Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Zusammenhang mit dem politisch gewollten Umbau der gesamten deutschen Volkswirtschaft hin zur Klimaneutralität ein Wirtschaftswachstum mit Raten wie in den 1950er-Jahren in Aussicht gestellt. Ein neues Wirtschaftswunder also, wie damals in der jungen Bundesrepublik.
Scholz begründet seinen Optimismus mit notwendigen Investitionen in die Klimawirtschaft. Deutschland müsse bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Die Umsetzung dieses Ziels durch das Klimaschutzgesetz setze „milliardenschwere, hunderte milliardenschwere privatwirtschaftliche Investitionen“ in einem Ausmaß voraus, „wie wir das über viele Jahrzehnte gar nicht mehr gewohnt waren“. – Basta, hätte Gerhard Schröder noch hinzugefügt, wäre er heute noch Kanzler.
„Das ist Autosuggestion. Wo soll das denn herkommen?“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz dem Magazin Stern. „Wir liegen in allen Wachstumserwartungen hinter dem europäischen Durchschnitt.“ Der Chef des Ifo-Instituts Clement Fuest widerspricht dem Kanzler offen: „Die These von Wachstumsraten wie während des Wirtschaftswunders überzeugt nicht.“ DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert: „Die Bundesregierung sollte zuallererst aufzeigen, wie sie die notwendigen Voraussetzungen für die Transformationen schaffen und diese finanzieren will, bevor sie ein neues Wirtschaftswunder verspricht.“
Für Wirtschaftsexperte Roland Tichy bleibt die Frage, wo dieses Wachstum denn herkommen solle, wohl das Geheimnis von Bundeskanzler und Wirtschaftsminister. Denn finanziert werden soll das Transformationsvorhaben über neue Schulden. Dabei werde übersehen, dass bisher alle Projekte der Regierung zusammengenommen die Verschuldung des Bundes binnen drei Jahren um 850 Milliarden Euro nach oben getrieben haben. In den 70 Jahren zuvor seit Gründung der Bundesrepublik waren es nur 1.300 Milliarden Euro. Die Bundesregierung sei bereits jetzt ein Stabilitätsrisiko, Inflation für die Bürger bittere Realität und jeder weitere Tag ein Schritt in die Verarmung.
Genau das erwartet auch Alt-Ökonom Hans-Werner Sinn. Er erwartet statt Wachstum sogar Wohlstandseinbußen wegen falscher Energiepolitik. Wie heißt es so schön im Präsentationsgewerbe? Ein Schaubild – neudeutsch: Chart – sagt mehr als tausend Worte.
Offensichtlich in der Absicht, die Kontroverse um das verheißende Wirtschaftswunder auf einer realistischen, empirisch abgesicherten Datengrundlage zu stellen, hat das Statistische Bundesamt vor wenigen Tagen eine bemerkenswerte Grafik veröffentlicht (Schaubild). Dargestellt sind die jährlichen Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 1950 bis 2022. Sowie die rechnerischen Zehnjahresdurchschnitte des deutschen Wirtschaftswachstums:
Der statistische Befund ist eindeutig: Das Wirtschaftswachstum schwächt sich im langfristigen Trend deutlich ab: Von +8,2 vH in den Fünfzigern auf +1,2 vH in den Zehnern des 21. Jahrhunderts, nachdem es in den Nullern als Folge der Weltfinanzkrise sogar auf 0,9 vH abgesunken war.
Ein neues Wirtschaftswunder wie in den fünfziger Jahren ist unter keinen Umständen zu erwarten oder auch nur wahrscheinlich. Bundeskanzler Scholz und Minister Robert Habeck müssen weiter träumen. Eine wie auch immer geartete Trendwende ist aus den statistischen Daten nicht ableitbar.
Gegen ein neues Wunder im Wirtschaftswunderland Deutschland spricht nicht nur die ökonometrische Wissenschaft, sondern auch profunde ökonomische Sachverhalte. Oder, wie Albert Einstein es einmal auf den Punkt brachte: „Gott würfelt nicht!“ Auch für die Ampel-Regierung nicht … Ein Wirtschaftswachstum wie in den Fünfzigern ist ausgeschlossen.
