Bisher stand am 3. Oktober die „Vollendung der deutschen Freiheit und Einheit“ im Fokus. Man baute auf innerdeutsche Selbsthilfe, auf die eigene Kraft. Nun ist der Blick nach außen gerichtet. Im Innern sieht man nur Dunkles. Es ist das erste Mal seit der Wiedervereinigung, dass ein Pauschalverdacht in den Raum gestellt wird, der sich besonders gegen die neuen Länder, aber auch gegen das wiedervereinigte Deutschland insgesamt richtet.
Der „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ für 2016 ist ein bemerkenswertes Dokument. Er beinhaltet eine Wende. Hatten die bisherigen Jahresberichte im Wesentlichen die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer im Vergleich mit den alten Bundesländern betrachtet, so steht jetzt eine ganz andere These im Vordergrund: Ein „Rechtsextremismus in allen seinen Spielarten“, so behauptet der Bericht, stelle in den neuen Bundesländern eine „sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung“ dar. Das ist eine steile These. Es bedeutet im Grunde eine Abkehr von der Binnenentwicklung durch die eigenen Stärken der neuen Länder und des deutschen Föderalismus.
Denn es geht ja um ausländische Kunden, Investoren und Touristen, die durch die angebliche ostdeutsche Fremdenfeindlichkeit abgeschreckt werden. Nicht mehr von Deutschlands Stärken und Chancen ist also die Rede, sondern von ausländischen Ressourcen. Von ihnen soll nun eine gute Entwicklung abhängig sein. Das ist – im Vorfeld des Tages der Deutschen Einheit 2016 – eine bemerkenswerte Botschaft. Sie klingt nach Resignation vor den inneren Entwicklungsproblemen. Bisher stand am 3. Oktober die „Vollendung der deutschen Freiheit und Einheit“ im Fokus. Man baute auf innerdeutsche Selbsthilfe, auf die eigene Kraft. Nun ist der Blick nach außen gerichtet. Im Innern sieht man nur Dunkles. Es ist das erste Mal seit der Wiedervereinigung, dass ein Pauschalverdacht in den Raum gestellt wird, der sich besonders gegen die neuen Länder, aber auch gegen das wiedervereinigte Deutschland insgesamt richtet. Die deutsche Einheit scheint auf einmal kontaminiert zu sein – „Einheit“ liest sich auf einmal wie „Abschottung“.
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Eine Schuldzuweisung – Hier geschieht eine Art präventiver Schuldkonstruktion. Wenn etwas schief geht, sollen die „Fremdenfeinde“ schuld sein. Und es geht tatsächlich in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands einiges schief. Man denke an die zerstörerischen Wirkungen des Mindestlohns in der ertragsschwachen Unternehmensstruktur in den neuen Bundesländern. Man denke an die massiven Fehlleistungen in den Unternehmensführungen von Großunternehmen wie Volkswagen, Siemens oder der Deutschen Bank – um nur einige zu nennen. Man denke an die faktische Enteignung der Großunternehmen der deutschen Energiewirtschaft durch die Eliminierung der Kernkraft aus dem deutschen Energiemix. Nicht zu vergessen die völlig unhaltbaren zusätzlichen Sozialausgaben unter der Großen Koalition. Und die abenteuerlichen Haftungsverpflichtungen Deutschlands im Rahmen der europäischen Schuldenkrise. Bei jeder dieser Fehlentwicklungen lässt sich zeigen, dass hier eine Scheu im Spiel war, trotz besserer Einsicht harte Entscheidungen durchzusetzen – weil man die Kosten der Konfrontation fürchtete, die solche Entscheidungen bedeutet hätten. Es gäbe also, an diesem Tag der Deutschen Einheit 2016, viel zu besprechen. Vor allem wäre vom Opportunismus zu sprechen. Und von der schleichenden Kapitulation vor den inneren Entwicklungsaufgaben Deutschlands.
