Nationaler Bildungsbericht: Wieder wird um den heißen Brei herumgeredet

Der "Nationale Bildungsbericht" klagt über Unterfinanzierung und agiert nach dem Motto: Abitur für alle. Zugleich fördert man „woke“ Agendafächer. Die Gründe für den Niedergang der Bildungsnation Deutschland liegen ganz woanders.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Bettina Stark-Watzinger (r, FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung, stellt den nationalen Bildungsbericht «Bildung in Deutschland 2024» vor.

Jedes Jahr das gleiche Spiel. Pardon: Alle drei (!) Jahre die immer gleich redundanten Pisa-Ergebnisse. „Redundant“, weil „Pisa“ nur einen minimalen Ausschnitt aus dem schulischen Bildungsgeschehen erfasst und damit trotzdem ein ums andere Mal eine Ungerechtigkeitsarie angestimmt wird. Schuld: ein angeblich sozial selektives Gymnasium. Und alle zwei (!) Jahre die ebenfalls sehr bedingt aussagekräftigen, wenn auch voluminös inszenierten Aussagen des „Nationalen Bildungsberichts.“

Dabei weiß man längst, dass die vormalige Bildungsnation eine Absteigernation ist. Aber es wird gebetsmühlenhaft immer das Gleiche bejammert: „Wir stehen vor großen Herausforderungen“, es werde zu wenig Geld investiert, es gebe zu wenig Ganztagsangebote, bald die Hälfte der Grundschüler erreiche die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht, wir hätten zu wenig Abiturienten und Akademiker, die Integration von Zuwanderungskindern gelinge nicht. Überhaupt sei das ganze System ungerecht, weil nicht alle aus allen sozialen Schichten eine Gymnasialempfehlung bekämen. Was auch immer „Gymnasium“ heute noch heißen mag!

Nun hat das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF, Frankfurt/M.) am 17. Juni 2024 den „Nationalen Bildungsbericht 2024“ vorgestellt. 436 Seiten sind es geworden. Unter Mitarbeit von rund hundert „Expert:innen“ und „Autor:innen.“ Allein hier, spätestens aber bei „Hinweise für Leser:innen“ möchte man aufhören zu lesen. Über zweitausendmal springt einem der Gender-Doppelpunkt auf den mehr als vierhundert Seiten entgegen.

Blättert bzw. scrollt man das 436-Seiten-Konvolut dennoch durch und bezieht die öffentliche Berichterstattung mit ein, muss man jedenfalls feststellen: Es dreht sich alles im Kreis. Und es geschieht … Nichts! Denn der „Nationale Bildungsbricht“ macht einen weiten Bogen um mehrere Kernprobleme. Ein paar Dinge seien thesenartig herausgegriffen und rhetorisch fragend durchleuchtet.

Wenn alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur

Für die Bildungsdebatte scheint wie vor exakt 60 Jahren der Spruch des damaligen „Bildungsforschers“ Georg Picht (1964) zu gelten: „Wir brauchen mehr Abiturienten, auch wenn wir sie nicht brauchen.“ Diese monomanische Fixierung auf Gymnasium und Studium hat das Gymnasium selbst ausgehöhlt, aus den Hochschulen Massenbetriebe gemacht und einen eklatanten Fachkräftemangel verursacht. In den Köpfen sehr vieler Eltern, zumal mit nur einem Kind, hat sich festgesetzt: „Der Mensch beginnt mit dem Abitur.“ Dieser Verirrung sitzt auch der aktuelle „Bildungsbericht“ auf, wenn er selbst im Zusammenhang mit Migration festhält: „Für Zugewanderte, die als Minderjährige und größtenteils mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, sinkt die Hochschulabschlussquote mit steigendem Zuwanderungsalter.“ Wie wenn dies das wichtigste Kriterium von Integration wäre. Im übrigen driften Studierberechtigung und Studierbefähigung immer weiter auseinander. Einfacher ausgedrückt: Nicht alle der drei Millionen Studienberechtigten sind studierfähig. Dennoch werden die Noten in Schulen und Hochschulen immer besser.

Viel hilft viel? Nein!

Der Bildungsbericht beklagt eine „unzureichende Finanzierung“ des Bildungswesens. Zu Recht? Nein! Deutschland gab im Jahr 2022 für Bildung 264 Milliarden Euro aus. Das sind 46 Prozent mehr als 2012. (Bei einem Kaufkraftverlust von rund 18 Prozent in diesem Jahrzehnt.) Damals waren es 181 Milliarden. Kaufkraftbereinigt ist es also immer noch ein Plus von annähernd 30 Prozent für Bildung. ABER: Wenn es jetzt heißt, das deutsche Bildungswesen sei unterfinanziert, dann muss man zurückfragen: Werden die Milliarden immer sinnvoll ausgegeben? Ist es volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn derzeit 3 Millionen junge Menschen immer länger studieren? Wenn sie bis zum Erwerb des Masters an der Universität zuletzt 13,6 Semester (2016: 12,3 Semester) und an der Fachhochschule zuletzt 12,3 (2016: 11,6 Semester) brauchten? War die Fachhochschule nicht auf einen rascheren Durchlauf konzipiert worden?

