Namibia und die deutsche Schuld

Fakes und Desinformationen: immer wird dabei vor sozialen Medien gewarnt, hier muss jeder selbst entscheiden, wem er trauen kann. Wer schützt aber vor Desinformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Auch das muss jeder selbst tun, denn es gibt sie, sei es aus Schluderei oder Absicht. Oft ist beides die Ursache.

Screenprint: NDR
Screenshot

Im Mai 2024 wurde zum ersten Mal seit 20 Jahren ein Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag festgestellt. Eine Dokumentation darf nicht mehr gezeigt werden, sie wurde aus der Mediathek entfernt. Der Intendant des NDR, Joachim Knuth, übernahm mit seiner Anstalt die Verantwortung dafür. Was war geschehen?

Im November 2023 sendete man die Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“. Später fanden sich dafür Sendeplätze bei RBB, SWR und MDR. Der Gegenwind, der sich daraufhin erhob, traf den NDR offenbar überraschend.

Stephans Spitzen:
Deutsche Schuld, global verfügbar
Ein offener Brief, hier dokumentiert in der „Berliner Zeitung“, trug 160 Unterschriften, von Deutschen wie Namibiern, dem Bischof der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde des Landes, dem Forum Deutschsprachiger Namibier und einem ehemaligen deutschen Botschafter. Mitwirkende, die in der Doku zu Wort kommen, distanzierten sich von den tendenziösen Zusammenschnitten ihrer Interviews. So auch eine Gruppe deutschsprachiger Konfirmanden. Hier der Erlebnisbericht einer Beteiligten, die mit völlig anderen Vorstellungen ihre Zusage zum Interview gab.

Zunächst stellte sich der NDR schützend vor sein Produkt. Selbst nach Änderungen an der Doku, später nach der Entfernung aus der Mediathek, wollte man eigene Fehler lange nicht eingestehen. Der MDR reagierte mit der Schutzbehauptung, das Projekt sei von Historikern begleitet worden, zog die Aussage später aber wieder zurück.

Versehen oder Absicht?

In der Doku wimmelt es von sachlichen Fehlern und Falschdarstellungen. Die krasseste und hervorstechendste Lüge war die Behauptung, es gäbe in Namibia kein Mahnmal für die Opfer des Völkermordes an den Herero und Nama. Dabei ist es sogar mehrfach im Film zu sehen. Minister Habeck legte dort bei seiner Erkundungsmission nach Grünem Wasserstoff im Herbst 2022 höchstselbst einen Kranz nieder.

Desgleichen falsch war die Behauptung, niemand von der deutschsprachigen evangelischen Kirche sei zu einem Gespräch bereit gewesen. Der Bischof weist das entschieden zurück, es gab schlicht keine Terminvereinbarung.

Beklagt wurde der hohe Anteil an Landbesitz von Deutschstämmigen, verschwiegen aber, dass die namibische Regierung seit Jahren Farmen kauft und im Rahmen einer Landreform rechtsstaatlich umverteilt.

Kolonialistische Gutmenschen
Namibia wirft Grünen Rassismus vor
Zielgerichtet wird das Land in ein schlechtes Licht gerückt, alle Unbilden werden auf die deutsche Kolonialzeit oder auf den Einfluss der Deutschen reduziert. Zuerst kamen 1884 Händler wie Lüderitz, dann einige Siedler, einige Holländer (Buren) und Engländer waren schon da. Die Aussicht auf Goldfunde zog viele Europäer nach. In der Doku wurde vom Run auf Diamanten, Zink und Uran gesprochen. Das mag für Diamanten zutreffen, Zink ist jedoch kein seltener Rohstoff und Uran hätte zu dieser Zeit niemanden interessiert.

Nach 1915 und nach Kämpfen mit der südafrikanischen Armee zogen sich die deutschen Kolonialtruppen zurück. Die Zeit danach wird in der Doku im Grunde nicht erwähnt. Namibia, das damals noch Südwestafrika hieß, wurde von Südafrika besetzt und zum Mandatsgebiet erklärt. Damit hielt die Apartheidspolitik Einzug. Die UNO versuchte, den Völkerbund-Beschluss zum Mandatsgebiet rückgängig zu machen, aber erst nach einem Spruch des internationalen Gerichtshofs in Den Haag war Südafrika 1972 bereit, nach einer Übergangsfrist Namibia in die Unabhängigkeit zu entlassen. Seit 1990 gilt Namibia als unabhängig und hat eine stabile parlamentarische Demokratie.