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Ein Arbeitgeberpräsident vernachlässigt seine Hausaufgaben – Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Berichts zur Deutschen Einheit meldete sich Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), zu Wort. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir im Ausland für unsere Willkommenskultur gefeiert wurden. Das ändert sich gerade. Jetzt zeigt sich ein anderes Bild“, sagte Kramer der Passauer Neuen Presse. Und es folgte haargenau die gleiche Schuldkonstruktion wie im Bericht der Bundesregierung: Der deutsche Fremdenhass, den auch der Arbeitgeberpräsident diagnostizieren zu können meint, soll dazu führen, „dass das Image deutscher Produkte leidet und die Investitionsbereitschaft zurückgeht“. Als gäbe es nicht reichlich andere Themen, unter denen der Ruf deutscher Produkte und deutscher Wirtschaftsvernunft leidet. Und als ob die Investitionsbereitschaft nicht längst generell schwächelt.
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Die Politik wird zur Negativ-Veranstaltung – Die um sich greifende Rede über die angebliche Fremdenfeindlichkeit bedeutet eine Negativ-Wende. Eine Politik, die so spricht, versucht nicht mehr, ihre Entscheidungen positiv mit den Chancen zu legitimieren, die sie eröffnen. Sie verweist nicht auf eine positive „gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung“, die durch Migranten-Rettung, Euro-Rettung, Klima-Rettung, Armuts-Rettung etc. bewirkt wird. Das würde auch schwerfallen. Die bisherigen Erfahrungen sind ja, vorsichtig gesagt, ernüchternd – insbesondere bei der Sanierung Deutschlands durch afrikanische und arabische Einwanderer. Aber die Rede der Regierenden gibt über das Scheitern ihrer Positiv-Legitimationen keine Rechenschaft. Sie schaltet kurzerhand auf eine Droh-Legitimation um: Die Öffentlichkeit soll sich über eine Fremdenfeindlichkeit Sorgen machen, die irgendwie aus dem Nichts im Lande ausgebrochen ist und nun das ganze Land blockiert. Doch damit fahren sich die Regierenden erst recht fest. Ihnen fehlt nun jegliche messbare positive Perspektive. Sie haben nur ein Warn- und Einschüchterungs-Thema.
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Über wirtschaftliche Drohungen in der Politik (I) – Und noch etwas geschieht. Die Drohung mit wirtschaftlichen Verlusten in der politischen Auseinandersetzung hat etwas Schäbiges. Etwas Herabsetzendes gegenüber den Bürgern. Denn es ist eine Drohung mit kleiner Münze. Sie spricht zum Publikum: „Die Investoren bleiben weg“, und setzt hinzu „Ihr werdet es in Eurem Geldbeutel spüren“. Und dahinter klingt die Melodie: „Das ist es doch, was für Euch zählt. Um das zu vermeiden, würdet Ihr alles andere preisgeben.“ Doch der Verkauf von politischen Hoheitsrechten gegen wirtschaftliche Prosperität ist ein schlechter und törichter Tausch. Denn es handelt sich um zwei Dinge, die gar nicht gegeneinander abwägbar sind: Auf der einen Seite steht der Wohlstand, den man keineswegs verachten sollte. Auf der anderen Seite steht die Kontrolle über das eigene Land, über seine Grenze, über seine Verbindlichkeiten, über seine Abwehrmittel gegen Gefahr, über seine Erkennbarkeit als Heimat. Wer verlangt, dass jemand für wirtschaftliche Vorteile auf seine politische Souveränität verzichtet, schlägt einen erniedrigenden Deal vor. Die Menschen sollen auf ihre politische Existenz als Citoyens verzichten zugunsten von Vorteilen als Wirtschafts-Bürger. Im Grunde verlangt man von den Menschen das Eingeständnis, käuflich zu sein.