Immer neue „woke“ Fächer

Bleiben wir bei Finanzierungsfragen: Ist es sinnvoll, an den Hochschulen immer neue Professuren einzurichten für „woke“ Agenda- und Sentenzfächer? Etwa Gender-Studies, Postcolonial Studies, Critical Whiteness Studies, Queer Studies, Gender Studies. Und als oberstes Uni-Label “ESG”: Environmental, Social, Governance. Ist es sinnvoll, wenn die jährlich mit rund 4 Milliarden bestückte „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) die Drittmittelvergabe davon abhängig macht, ob Hochschulen Gleichstellung und Diversität „durchgängig und sichtbar auf allen Ebenen“ verfolgen. Die DFG geht mit gewichtigen „Empfehlungen“ voran – etwa mit folgenden Projekten: „Gender-Bias-Schulungen“, Empfehlungen zur gendersensiblen Sprache, Gender-Monitorings, Erweiterung des Gender-Consultings, „All Gender“-Toiletten, Zertifikat „Gender Kompetenz“ …Forschungsförderung in Deutschland eben! Vor allem der Kampf der „Wissenschaft“ gegen Rechts, gegen Rassismus und gegen GMF (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) ist angesagt. Erforscht werden hier jedoch nicht etwa die Folgen der Migrationspolitik, sondern es werden die Kritiker der Migrationspolitik unter die Lupe genommen.

Der Verfall der Bildungsnation hat zwei maßgebliche Gründe

Bildung geht nur mit Anstrengung. Dieses Prinzip scheint vergessen in einer Zeit, in der Bildung Spaß machen soll, in der Bildungseinrichtungen Lebensräume sein sollen. Realiter sind die Leistungsanforderungen von der Grundschule bis hinein in die Hochschulen bei gleichzeitig immer großzügigerer Benotung abgesenkt worden. Die bereits mit der Grundschule beginnende Digitalisierung des Lerngeschehens mit ihren Download-Häppchen tut ein Übriges; sie gaukelt den Kindern vor, dass alles ganz „easy“ und unterhaltsam ist. Das ist das hausgemachte Problem, das einem politischen Gefälligkeitspopulismus geschuldet sei. Das andere große Bildungsproblem ist importiert oder einfach geduldet. Konkret: Wenn in immer mehr Grundschulen 50 bis 90 Prozent Kinder sitzen, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, kann das nur zulasten der Bildungsansprüche gehen. Die mittlerweile selbst medial-öffentlich-rechtlich beförderte Einführung „leichter Sprache“ leistet dieser Entwicklung zusätzlich Vorschub.

Ein polemischer, aber durchaus ernstgemeinter Vorschlag zum Schluss

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird die Bildungsnation vermessen, getestet und evaluiert. Wurde diese Testerei selbst einmal evaluiert? Wie wäre es, die hierfür investierte (wo)men-power in praktische Bildungsarbeit zu transformieren. Konkretes Beispiel: Der Bericht “Bildung in Deutschland 2024” ist unter Mitarbeit von rund hundert (!!!) „Expert:innen und Autor:innen“ zustandegekommen. Wie wäre es, diese hundert Damen und Herren einfach „in die Produktion“ zu schicken, das heißt: in den Schulalltag. Dann wäre wenigstens ein kleiner, symbolisch wichtiger Beitrag zur Linderung des Lehrermangels geleistet. Der damit verbundene Praxisschock wäre durchaus heilsam für die „Expert:innen“.

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Kommentare ( 40 )

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siebenlauter
6 Tage her

Zwei komfortable Stellschrauben kommen halt immer wieder: Mehr Geld (sowieso) und ein besserer Personalschlüssel.
Allein schon dies zeigt eigentlich deutlichst an, dass wir es hier mit einem staatlichen Monopol zu tun haben. Und darin liegen auch die Ursachen für die hausgemachte Misere. Vielfalt hieße, Eltern könnten wählen. Aber das meinen die Schwurbelsozialisten aller Parteien genau nicht.

steru213
7 Tage her

Meiner Meinung nach wird eine Bildungseinrichtung nicht besser, wenn man sie mit Millionen an Steuergeld pampert. Ich war vor 20 Jahren an der Physik-Fakultät in der Moskauer Lomonossow-Universität und war entsetzt über die Zustände aller Einrichtungen. Dennoch wurden dort die besten Physiker des Landes ausgebildet. Die Gründe für das schlechte Bildungsniveau muss man also woanders suchen, aber das täte den Politiker*innen weh. 🤣

Last edited 7 Tage her by steru213
William Munny
7 Tage her

Ich habe meine persönliche Definition von Intelligenz, Bildung und Wissen. Genau in der Reihenfolge. Mal abgesehen von beeinflussenden Faktoren. Intelligent ist jemand der sich aller Widrigkeiten zum Trotz in seinem Leben BEHAUPTET. Das heisst, sich selbst die Grundlagen zu schaffen um die grösstmöglichste Zufriedenheit zu erlangen die seine Lebenssituation hergibt. Alles andere ist erlangten Wissen um staatliche verordnete Qualifikationen zu erlangen. Ðiese sind natürlich wichtig um einen Standart zu garantieren.Akku wird dünn.

