Tichys Einblick
BETRIEBSSCHLIESSUNGEN UND STELLENABBAU

Wirtschaft schwer angeschlagen: Insolvenzen auf 10-Jahres-Hoch

Der deutliche Anstieg der Insolvenzzahlen trifft alle Branchen – besonders deutlich im Verarbeitenden Gewerbe. Und der gesamte Bereich Thyssen-Krupp-Stahl steht auf der Kippe, mitsamt den Jobs.

picture alliance/dpa | Bernd Thissen

Die Wirtschaft schrumpft und der Abbau der Arbeitsplätze geht weiter. Mehr als die Hälfte der großen Betriebe denkt an Abwanderung, befand die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) Anfang August. Es ist die Energiepolitik, die die Misere verantwortet. Die Zahl der Unternehmer, die ihre Produktion hierzulande einschränken oder das Land gleich ganz verlassen wollen, ist laut DIHK seit 2022 gestiegen: von 16 über 31 auf jetzt 37 Prozent.

Hinzu kommen Betriebsschließungen. Tausende Arbeitsplätze sind betroffen. Im Juli meldeten einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge so viele von Unternehmen Insolvenz an, wie seit rund zehn Jahren nicht mehr. Der deutliche Anstieg der Insolvenzzahlen betrifft alle Branchen. Er fällt jedoch besonders deutlich im Verarbeitenden Gewerbe aus. Nach 100 insolventen Industrieunternehmen im Juni, was auch dem Durchschnitt der letzten zwölf Monate entsprach, lag die Zahl bei 145 im Juli.

Die aktuelle Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland liegt laut IWH-Insolvenztrend im Juli bei 1.406. Damit übersteigen die Zahlen auch den jüngsten Spitzenwert aus dem April 2024. Die Insolvenzen stiegen im Juli 20 Prozent gegenüber dem Vormonat und liegen 37 Prozent über dem Juli 2023. Der aktuelle Wert liegt 46 Prozent über dem Juli-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie. War es also bisher entweder der Krieg gegen die Ukraine oder Corona – diese Argumente ziehen schon lange nicht mehr.

Zu den Insolvenzen einige Details: „Nun hat es eine bekannte deutsche Modekette getroffen: Mehreren Berichten zufolge musste das Hagener Modehandelsunternehmen Sinn GmbH am Montag (5. August) beim Amtsgericht Hagen ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragen“, berichtet Merkur. „Autozulieferer Adient hat einen nicht unerheblichen Stellenabbau angekündigt. Während die Standorte in Baden-Württemberg nach dem aktuellen Stand verschont bleiben, sind die Werke Kaiserslautern und Rockenhausen in Rheinland-Pfalz betroffen.“

Esprit ist insolvent: Nahezu alle 1.300 Mitarbeiter müssen gehen. Esprit-Filialen waren einst ein unverzichtbarer Teil jeder deutschen Einkaufsstraße. Das nun eingeleitete Insolvenzverfahren deutet auf eine umfangreiche Abwicklung der Marke hin.

Druckindustrie: Kuthal Print Mainaschaff (Landkreis Aschaffenburg) hat einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Mit mehr als 80 Mitarbeitern produziert das vollstufige Unternehmen auf 18 Offsetdruckwerken, heißt es auf der Website von Kuthal Print. Laut Bundesverband Druck + Medien bewerteten die vom ifo Institut befragten Entscheider der Druck- und Medienunternehmen ihre aktuelle Geschäftslage im Juli erneut schlechter als im Vormonat.

Auch Kurzarbeit ist wieder an der Tagesordnung: Viermal so viele Menschen in Kurzarbeit wie vor einem Jahr – der Mittelstand im Nordschwarzwald und auf der Alb leidet: Immer mehr Betriebe müssen Kurzarbeit anmelden. Im Bereich der Arbeitsagentur Nagold sind 6.000 Beschäftigte betroffen.

Maschinenbauer Manz AG, internationale High Tech Maschinen, meldet Kurzarbeit an und hofft damit zu überleben. Es betrifft die Standorte Reutlingen und Tübingen. Diese Maßnahme betrifft rund 450 Mitarbeiter, die nun mit reduzierter Arbeitszeit arbeiten.

Das Elend betrifft auch die Autoindustrie.