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Über wirtschaftliche Drohungen in der Politik (II) – Ja, so würdelos ist der Vorgang. Diejenigen, die in der Migrationsfrage mit wirtschaftlichen Nachteilen drohen, halten das Volk politisch für käuflich. Ist die Sache einmal so verstanden, fallen einem sofort ähnliche „Überzeugungsversuche“ ein, die in der deutschen und europäischen Politik der letzten Jahren geltende Münze sind: Man will osteuropäische Staaten auf die Linie der deutschen Migrationspolitik zwingen, indem man ihnen die EU-Fördermittel kürzt. Man will die Ukraine zu einer einseitigen politischen Bindung an die EU zwingen, indem man die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland sanktioniert. Man wollte das TTIP-Abkommen mit den USA durchsetzen, indem man alle Kontrollfragen im Vagen hielt, aber bis auf zwei Stellen hinterm Komma die positiven Wirtschaftseffekte prognostizierte. Nicht anders ist es übrigens bei großen öffentlichen Bauvorhaben, wo die Politik die Rolle des Bauherren nicht mehr auszufüllen vermag, aber dem Publikum alle möglichen Fern-Projektionen über zusätzliche Jobs und Einkommen präsentiert.
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Über wirtschaftliche Drohungen in der Politik (III) – Dann kam das britische Referendum zum Austritt aus der EU. Auch da wurde massiv (unter eifriger deutscher Beteiligung) versucht, die Briten mit der Prognose einer Wirtschaftskatastrophe, die bei einem EU-Austritt angeblich „ganz sicher“ folgen würde, einzuschüchtern. Doch dann trat etwas ganz anderes ein. Die Briten haben sich ihre politische Existenz nicht abkaufen lassen. Sie haben gezeigt, dass ihnen das Recht, über die Verhältnisse in ihrem Land selbst zu entscheiden, so wichtig ist, dass sie auch gewisse wirtschaftliche Einbußen hinnehmen würden. Das ist ein wunderbares Beispiel. Ein Beispiel politischer Würde, das sich vielleicht als Auftakt zu einer Wiederentdeckung eines genuin politischen Denkens und Handelns erweisen könnte. Doch sollte man nicht vorzeitig jubeln, denn diese Auseinandersetzung ist noch nicht entschieden. Schon versucht die Europäische Union eine neue wirtschaftliche Erpressung der politischen Souveränität Großbritanniens. Sie will den Zugang der Briten zum EU-Markt nicht allein am Maßstab des gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteils messen, sondern sie will eine politische Gegenleistung erzwingen: die Briten sollen den unkontrollierten Zuzug von Bürgern der EU nach Großbritannien akzeptieren. Und nicht vergessen: Es war die deutsche Bundeskanzlerin, die schon ein paar Tage nach dem britischen Votum diese Erpressungslinie formulierte.
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Die Einheit als Auftrag zur Selbstverantwortung – Stellen wir uns einmal, ein bisschen britisch inspiriert, einen wirklichen Tag der Deutschen Einheit vor. Ein Tag, der nicht insgeheim versucht, ein Tag der Welteinheit zu sein. Aber ein Tag mit einem positiven Thema, modern und zukunftsfähig. Das Thema wäre: Deutschland. Der Weiterbau des Landes, die Verbesserung seiner Ordnung. Es wäre ein praktisches Thema, dessen Bearbeitung nicht auf die Erlaubnis von Anderen warten müsste. Es gibt zig Dinge, die in diesem Land besser gemacht werden können und die in den letzten Jahren verschludert wurden. Wozu denn überhaupt eine deutsche Einheit, wenn sie nicht selbstverantwortete, tätige Einheit bedeutet? Also: Die Deutschen bauen ihr Land weiter in der Freiheit und Einheit, die ihnen seit 1989 gegeben ist. Sie kümmern sich um ihre hausgemachten Fehler und um die einzelnen notwendigen Anpassungen – indem sie sich gemeinsam als Land verstehen, das jeden Tag selbst entscheidet, wie weit es seine Tore öffnet oder schließt.
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