Seitdem regiert die SWAPO, eine ehemals marxistisch-nationalistische Partei, die sich bereits im Widerstandskampf gegen Südafrika gegründet hatte. Sicher ist das Land keine blütenweiße Demokratie, aber Namibia gilt als eines der am meisten entwickelten Länder Afrikas. In Namibia wurden auch noch nie Wahlen rückgängig gemacht wie in Deutschland.

Soviel Geschichtswissen ist den Autorinnen des Films offenbar nicht zumutbar. Das Township Windhoek-Katutura als Wohnort armer Schwarzer wird de facto auch deutscher Schuld zugeschrieben, obwohl es in den 1950er Jahren unter Bedingungen südafrikanischer Apartheitspolitik errichtet wurde. Nicht nur die Geschichte des Landes nach Abzug der Deutschen, auch milliardenschwere deutsche Entwicklungshilfe werden verschwiegen.

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Es entsteht der Eindruck, das Land sei immer noch rassistisch und von Apartheid geprägt. Damit tut man den Bewohnern schwer unrecht. Sicher gibt es nach wie vor große soziale Probleme wie eine hohe Arbeitslosigkeit. Aber alle Namibier fühlen sich als Namibier, sie haben Nationalstolz und unterscheiden nicht nach Hautfarbe, wie es in Deutschland mit Wortkonstruktionen wie PoC (People of Color) Mode geworden ist. Die „Deutschen“ im Land sind ganz überwiegend Nachfahren, die hier geboren wurden. Rassistische Zuschreibungen nach Hautfarbe spielen kaum eine Rolle, sie werden hingegen in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Westeuropa gepflegt, wo PoC eine moralische Höherwertung erfahren und alte weiße Männer strukturelle Bösewichte sind.

Produzentin und Presenterin

Wer waren die Hersteller der Doku, wer brütet so etwas aus? „Filmemacherin“ und Regisseurin war die Theaterwissenschaftlerin Silvia Palmigiano, bisher bekannt durch Filme wie „Bridges – die Krämerbrücke“, „Zu Tisch in Marokko“, „Kino im Rausch: Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ und der Fernsehserie „Küchenkrimi – dem Essen auf der Spur“.

In diesem so genannten Presenter-Format einer Doku dominierte die Moderatorin die Bilder. Aminata Belli ist in Deutschland geboren, ihr gambischer Vater machte sie zum PoC. Nach Studien des Modejournalismus und der Medienkommunikation war sie als Modeassistentin bei der internationalen Frauenzeitschrift „Gracia“ tätig. Nebenbei moderierte sie Events und berichtete backstage von Festivals, auch für den NDR. Ebendort comoderiert sie die Talkshow „deep und deutlich“, wo es um Themen geht wie „Meine Mama: alkoholkrank und gewalttätig“, „Gewalt in deutschen Kreißsälen“ oder „Neues im Fall Jerome Boateng“. Nebenbei ist sie Bloggerin und Influencerin, womit gesagt ist, dass sie wohl keine Journalistin ist, die nach entsprechenden Standards arbeitet. Die Doku ist als „Presenter“-Format auf sie zugeschnitten.

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Beide Damen haben offensichtlich kein ausgewiesenes politisch-historisches Hintergrundwissen über Afrika, dafür umso mehr missionarischen Eifer. Warum der Sender überhaupt den Auftrag zur Doku an die beiden vergab, ist unklar. Möglicherweise vermutete man auf Grund der Hautfarbe von Aminata Belli eine gewisse Afrikakompetenz. Waren sie einfach mit dem Thema überfordert oder war Framing das Ziel?

