Köln entzieht sich dem wahrhaften Umgang mit der Silvesternacht 2015 mit einer lächerlichen Propaganda-Inszenierung für gläubige Untertanen. Täter werden nicht bestraft, die Opfer erneut verhöhnt.
Ohnmacht ist ein furchtbares Gefühl. Vielleicht sogar das Schlimmste, das es gibt, weil es Machtlosigkeit in sich trägt. Das Gefühl, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein, nichts dagegen unternehmen zu können, obwohl sie unerträglich ist, trifft früher oder später jeden von uns. Es erfasst uns, wenn ein geliebter Mensch stirbt, genauso wie wenn wir aus jugendlichen Träumen erwachen und realisieren, dass wir die Welt nicht im Alleingang retten können. Menschen, bei denen zu Hause eingebrochen wurde, geben oft an, im Anschluss nicht in erster Linie Wut, sondern Ohnmacht empfunden zu haben. Ein Eindringling im Allerprivatesten. Das ist für viele kaum zu ertragen. Ähnlich ergeht es Opfern von Gewalt und als Frau ist die Gefahr, in eine solche Situation der Ohnmacht zu geraten, allein aufgrund der körperlichen Verfasstheit, ungleich höher.
Oft habe ich mir nach der Silvesternacht 2015/16 versucht vorzustellen, wie sich die Frauen in Köln und an anderen Orten gefühlt haben müssen, als sie eingekesselt von jungen Männern an allen Körperstellen, einschließlich dem allerintimsten Bereich, berührt wurden. Die Wahrheit, obgleich ich auch schon Situationen der Ohnmacht empfunden habe, ist, dass ich es nie ganz konnte, weil ich es schlicht nicht selbst erlebt habe. Weil diese Taten widerwärtig und von neuer Qualität waren. Weil das nichts mit dem zu tun hat, was man als Frau, selbst in den unangenehmsten Situationen mit aufdringlichen Männern im Alltag erlebt. Das Bisschen, was ich mir vorstellen konnte, hat allerdings gereicht, um mich wütend und fassungslos zurückzulassen. Eine Wut, die ob all der Versäumnisse und Ignoranz von Politik, Medien und Gesellschaft im Umgang mit diesen Taten bis heute Bestand hat. Die auch mich als Frau, die mit dem Selbstverständnis aufwuchs, dass Frauen in dieser Gesellschaft keine Menschen zweiter Klasse sind, ein Stück weit ohnmächtig zurückließ.
Denn dieses Bild hat angesichts dessen, was dort passierte und wie damit umgegangen wurde und immer noch wird, Risse bekommen. Die Übergriffe auf Frauen durch männliche Asylbewerber sind inzwischen trauriger Alltag von vermutlich nur regionaler Bedeutung, da im Fernsehen schon gar nicht mehr darüber berichtet wird. Köln passiert mittlerweile im Kleinen jeden Tag, soll jedoch als Einzelereignis verbucht werden, aus dem alle Beteiligten ihre Lehren gezogen hätten. Dass dies weder bei Politik, noch bei den Tätern der Fall ist, zeigt allein ein Blick auf das Resümee, dass wir nach einem Jahr ziehen können. Aber anderes ist ja wichtiger: Die Bekämpfung von AfD und Fake News zum Beispiel. Das Aufrechterhalten des Traumes von Multikulturalismus und einem friedlichen Zusammenleben zwischen Deutschen und Asylbewerbern um jeden Preis.
Trostlose Bilanz
Und ja, dieser Preis ist hoch. Vor allem für uns Frauen. Zuvorderst für die Opfer der Silvesternacht 2015/16, um die es in der Debatte ohnehin zu keinem Zeitpunkt wirklich ging. Von den 1.310 Opfern, die in den Tagen und Wochen danach Anzeige erstatteten, gaben 622 an, Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden zu sein. In 28 Fällen kam es zu versuchten oder vollendeten Vergewaltigungen. Über Stunden war die Polizei, restlos unterbesetzt, nicht in der Lage zu verhindern, dass hunderte Frauen mitten in einer deutschen Großstadt in aller Öffentlichkeit Opfer von sexuellen Übergriffen wurden. Das, was tatsächlich in dieser Nacht passierte, wurde – das belegen nicht zuletzt die ausgewerteten Tondateien – zu keinem Zeitpunkt in dieser Nacht vollständig erfasst. Es war die Nacht der Ohnmacht in Deutschland für hunderte, vielleicht tausende Frauen und ihre männlichen Begleiter, die sie in den seltensten Fällen vor den Übergriffen zu schützen vermochten.