Marcel Seiler
7 Tage her

Links-Grün tut alles, um diese Wahrheiten nicht sehen zu müssen:

1. Schulischer und akademischer Bildungserfolg hängen von der Intelligenz ab, und zwar so, wie der IQ von Intelligenztests gemessen wird. Intelligenz wiederum ist in hohem Maße erblich und kaum trainierbar.
2. Intelligente lernen gern. Ihr Gehirn braucht Futter. Intelligenten muss man keine „Spaß“-Umgebung liefern, sondern ein anspruchsvolles Umfeld, in dem sie ungestört – auch ungestört von den Nicht-Begabten – lernen können.

Deutschlands Politik leugnet dies und weicht in Ersatzaktivismus aus („Digitalisierung!“, „Mehr Geld!“, „Mehr Spaß!“). So wird die Bildung ruiniert – und Kindern die Zukunft genommen.

rainer erich
7 Tage her

Ich weiss nicht, ob der Vorschlag, von der Umsetzbarkeit abgesehen, das Problem loesen oder zumindest entschärfen koennte. Auch hier duerfte die Unkenntnis von der Praxis nur einen sehr kleinen Teil der Malaise ausmachen. Der Prozess, auch hier handelt es sich um einen solchen, begann dank eines Systems, auch das begegnet uns immer wieder, welches vorsichtig formuliert politischen und demzufolge auch ideologischen ( metapolitischen , zeitgeistigen, machttaktischen) “ Einflüssen“ unterworfen ist. An dieser Stelle ist es zulässig, von einem klassisch linken Einfluss, zeitgeistig und politisch, zu sprechen. Sozialdemokratisierung und der Einfluss der Ideologien aus den US – Unis, von den Gruenen… Mehr

Peter Pascht
7 Tage her

Nationaler Bildungsbericht“ – ein voller Erfolg kann man mit Bitterkeit nur sagen, wie man in den Medien lesen kann 7% mehr Grundschul-Schulabbrecher !!! Dabei sind aber jene die während des Unterrichtsjahres die Schule abgebrochen haben nicht miterfasst. „Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die keinen Abschluss schaffen, ist auf 6,9 Prozent gestiegen. 2022 waren es rund 52.300 Jugendliche, wie aus dem aktuellen Nationalen Bildungsbericht hervorgeht. Im Jahr davor waren es 6,2 Prozent, die den Abschluss nicht machten.“ Quelle: ZDF Dabei liegt die Ursache der Steigung bei: „Deutschland: Mehr Schulabbrecher mit Migrationshintergrund“„Im europäischen Vergleich brechen in Deutschland besonders viele junge Menschen… Mehr

giesemann
7 Tage her

Wissen ist Macht – nix wissen, macht auch nix. Letztendlich ist jede/r selbst verantwortlich für das, was er/sie weiß. Schule ist schon recht, aber es gilt: Lebenslanges Lernen. Abitur (“ er/sie wird abgegangen“), von lateinisch ab ire, also irgendwie abirrig.

Georg J
7 Tage her

„Jedes Jahr das gleiche Spiel.“
Rituale und reine politische Inszenierungen ersetzen seit Jahren die reale Problemlösung. Politik glaubt, dass ihre Aufgabe die Inszenierung von Behauptungen ist. Das mag funktionieren so lange „der Laden läuft“. Aber der Karren ist längst vor Wand gefahren. „Isch over“.

gast
7 Tage her

Irgendwo habe ich gelesen (war das hier?), dass diese FDP Ministerin ein Gutachten, gemäß dessen für Coronamaßnahmen keine Rechtfertigung mehr bestand, in der Schublade versenkt hat. Das Wahlversprechen des FDP Justizministers, dass im März die Maßnahmen enden, wurde also mit ihrer Hilfe noch um ein weiteres Jahr hinausgezögert.
Und diese Frau will mir etwas über Bildung erzählen?

Konservativer2
7 Tage her

Bildung ohne daraus resultierende technische Expertise ist für eine moderne, auf Technik angewiesene Gesellschaft mörderisch. Gender Studies & Co. sind gaga. Technikstudenten oder gewerbliche Auszubildende sind nur noch in Kleingruppen unterwegs.

Wir gehen kaputt und die Medien feiern das unter dem Stichwort „Transformation“, wahlweise auch unter dem irgendeiner „Gerechtigkeit“. Ein Resultat unserer Bildungspolitik. Glückwunsch, Deutschland.

Last edited 7 Tage her by Konservativer2