Der Autozulieferer ZF will bis Ende 2028 bis zu 14.000 Stellen in Deutschland streichen, TE berichtete. Zulieferer Schaeffler kämpft – nur das Ersatzteilgeschäft boomt, meldet die Wirtschaftswoche. An der Autozuliefersparte von Continental haben die Franken derzeit kein Interesse.

„Autowerke in Deutschland nur zu zwei Dritteln ausgelastet“, titelt die Welt. Das geht aus einer Auswertung des Datenspezialisten Marklines für die Deutsche Presse-Agentur hervor. 6,2 Millionen Autos könnten alle Standorte zusammen den Angaben zufolge pro Jahr liefern. 2023 waren es nur gut 4,1 Millionen.

Diese Zahlen betreffen lediglich das Jahr 2023. Für dieses Jahr dürften die Angaben noch beträchtlich darunterliegen. Fakt ist: Das Schicksal der Automobilindustrie ist nicht exogen bestimmt, sondern selbstgewählt in Form von eiligem Wechsel raus aus dem Verbrenner und rein in die Batterie-Elektromobilität als alleinige Antriebsart der Zukunft.

Indessen geht es in der Stahlsparte von Thyssen-Krupp „ums Eingemachte“. Am Freitag berät darüber der Aufsichtsrat des Unternehmens unter der Leitung des Vorsitzenden und früheren Vizekanzlers Sigmar Gabriel ob das Geschäft überhaupt sanierungswürdig ist, schreibt das Handelsblatt. „Verkaufsprozess für Stahlsparte versinkt im Chaos“, heißt es dazu. Zwischen Konzernführung und Stahlvorstand herrscht Streit. Noch vor einer Woche verbreitete Thyssen-Krupp eine lange erwartete Erfolgsmeldung. Der Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky mit 20 Prozent bei der Stahltochter sei perfekt, teilte der Konzern mit. Insider berichten jedoch von einem eskalierenden Streit zwischen Lopez und dem Stahlvorstand um Bernhard Osburg wegen einer Finanzierungslücke von zwei Milliarden Euro.

Thyssen-Krupp will seine Stahlsparte möglichst schonend für die eigenen Finanzen verkaufen. Im April war der Vorstand von Thyssen-Krupp Steel beauftragt worden, einen Businessplan für die Stahltochter und deren Restrukturierung zu erarbeiten – bis jetzt wurde er dem Aufsichtsrat aber nicht präsentiert. Die Leitung des Mutterkonzerns stellt sich quer, weil sie den Finanzbedarf des Stahlvorstands als zu teuer ablehnt, wie das Handelsblatt von vier mit dem Vorgang vertrauten Personen erfahren hat.

Weiter heißt es: Um notwendige Investitionen zu tätigen, benötige die Stahltochter eine Mitgift von insgesamt knapp vier Milliarden Euro, schätzen Konzerninsider. Der Essener Vorstand um Miguel López biete der Sparte allerdings maximal 2,5 Milliarden Euro. Ein Argument der Konzernführung: Die notwendigen Investitionen könnten aus dem laufenden Geschäft der Stahltochter getätigt werden. In Duisburg, bei der Tochter, sieht man das als unrealistisch an.

Letztlich wackelt damit auch der Teilverkauf an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky. Sollte Thyssen-Krupp Steel zu finanzschwach aufgestellt werden, könnte sich der Milliardär zurückziehen.

Ein Gutachten nach IDW S6 gibt grundsätzlich Auskunft über die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens. Im Fall von Thyssen-Krupp wird unter anderem geprüft, ob eine Pleite drohen könnte, wenn der Mutterkonzern seinen Ableger Thyssen-Krupp Steel in die Unabhängigkeit entlassen würde. Der Konzern wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern.

Zwischenzeitlich fällt die Aktie von Thyssen-Krupp auf historisch niedrigsten Stand – im letzten Monat  von 4,10 Euro (08.07.) um 17,6 Prozent auf 3,38 Euro (08.08.).

In der Thyssenkrupp-Stahlsparte arbeiten rund 27.000 der konzernweit rund 100.000 Menschen, davon 13.000 in Duisburg. Bis Ende März 2026 gilt (offiziell) eine Beschäftigungsgarantie.

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