Bundeswehr neu denken? Der IBUK und seine Direktiven

Weitgehend unbemerkt hat Bundesverteidigungsminister Ursula von der Leyen als IBUK (Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt) sowohl die künftige Ausrichtung der Bundeswehr neu definiert als auch die Rolle der Führungsakademie (FüAk) in Hamburg.

© Sean Gallup/Getty Images

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat Bundesverteidigungsminister Ursula von der Leyen, als IBUK (Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt) anlässlich eines Besuchs bei der Führungsakademie (FüAk)  in Hamburg sowohl die künftige Ausrichtung der Bundeswehr definiert als auch die Rolle der FüAk in neue Bahnen geleitet. Ihr Umgang mit der militärischen Führung allerdings ließ Zweifel an ihrer Kompetenz aufkommen.

I. Die Inhalte des Krieges

Die weltpolitische Einordnung wurde vom IBUK mit einem Satz beschrieben: „Die Sicherheitslage ist dynamisch, volatil, vor allem völlig unberechenbar. Aufgrund dieser Lage ist die BW gefordert wie selten zuvor in ihrer Geschichte: quantitativ und qualitativ.“

Soll heißen: Alle bisherigen NATO-Konzepte haben sich als überholt erwiesen. Das Bündnis und damit die Bundeswehr stehen vor einer bislang ungeahnten, sicherheitspolitischen Herausforderung. Zwischen den Zeilen war zu lesen: Der Bundesminister für Verteidigung sieht sich bereits in einem unerklärten Krieg. Wer der Bundesrepublik diesen unerklärten Krieg erklärt hat, das sollte in den weiteren Darlegungen des IBUK angedeutet werden.

Um in diesem Krieg bestehen zu können, legte der IBUK Schwerpunkte der künftigen Aufgaben der Bundewehr fest:

Der Cyber-Krieg. Hier geht es nicht nur um die Abwehr von Cyber-Attacken, wie sie in jüngster Zeit gegen den Deutschen Bundestag, Krankenhäuser in NRW und dem Angriff auf die Telekom-Router stattfanden, sondern um den Aufbau einer eigenen „Cyber-Armee“, die selbst zu entsprechenden Angriffen in der Lage ist. Die Aufgabe der Landesverteidigung umfasst damit die Abwehr von Attacken gegen die virtuelle Infrastruktur. Galt es in früheren Kriegen, mit ersten Schlägen Bahnverbindungen und Straßen unbrauchbar zu machen, sowie die Fabrikation nicht nur von militärischem Gerät auszuschalten, so liegen die Schwachstellen jeglicher Kriegsführung gegen die Logistik heute in der Elektronik und im Web. Gelingt es dem Gegner, Zugriff auf die Netzwerke zu erlangen, kann er im Ernstfall die Grundlage der modernen Zivilisation ausschalten und komplette Staaten in das Chaos stürzen. Die genannte Attacken – in Sachen Bundestag vermutlich noch darauf gezielt, propaganda-wirksames Material abzufischen – können, sobald sie Telekommunikation, Elektrizitäts- und Wasserversorgung übernehmen, die Abwehrmöglichkeit  eines hochkomplexen Staates im Handstreich gegen Null fahren. Dieses abzuwehren und im Ernstfall selbst dazu befähigt zu sein, ist für von der Leyen eine Kernaufgabe der Bundeswehr.

Die hybride Kriegsführung. Für den IBUK steht hier das russische Vorgehen gegen die Ukraine exemplarisch. Scheinbar unbeteiligt führt Russland mit irregulären Truppen und nur wenig verdeckt agierenden offiziellen Armee-Einheiten einen Krieg gegen sein Nachbarland. Von der Leyen geht davon aus, dass ähnliche Kriegsszenarien nicht auf die Ukraine beschränkt bleiben. Vor allem das Baltikum gilt der NATO als weiteres, hybrides Schlachtfeld. Das Einsickern von Saboteuren und Marodeuren kann gerade in Staaten mit nur geringer eigener, wehrfähiger Bevölkerung dafür Sorge tragen, Schlüsselstellen und im Zweifel ganze Städte und Regionen zu übernehmen, ohne dass der Aggressor offen in Erscheinung treten muss. Der Erfolg entsprechender Vorgehensweisen in der ersten Phase des Donbass-Krieges, aber auch das Scheitern in Odessa sind Muster künftiger „niederschwelliger“ Konflikte.

