Bürgergeldkampf statt Arbeitskampf

Der erste Mai ist der Tag der Folklorepflege für die SPD. Seit Jahrzehnten ist sie fast ungebrochen an der Regierung, stellt zurzeit sogar den Kanzler. An diesem Tag übt sie aber den Klassenkampf und demonstriert für … ja, für was eigentlich?

picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert
Petra Köpping, Sozialministerin von Sachsen, und Hubertus Heil (beide SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, nehmen an einer Kundgebung des DGB zum 1. Mai teil, 01.05.2024
SPD und Gewerkschaften marschieren am Mittwoch durch die Straßen, schwenken Banner und Parteifahnen. Sie betreiben Folklorepflege für den Arbeitskampf, der vor allem ein Bürgergeldkampf geworden ist. Hilfreiche Wirtschafts- und Lohnpolitik betreiben beide schon lange nicht mehr.

Um Arbeit im Vergleich zum Bürgergeld attraktiver zu machen, hatten FDP und Union vorgeschlagen, dass Überstunden in Zukunft von der Einkommenssteuer befreit sein sollen. Das lehnt Verdi ab.
„Überstunden weniger zu besteuern, bedeutet eine Diskriminierung von Teilzeitkräften und damit häufig von Frauen“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Die Modelle setzen darauf, dass nur Überstunden oberhalb einer Vollzeitstelle steuerlich begünstigt werden“, fügte der Gewerkschafter hinzu. „Es gibt in vielen Dienstleistungsbranchen aber kaum die Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten.“

Das Modell sei „komplett undurchdacht und lebensfremd“. Gut, der Verdi-Chef will nicht, dass seinen Mitgliedern mehr übrig bleibt von ihrem Lohn. Das muss man nicht verstehen, aber da die Gewerkschaften eng mit der SPD verbunden sind und die SPD Steuersenkungen grundsätzlich ablehnt, kann man verstehen, dass er so einen Vorstoß ablehnt. Zeitgleich fordert Werneke eine Erhöhung des Mindestlohns.

Im kommenden Bundestagswahlkampf sollen die Parteien für einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde eintreten. „Da die durchschnittlichen Löhne weiter steigen werden, braucht es 2026 einen Mindestlohn von 15 Euro die Stunde.“ Insofern empfehle er „jeder Partei, die von breiten Teilen der Bevölkerung gewählt werden will, im Bundestagswahlkampf deutlich zu machen, dass sie für 15 Euro die Stunde eintritt“.

Gut, das Festlegen des Mindestlohns ist eigentlich nicht Sache des Kanzlers, sondern der Mindestlohnkommission. Aber nachdem schon die Erhöhung auf 12 Euro parteipolitisch durch die SPD festgelegt wurde, braucht man sich über die Unabhängigkeit der Kommission keine Vorstellungen mehr machen.

Übrigens: Von einer Erhöhung des Mindestlohns profitiert vor allem auch der Staat, denn ca. 30 Prozent der Lohnerhöhung würden als Einkommenssteuer und Sozialabgaben an den Staat zurückfließen.

Warum kämpfen Gewerkschaften eigentlich für einen Mindestlohn für die gesamte Wirtschaft? Eine Gewerkschaft will eine Organisation von Arbeitern sein, die sich für den Klassenkampf im eigenen Betrieb zusammengeschlossen haben, um für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu kämpfen. Eine Gewerkschaft, deren Mitglieder von einer Mindestlohnerhöhung profitieren, leistet schlechte Arbeit. Das erklärt aber, warum die Zahl der Verdi-Mitglieder seit Jahrzehnten abnimmt. Sie versteht sich nicht als Vertretung der Mitglieder in den Betrieben – sondern als staatstragende Vertretung der Interessen der SPD.

