Es ist Zeit, den Kopf zu heben und die Wirklichkeit wahrzunehmen, sagt Rafael Seligmann, den Tichys Einblick unter seinen Kolumnisten herzlich begrüßt.
Diese Woche jährt sich der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Der Waffengang forderte mehr als fünfzig Millionen Tote, zuletzt wurden Kernwaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Verständlich, dass dieser Krieg die beteiligten Völker traumatisiert hat. Das muss in diesem Fall keineswegs schlecht sein. So wurde der Angriffskrieg in der Charta der Vereinten Nationen geächtet. Die Angst vor Krieg auf eigenem Territorium, verbunden mit dem schier unbegrenzten Zerstörungspotential von atomaren Waffen, hat Zentraleuropa mehr als sieben Jahrzehnte einen Waffengang erspart. Eine nie gekannte Ära des Friedens im Herzen unseres Kontinents.
Die Kehrseite des langen Friedens sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben: der Pazifismus breiter Gesellschaftskreise im Westen. Dass die Erhaltung des Friedens ihren Preis hat, wussten bereits die Römer, wie die Formel: „Si vis pacem para bellum“ beweist. Die Kriegs-Abschreckungsbereitschaft geht in langen Friedensphasen verloren – Beschwichtigungsmentalität schleicht sich ein. Beschwichtiger verstehen sich selbst als Verständigungspolitiker. Ihr Motto: Lieber ein schlechter Frieden als ein „guter“ Krieg. Wobei sie übersehen, dass ein „schlechter“ Frieden nur allzu oft den Keim für einen Krieg in sich trägt.
Wie alle, die sich von einem starren Weltbild leiten lassen, neigen auch die Beschwichtiger dazu, ihre Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, wenn diese sich anders gestaltet, als sie es gerne hätten. Dies machen sich Aggressoren zunutze, die ihre Kriege als „begrenzte, lokale Aktionen“ tarnen.
9/11
Kommen wir von der Theorie zur Realität. Am 11. September 2001 attackierten Selbstmordkrieger der islamistischen Terrororganisation Al Kaida das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Sie brachten tausende Zivilisten um. Die Terroranschläge wurden in der gesamten islamischen Welt bejubelt – und als Kriegserklärung an das dekadente christliche Abendland gewürdigt. Präsident George W. Bush und die US-Administration nahmen die kriegerische Herausforderung an. Sie starteten gemeinsam mit ihren Verbündeten einen Feldzug gegen das Taliban-Regime in Afghanistan, das die Al Kaida nach Kräften unterstützt hatte.
Daran übten Beschwichtiger und Pazifisten fundamentale Kritik. Die Al Kaida sei eine winzige Minderheit in der islamischen Welt. Ein umfassender Krieg gegen das Taliban-Regime werde lediglich zu einer Eskalation und damit zu einer militärischen Konfrontation mit der islamischen Gemeinschaft, der Umma, und dem Westen führen. Es sei daher klüger, mit den Taliban zu verhandeln anstatt einen Feldzug zu starten. Die militärischen Ereignisse in Afghanistan schienen den Beschwichtigern Recht zu geben. Die westlichen Armeen ließen sich nach der Besetzung des Landes in einen langwierigen Partisanenkrieg verwickeln. Aus diesem ziehen sie sich nun nach zehntausenden Toten und Billionen Kosten zurück. Ein politisches, militärisches, ökonomisches und vor allem weltanschauliches Fiasko.
Fehler Saddam
Es wurde eingeleitet durch den überflüssigen Krieg der USA und Großbritanniens gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein 2003. Der seit 2009 amtierende amerikanische Präsident Barack Obama trat als Friedenspolitiker an. Er versprach, die US-Truppen aus Irak und Afghanistan abzuziehen. Dies ist weitgehend in die Tat umgesetzt. Doch die friedliche Absicht Obamas und seiner demokratischen Verbündeten führte keineswegs zu einer Pazifizierung, wie ihre Protagonisten versprochen hatten. Im Gegenteil. Die Islamisten sind weltweit auf dem Vormarsch. Der Islamische Staat bedroht die friedlichen arabischen Regime trotz einzelner militärischer Rückschläge allenthalben. Von Libyen bis Jemen, von Nigeria bis Pakistan sind radikale Islamisten in der Offensive. Die Staaten Westeuropas, selbst das pazifistische Deutschland, werden zunehmend von Terroranschlägen heimgesucht.
Als diplomatische Meisterleistung wird das Kernwaffenabkommen der ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder plus Deutschland mit Iran gefeiert. Teheran versprach im Gegenzug für die Aufhebung von Sanktionen die Produktion von hochangereichertem Uran einzustellen, das für die Herstellung von Nuklearwaffen gebraucht wird. In dem Vertrag wird jedoch mit keinem Wort das Existenzrecht der Staaten in der Region erwähnt. Ergebnis ist, dass das fundamentalistische Mullah-Regime fortfährt, islamistische Terrororganisationen wie die schiitische Hizbollah in Libanon, die Huthi-Rebellen in Jemen und die menschenverachtende Diktatur von Präsident Assad mit Waffen, Geld und Ausbildern zu unterstützen. Auf diese Weise werden traditionelle Verbündete des Westens wie Saudi Arabien, Jordanien, Ägypten und Israel zunehmend bedroht. Gleichzeitig verstärken sunnitische Fundamentalisten und Terrorgruppen ihre globale Offensive gegen die freiheitlichen Länder des Westens.
Kopf aus dem Sand
Wenn der Strauß seinen Kopf in den Sand steckt, erspart er sich den Anblick der Wirklichkeit. An der Realität ändert er dadurch freilich nichts. Es wird Zeit für die westlichen Demokratien zur Kenntnis zu nehmen, dass der militante Islam spätestens seit dem 11. September die freiheitliche Gesellschaft mit einem unbarmherzigen Feldzug überzieht – ob man diesen Dschihad nennt oder nicht, ist unwesentlich. Der Angriff gegen den Westen wird von politischen Opportunisten wie Russlands Präsident Putin und seinem islamistischen türkischen Kollegen Erdogan mit Schadenfreude und mit der gewaltsamen Verfolgung eigener Interessen begleitet.
Es ist für die friedens-verwöhnten freiheitlichen westlichen Gesellschaften und ihre Politiker höchste Zeit, den Kopf zu heben und sich ein ungeschminktes Bild der Wirklichkeit zu machen. Die demokratische Welt besitzt das wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Potenzial, die Auseinandersetzung mit den Islamisten und ihren Helfershelfern mit Leichtigkeit zu bestehen. Dieses Ringen wird jedoch nicht durch die Nennung des höheren Bruttoinlandsprodukts entschieden, sondern vor allem durch die Entschlossenheit, seine Werte zu verteidigen. Notfalls mit Gewalt.
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