Applaus, Applaus für deine Witze!

Vom kommerziellen Erfolg und Bekanntheitsgrad eines Fips Asmussen können die meisten jüngeren Kollegen nur träumen – am 27.1.2017 gab der Altmeister ein Gastspiel im Westen der Republik. Kabarettist Ludger K. im Publikum staunte.

Der Abend dauerte satte drei Stunden, doch schon nach 10 Minuten war mein Fazit unumstößlich: Das hier ist die eindrucksvollste Ein-Mann-Darbietung, die ich als Zuschauer jemals erlebt habe. Nicht nur der Protagonist zog mich in seinen Bann, sondern auch und vor allem das Geschehen drumrum. Es verriet viel. Der Reihe nach:

Bis in die 90er gab es den Ausdruck Comedy im Deutschen nicht, man sprach von Kabarett oder (wenn das auf jemanden so gar nicht passen wollte) von Blödelbarden, Spaßmachern, Alleinunterhaltern und Witzeerzählern. Für letztere stand und steht hierzulande ein Mann wie keiner sonst: Fips Asmussen. Millionen Tonträger mit seinem Konterfei wurden in der Schallplatten- und Kassetten-Ära verkauft, sein Name gilt seit je her als Inbegriff für anspruchslose Pointen in schneller Abfolge.

Seine einstigen Verkaufserfolge und das Schaffen eines Alleinstellungsmerkmals wären Grund genug, ihm einen gewissen Respekt zu zollen, ihn als Wegbereiter anzuerkennen und den Spätherbst seiner Karriere zumindest wohlwollend zu begleiten. Tun wir das? Natürlich nicht, wir sind ja Deutsche, ein Anerkennenkönnen ist nicht Teil unserer DNA:

„Der deutschen Güte, dem Leid und der Not gegenüber entspricht keine ähnliche Fähigkeit, am Glück, am Schönen, am Erfolg des Mitmenschen teilzunehmen.“ (Willy Hellpach, Arzt und Politiker, 1928)

Spätestens mit dem Aufkommen der unverbrauchten „Stand-Up-Comedy“ kurz nach der Wiedervereinigung (ein Genre, das später auch Leute wie mich auf die Bühne führte) war Schluss mit lustig für Fips Asmussen. Wie ein Fossil wurde er nur noch im MDR ausgestellt, von Oliver Kalkofe angeätzt, von erfolgshungrigen Emporkömmlingen bestenfalls ignoriert. Als Insider darf ich verraten (ohne zu denunzieren): Ein Ausspruch wie „Das war ein Fips“ wird hinter den Kulissen immer dann gerne bemüht, wenn eine Pointe als besonders schlecht gebrandmarkt werden soll. Zudem gilt Fips Asmussen vielen als rassistisch, sexistisch und als alles, was auf „-phob“ endet. Dass entsprechende Belegstellen aus seinem Repertoire nicht selten 40 Jahre auf dem Buckel haben, und dass etwa noch im ersten Otto-Film Mitte der 80er die Frage „Was soll er denn kosten, der Bimbo?“ unverblümt gestellt werden durfte, wird als Entschuldigung nicht akzeptiert. Fips ist durch! Natürlich war er auch selbst nicht ganz unschuldig an dieser Ausgrenzung: Aus seiner Verachtung gerade den jüngeren Kollegen gegenüber machte er nie einen Hehl, und er weigert sich zudem beharrlich, neues Material anzubieten. Tja, aber gerade die besonders hochgelobten Herrschaften der Szene konnten es nie lassen, in flauen Momenten mal kurz einen alten Asmussen-Kalauer einzustreuen, wenn die Stimmung im Saal abzuschmieren drohte – auf diese Weise blieb Fips in aller Munde, wenn auch in gänzlich anderem Sinne. Irgendwann begann ich, mich heimlich wieder für den Mann zu interessieren …

