Die Gewerkschaften haben ihren Platz gefunden: Nicht mehr um die Mitglieder geht es, sondern um die Nähe zur Politik und den Konzernen. So will IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in der nächsten Tarifrunde mehr als sechs Prozent höhere Löhne für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie herausholen. »Der Tarifabschluss muss zwei Jahre abdecken, 2022 und 2023. Laufen die Verhandlungen gut, haben wir im November ein Ergebnis«, sagte Hofmann.
Die Forderung komme zustande, indem man für zwei Jahre die Zielinflation der Europäischen Zentralbank (2 Prozent) zur Steigerung der Produktivität (1,1 Prozent) addiere, erklärte Hofmann. Er hält aber auch eine »Umverteilungskomponente« für zwingend, weil die Firmen derzeit so hohe Gewinne erzielten. Gefragt, ob dies dann nicht mindestens sieben Prozent Lohnplus ergäbe, sagte Hofmann: »Oder darüber … schauen wir mal.«
Lohnsteigerungen, die arm machen
Besser wäre rechnen. Denn wenn im Supermarkt an der Kasse die Preise für den Einkauf zusammengerechnet werden, dann zählt keine „Zielinflation“ der Europäischen Zentralbank, sondern die tatsächliche Preissteigerung schlägt durch. Sie dürfte nach offizieller Statistik 2022 bei 7,2 Prozent liegen; bei Lebensmitteln aber auch darüber. Im kommenden Jahr erwartet die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, weitere 4,7 Prozent. Macht zusammen 12 Prozent: Wenn also die Lohnerhöhung für die Metaller kommt, sind die Preise den Einkommen schon davon gelaufen. Rechnet man auch noch steigende Abgaben und Steuern dazu – dann macht diese Tarifrunde die Metaller nicht wohlhabender, sondern ärmer.
Nach Abzug von Steuern (Nettoeinkommen) und steigenden Preisen (Kaufkraft) bleibt also nach der kommenden Lohnsteigerung nur – ein Loch im Geldbeutel. Man kann es auch drastischer ausdrücken: Die IG-Metall verhandelt für ihre Mitglieder sinkende Einkommen heraus. Bleibt die Frage: Braucht man für sinkende Einkommen wirklich Gewerkschaften, oder spart man sich wenigstens den Mitgliedsbeitrag?
Wer gewinnt im Umverteilung-Spiel?
Das Rechenbeispiel IG-Metall zeigt die Heimtücke der Inflation: Weil Löhne und Einkommen langsamer steigen, schrumpft der Wohlstand. Steigen allerdings die Löhne und Gehälter so schnell wie die Inflation, kommen die Unternehmen unter Druck – wenn sie steigende Lohnkosten nicht in steigende Preise umsetzen können. Das ist dann die Lohn-Preis-Spirale: noch schneller steigende Preise, die noch weiter erhöhte Löhne wieder auffressen. Das ist das Gemeine an der Inflation: Nicht alle Preise, Mieten, Löhne usw. steigen gleichmäßig und um bekannte Prozentsätze. Wäre das so, wäre Inflation harmlos. Es gäbe eine „Scala mobile“, so aus Italien bekannt – eine Art automatische Preisanpassung. Man könnte das heute als eine App auf dem Handy darstellen: Heutiger Preis mal „Scala mobile“ ergibt den Preis in ein, zwei oder drei Jahren. Alles klar, alle richten sich danach. Oder nicht?
Aber so ist es halt nicht. Inflation ist ein Verteilungskampf: Es gewinnt der, der seinen Preis schnell und gierig erhöhen kann. Meist, nicht immer, sind es Unternehmen. Meist verlieren Arbeitnehmer, weil Lohnerhöhungen eben nicht tagtäglich stattfinden, sondern nur nach langwierigen Tarifverhandlungen und ewigen Streitereien – während Produktpreise schnell erhöht werden können. Arbeitnehmer sind der Hase im Wettlauf mit den beiden Igeln: Da mag der Hase rennen und eine Lohnerhöhung erzwingen – die schlauen Igel haben die Preise schon erhöht. In der Superinflation der Weimarer Republik sind gigantische Industriekonglomerate entstanden: Wer Marktmacht hat, bezahlt und produziert mit den Löhnen von heute – und bringt die Produkte auf den Markt, wenn die Preise bereits wieder gestiegen sind. So werden die Hasen ärmer, die Igel reicher.