Was macht eine solche Nacht der Ohnmacht mit Opfern und anderen Frauen? Als Frau habe ich mich nie sonderlich wohl in dunklen Straßenecken gefühlt. Ich wäre auch vor der Flüchtlingskrise nie alleine im Dunklen einen Feldweg entlang gegangen. Dass ich mich in diesem Deutschland des Jahres 2016 jedoch selbst inmitten der Öffentlichkeit, unter dem Licht der Straßenlaternen, umringt von deutschen Männern und Polizisten einer Situation des sexuellen Übergriffes schutzlos ausgeliefert sehen muss, zeigt allerdings, dass der vermeintliche Schutz durch die Öffentlichkeit nicht mehr existent ist. Dass selbst Orte, an denen man nie einen Zweifel hatte, als Frau geschützt zu sein, keinen Schutz mehr bieten. Dass, wenn ich an jedem Ort, in jedem Moment damit rechnen muss, Opfer eines sexuellen Übergriffes oder von anderer Gewalt zu werden, die Frage, ob sich etwas durch die vielen Flüchtlinge und Einwanderer hierzulande geändert hatte, einer rhetorischen Farce und Verhöhnung gleichkommt. Das Schlimmste an der Kölner Silvesternacht ist nicht einmal das sichtbare Versagen des Staates und seiner Diener, von Medien und dem immer noch relativierenden Teil der Bevölkerung. Es ist die unsichtbare Konsequenz aus diesem Versagen, die sich im stillen Rückzug vieler Frauen aus dem öffentlichen Leben zeigt. Ein Rückzug, der sich mir tagtäglich in Form von Mails junger Frauen offenbart, die sich nicht trauen, öffentlich Kritik zu äußern, aus Angst, dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt zu sein. Der seine Stille aus dem Zwang der political correctness einer Gesellschaft zieht, die ihren eigenen Landsleuten längst nicht mehr mit dem gleichen Mitgefühl und Empathie begegnet wie dem sakrosankten Fremden. Die verurteilt, wo sie Offenheit für Kritik und Ängste zeigen sollte, damit die innere Emigration vieler Menschen nicht weiter voranschreitet.
Wo ist der Rechtsstaat?
Ein Staat, der solche Taten nicht zu ahnden vermag, erhält das Gefühl der Ohnmacht auch nach der Tat aufrecht. Er könnte versuchen, es anders wieder gut zu machen, in dem er den Opfern zumindest eine Stimme gibt, sich um sie und generell um die einheimische Bevölkerung kümmert, in dem er zeigt, dass er ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt und darauf entsprechend reagiert. Dies ist jedoch weder nach Köln, noch nach dem Mord an Maria L. oder zuletzt dem Anschlag von Berlin geschehen. Das ist neben der eigentlichen Schande der zahlreichen Übergriffe, die zweite große Schande, die dieses Land irgendwann aufzuarbeiten haben wird. Wie oft hat man sich in diesen Zeiten einen Staatsmann wie Helmut Schmidt anstelle der Zettelleserin Merkel gewünscht und mit ihm eine politische Kaste, die endlich erkennt, dass Aussitzen nicht mehr funktioniert. Dass die Menschen sich mit den immer gleich klingenden Durchhalteparolen nicht mehr beschwichtigen lassen? Politiker wie er, das zeigt sich in der Krise wie zu keiner anderen Zeit, fehlen diesem Land mehr als alles andere.
Ein kleines Licht in Form der CDU-Obfrau Ina Scharrenbach leuchtet in diesen Zeiten geballter politischer Ignoranz. Sie war es, die den Opfern eine Stimme im Untersuchungsausschuss gab, als sie beantragte, Mitschnitte der Polizeinotrufe abspielen zu lassen. Sie ist und bleibt wohl die Einzige, die die vielen tausend Akten selbst gelesen und ein privates Register angelegt hat, welches es erst ermöglichte, die erschütterndsten Tonmitschnitte im Ausschuss abzuspielen. „Die greifen mir unter das Kleid und die Polizei macht nichts.“ Ist einer von ihnen. Im Hintergrund heulende Sirenen und donnernde Böller.