Beim Blick in seinen Tourplan fällt sogleich auf: Fips Asmussen gastiert vorzugsweise im Osten. Drum war klar, dass ich mir am 27. Januar 2017 die rare Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte, ihn quasi vor der Haustür live zu erleben, noch dazu im kultivierten Düsseldorfer Savoy. Ist der Laden mit seinen 500 Plätzen nicht viel zu groß für ihn? Welche Leute da wohl aufkreuzen werden? Mit geradezu kindlicher Spannung klickte ich im Online-Ticketshop auf den „Jetzt-kaufen“-Knopf und machte mich letzte Woche schließlich auf den Weg. Liebe Einblicker, ich darf Ihnen eine Fülle von Überraschungen verkünden: Das Theater war bestens besucht, das Publikum auffallend jung. Genauer: Das Gros der Zuschauer war männlich, deutlich unter 40 und nur in seltenen Fällen in der sonst vorherrschenden Zweierkonstellation unterwegs. Es gab etliche große Gruppen, fast wirkte das Foyer wie im Vorfeld eines Musik-Events. Asmussen hat sich anscheinend unbemerkt vom Mainstream einen Teil der Youtube-Generation erschlossen, und das leuchtet ja auch irgendwie ein: Die an den unmöglichsten Orten abrufbaren Kurz-Clips sind wie geschaffen für seinen launigen Schnellfeuerhumor, der auch hektischsten Begleitumständen trotzen kann, während allzu elegische Ausschweifungen, für die das politische Kabarett bekannt ist, in gleicher Lage unter akuter Wegwischgefahr stehen. Ist das, was hier abgeht im Savoy, also mehr ein Happening als ein Theaterbesuch? Dieser Eindruck bestätigte sich ab 20 Uhr im Saal:

Die Tür ging auf, und mit einer seinem Alter (fast 80) angemessenen Schwerfälligkeit tapste Fips Asmussen unter tosendem Begrüßungsbeifall die ersten Reihen entlang, erklomm holprig die drei Stufen zur Bühne, um nach routiniertem Beleidigungsintro dort angekommen in seine papageihafte Erkennungsweste gehüllt einen Tisch mit vier Beinen zu besetzen. Noch wirkte seine Stimme so, als sei das Aufsetzen einer Sauerstoffmaske für einen späteren Zeitpunkt fest eingeplant – doch eine solche sollte er bis Mitternacht nicht brauchen.

Auch diejenigen, die keine Asmussen-Platte mehr im Gedächtnis hatten, dürften von kaum einer Pointe verblüfft worden sein, alles war altbekannt. Die Stimmung im Saal jedoch, die war genau so bemerkenswert und entgegen jeder Erwartung, wie die Zuschauerschaft als solche es schon vor Einlass gewesen war. Um Sie, liebe Einblicker, daran teilhaben zu lassen, darf ich einen kurzen theoretischen Vergleich ziehen zwischen der Welt des Humors und der Welt der populären Musik:

Wenn Sänger oder Bands, die auf eine gewisse Karrieredauer zurück blicken können, ein Konzert geben, so gerät ein Publikum gemeinhin immer dann aus dem Häuschen, wenn genau das gespielt wird, was man kennt – bei leidlich bekannten Neuerscheinungen hingegen bleibt es eher still. Im völligen Gegensatz dazu sind Kabarettisten dazu genötigt, immer wieder frische Witzware zu liefern, denn die Stimmung vor ihnen lebt vom Überrascht-Werden, vom Brechen einer Erwartung; ist der Witz bekannt, bleibt die Freude aus. Fips Asmussen gelingt es – und so etwas hatte ich zuvor NOCH NIE erlebt – diese goldene Regel umzukehren!

„Ich lag gestern mit 39 im Bett – das war ein Gedränge, kann ich euch sagen!“ Als dieser Satz fiel, brandete ein Jubel auf, als wären bei einem Smokie-Konzert grad die ersten Gitarrenriffs von „Living next door to Alice“ angeklungen. Solche Momente gab es einige im Programm, und je bekannter die Pointe war, umso mehr wurde Asmussen gefeiert. Und dazwischen? Ich glaube: Fips Asmussen darf nicht an der üblichen Stilistik im Bereich der Komik gemessen werden. Er erzählt keine Geschichten, die Gesetzmäßigkeiten unterliegen, eines Aufbaus bedürfen, einen klaren Abschluss brauchen, um per Überleitung einen Sinnzusammenhang zu bilden – stattdessen schafft er das seltene Kunststück, die Meute in einer dreistündigen (!), ununterbrochenen Lachspannung zu halten. Ein wichtiger Punkt, um das Phänomen Asmussen zu verstehen und zu einer Wertschätzung überhaupt fähig zu werden. Es gibt keinen Leerlauf bei Fips Asmussen! So gehen dann auch unzählige, einzeln betrachtet gar nicht mal üble Stellen, bei ihm im Programm einfach unter und werden unbemerkt mitgeschleift, während dieselben Stellen in anderen Programmen mit anderer Grundstilistik durchaus das Zeug zu einer sog. „Punchline“ hätten, das heißt: sogar zum Abschluss einer längeren Geschichte fähig wären und dem Publikum eine artige Klatschreaktion damit quasi auferlegen würden.