Die „strategische Kommunikation“ als Instrument der Kriegsführung. Konkret nannte der IBUK als Beispiele Russland (vor allem durch Desinformationsattacken über eigene, offizielle Medien oder gelenkte „Angebote“ in Internet) und den Islamischen Staat. Auch hier liegen bereits konkrete Erfahrungen vor. Das gezielte Hochfahren der angeblichen Dauervergewaltigung eines deutschrussischen Mädchens in Berlin, das sich als Fake herausstellte und das dennoch selbst den russischen Außenminister als interessierten Mitwirkenden offenbarte, steht ebenso für diese Art der Kriegsführung wie die nach wie vor ungeklärte Herkunft jener „Einladungs-Mails“ der Bundesrepublik Deutschland, mit denen im Spätsommer 2015 bis heute weit über eine Million Hungerleider aus Nordafrika und Asien veranlasst wurden, als angebliche „Flüchtlinge“ Europa zu überrennen.

Die Krisenregionen des nördlichen Afrika – namentlich Ägypten, Tunesien sowie der Sahel mit Niger als „Schlüsselland für Migrantenströme“. Der Bundesminister hat erkannt, dass diese Länder einerseits Partner im Kampf gegen die illegale Migration – gleichzeitig aber auch infolge instabiler Verhältnisse selbst das Problem sein können. Ungesagt liegt dem offensichtlich eine Arbeitsteilung im Bündnis zugrunde: Frankreich und die Bundesrepublik übernehmen die Führungsrolle in der Neuordnung der postkolonialen Strukturen zwischen Mittelmeer und Niger-Fluss, während Asien, in dem ähnliche Problemsituationen zu erkennen sind, von anderen Partnern in der NATO vorrangig zu übernehmen ist.

Der Schutz der mittelosteuropäischen Partner im Zuge des Projektes TACET (Trans-Atlantic Capability Enhancement and Training Initiative). Unter der Führung des Vereinigten Königreichs und der USA stehen hier 14 NATO-Partner bereit, die nordeuropäische Flanke zu sichern. Hier steht der Schutz der europäischen NATO-Länder vor einen Aggressor Russland im Vordergrund. TACET korrespondiert insofern mit den drei erstgenannten Aspekten des Cyber-Krieges, der hybriden Kriegsführung und der strategischen Kommunikation.

II. Die Neuausrichtung der FüAk

Um der Neuausrichtung der Bundeswehr zu realisieren, wurde die FüAK vom Bundesminister im Handstreich neu einsortiert.

♦ Die Kaderschmiede der Bundeswehr wurde ab sofort dem im Ministerium angesiedelten Generalinspekteur unterstellt. Bislang unterstand sie dem „Kommando Streitkräftebasis“. Damit ist die FüAk nicht länger der Bundeswehr, sondern unmittelbar dem Ministerium angegliedert. Aus einer militärischen Einrichtung wird eine politische.

♦ Die FüAk, vertreten durch Admiral Carsten Stawitzki, bekam Befehl, bis Mitte Dezember einen Arbeitsplan zum Umsetzung der Neustrukturierung der FüAk vorzulegen. Dazu gehört, die bestehenden Lehrpläne „mit eisernem Besen“ durchzuforsten und den neuen Bedingungen anzupassen.

♦ Die FüAk soll künftig über ihre bisherigen Aufgaben hinaus Bestandteil eines im Ministerium angegliederten „Think Tanks“ werden, der langfristige Strategien entwickelt und die Bundeswehr in die Lage versetzt, künftige Entwicklungen auch mittels zivilem Sachverstand rechtzeitig aufzeigen zu können. Bislang, so von der Leyen, habe die Bundeswehr auf eigene Strategie-Entwicklung entweder verzichtet oder sie den USA überlassen.

