen sich Lehrer und Schüler zur elektronischen Unterrichtsstunde zusammen, funktioniert das meist über amerikanische Technologien.
Ziemlich entsetzt über diese Entwicklung ist Tim Berners-Lee. Der britische Physiker und Informatiker entwickelte vor 30 Jahren die Grundlagen für das Internet und stellte sich ein freies Medium mit ungehindertem Austausch von Informationen und Meinungen vor. Doch während eine Reihe von Firmengründern zu ungeheurem Reichtum kamen und größenwahnsinnig wurden, blieb Berners-Lee bescheiden und entwickelte die Technik weiter.
Zu viel Macht und persönliche Daten haben sich bei den »Silos«, wie er Google, Facebook & Co, ohne deren Namen aussprechen zu müssen nennt, angesammelt, sagt er. Die seien zu Überwachungsplattformen verkommen, und deren Macht sei gegen das Individuum gewichtet. Persönliche Souveränität über seine Daten sieht anders aus, meint er.
Er will wieder ein Web schaffen, bei dem jeder Herr über seine eigenen Daten ist und wirksam kontrollieren kann, was mit ihnen geschieht. Von dieser »Kurskorrektur« sollen sowohl private Nutzer als auch Unternehmen einen Nutzen ziehen können. Schlüsselkomponente ist ein persönlicher Online-Datenspeicher, in dem alle persönlichen Daten wie in einem Tresor abgelegt und kontrolliert werden. Unternehmen sollen nur auf die Informationen zugreifen und sie selektiv nutzen können, wenn das für bestimmte Aufgaben notwendig ist. Die Daten aber dürfen sie nicht speichern. Also ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die großen Datenkraken tun.
»Solid« heißt sein Open-Source-Softwareprojekt, das das neue Unternehmen »Inrupt« vorantreiben soll. Im vergangenen November stellte er die Software vor und schrieb in seinem Blog: »Eine neue Ära der Innovation und des Vertrauens in Daten«.
Beteiligt sind eine Reihe von Internet-Veteranen, insgesamt sind bisher 20 Millionen Dollar an Venture-Finanzierung zusammengekommen.
Zu bemerken sind übrigens auch Abwanderungsbewegungen etwa von Whatsapp zu Alternativen wie den Messengerdiensten »Threema« oder »Signal«, der von einer gemeinnützigen Stiftung entwickelt wurde. Whatsapp-Gründer Brian Acton spendete diesem Projekt 50 Millionen Dollar. Ihn schätzen Sicherheitsexperten als besser ein als das ursprüngliche Whatsapp. Gut möglich, dass jetzt die High-Tech Giganten die Axt an die eigene Wurzel gelegt haben. Immerhin ist die Konkurrenz nur einen Mausklick weit entfernt.