Tichys Einblick
Ökonomische Folgen des Krieges in der Ukraine

Zwischen „totalem ökonomischem Krieg“ und „globaler stagflationärer Rezession“

Fallende Aktien, steigende Energie und Weizenpreise. Schon jetzt erschüttert Russlands Krieg gegen die Ukraine die Weltwirtschaft. Doch die schlimmsten ökonomischen Folgen des Krieges und der Sanktionen dürften noch vor uns liegen.

IMAGO / ITAR-TASS

Die Aussichten, die der Ökonom Nouriel Roubini aus der gegenwärtigen Lage in Osteuropa und den Sanktionen gegen Russland folgert, sind deprimierend: „… es besteht die Gefahr, dass die Märkte und die politischen Analysten die wirtschaftlichen Folgen unterschätzen“, schreibt er in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche. Das würde bedeuten, dass die bisherigen Marktreaktionen, also Kursverluste an den Aktienmärkten und Preisanstiege vor allem für Energie, nur der Anfang sind.

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Doch die sind schon gewaltig – und täglich kommen neue Hiobsbotschaften. Der deutsche Xetra Dax fiel am Dienstagvormittag um 2,2 Prozent, der französische CAC 40 um 2 Prozent und der britische FTSE 100 um 0,6 Prozent. Zugleich stieg der Preis für ein Barrel Brent-Rohöl um 3,9 Prozent auf 101,83 Dollar. Alarmierend auch die Entwicklung auf dem Weizenmarkt. Aufgrund ausbleibender Lieferungen aus der Ukraine und Russland ist der Weizenpreis an der Chicagoer Börse auf ein 13-Jahres-Hoch von 9,75 Dollar pro Scheffel und die Tonne Weizen in Paris auf 347,50 Euro gestiegen. Das wird die ohnehin schon deutlich gestiegenen Nahrungsmittelpreise und damit die Inflation weiter antreiben – vermutlich weltweit.

Roubini hält „eine globale stagflationäre Rezession“ jetzt für „sehr wahrscheinlich“. Auch schon vor dem Krieg waren die Tendenzen zu einer Stagflation, also dem gleichzeitigen Auftreten von Geldentwertung und ausbleibendem Wachstum unübersehbar. Erst recht in Deutschland, das sich durch den politisch gewollten Abschied von Kohle und Kernenergie weitgehend abhängig gemacht hatte von zwei höchst unsicheren Energielieferanten, nämlich dem Wind einerseits und russischem Gas andererseits.

Im Februar, also im Wesentlichen noch vor dem Kriegsausbruch, erreichte die Inflationsrate in Deutschland bereits 5,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilt. Die coronabedingten Effekte wie Lieferengpässe werden ab jetzt laut Bundesamt „überlagert durch die Unsicherheiten infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine“.

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Roubini: „Der Krieg in der Ukraine wird einen massiven negativen Angebotsschock für die Weltwirtschaft auslösen, das Wachstum verringern und die Inflation weiter steigern – zu einem Zeitpunkt, an dem die Inflationserwartungen bereits in die Höhe gehen.“ Die weltwirtschaftlichen Auswirkungen dürften deutlich größer sein, als der relative Anteil Russlands am globalen BIP (rund drei Prozent) vermuten ließe. Dafür sorgt Russlands Rolle als Energielieferant: „Die arabischen Staaten mit ihrem Ölembargo von 1973 und das revolutionäre Iran im Jahr 1979 hatten einen noch kleineren Anteil am globalen BIP als Russland heute.“

Dass die Zentralbanken jetzt noch Möglichkeiten haben, die Auswirkungen der ökonomischen Folgen des russischen Angriffskrieges beziehungsweise der Sanktionen gegen Russland abzufedern, darauf sollte man sich nicht verlassen, meint Roubini: „In einem Umfeld steigender Inflation könnte eine langsamere geldpolitische Straffung die Inflationserwartungen weiter beschleunigen und die Stagflation verschlimmern. Aber wenn die Zentralbanken die Zinsen erhöhen, erhöhen sie die Rezessionsgefahr.“ Anders gesagt: Es gibt keine Lösung ohne Wohlstandseinbußen.

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Dass staatliche Ausgabenprogramme die Rezession aufhalten könnten, ist eher unwahrscheinlich. Aufrüstungsankündigungen wie jüngst im Deutschen Bundestag haben bei Rüstungsunternehmen zu einem Kursfeuerwerk geführt, aber gesamtwirtschaftlich dürfte das wenig Positives bewirken, da sie die Staatsschulden noch weiter hochtreiben – und damit auch die Inflation. Roubini:  „Auch die Haushaltspolitik steht als Krisenfeuerwehr nicht wirklich bereit. Erstens geht den USA und vielen anderen Industrienationen die fiskale Munition aus, da sie gegen die Pandemie bereits alle monetären Dämme eingerissen haben. Und zweitens sind haushaltspolitische (Nachfrage-)Stimuli die falsche Antwort auf einen stagflationären Angebotsschock. Sie können zwar die negativen Wachstumseffekte verringern, tragen aber zum Inflationsdruck bei. Und wenn die Politiker gegen den Schock sowohl geldpolitische als auch haushaltspolitische Maßnahmen einsetzen, werden die stagflationären Folgen aufgrund immer stärker steigender Inflationserwartungen noch schlimmer.“

Akuter und schwerer als für westliche Volkswirtschaften sind die Folgen des Krieges und der Sanktionen natürlich für Russland. Treffen sollen diese erklärtermaßen vor allem die Mächtigen im Kreml und deren Unterstützer in der russischen Wirtschaft.