III. Notwendige Konsequenzen

Die Einschätzung der Sicherheitslage entspricht im Wesentlichen der aktuellen Situation. Die aufgezeigten Bedrohungen sind real und durch aktives Handeln der Aggressoren belegt. Das zeigt gleichzeitig auf, dass der klassische militärische Überfall aus dem scheinbaren Nichts – gleich ob als Erstschlag oder Präventivschlag bezeichnet – unwahrscheinlicher geworden ist. Er zielte darauf ab, vorrangig die militärische Infrastruktur schlagartig derart zu beschädigen, dass der Angegriffene zu einer effektiven Abwehr nicht mehr in der Lage ist.

Der Krieg der Zukunft, der vielleicht bereits der Krieg der Gegenwart ist, beginnt mit dem Versuch der propagandistischen Einflussnahme auf die zu unterwerfende Gesellschaft. Klassisch kann dieses als Wehrkraftzersetzung bezeichnet werden. Die Abwehrbereitschaft der Anzugreifenden soll durch gezielte Desinformation zermürbt, die Glaubwürdigkeit der Regierenden beschädigt werden. Instrumente dieser Form der Kriegsführung sind neben eindeutig ausgewiesenen Propagandaorganen heute beispielsweise Blogs, die unter wohlfeilen Titeln als Portale für Nachrichten aus Politik und Wirtschaft daherkommen, sowie insbesondere die sogenannten Social Media des Internets, die die ungeprüfte und oftmals unprüfbare Verbreitung von Falschmeldungen befördern können.

Kernelement des Krieges der Zukunft sind Angriffe über das Internet auf die Schaltzentralen der Infrastruktur des angegriffenen Landes. Hierbei geht es nicht mehr – wie in einer ersten Phase dokumentierbar – vorrangig um die Spionage, sondern tatsächlich um das Ausschalten von Schlüsselversorgungseinrichtungen wie Elektrizität, Wasserversorgung, Polizei, Lebensmittellogistik und Krankenhäuser. Da diese Versorger und Dienstleister oftmals nicht über unzugängliche Intranetstrukturen verfügen, sondern unmittelbar über das Internet agieren, sind sie vor allem dann, wenn sie nur unzulänglich gegen entsprechende Attacken geschützt sind oder ihre Schutzsoftware aus fragwürdigen Quellen beziehen, in besonderem Maße anfällig.

Der klassische Krieg des Überfalls mit militärischer Hardware ist im Krieg der Zukunft erst in der dritten Phase zu erwarten, wenn die „strategische Kommunikation“ und die Cyber-Attacke die Abwehrfähigkeit des Angegriffenen weitgehend gelähmt haben. Dadurch kann es auch einem militärisch unterlegenen Gegner gelingen, einen hochgerüsteten, modernen Staat zu übernehmen.

Der Bundesminister für Verteidigung ist mit seinen Einschätzungen insofern in der Wirklichkeit angekommen und versucht, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

IV. Kritik

So sehr die Lageeinschätzung als zutreffend zu erkennen ist, so bleiben dennoch einige deutliche Punkte der Kritik, die nicht nur durch Teilnehmer am Vortrag artikuliert wurden.

Die Zeitschiene. Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zeitschiene von zehn Jahren angedeutet. Angesichts der Bedrohungslage scheint dieses deutlich zu optimistisch gedacht. Insbesondere die Abteilungen zur Cyber-Abwehr, aber auch adäquate Strategien gegen den Kriegseinsatz strategischer Kommunikation lassen kaum zeitliche Räume von den offiziell benannten zehn Jahren zu.

Die Hardware. Der IBUK verlor kein einziges Wort zur Materialausstattung der Bundeswehr. Die durch politische Fehlentscheidungen der Vergangenheit sowie durch unglückselige Vernetzungen in Beschaffung und Industrie organisierte Mängelwirtschaft der bestehenden oder bestellten Einsatzgeräte hätte vom Bundesverteidigungsminister nicht nur aufgezeigt werden müssen – hier wären unmissverständliche Antworten unverzichtbar gewesen. Auch die Armee der Zukunft wird nicht auf einsatzfähiges Heer, Marine und Luftwaffe verzichten können. Hierzu muss der Verteidigungsminister klare Vorstellungen entwickeln, weil die Bundeswehr andernfalls ein Papiertiger ist.