Inflation erwürgt den, der heute kaufen muss um jeden Preis – und wenn es Brot und Butter sind. Inflation macht den reich, der warten und mit Produkten über die Zeit spekulieren kann. Auch der Staat wird reicher. Er ist der größte Schuldner, und seine Schulden werden entwertet. Er kassiert an die 50 Prozent der erwirtschafteten Leistung der Gesellschaft – und wegen steigender Preise sprudelt die Mehrwertsteuer, und die Lohnsteuer in seinen Kassen schäumt über. Angesichts steigender Sozialunterstützung, steigender Abgabenlast und galoppierender Inflation ist der, der noch arbeitet, der Dumme. Die wirtschaftliche Dynamik wird gebremst.
Mit Greenflation in die „Große Transformation“
Kein Wunder, dass die OECD davon ausgeht, dass die deutsche Wirtschaft 2022 nur um 1,9 Prozent wächst, und im kommenden Jahr dann nur noch um 1,7 Prozent; wenn es angesichts weiterer Krisen um Russland und Energie überhaupt noch Wachstum gibt: steigende Preise, nachlassende Wirtschaftsdynamik – das nennt man Stagflation.
Bezeichnend, dass die Berliner Ampel-Koaltion die Klimapolitik und ihre Träume einer „Großen Transformation“ der Gesellschaft instrumentalisiert, um die Inflation in Gang zu setzen und weiter zu beschleunigen:
Ihr Hauptthema ist die Energiepolitik, aber sind auch andere Maßnahmen zur Preissteigerung: Dafür hat sich längst der Begriff „Greenflation“ eingebürgert. Es sei gar keine „richtige Inflation“, so die beschönigende Beschreibung der Wirkung. Es gehe um die Rettung des Weltklimas, um „wahre Kosten“, nicht um die Folgen der Geldpolitik. Doch es ist ein Eingeständnis: Diese Form der Inflation ist gewollt, geplant, bewusst herbeigeführt – und in den Auswirkungen für den Verbraucher so verheerend wie jede andere Ursache:
- der Energieverbrauch wird verteuert durch die gezielte Erhöhung von Steuern auf fossile Energien, die CO2-Abgaben genannt werden – teure Energie aber verteuert alle Folgeprodukte, Transporte und Mobilität;
- die Energieerzeugung wird verteuert durch Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken sowie den Versuch, dies durch mehr Wind- und Sonnenenergie aufzufangen, die ein Vielfaches kosten und gewaltige Investitionen in Anlagen, Leitungsnetze und Entschädigungen für Stromlücken erzwingen;
- Gas soll andere Energieträger ersetzen und breit eingesetzt werden, um Strom und Wärme zu erzeugen. Aber gerade der Gaspreis wird voraussichtlich extrem ansteigen, wenn russisches Leitungsgas durch Flüssiggas (LNG) ersetzt werden soll. Noch allerdings ist es nicht Putin, der die Energiepreise treibt, sondern die „Energiewende“, die jetzt abgerechnet wird. Die Folgen des Kriegs in der Ukraine werden erst spürbar und kommen noch dazu, wenn es zum Gasboykott kommt;
- Lebensmittel sind zu billig, lautet das Mantra der Landwirtschaftspolitik; Lebensmittel werden jetzt teurer durch den Einsatz teurer Energie, durch erzwungene Flächenstilllegung, Düngemittelverbote und diverse „Tierwohlmaßnahmen“;
- preiswerte Verbrenner-Autos werden durch teure E-Autos ersetzt, für die zudem die Stromversorgung wie die notwendige Ladeinfrastruktur fehlt. Dafür werden bestehende Versorgungsnetze, Fahrzeuge, Technologien und Fabriken entwertet und den Verbrauchern neue preissteigernde Lasten aufgebürdet.
