Volksparteien a.D.

SPD und CDU haben in Berlin versagt. 21,6 % respektive 17,6 % sind die Quittung für eine Groko im Land Berlin, aber auch für die versagende Merkelregierung. Jetzt kommt das grün-rot-rote Weiter-so. Auf der Strecke bleiben die tatsächlichen Probleme.

© Sean Gallup/Getty Images

Kein Wunder, dass in Zeiten, in denen das Wort „Volk“ belastet ist, gerade die Parteien, nämlich CDU und SPD, die sich wer weiß was auf ihren Status als Volkspartei einbilden, einen besonderen Attraktivitätsverlust bei den Wählern hinzunehmen haben. Volksparteien, die sich schwer tun mit dem Volk, sind allem Anschein nach Auslaufmodelle.

Das Ergebnis der Berliner Wahlen zeigt, dass das Monstrum der sogenannten Großen Koalition aus SPD und Union auf den Bund hochgerechnet, trotz der Verluste beider Koalitionäre, 2017 bereits jetzt so gut wie wiedergewählt ist. Im Bund nämlich, anders als in Berlin, wird Rot-Schwarz mit Verlusten weiterhin die Mehrheit stellen. Keiner will die große Koalition wirklich, aber eine linke Mehrheit gibt es in Deutschland, anders als in Berlin, nicht.

Die FDP in Berlin ist nicht wirklich eine revitalisierte Variante der klassischen liberalen Partei. Sie ist zu einem guten Stück bürgerliche Protestpartei light, wie CSU-Generalsekretär Scheuer zu Recht in den Tagesthemen am Sonntag Abend bemerkte. Unionsintern kann es jetzt zu einigem Streit kommen. Die AfD stabilisiert und etabliert sich im für sie kritischen Land Berlin mit satten 14,2 Prozent. Das macht es nicht unwahrscheinlich, dass die AfD bei den Bundestagswahlen besser abschneiden könnte, als es ihr die Profidemoskopen zubilligen mögen.

berliner-wahlergebnis

Die politischen Gewissheiten gibt es kaum noch. Und so lässt sich keine mittelfristige Prognose treffen, nur dass auf kurze Distanz allein die Union und die SPD 2017 noch einmal vom Wähler ins Rennen geschickt werden, ist bis jetzt sehr wahrscheinlich. Merkel und ihre CDU haben in Berlin zwar verloren, aber der Berliner Souverän hat sich für das Weiter-so entschieden. Lediglich die Beflaggung wird auf grün-rot-rot umgestellt. Allerdings: Auch die Grünen haben verloren. Die auch empfindlichen Verluste (2,4%) der Grünen (15,2 Prozent) in Berlin machen die ohnehin irrealen grün-schwarzen Träume im Bund kaputt. Dafür konnte die Linkspartei als Einmal-Effekt einige Protestwähler aus dem linken Milieu hinzugewinnen.

Das sind dürre Aussichten auf demokratische Veränderungen in der Bundesrepublik, wenn die einzige realistische Chance auf solche Veränderungen in einem steigenden, aber nach allem, was man sieht, doch schlaff bleibenden Protest an der Vorsitzenden und Kanzlerin Merkel besteht. Die Union ist ideenlos und als Innovationsmotor völlig ungeeignet.

Merkel hat die Politik in Deutschland grün gemacht und die grüne Politik läuft weiter und das im Übrigen ganz unabhängig davon, ob Merkel an der Regierung ab 2017 beteiligt sein wird oder nicht.

Der Schaukampf gegen Rechts und der heldenhafte Verhinderungskampf der AfD werden weiterlaufen. Die Einwanderungspolitik wird chaotisch bleiben und in sich widersprüchlich obendrein. Das Ergebnis der Berliner Wahl eröffnet einen sehr düsteren Blick auf die aktuelle und mutmaßlich zukünftige Lage.