Ina Scharrenbachs Maßnahme, den Opfern eine Stimme zu geben, wird wohl eine löbliche Ausnahme bleiben. Für das Hochsicherheits-Silvester auf der Domplatte in diesem Jahr ist jedenfalls anderes geplant. So wird zunächst um 17.15 Uhr der Chor „Grenzenlos“ (ja, der heißt wirklich so!) verstärkt durch Höhner-Frontmann Henning Krautmacher „eine musikalische Einladung an alle aussprechen, den Silvesterabend fröhlich und sicher in Köln gemeinsam zu feiern“, heißt es auf der offiziellen Homepage der Stadt Köln. Der Chor wird aus Mitgliedern des Jugendchors St. Stephan und der Gruppe „Lucky Kids“ gemeinsam mit jungen Flüchtlingen im Alter von 14 bis 25 Jahren gebildet. In Englisch, Deutsch, Kölsch und den Muttersprachen der Flüchtlinge wollen sie „ein klares Zeichen für ein harmonisches Miteinander setzen“ heißt es weiter. Und: „Alle Kölner und Kölner-Besucher sind herzlich eingeladen mitzusingen.“
Die Reste der Bürgergesellschaft werden verstaatlicht
Wem jetzt noch nicht vor Rührung oder Übelkeit die Tränen in die Augen geschossen sind, auf den wartet jedoch noch ein ganz anderes, spezielles Highlight. So wird Phillip Geist, „renommierter Berliner Lichtkünstler“, mit Einbruch der Dunkelheit seine „multimediale Lichtinstallation Timedrift Cologne, begleitet von „Ambient-Klängen“ starten. Die Projektion würde dabei auch auf Wortvorschläge von Kölnern zugreifen, die Geist bei ihnen eingeholt hat, die auf dem Boden der Domplatte, des Roncalli-Platzes und auf die Fassaden des Römisch-Germanischen Museums und des Domforums projiziert werden sollen. Die Lichtinszenierung setze bewusst nicht den Kölner Dom in den Mittelpunkt, sondern die Fläche und die Menschen, die sich auf ihr bewegen. „Sie werden selbst zur Leinwand und zum Teil der Inszenierung.“
Was den Leuten da mehr oder weniger freiwillig auf die eigene menschliche Körperleinwand projiziert wird, verrät der renommierte Berliner Lichtkünstler sodann auch in einer gestrigen Sendung des Deutschlandfunks (28.12.: 18.28 Uhr). Neben catchy Begriffen wie „Weltfrieden“, der vermutlich von Miss Amerika eingesendet wurde, werden dort auch so herzerwärmende Slogans wie „Flüchtlinge sind Schützlinge“ erscheinen, so Phillip Geist. Wer gedacht hat, die Opfer der Kölner Silvesternacht seien über das Jahr verteilt von Politik und Medien schon genug verhöhnt worden, wird hier also erneut eines Besseren belehrt. Es geht eben immer noch eine Schippe drauf im Kampf um die Erhaltung der multikulturellen Geiselhaft. So ist es auch nur logisch, dass der Vorschlag der Opernintendantin Birgit Meyer zuvor abgelehnt wurde. Diese wollte die Domplatte zur „Bühne für starke Frauen aus Köln und der ganzen Welt“ machen. Ihre Idee: „Musikerinnen, Komponistinnen, Sängerinnen und Autorinnen erheben ihre Stimme in Erinnerung an die Auswüchse der Silvesternacht 2015, aber auch als Demonstration der Stärke des weiblichen Geschlechts“. Die Intendantin versprach sich davon „ein Zeichen in die ganze Welt, das über alle sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinweg verstanden wird“. Eine schöne Idee, für die jedoch kein Platz in einem Land ist, in dem das politische Endziel des Multikulturalismus um jeden Preis stets vor der angemessen Behandlung der Opfer und Einheimischen angesiedelt wird.
Rund um die Diskussion um geschmacklose und geschmackvollere Inszenierungen auf der Domplatte zeigt sich jedoch noch eine weitere Veränderung der Gesellschaft: Die Umfunktionierung eines Bürgerfestes wie Silvester, das nicht mehr frei und wie Jahrhunderte üblich stattfinden kann, zur Erziehungs- und Propagandaveranstaltung. So ist die Verstaatlichung der Reste von zivilem Leben, die diesem Land nach all den Übergriffen im vergangenen Jahr und nicht zuletzt dem Anschlag von Berlin noch bleiben, ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte kaum Beachtung findet, jedoch vermutlich die Blaupause für künftige Feste (Karneval etc.) darstellt: die staatlich veranstaltete (ehemalige) Bürgergesellschaft.
Und so lässt sich feststellen, dass sich die Frage, ob wir so weiter leben wollen wie bisher, vor diesem Hintergrund gar nicht mehr stellt. Sie ist längst beantwortet. Nicht von uns in Form einer bewussten Entscheidung und Bekennung zu westlichen Werten. Sondern von einer Realität, in der ignorante Gesellschaftsplaner anderen ihre Weltsicht aufdrücken, die uns unmissverständlich lehrt, dass wir längst zu Unfreien, zu Gefangenen der Ideologie geworden sind.
„Wir sind grad am Hauptbahnhof in Köln und sind gerade durch den Hauptbahnhofeingang gelaufen, und da stehen lauter Leute, und wenn man da durchläuft, da begrapschen die einen, langen unter das Kleid und alles – aber so richtig.“, oder „Am Hintereingang des Bahnhofs herrscht das regelrechte Chaos in Bezug auf Flüchtlinge, die begrapschen einen, und hier ist wirklich Chaos“, wären jedenfalls wahre Sprüche für eine Projektion gewesen.
Die Folge wird sein: Auf den einstmals öffentlichen Plätzen versammeln sich nur noch die loyalen Untertanen. Die übrig gebliebene Bürgergesellschaft zieht sich in Reservate zurück. Das gab es in der Geschichte schon öfter. Nach einiger Zeit folgten Revolutionen. Danach gehörte die Öffentlichkeit wieder den Bürgern.
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