SPD-diktierter Mindestlohn befeuert Inflation

Wie selbstzerstörerisch die Mindestlohn-Versteigerungen sind, demonstriert das Backhandwerk. „Die Energiekrise und Inflation mit enorm gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten in Folge des Ukraine-Kriegs zwangen zahlreiche Betriebe, ihre Preise anzupassen“, erklärte Roland Ermer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks der Bild. Zeitgleich habe eine weitere Erhöhung des Mindestlohns erfolgt, „was für viele Betriebe dazu führte, nicht nur die Vergütung von Mitarbeitern im mindestlohnnahen Bereich, sondern auch die Vergütung anderer Mitarbeiter anzupassen, um den Abstand zwischen gelernten und ungelernten Tätigkeiten zu wahren.“ Seit 2019 sind die Preise für Brot und Brötchen um 34,9 Prozent gestiegen.

Hubertus Heil (SPD) ist Bundesarbeitsminister. Er zeigt sich aber vor allem gerne als Bürgergeldminister. „Gerade zum Tag der Arbeit kann man nicht genug betonen: Ich lasse es nicht zu, dass Arbeitnehmerrechte rasiert und der Sozialstaat geschleift werden“, sagte Heil dem Tagesspiegel. Er warnt vor Kürzungen in den Sozialausgaben. Die Ampel hatte zuletzt das Bürgergeld um 12 Prozent erhöht. Mehr Geld für Menschen, die nicht arbeiten, von denen, die arbeiten. Viele Arbeitnehmer im unteren Lohnsegment müssen sich fragen, warum sie überhaupt arbeiten.

„Als Aufgabe bleibt, die Tarifpartnerschaft in Deutschland weiter zu stärken“, fordert Heil. Wo es Tarifverträge gebe, seien „Arbeitsbedingungen und Einkommen im Durchschnitt besser“. Deshalb kämpfe er für ein Bundestariftreuegesetz. Trotzdem sind immer weniger Menschen in Deutschland in tarifgebundenen Arbeitsplätzen. Denn diese Arbeitsplätze sind meist in der Industrie, im Maschinenbau, Stahlproduktion und ähnlichen Bereichen zu finden: Doch der Anteil der Industrie am Gesamtvolumen der deutschen Wirtschaft nimmt seit Jahrzehnten ab – Jahrzehnte, in denen auch die SPD mitregierte. Unter der Ägide der SPD werden gut bezahlte Facharbeiterstellen in der Industrie durch prekäre Jobs als selbstständige Fahrrad-Pizzakuriere ersetzt.

Wofür stehen SPD und Gewerkschaften?

Die Chefin des DGB, Yasmin Fahimi, wirft der SPD Profillosigkeit vor: „Die SPD müsste viel stärker und mit einfachen Worten sagen, wodurch sie sich eigentlich von den anderen unterscheidet“, sagte sie dem Spiegel. Zudem warnt Fahimi vor einer Verlagerung von Industrie aus Deutschland. „Es geht mittlerweile an die Substanz. Industriebranchen, die viel Energie benötigen, haben zunehmend Probleme mit ihren Kosten. Das müssen wir ernst nehmen.“ Fahimi sagte, sie mache sich Sorgen um die industriellen Wertschöpfungsketten. Vor allem in der Chemieindustrie drohe etwas wegzubrechen. „Auch die Produzenten von Papier, Zement, Keramik und Stahl stehen enorm unter Druck“, so Fahimi weiter. „Die energieintensiven Industrien verlagern schon jetzt Zukunftsinvestitionen und könnten mittelfristig im großen Stil abwandern. Schon allein, weil die Subventionspolitik in den USA und China eine ganz andere ist.“

Hört sich alles spannend an. Das Problem ist, das auch Fahimi am 1. Mai die Scheuklappen des modernen Gewerkschaftsdenkens nicht ablegen kann. Statt die Wirtschaft grundsätzlich zu stärken und so Löhne und Arbeitsplätze zu sichern, verlangt auch sie, dass die Bundesregierung Industriezweige subventionieren soll. Steuergeld soll ersetzen, was Regulierung zerschlagen hat: „Steuersenkungen für alle Unternehmen bringen nichts, das ist eine Idee aus der neoliberalen Mottenkiste“, so die DGB-Vorsitzende. „Der Staat muss dort gezielt unterstützen, wo ganze Geschäftsmodelle wegen der nicht mehr wettbewerbsfähigen Energiepreise in Deutschland wegbrechen.“