Offensichtlich fand sich eine toxische Mischung aus Bildungsarmut, Recherchefaulheit und woke-postkolonialem Missionierungswillen. Unseriöse und tendenziöse journalistische Arbeit, wenn man sie als solche überhaupt bezeichnen kann, bringt mediale Identitätspolitik hervor, sie bringt Manipulation statt Information. Am Ende bleiben Verlierer auf dem Platz: Die Deutschen sowieso, ihre Nachfahren in Namibia, alle anderen Namibier und der namibische Staat, dem Demokratie schlicht abgesprochen wird. Jeder Arbeitnehmer, der Ausschuss liefert, muss sich verantworten. Folgen sind beim Zwangsgebührensender eher nicht zu erwarten, es wird bei seiner Forderung nach Gebührenerhöhung bleiben.

Namibia heute

Von Interesse wären allemal die aktuellen Entwicklungen Namibias gewesen. Die Industrialisierung läuft. Zwei chinesische Konzerne (sowie ein australischer) beuten die namibischen Uranminen aus und beliefern den globalen Markt. China ist an mehreren Infrastrukturprojekten beteiligt, so im Straßen-, Eisenbahn- und Hafenbau. Auch Immobilien- und Photovoltaik-Projekte werden über Finanzhilfen von dort realisiert.

Wir erinnern uns, dass auch Deutschland große Investitionen in diesem Land vorhat. Dem Wunsch der Dekarbonisierung der Raffinerie in Schwedt an der Oder (PCK) folgend sollen durch den Enertrag-Konzern im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit Namibia zu Grünem Wasserstoff erhebliche Kapazitäten an Wind- und Solarstromerzeugern installiert werden, dazu kämen Elektrolyseure (für die eine Meerwasserentsalzung gebaut werden muss) und ein Tiefwasserhafen für die Verschiffung des vorher in Ammoniak umzuwandelnden grünen Wasserstoffs.

Allein 600 Windkraftanlagen sollen auf einer Fläche von 100 mal 80 Kilometern in einem Nationalpark aufgestellt werden, wovor Chris Brown, der Chef der namibischen Umweltkammer, warnt. Erneut droht deutscher Einfluss, diesmal als Energiekolonialismus.

"Völkermord" an den Herero
Namibia erwartet einen Geldsegen ohne Ende
Dies würde jede Menge deutschen Steuergeldes in Konkurrenz zu den bereits vorhandenen chinesischen Vorhaben bringen. Wo das Geld überhaupt herkommt, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Selbst 200 Millionen Euro für eine Lithiumfabrik im brandenburgischen Guben finden sich in Habecks Schatulle nicht mehr. Die namibischen Ambitionen wären unter den veranschlagten 10 Milliarden Euro nicht zu haben. Eine Kooperationsvereinbarung war im August 2021 unterzeichnet worden. Auf Presseanfrage zum Stand des Fortschritts in Fragen namibischen Wasserstoffs antwortet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK), dass im März 2022 eine diesbezügliche Absichtserklärung unterzeichnet wurde. Konkrete Projektansätze würden unterstützt werden, auf Voranfrage erhielt der Projektentwickler Enertrag einen rechtlich unverbindlichen „Letter of Interest“ ausgestellt. Im Klartext also: Es gibt keine belastbaren Projekte, geschweige denn Pläne, Genehmigungen, Finanzierungszusagen. Dafür aber einen „hochrangigen politischen Dialog“.

Die chinesischen Baumaschinen rattern unterdessen weiter.

Heutige Sühne ohne Schuld

Dies alles wäre berichtenswerter und interessanter Stoff für eine Doku. Es könnte aber Zweifel an den energiepolitischen Entscheidungen unserer Regierung entstehen lassen. Das will der NDR mit Sicherheit nicht.
Da ist es einfacher, nach schlichtem Strickmuster unbestreitbar vorhandene deutsche Schuld zu thematisieren. Nur fehlt der Adressat, denn die für den Völkermord vor 120 Jahren Verantwortlichen sind nicht mehr zu greifen. Dann belastet man eben die Nachkommen, in Deutschland wie in Namibia (die dort nur ein
Prozent der Bevölkerung stellen).