Es ist die Politik der „Großen Transformation“, die über steigende Preise bei sinkenden Netto-Einkommen den Wohlstand reduziert. Für das Klima sollen alle ärmer werden. Allerdings ist die Trennung in eine gewollte „Greenflation“ und eine klassische, durch falsche Geldpolitik herbeigeführte Inflation nicht möglich. „Inflationsprozesse sind ein dynamischer Vorgang, bei dem reale und monetäre Faktoren eng zusammenspielen. Wie bei einer Lawine kommt es letztlich nicht darauf an, welcher Stein sich warum genau in Bewegung gesetzt hat“, so der Ökonom Ulrich van Suntum. Und genau diese Lawine geht jetzt mit Getöse ab – die Greenflation setzt die monetäre Inflation gerade in Bewegung, die durch die Europäische Zentralbank vorbereitet wurde:
- Inflation wird importiert. Weil die Europäische Zentralbank die Zinsen extrem niedrig oder sogar negativ hält, um die hochverschuldeten Haushalte der Staaten nicht zu belasten, sinkt der Außenwert des Euro, was die Importe verteuert. Zur Bekämpfung der Inflation sollen die Leitzinsen im Juli 0,25 Prozentpunkte steigen, für September wurde ein schärferer Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. Das klingt viel, ist aber zu wenig angesichts der galoppierenden Inflation: Am Nachmittag dieser schwächlichen EZB-Entscheidung hat der Euro gegenüber dem Dollar deutlich abgewertet. Konkret: In Dollar notierte Rohstoffe wie Öl kosten in der Eurozone innerhalb eines Tages nun 1,5 Prozent mehr. Über die letzten 12 Monate beläuft sich der Effekt auf 13 Prozent. Der schwache Euro treibt die Inflation weiter an;
- Inflationspolitik begrenzt das Wachstum. Inflationspolitik kann es keinem recht machen: Der EZB-Entscheid hat die Aktienmärkte dramatisch geschwächt und damit Wohlstand vernichtet, die Bauzinsen schon erhöht und erschwert damit wirtschaftliche Erholung und Wachstum. Aus Greenflation wird endgültig Stagflation;
- die Folgen sind Kapitalflucht und sinkendes Vertrauen – der Euro wird zur Weich- und damit Krisenwährung. Schon klaffen innerhalb des Währungsverbundes wieder die geforderten Renditen für Staatspapiere auseinander: Eine Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit liegt bei 1,44 Prozent; italienische Papiere mit zehnjähriger Laufzeit rentierten zeitweise mit 3,7 Prozent, entsprechende spanische Titel mit 2,7 Prozent, griechische mit 4,4 Prozent. Das klingt nach komplizierter Finanztechnik – aber zeigt nur: Die Einheit innerhalb der Euro-Zone bröckelt wieder; das Vertrauen in den Euro sinkt: Wenn er zerbricht, hätten die Gläubiger lieber deutsche Bundesanleihen statt griechische oder italienische.
Die zur Regierungskoalition gehörende Partei Lega unter Führung des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini poltert: „Ein Angriff auf Italien hat begonnen.“ Die EZB-Beschlüsse zielten darauf ab, „Italien zu begraben“. Die wirtschaftlichen Differenzen innerhalb des Euro machen eine „richtige“ Währungspolitik praktisch unmöglich. – So wird eine Währungskrise vorweggenommen.
Der Ampel sind die Sorgen der Bürger egal
Das Ergebnis ist wenig ermutigend: Es ist die Ampel-Koalition, die die Inflation befeuert – im Zusammenspiel mit der Europäischen Zentralbank. Aber das ist ihr egal. Sie verschärft die Greenflation und nimmt die Folgen der klassischen Inflation auf die leichte Schulter.
Und kein Wunder, dass die Sorgen um Inflation und ihre Folgen die Deutschen beschäftigen – auch wenn ihnen seit Monaten gesagt wird, dass dies alles nur Einbildung sei und die EZB alles im Griff habe. Für 43 Prozent der Bevölkerung, so eine aktuelle Umfrage von INSA, ist die Bekämpfung der Inflation das wichtigste Ziel und für sie entscheidend bei der Frage, wem sie ihre Stimme geben. Klimapolitik folgt mit 37 Prozent auf Platz zwei.
Inflation ist kein Naturphänomen. Sie ist gemacht und gewollt. Wohlstand für alle ist nicht mehr das Ziel; sondern weniger Wohlstand durch Greenflation ist gewollt. Jetzt ist sie halt da, die Inflation. Die Ampel variiert das Wort von Angela Merkel über die Folgen und Lasten ihrer Migrationspolitik. Es heißt nicht weniger als: Sollen doch die Bürger schauen, wo sie bleiben. Die Ziele der Politik sind andere als die Sorgen der Bürger. Es wird schon gut gehen, trotz wachsender Armut, wirtschaftlicher Stagnation, flatternder Währung. Jedenfalls für die Regierenden.