Dazu passt eine Meldung des Vergleichsportals Verifox. Das Portal hatte eine Befragung zu den anhaltend hohen Heizkosten durchgeführt. Demnach betrachten 70 Prozent der Befragten die Energiepreisentwicklung mit Sorge. 37 Prozent der Deutschen sagen, dass sie wegen nach wie vor hoher Kostenbelastung beim Heizen an anderer Stelle sparen müssen. 78 Prozent geben an, dass die derzeitigen Heizkosten generell das eigene Haushaltsbudget belasten. Damit habe sich die Lage in vielen Familien Verivox zufolge sogar verschlimmert. Bei einer ähnlichen Umfrage im März 2022, also nur kurz nach Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine, hatten lediglich 75 Prozent der Befragten von einer angespannteren Finanzlage aufgrund gestiegener Heizkosten berichtet.

Im kommenden Jahr 2025 steigt der CO2-Preis von bisher 34 Euro pro emittierte Tonne CO2 auf 45 Euro. Die Bürger werden das in den Heiz-, Strom- und Tankkosten direkt spüren, indirekt wird sich der höhere CO2-Preis auf die Preise von Waren und Dienstleistungen durchschlagen.

Aber heute ist 1. Mai, da kann man ein bisschen Arbeitskampffolklore machen, das ist wichtiger.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 25 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

25 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Kassandra
14 Tage her

Lindner und der Staatshaushalt gewinnen immer – wie bei einem Casino, wo immer die Bank gewinnen wird.
Steigende Löhne – steigende Einkommensteuer
dadurch
steigende Preise – höhere Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer.
.
Verteuert sich ein Produkt auch nur um einen Euro hat der Finanzminister pro Euro 19 Cent mehr in der seiner Haushaltskasse.
Ende Gelände ist halt dann, wenn sich der Arbeitnehmer Produkte wegen der hohen Preise nicht mehr leisten wird können.

A.Kroemer
14 Tage her

50 % der Empfänger sind keine Bürger? Was sind es denn dann? Definitionsgemäß sind alle Einwohner Bürger (einer Stadt oder einer Gemeinde, unabhängig von der Nationalität und dem Geschlecht, Augenfarbe oder Körpergewicht oder Haarfarbe/Haarlänge).

A.Kroemer
14 Tage her

Ich habe Anfang der 90er die Gewerkschaft verlassen, weil ich mich ziemlich veralbert gefühlt habe. So hat die Gewerkschaft seinerzeit wochenlang für uns »gekämpft« und wir bekamen jeden zweiten Tag Post, worin man sich selbst gelobt hatte. Die Rechnung war eigentlich schon klar, denn die Forderungen der Gewerkschaften und das Angebot der Arbeitgeber musst man nur zusammenzählen und durch 2 teilen: Das war in aller Regel die »erkämpfte« Lohnerhöhung. Der Austritt hatte folgenden Hintergrund: durch diese Lohnerhöhung ist nämlich mein Beitrag – der Lohnabhängig war – höher geworden, womit ich am Ende weniger Geld in der Tasche hatte als vor… Mehr

JuergenR
15 Tage her

Zu Verdi: Ein Freund von mir hatte schon vor einigen Jahren diese Gewerkschaft verlassen, weil in deren Mitgliederzeitschrift gefordert wurde, Arbeitskollegen, die durch politische Rechtslastigkeit auffallen, dem Vorgesetzten zu melden. Schon damals gab es dort also einen Aufruf zur Denunziation. Mein Vater (verstorben 1985) war ein glühender Gewerkschafter, er würde sich im Grabe umdrehen bei deren heutigen Machenschaften. Ich selbst war niemals Mitglied in einer Gewerkschaft und bin froh, daß diese niemals Mitgliedsbeiträge von mir erhalten haben.

giesemann
15 Tage her

Gestern a Maß Bier g’suffa, für schlappe 12,50 – dabei ist das bloß Wasser, zu 95%. Die Maß Wasser kostet 10 Euro. Da willst du schon 14 Euro Mindestlohn, oder? Zumal das brutto ist, nicht nutto.