Solange die Bundesrepublik und die bundesrepublikanische Wirtschaft vom Niedrigzinsgeld der Weltmärkte und dem künstlich erzeugten Nullzinsgeld der eigenen Notenbanken profitieren und die wirtschaftlichen „Erträge“ alle politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen mit Geld zukleistern, gibt es keinen politischen Veränderungsdruck.

Die Zeit des wertlosen Geldes – und Geld, das keine Zinsen abwirft, darf man getrost als relativ wertlos bezeichnen – wird allerdings nicht von unendlicher Dauer sein. Die Bundesrepublik lebt fatalerweise derzeit sehr gut über ihre Verhältnisse. Sie belastet damit die Zukunft der jüngeren Generationen, die sich allerdings darin gefallen, dieses Spiel aller im Bundestag vertretenen Parteien blindwütig mitzuspielen.
Erst wenn Verteilungskämpfe anstehen, weil die Wirtschaft und das System nicht mehr mit Billiggeld geflutet werden, wird es einen demokratischen Druck geben, die festgefahrenen Politiken der etablierten Parteien aufzubrechen.

Die AfD wird ihr Dasein in der Isolation fristen

Protest an den Rändern, Antifa oder Rechtsradikale, ist in Deutschland, egal wie die Medien diesen zur Selbstinszenierung instrumentalisieren, nicht geeignet, politische Veränderungen herbei zu führen. Auch die AfD, die angesichts ihrer Wahlerfolge keine Randpartei ist, wird noch lange systematisch neutralisiert werden, in dem alle Parteien ihren Ausgrenzungsmodus zelebrieren. Die AfD wird mit anderen Worten in der Isolation ihr Dasein fristen. Die Anti-AfD-Politik der anderen Parteien, ist allerdings kein Ersatz für realitätsbezogene Politik.

Die Gesellschaft, neuerdings idiotisch Zivilgesellschaft genannt, zerfällt in Berlin besonders schön sichtbar in eine zunehmende Zahl von Parallelgesellschaften. Und was machen die Berliner? Sie schicken den blassesten Bürgermeister aller Zeiten, MIchael Müller, über seine 21%-SPD in ihr rotes Rathaus und das ist symptomatisch für das Geschehen in der Bundesrepublik. Dabei kann jeder Wähler seit langem an seinen zehn Fingern hochrechnen, dass der nächste Konjunktureinbruch so sicher kommt wie irgendetwas, die Frage ist nur wann.

Jeder kann hochrechnen, dass der Generationenvertrag immer unerfüllbarer wird und jeder kann hochrechnen, dass die Integration der Einwanderer aus vielen Gründen, wenn nicht scheitern, dann doch zumindest noch sehr sehr lange Wunschdenken bleiben wird.

Die Bildungspolitik steht vor immer größeren Herausforderungen. Der Bildungs- und Ausbildungsstandort Deutschland wird entgegen vielen Schönredereien im Weltmaßstab der wirtschaftlichen Spitzennationen absinken, aber die Party geht weiter, solange sie eben weitergeht.

Die überwiegende Mehrheit in Deutschland ist konservativ. Sie weiß es nicht, weil sie nicht weiß, was konservativ ist und weil sie nicht weiß, was konservativ ist, weiß sie auch nicht, was grün und rot ist. Die Wähler in Deutschland waren noch nie so desorientiert und das, obwohl die Demokratie in Deutschland zwar nicht so alt und in die Köpfe eingebrannt ist, wie in England oder in Amerika, aber doch so alt ist, dass im Prinzip kaum noch jemand lebt, der nicht Demokratie bereits mit der Muttermilch aufgenommen hat.