Wie anfangs dargelegt, werden von Kritikern der Bundesregierung eine Vielzahl von politischen Gründen gegen ein kommendes Wirtschaftswunder ins Feld geführt (siehe unter anderem Roland Tichy). Hier an dieser Stelle sollen ausschließlich ökonomische Einwände zur Geltung kommen.
Gegen eine Wiederholung des Wirtschaftswunders der frühen Jahre sprechen sowohl konjunkturelle, kurzfristige wie langfristige, strukturelle Faktoren.
- Kurzfristig, konjunkturell steht das gesamte deutsche Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit unter Druck: Rohstoffe und Energie billig importieren, innovativ/intelligent/ hochwertig veredeln und hochpreisig exportieren. Dies drückt nachhaltig auf alle Wachstumskomponenten.
- Langfristig, strukturell haben sich die Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum für die deutsche Wirtschaft innerhalb von 70 Jahren grundlegend geändert. Aus einer zerstörten, „hungrigen“ Nachkriegswirtschaft mit hohen Grundbedarfen ist eine reife Volkswirtschaft mit weitgehend gesättigten Grundbedarfen und hedonistisch-substitutiven Zusatzbedarfen geworden. – Die chinesische Wirtschaft durchläuft gegenwärtig eine ähnliche Metamorphose
Dazu folgende Beispiele zur Veranschaulichung.
In den letzten Jahren schwächte sich das Wachstum deutlich ab. 2021 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gerade noch um 2,6 Prozent gewachsen, 2022 um 1,9 Prozent, und 2023 wird es nur noch um 0,4 Prozent zulegen oder möglicherweise sogar schrumpfen. „Das Wachstum geht in die Gegenrichtung“ (Roland Tichy).
Hinzu kommt die Krise im Wohnungsbau, in den frühen Jahren der Republik eine tragende Säule des Wachstums mit bis zu 20 vH Anteil am BIP. 2022 wurden nur noch 290.000 Wohnungen gebaut, obwohl das erklärte Ziel der Bundesregierung wegen der hohen Zuwanderung und Wohnungsknappheit 400.000 Einheiten waren. 2023 wird ein weiterer Rückgang auf maximal 250.000 neu erbaute Wohnungen erwartet. „Wie also soll es zur Trendwende kommen?“
In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik waren Neu- und Kapazitätserweiterungs-Investitionen die Wachstumstreiber und Akzeleratoren des BIP, bis dann ab den 70er-Jahren die Konsum- und Staatsausgaben als Einkommens- und Wachstumsmultiplikatoren hinzukamen. Steigende Lohn- und Staatsquoten zwangen die Wirtschaft zu immer neuen investiven Wachstumsschüben.
Dieses Wirtschaftswachstum beruhte auf der privaten Investitionstätigkeit, war marktgetrieben und kam aus privaten Impulsen. Die Verhältnisse 2023 sind völlig anders. Das Wirtschaftswachstum beruht auf dem Export und dem Konsum und zuletzt fast ausschließlich aus staatlicher Ausgabentätigkeit, direkt oder indirekt über Sozial- und Subventionsausgaben.
Im Endeffekt wird das Wirtschaftswachstum also mühsam über eine zunehmende Staatsverschuldung als Folge der „grünen“ Umstrukturierungsausgaben am Leben gehalten. Nachholbedarfe als Folge von Corona oder von Materialengpässen können zwar zu einer Sonderkonjunktur führen, wie in der Autoindustrie. Einen nachhaltigen neuen Wachstumszyklus können sie aber nicht herbeiführen.
Von Wirtschaftswunder also keine Spur, auch nicht ansatzweise! Der Wachstumstrend ist unbarmherzig und zeigt nach unten. Wie stark sich der Wachstumstrend aber abschwächt, ist letztlich eine Frage einer richtigen gegenüber einer falschen Wirtschaftspolitik.