Apfelmann
15 Tage her

Was für Traumwandler. Wer soll denn bitte von 15 Euro die Stunde leben können? Also bei 8h am Tag sind das 120 EUR, d.h. 600 Euro die Woche, also ca. 2.400 Euro pro.M. Dann hat man vielleicht 1.700 netto. Für Miete, Lebensunterhalt, Auto, Urlaub, usw. Das ist ja wohl ein Witz. Und dann am besten davon noch fürs Alter sparen. Ich lach mich schlapp.

Juergen P. Schneider
15 Tage her

Wenn man sich ansieht, wie alle DGB-Gewerkschaften das hohe Lied der grünen Transformation singen und damit die Verlagerung der Arbeitsplätze ihrer Mitglieder ins Ausland massiv unterstützen, dann wundert es doch, dass diese Arbeitsplatzvernichtungsorganisationen immer noch so viele Mitglieder haben. Den großen Befürwortern der grünen Transformation in der Autobranche oder beispielsweise in der Stahlindustrie fliegen nun bzw. in der nahen Zukunft die Konsequenzen ihrer einseitigen und realitätsfremden Vorstellungen um die Ohren. In kaum einem anderen Land ist man so bereitwillig dabei, Güter und Errungenschaften einer funktionierenden Wirtschaft auf dem Altar spekulativer Ideen zu opfern. Dieser freiwillige Verzicht auf Vernunft und das… Mehr

wackerd
15 Tage her

Wie jedes Jahr im Mai. SPD möchte höhere Löhne, Gewerkschaften mehr Freizeit bei noch höheren Löhnen, alle zusammen höhere Mindestlöhne. Sozialverbände höheres Bürgergeld für Nichtstuer und Leistungsverweigerer. Höheres Kindergeld wollen wieder alle zusammen. Derweil wandern weiter renommierte Unternehmen ab und Massenentlassungen bei Großunternehmen. Andauernde Kurzarbeit bei zahlreichen Firmen, u.a. bei einem Wärmepumpenhersteller! Dazu Extremistenfolklore in Berlin und HH durch Flintas (mit Achselhaaren und Bengalos), E-Autos und Lieferwagen in Flammen. Ach ja, in HH antiwestliche und antidemokratische Hassmärsche von eingewanderten Judenhassern, die als Lösung „für alles“ ein Kalifat in Deutschland fordern. So langsam frage ich mich, was ist aus meinem ehemals… Mehr

Last edited 15 Tage her by wackerd
elly
15 Tage her

Bsirske von Verdi hofierte die FFF Jünger und sitzt heute für die Grünen im Bundestag. Verdi-Chef Frank Werneke will keine AfD Anhänger „Wer sich zu AfD-Positionen bekennt und die Programmatik vertritt, hat bei uns keinen Platz“, sagte Werneke dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „ Die IGM hat als Vorsitzende die doppelte Quote: Frau mit Migrationshintergrund. Frau Fahimi mag auch keine AfD Anhänger und Wähler. Jetzt behauptet sie mal frech „Weil Firmen ihren Beschäftigten keine Tariflöhne zahlen, fehlen Milliarden Steuereinnahmen und Sozialabgaben. DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi nennt dies eine Katastrophe.“ https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-05/tarifbindung-dgb-tarifflucht-schaden-wirtschaft Ich kann mich noch erinnern, wie einmal von Verdi die Forderung kam, daß die… Mehr

Guenther Adens
15 Tage her
Antworten an  elly

Als vor mehr als 40 Jahren mein Berufsleben in einem mittelständischen Betrieb begann, habe ich mich geweigert, der Gerwerkschaft beizutreten und mein Gehalt selber ausgehandelt.
Das Ergebnis:
Viel Arbeit, wie bei den Kollegen auch, aber die Bitte des Chefs, doch nicht den (gewerkschaftlich organisierten) Kollegen mitzuteilen, was ich verdiene. Er sorgte sich um den Betriebsfrieden und befürchtete eine „Meuterei“.

Fred Katz
15 Tage her

Bei ThyssenKrupp Steel hat Aufsichtsrat Genosse Gabriel doch gerade Massenentlassungen erreicht.
Läuft für die Genossen.