Wenn die politischen Diskussionen zwischen Amtsträgern und Volk nur noch über die Nadelöhre einiger weniger etablierter Polittalkshows laufen, wird bei aller nervösen politischen „Vielfalt“, die die öffentlichen Diskurse beherrscht, der politische Willensbildungsprozess immer eindimensionaler und immer abhängiger von irgendwelchen zufälligen Modeströmungen oder „Denkschulen“. Zum Teil beklagen hochrangige Vertreter politischer Parteien selber, so auch in den Nachlesen in Mecklenburg Vorpommern und Berlin, dass sich die politischen Parteien programmatisch und in ihrem Erscheinungsbild kaum noch unterscheiden.

In den Talkshows wird vor allem maßlos viel Quatsch geredet. Ein Quatsch, der vortäuscht, als gäbe es unterschiedliche Meinungen zu konkreten Themen. Tatsächlich gibt es nur angepasste Selbstdarstellung. Die Realität wird nicht abgebildet und damit ist man bei dem noch vor wenigen Jahren undenkbar gehaltenen Absturz der Volksparteien. Es ist nämlich nicht so, dass die Union und die SPD den politischen Kontakt zu ihren Wählern verlieren. Es ist viel schlimmer, die Volksparteien haben keinen Bezug zur Realität ihres Volkes. Deswegen quatschen auch sie nur das ihnen in der konkreten Situation opportun erscheinende abgehobene Zeug und sie verfälschen die Realität obendrauf.

Je evidenter Missstände sind, desto intensiver werden sie ignoriert

Das Hauptthema der Zeit ist das Einwanderungsthema und auf diesem Feld der Politik läuft alles schief und wenn mal etwas ausnahmsweise richtig läuft, dann ist dies nicht politischer Lenkung geschuldet, sondern irgendwelchen Zufällen. Je evidenter Missstände sind, desto intensiver werden sie ignoriert. Scheinmoralitäten ersetzen Fakten und ersetzen faktenbasierte Politik.

Die Hoffnung auf einen korrigierenden Konjunktureinbruch hat etwas regelrecht makaberes, aber realiter gibt es nicht allzu viele Chancen auf Korrektur der etablierten politischen Unkultur. Der Absturz der CDU und damit der Sturz Merkels ist die andere, ebenfalls ziemlich düstere, aber einzige denkbare Variante, die dem etablierten Quatsch in Gestalt der Einwanderungspolitik ein Ende oder mindestens einen Dämpfer versetzen könnte. Der dann entstehende Druck zu einer grün-rot-roten Regierung wäre so groß, dass eine solche Regierung auch tatsächlich etabliert würde, so wie es jetzt in Berlin wohl auch geschehen wird. Eine solche Regierung würde allerdings unter starkem und erstarkendem Beschuss einer sich neu sortierenden bürgerlichen Opposition ziemlich schnell einen Realitätsschock erleiden.

An dieser Stelle ist schon wiederholt Werbung für das, was viele nicht ganz zu Unrecht als den absoluten Gau ansehen, gemacht worden, nämlich den linken Realitätsschock herbei zu führen – um aus der Falle der Merkelschen Politik, die de facto ja grün-rot ist, heraus zu kommen. Die Union kann sich nur noch in der Opposition und damit automatisch ohne Merkel regenerieren. Merkel ist eben nicht das kleinere Übel, sondern sie ist die Katastrophe. Ihre Politik ermöglicht es, dass eine Art Quatsch-Comedy-Allparteienkonsens, von Antifa bis CSU, die Realität wie irrelevant erscheinen lässt.

Die Zeiten starker Volksparteien, die sich antagonistisch gegenüber stehen, sind vorbei. Und damit ist auch der stabilisierende Effekt, den SPD und Union als Abfallprodukt ihres Widerstreits lieferten, vorbei. Volksparteien außer Dienst.
In Frankreich sind die politischen Erosionsprozesse noch deutlich weiter fortgeschritten Auch in den meisten anderen europäischen Ländern läuft die Politik aus dem Ruder. Das ist allerdings als Trost für die versagenden Volksparteien hierzulande gänzlich ungeeignet.

BerndZeller_Buch

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