„… DAS ist ein Arzt, sag‘ ich euch, bei Durchfall verschreibt der ’nen Handstand!“ Im zweiten Teil hielt der alte Mann das Tempo derart hoch, dass solche Dinger oft dutzendfach pro Minute kamen. Zwischenapplaus gab es während der gesamten Darbietung so gut wie keinen, was manchen zu der falschen Annahme verführen könnte, die Stimmung sei schlecht gewesen. Nein, Applaus bleibt bei ihm aus, weil Asmussen keine Gelegenheit dazu lässt. Weil er pausenlos feuert. Weil er gleich wieder den nächsten auf Lager hat. Er verzichtet zudem gänzlich darauf, sich selbst über seine eigenen Gags kaputt zu giggeln. Sein Lachen ist selten, und dann ist es eher ein väterlich-verschmitztes Kommentieren. Er schindet keine Zeit, keinen Applaus, wiederholt nicht. Er erweckt auch erst gar nicht den Anschein, irgendeine politische Botschaft loswerden zu wollen, wenn er seine Schimpftiraden mit Politikernamen anreichert. Jede angeblich „aktuelle Meldung“ gibt sich ganz offen als frei erfunden zu erkennen. Er geht sogar so weit, den „Ostfriesen“ als Zielscheibe des Spotts ausdrücklich beizubehalten, anstatt ihn zu ersetzen durch alternative, „modernere“ Bevölkerungsgruppen, um dadurch besonders angejahrten Gags eine aufhübschende Spritze zu verpassen. Nein, seine Witze dürfen ohne Botox altern. Kurzum: Er verschmäht alle Techniken, die einem das Leben auf der Bühne erleichtern können. Und das seit Jahrzehnten.

Als ich mich vor Jahren in den USA an ein paar lockeren Kurzauftritten versuchte, fragte mich ein Amerikaner nach einer Show: „Was heißt ‚Heckler‘ auf deutsch?“ – Ich: „Was ist das, ein ‚Heckler‘?“ – Er: „Na ja, das ist jemand im Publikum, der bewusst den Auftritt stört. Einer, der rhetorische Fragen beantwortet, der uns Comedians aus dem Konzept bringen will. Manche Kollegen hier in den USA heuern sogar extra einen Heckler an, um sich im Schlagabtausch profilieren zu können.“ – Ich: „Heckler – dafür gibt es kein deutsches Wort!“ – Er: „Das sagt eine Menge aus über deutschen Humor!“ Mein US-Kollege hatte damit so Recht. Ich hab’s immer wieder erlebt, bei anderen und bei mir selbst, dass der Deutsche auf der Bühne sich durch nassforsche Zuschauer belästigt statt herausgefordert fühlt und ein „Geheckelt-Werden“ gar nicht erst zulässt. Im Savoy warteten jede Menge Heckler auf Asmussen – er tolerierte und parierte sie alle! Und auch nach längeren Passagen des Disputs hat Fips Asmussen stets pfeilschnell den Weg zurück an exakt die richtige Stelle des Zwangsausstiegs gefunden. Mit fast 80. Was für ein Mann!

Zugegeben: Dasselbe Material von einem Jüngeren dargeboten, und mein Wohlwollen wäre beträchtlich dünner – doch mir geht’s hier ja auch überhaupt nicht um ein Auseinanderklamüsern von Textstellen, sondern um das Vermitteln und Wertschätzen eines Gesamtkunstwerkes. (Noch mal auf den Punkt gebracht: 90% der Asmussen-Witze mögen altbekannt sein, aber das ist in seinem Fall vollkommen schnurz!) Worum es mir hier eher geht, ist ANERKENNUNG. Zwar ist leicht herauszuklicken, dass in letzter Zeit wieder häufiger und auch einigermaßen wohlwollend über Asmussen berichtet wird (der SPIEGEL hat’s getan und ebenso das mit TICHYS EINBLICK geistig verwandte Magazin CICERO), aber reicht das denn? Gibt es nicht irgendeinen Scheiß-Ehrenpreis für’s Lebenswerk eines Fips Asmussen, den man dem Manne mal irgendwo ans Revers klemmen kann, so lange er noch lebt? Der Deutsche Comedypreis wäre angebracht! Echt.

Nach einem unvergleichlichen Live-Abend im Savoy versuche ich es mal als Kollege frei nach den Sportfreunden Stiller in Richtung Fips Asmussen:

Applaus, Applaus, für deine Witze!
Mein Herz geht auf, wenn du lachst!
Applaus, Applaus, für deine Art mich zu begeistern.
Hör niemals damit auf! Ich wünsch‘ mir so sehr, du hörst niemals damit auf!

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