Schon wenige Tage nach Kriegsbeginn und unter dem Eindruck der scharfen Sanktionen des Westens und eines Großteils der Welt gegen Russland sind ökonomische Reaktionen dort spürbar. Während mehrere sogenannte Oligarchen, in der Regel nicht in Russland lebende Großunternehmer, sich von Putin und seinem Angriffskrieg distanzieren, wird aus Russland selbst von langen Schlangen vor den Geld-Automaten und verstärktem Auswanderungswillen berichtet. Diese Oligarchen, etwa der in Großbritannien lebende Medienmogul Evgeny Lebedev, begründen ihre Ablehnung des Krieges humanitär. Allerdings ist auffällig, dass diese Stimmen nicht unmittelbar bei Kriegsbeginn, sondern erst nach Inkrafttreten der Sanktionen laut wurden. Zu diesen gehört schließlich auch der Ausschluss wichtiger russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift und die Sperrung von Transaktionen der russischen Zentralbank zur Stützung der russischen Währung. Die betroffenen russischen Banken dürfen auch keine neuen Kreditkarten von Visa und Mastercard mehr ausstellen. Davon sind also auch die Geschäfte und Vermögen vieler Oligarchen unmittelbar betroffen. Aus der Schweiz und Monaco wird von vielen reichen Russen berichtet, die in den vergangenen Tagen noch schnell ihre dortigen Konten und Schließfächer leer räumen wollten.

Besonders offensichtlich ist die Wirkung der Sanktionen zum Beispiel im Fall des russischen Großaktionärs des deutschen Reisekonzerns TUI, Alexej Mordaschow. Er stand seit Montagabend wegen seiner bekannten Nähe zur russischen Regierung auf einer Sanktionsliste der EU und distanzierte sich nun am Dienstag zumindest indirekt von Putin. Es sei „schrecklich, dass Ukrainer und Russen sterben, Menschen Not leiden und die Wirtschaft zusammenbricht“, zitiert ihn das Handelsblatt. Der Milliardär Roman Abramowitsch – auch er gilt als Putin-Unterstützer – hat schon am Sonntag die Leitung des Premier-League-Fußballclubs FC Chelsea abgegeben, vermutlich um ihn vor Sanktionsfolgen zu bewahren.

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Dass solche kurzfristigen Wirkungen auf die Oligarchen und ihr Wohlwollen für Putins Regime entscheidend sind, kann man aber auch bezweifeln. Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, glaubt, dass Sanktionen vor allem langfristig wirken sollten. „Russlands Angriffskrieg war offenbar von langer Hand vorbereitet. Sanktionen können das nicht über Nacht ausbremsen, sondern wirken nur mit der Zeit.“ Und die Zeit arbeite jetzt gegen Putin. „Er macht sein ökonomisch schwaches Land nun noch schwächer. Rohstoff-Oligarchen sind willige Gefolgsleute, das Land bringen sie nicht voran. Globale Desintegration, unproduktive Kriegsausgaben und politische Repression tun ihr Übriges. Putin sät damit die Saat, um sein neues Großreich ökonomisch implodieren zu lassen.“

Als Gegenmaßnahme in Reaktion auf die Aufkündigung von Milliardeninvesititonen westlicher Unternehmen – BP gab seine fast 20-prozentige Beteiligung am Ölproduzenten Rosneft auf und Shell beendete gemeinsame Projekte mit Gazprom und Gazprom Neft – hat die Moskauer Regierung ein vorübergehendes Verbot für ausländische Investoren erlassen, Vermögenswerte in Russland aufzugeben. „In der aktuellen Sanktionssituation sind ausländische Unternehmer gezwungen, sich nicht von wirtschaftlichen Faktoren leiten zu lassen, sondern Entscheidungen unter politischem Druck zu treffen“, sagte Ministerpräsident Michail Mischustin laut einer offiziellen Erklärung am Dienstag bei einem Regierungstreffen. „Um es Unternehmen zu ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen, wurde ein Entwurf eines Präsidialdekrets vorbereitet, um vorübergehende Beschränkungen für den Ausstieg aus russischen Vermögenswerten einzuführen“, sagte er. „Ich bin sicher, dass der Sanktionsdruck irgendwann nachlassen wird. Und diejenigen, die ihre Projekte in unserem Land nicht einschränken und den Parolen ausländischer Politiker erliegen, werden gewinnen“, so Mischustin.

Das klingt siegessicher. Wie sehr aber in Moskau die Nerven blank liegen, offenbarte am selben heutigen Dienstag Putins enger Vertrauter und Vizechef des Russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew. Er reagierte auf Twitter auf eine Aussage des französischen Finanzministers Bruno Le Maire, der von einem „totalen ökonomischen Krieg gegen Russland, Putin und seine Regierung“ und dem „Zusammenbruch der russischen Wirtschaft“ gesprochen hatte. Medwedew twitterte: „Heute hat ein Französischer Minister gesagt, sie hätten Russland den ökonomischen Krieg erklärt. Hüten Sie ihre Zunge, Gentlemen! Und vergessen Sie nicht, dass in der Menschheitsgeschichte ziemlich oft Wirtschaftskriege sich zu richtigen wandelten.“

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