Die Annahme, dass zwei ziemlich ahnungslose Frauen eine Doku über ein solches schwergewichtiges politisch-historisches Thema mal eben unterhaltsam hinkriegen, war abstrus. Der Vorgang „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ ist ein Paradebeispiel für das sinkende Niveau der Öffentlich-Rechtlichen und auch Ausweis einer gigantischen zwangsfinanzierten Geldverschwendung.
Nahtlos schließt sich nun ein podcast des WDR an, in dem es um den Sport, insbesondere den Fußball, in Namibia geht. Auch hier dasselbe Bild: Die Deutschen seien Schuld, dass sich der Breitensport in Namibia nicht besser entwickelt. 75 Jahre Geschichte eines Mandatsgebiets und die südafrikanische Apartheitspolitik werden unter den Teppich gekehrt.

Verstöße gegen den Rundfunkstaatsvertrag werden äußerst selten und nur auf öffentlichen Druck hin festgestellt. Gebührenfinanzierte Fakes und Halbwahrheiten der Öffentlich-Rechtlichen werden uns auch weiterhin begleiten. Halten wir es mit Dushan Wegner: Glaube wenig, prüfe alles, denke selbst.

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Kommentare ( 6 )

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6 Comments
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Ralf Poehling
4 Tage her

Ich sage es nicht ohne Grund immer wieder: Lokale Probleme müssen lokal gelöst werden. Der Grund dafür ist offensichtlich: Wenn man nicht selbst vor Ort lebt, hat man keine wirkliche Ahnung, was dort genau weshalb passiert. Fremdsteuerung und Einflussnahme aus dem Ausland schlagen deswegen dauerhaft immer fehl. Eine Situation in einem anderen Land kann man nur beurteilen, wenn alle 7 Sinne im Einklang die gesamte „Luft“ des lokalen Klimas atmen und auch verstehen. Mit dem lesen von Zeitungsberichten und Dokus im TV kann man das nicht vollumfänglich kompensieren. Das sind alles nur kurze Schnappschüsse aus einem ganz bestimmten Blickwinkel. Und… Mehr

Heiner Mueller
4 Tage her

„Glaube wenig, prüfe alles, denke selbst.“ ist ein Zitat von Albrecht Müller, dem Herausgeber der „Nachdenkseiten.“

Innere Unruhe
4 Tage her

Namibia???
Aparteid war natürlich ein Segen für das Land.
Welche Wiedergutmachung soll Südafrika leisten?

Mausi
4 Tage her

„Schluderei“
„Schluderei“ wird in unserem Bildungssystem vermittelt. Konzentration auf ein Thema, Suche von relevanten Texten oder echten Fachleuten, Verstehen von Texten, dem Anderen wirklich zuhören, Aufbereitung etc. all das ist unserem Bildungssystem doch inzwischen fremd. An der Uni werden Professoren niedergebuht, in der Schule ist „wahr“, was grün vorgekaut ist.

Mausi
4 Tage her

„…Auch das muss jeder selbst tun…“ Nein, nicht doch. Dafür gibt es die gemeinnützige Medienanstalt in Form einer GmbH namens Correctiv.
„Fehler“ schaden weder den Gebühren für den ÖRR, noch der Gemeinnützigkeit. Jeder macht Fehler. Wir schauen nicht zurück, sondern nach vorn.
Der normale ArbNehmer hingegen erhält weniger oder gar keinen Bonus, wenn er Fehler macht.

Last edited 4 Tage her by Mausi
Kassandra
5 Tage her

Palmigiano firmiert unter „modernes storytelling“. Muss man sich da wundern, wenn sie Richtung Relotius tendiert?
Und außerdem, wie Thilo Jung uns schon beschied: sie senden, was wir glauben sollen – wobei er das Wort „wissen“ nutzte – auch, wenn das mit Realität und Wahrheit nicht zu tun hätte: https://x.com/LiberalMut/status/1796225463964348587
Zahlen tu ich dafür allerdings nichts mehr – und verweise bei Widerspruch auf das ausstehende Urteil – denn es hängen, wie es scheint, noch weitere Lügengeschichten an: https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/bundesverwaltungsgericht-beschluss-einseitigkeit-oerr/