Viele Makroökonomen diskutieren derzeit, ob Notenbanken auch die Aufgabe übernehmen sollten, Risiken des Klimawandels ins Auge zu fassen. Doch für diejenigen, die darüber entscheiden, ist die Frage offenbar längst geklärt – nämlich mit „ja“ beantwortet. Unüberhörbar hat das die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, schon deutlich gemacht. Zynisch könnte man das noch damit erklären, dass die Juristin Lagarde von ihren eigentlichen Aufgaben als oberste Zentralbänkerin Europas ohnehin vielleicht keine allzu genaue Vorstellung hat. Und Klimaschutzpolitik – da glaubt sie sich vielleicht eher in ihrem Element als bei der Wahrung der Preisstabilität durch Geldpolitik. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit als die schnöden Preise verspricht das Klima sowieso.
Dass von Klimaschutz oder generell Umweltschutz nichts in den Gründungsdokumenten des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) steht, die das Mandat der EZB festlegen, scheint Lagarde nicht zu kümmern. Schließlich hat man ja auch schon unter ihrem Vorgänger Mario Draghi das einst von den Schöpfern der Währungsunion für sakrosankt vorgestellte No-Bail-Out-Gebot und das Gebot der Staatsfinanzierung mit viel kommunikativer Raffinesse und juristisch wohl verklausulierten Ausflüchten außer Kraft gesetzt. Außerdem steht ja auch im AEU-Vertrag der schöne Gummisatz: „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen.“ Und in jenem Artikel 3 wiederum ist auch von „globaler nachhaltiger Entwicklung“ und „Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ die Rede – neben zahlreichen anderen Zielen.
In deren Bord of Directors sitzt Lagarde übrigens selbst, neben unter anderem Fed-Präsident Powell und dem chinesischen Volksbank-Präsidenten Yi Gang, Bundesbank-Chef Jens Weidmann und den Chefs der anderen europäischen Notenbanken.
Im Januar hat die BIZ nun einen in der Öffentlichkeit bislang wenig beachteten Report vorgelegt, in dem die fünf Autoren den Begriff “green swan risks“ („Grüner Schwan Risiken“) einführen, worunter sie in etwas schiefer Analogie zu Nassim Nicholas Talebs „Schwarzem Schwan“ ökologische Systemrisiken verstehen: „Der Klimawandel (…) könnte die Ursache der nächsten systemischen Finanzkrise sein“. Die Autoren geben sich zwar bescheiden: „… Zentralbanken allein können den Klimawandel nicht abmildern.“ Um dann jedoch klar zu machen, worum es eigentlich geht: nämlich letztlich die Aufhebung der politischen Unabhängigkeit und der engen Gebundenheit an das klassische Mandat der Geldwertstabilität. In den Worten der BIZ-Publikation:
„Dieses komplexe Problem kollektiven Handelns erfordert die Koordinierung des Handelns unter vielen Akteuren einschließlich Regierungen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft. Zentralbanken können darum eine zusätzliche Rolle übernehmen, indem sie Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel koordinieren. Diese umfassen Klimaschutz-Politiken wie die CO2-Bepreisung, die Einbindung von Nachhaltigkeit in Finanzpraktiken und Rechnungslegung, die Suche nach passenden Maßnahmenmischungen und die Entwicklung neuer finanzieller Mechanismen auf internationaler Ebene.“
Dass dieses Argument – Klimawandel gefährdet die Stabilität des Finanzsystems und muss daher zum Objekt der Notenbankpolitiken werden – ein Totschlagargument ist, liegt eigentlich auf der Hand. Natürlich gefährdet der Klimawandel, wenn er die globalen Lebensgrundlagen gefährdet, auch das Finanzsystem. Aber nach dieser Pseudo-Logik müssten sich die Notenbanken auch für internationale Sicherheitsfragen, etwa die Proliferation von Atomwaffen, für internationalen Terrorismus, für internationale Migration, ja, für buchstäblich alle Fragen von existentieller Bedeutung für die Zukunft der Gesellschaften und Staaten zuständig halten. Und natürlich auch für die Verhinderung des Einschlages eines Kometen. Aber wer weiß, vielleicht kommt das ja auch noch auf die BIZ-Agenda.
Für alle, die meinen, dass die „grünen Schwäne“ der Zentralbanker und deren damit gerechtfertigtes Wollen und Tun sie nicht zu interessieren braucht, steht übrigens in dem BIZ-Report schon in der Zusammenfassung eine recht deutliche Warnung: „All diese Maßnahmen … könnten signifikante umverteilerische Folgen haben, die adäquat gehandhabt werden sollten, dennoch sind sie unverzichtbar zum Erhalt der langfristigen Finanz- (und Preis-) Stabilität im Zeitalter des Klimawandels“.
Von wem und an wen „umverteilt“ werden wird, steht da natürlich nicht explizit. Die von den Zentralbanken – EZB voran – mit ihrer fast unbegrenzten Geldneuschöpfungspolitik maßgeblich beeinflusste jüngere ökonomische Entwicklung gibt aber schon einen Eindruck davon, welche Ergebnisse von der „Koordinierung“ des Klimaschutzes durch die Zentralbanken zu erwarten ist.
Dass die Nutznießer der jüngeren Geldpolitik durch die Umverteilungseffekte der angestrebten Klimarettungsgeldpolitik verlieren werden, dürfte jedenfalls ausgesprochen unwahrscheinlich sein. Vielmehr dürfte das, was ohnehin schon im Gange ist, nun verschleiert durch Klimarettungserzählungen noch verstärkt werden, nämlich noch weniger gebremste Geldschöpfung mit den Folgen: unverhältnismäßiger Anstieg der Vermögenspreise auch bei gleichzeitig ausbleibenden Unternehmensgewinnen (die Reichen werden noch reicher), die neutralen Marktgesetze werden somit zumindest für große, staatsnahe, börsennotierte Konzerne weitgehend außer Kraft gesetzt, indem das Klimarettungsziel zum Beispiel die staatliche Rettung von Unternehmen rechtfertigt, sofern sie sich nachhaltig klimaschützend präsentieren; die zugleich wachsende Arbeitslosigkeit wird durch Aufblähung der (Sozial-)Staatstätigkeit mit exzessiver Verschuldung kaschiert. Der wachsende Anteil staatlicher oder staatsabhängiger Beschäftigung ist ein willkommener Nebeneffekt, weil das neue Pfründe schafft. Für all das haften unausgesprochen: die noch nicht in großem Maßstab mit Aktien eingedeckten Standard-Sparer und die Steuerzahler. Kurz gesagt: die Demontage dessen, was man in Deutschland „soziale Marktwirtschaft“ nennt, schreitet mit großen Schritten voran.