Das „Menschenmaterial“. Von der Leyen wiederholte zwar ihre Vorstellung einer Armee aus Männern und Frauen – garniert mit den in BW-Kreisen oftmals belächelten Kindergarten-Appellen – und kündigte an, für die Bundeswehr auch Personen aus anderen Kulturkreisen anzuwerben. Auf zwei daraus resultierende Problembereiche jedoch ging sie nicht einmal ansatzweise ein.

  1. Wird nicht eine Bundeswehr, die sich über das Anwerbeprinzip rekrutiert, mittelfristig zu einer Söldner-Armee? Bereits heute sind Fälle bekannt, in denen spätere Terrorkämpfer offenbar gezielt den Dienst bei der Bundeswehr antraten, um sich dort eine hochwertige militärische Ausbildung sogar noch vom Steuerzahler finanzieren zu lassen. Grundsätzlich gilt heute noch, was der italienische Politikwissenschaftler Machiavelli bereits vor 500 Jahren feststellte: Söldnerarmeen sind im Ernstfall unzuverlässig.
  2. Ist der vom damaligen Verteidigungsminister Freiherr von und zu Guttenberg als Personal-Marketing durchgesetzte Verzicht auf die Wehrpflicht noch zu halten? Angesichts der vom IBUK aufgezeigten Sicherheitslage muss diese Frage zwingend mit nein beantwortet werden. Hierzu aber blieb von der Leyen jegliche Antwort schuldig.

Die FüAk. Geplant und begründet als hochqualifizierendes Instrument einer militärischen Ausbildung. Insofern ist es sinnvoll, sie als wesentlichen Bestandteil eines künftigen ThinkTanks zu begreifen, der den bisherigen Mangel an strategischer Kompetenz zu beseitigen in der Lage ist. Ob allerdings die nunmehr erfolgte Unterstellung der FüAk unmittelbar unter das Ministerium der Verteidigung der richtige Schritt ist, darf angesichts der militärischen Ausrichtung der Bundeswehr zumindest angezweifelt werden. Mehr als fragwürdig ist, ob militärpolitische Laien, wie sie in der Regel dem Ministerium vorstehen, tatsächlich die richtigen Dienstherren sind. Auch vermag die Vorstellung, dass Personen wie jener ehemalige Generalsinspekteur Harald Kujat die oberste Befehlsgewalt über die FüAk haben, nicht gerade Optimismus zu verbreiten.

Das Verhalten des IBUK. Befremden löste die Selbstpräsentation des Ministers aus. So gilt es in der Bundeswehr als zumindest ungewöhnlich, sich mehrfach selbst als „Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt“ hervorzuheben. Diese Tatsache ist in Offizierskreisen bekannt – ihre beharrliche Wiederholung wird als Schwäche gesehen. Auf wenig Verständnis traf auch der Umgang mit dem Leiter der FüAK, Admiral Carsten Stawitzki. Nicht nur das Vorgehen, dass von der Leyen ihn mehrmals nicht mit seinem Dienstgrad ansprach, stieß vielen Teilnehmern übel auf. Es gilt dieses in Bundeswehrkreisen als indirekte Degradierung. Mehr noch die Art und Weise, wie von der Leyen den Leiter der FüAk vor versammelter Runde offiziell zum Befehlsempfänger degradierte und ihm indirekt sowohl Unfähigkeit in der Personalführung wie in der Führung des FüAk selbst unterstellte, stieß bei den Teilnehmern der Rede unangenehm auf. Derart grundlegende Neuerungen, wie sie bei dem Ministertermin angestoßen wurden, werden üblicherweise in derartigen Reden nur global dargelegt. Die konkrete Dienstanweisung ebenso wie einzelne, nun zu erfolgende Schritte hätten in einem Ministergespräch unmittelbar mit dem Betroffenen erörtert werden müssen. Der Umgang mit dem FüAk-Chef wurde von den Anwesenden als Herabwürdigung empfunden – er offenbarte nicht nur die offensichtliche Unsicherheit von der Leyens, sondern dokumentierte, dass sie zu der ihrerseits von der militärischen Führung eingeforderten „Menschenführung“ selbst nicht in der Lage ist.

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