Identitäre auf dem Brandenburger Tor

Was, wenn die Neue Rechte die bislang geduldeten und tolerierten Protestmethoden der Linken und Grünen übernimmt? Was, wenn Greenpeace und ziviler Ungehorsam oder Protest von der anderen Seite spiegelbildlich übernommen wird?

Die Identitären auf dem Brandenburger Tor: So eine Aktion muss man erst einmal planen und durchführen. Das wichtigste nationale Symbol Deutschlands, Symbol auch der deutschen Teilung und ihrer Überwindung, geschützt und überwacht, für seine Sache zu vereinnahmen, ist so etwas wie die Kür des politischen Ungehorsams.

Aber wie geht das weiter? Was, wenn die Neue Rechte die bislang geduldeten und tolerierten Protestmethoden der Linken und Grünen übernimmt? Was, wenn Greenpeace und ziviler Ungehorsam oder Protest von der anderen Seite spiegelbildlich übernommen wird? Ja, die Identitären wollen die Spaltung auf die Spitze treiben. Demnächst Schottern mit dem Klappspaten in akkurat gebügelten Oberhemden?

Greenpeace hat es vorgemacht. Die Besetzungen und Beflaggungen von Schornsteinen von Kohlekraftwerken oder von Atomreaktormeilern sind immer echte Husarenstücke – methodisch jedenfalls. Die Whalewatcher, engagierte Tierschützer, die mit allen Mitteln japanische Walkillerflotten beim Töten dieser einzigartigen Säugetiere behindern, haben es sogar zu einer viel beachteten TV-Serie gebracht. http://www.dmax.de/programme/whale-wars/

Diese Identitären bewegen sich hier zunächst einmal in der Tradition dieser Aktivisten. Ziviler Ungehorsam vor Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Jakob Augstein, einer der Vordenker dieser Neuen Linken, dieser Merkel-kompatiblen linkserschobenen Mitte der Gesellschaft, ging in seinem Buch „Sabotage“ wie der Titel schon vorgibt, sogar noch einen Schritt weiter. Sein Buch versuchte im Schatten der Finanzkrise noch einmal eine moralische Legitimation des elend überstrapazierten Slogans „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“. Damals schrieb der Journalist: „„Wir müssen unsere Sache selber in die Hand nehmen. (…) Wir müssen den Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit finden. Aber ohne Mut zur Radikalität wird das schwer.“

Für diese Identitäre Bewegung hatte gerade erst der Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek aus Schnellroda zu einer Verteidigungsrede angehoben, als er behauptete, „Widerkäuer wie Heiko Maas“ würden versuchen, an den Identitären ein Exempel zu statuieren.

Unangenehm. Denn wer dieser identitären Chimäre das Wasser trägt, der zeigt Gesinnung, wer mit einer Bewegung sympathisiert, die schon so ungeschickt ihre Symbolik platziert – dieses gelbe Lamda, nein, kein Hakenkreuz, aber auch irgend so ein Gekreuze noch dazu im Kreisrund – das so viel mehr raunt, als das es eigentlich schon erklärt. Und warum identitär, wo es doch viel einfacher wäre, gleich völkisch zu sagen. Klar, die Vokabel ist verbrannt, aber jeder denkt sie doch automatisch mit, wenn man die Thesen, Themen und öffentlichen Auftritte dieser jungen Freischärler mit Schaudern betrachtet, sich abwendet und froh ist, das man sich nicht auseinandersetzen muss und also auch wegschaut, wenn das Establishment ein „Exempel statuiert“.

Es ist nun bei Kubitschek wie bei den Identitären. Bei aller Neugier, bei allem erstaunlichen Interesse diesem rechten Outlaw gegenüber, wer die Regeln so wenig einhält, wird immer öfter gemieden werden – oder ist das Medien in ihrer Sensationsmanie schon egal? Der Verfassungsschutz droht mittlerweile beiden mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit.

Der Termin für das Entern des Tores war nicht zufällig gewählt: ausgerechnet heute, am heißesten Tag des Jahres 2016 veranstaltete die Bundesregierung ihren 18.ten Tag der offenen Türen in Berlin ausgerechnet unter dem Motto „Integration und Migration“. Die Bundesregierung schreibt und wirbt mit folgender Einladung: https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Tag_der_offenen_Tuer/_node.html: „Interessierte können sich zu den Themen Integration und Migration informieren oder den Kanzlergarten entdecken. Und die Kleinsten können selbst experimentieren.“

Man hat sogar Jérome Boateng als Stargast gewonnen, der in der Debatte ja schon einmal ohne eigenes Zutun zum Thema gemacht wurde. Migration & Integration ist also das Masterthema der Bundesregierung. Das „Presse- und Informationsamt der Bundesregierung“ hat das alles vorbereitet. Eingeladen wird auch zu einem Podiumsgespräch zum Thema „Soziale Medien in der Flüchtlingskrise“. „Zwei syrische Flüchtlinge werden mit Journalisten der DW unter anderem besprechen, wie sich die teils hitzigen Flüchtlingsdebatten bei Twitter, Facebook und Co. auf ihr Leben auswirken.“

Die Identitären fürchten nun auch um Auswirkungen der Zuwanderung auf ihr Leben. Das immerhin teilen sie seriösen Umfragen zufolge mit einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Ihre Botschaft auf dem Banner am Tor: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Können wohl viele unterschreiben. Das ist ja nicht einmal eine identitäre oder irgendwie rechtsradikale Forderung. Das ist sogar mehrheitsfähig. Also wozu werben? Indem man es mit dem Banner der Identitären Bewegung kombiniert! Indem man die Sorgen vereinnahmt. Die Linken und Grünen sind der Staat, sie feiern sich selbst und ihre Politik unter den knatternden Fahnen. Der Protest der Jugend kommt von Rechts – verkehrte Welt.

Die Franzosen haben ihren Eiffelturm. In letzter Zeit war seine individuelle Ausleuchtung immer wieder Grußbotschaft in die Welt. Ganz gleich, ob zu einem traurigen Anlass oder zur Fußballweltmeisterschaft als Anerkennung für den Sieger einer wichtigen Partie.

Wir haben das Brandenburger Tor. Und am Tag der offenen Türen haben sich die Identitären diese Bühne zu eigenen gemacht. „Widerlich“ nennt das der regierende Bürgermeister Müller, klar, viel widerlicher ist das als brennende Autos der Autonomen. Befürchten muss man bei dieser „friedlichen“ Aktion allerdings zunächst wenig. Höchstens vielleicht, dass die Bundesregierung sich davon beeindrucken lässt und dieses nationale Symbol demnächst ebenfalls für politische Verlautbarungen nutzt. Das wäre furchtbar. Dann wäre diese Aktion der Neuen Rechten gegen die Neue Linke kontraproduktiver als von ihr beabsichtigt. Dann trieben, wie eingangs erklärt, die Identitären die Spaltung auf die Spitze. Rechts oder Links – die Victoria mit ihren vier Gäulen samt Streitwagen hoch oben auf dem Friedenstor wird’s gelassen nehmen. Was bleibt Ihr auch anderes übrig? Dafür hat die „Hüterin des jungen Reichs“ in ihrer fast 225-jährigen Geschichte schon ganz andere Verwerfungen überstanden.

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