Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im Jahresdurchschnitt 2024 um 0,3 Prozent sinken. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen Konjunkturprognose. Und auch im kommenden Jahr 2025 erwartet das Institut keine aufblühende deutsche Wirtschaft: „Die deutsche Konjunktur kann sich nur langsam aus ihrer Schwächephase lösen“, schreibt das IMK.
Die Gründe: Eine „restriktive Fiskalpolitik der Bundesregierung und zunächst weiterhin hohe Zinsen“. Nächstes Jahr soll das BIP demnach um 0,8 Prozent steigen. Auf eine „leichte Rezession“ in diesem und im letzten Jahr soll also ein „schwaches Wachstum“ im kommenden Jahr folgen. Und auch das nur im besten Fall. In letzter Zeit musste das Wirtschaftsministerium Wachstumsprognosen immer wieder nach unten korrigieren.
Die Ökonomen des IMK gehen davon aus, dass sich die geldpolitische Situation verbessern wird: Sie vermuten, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ab April den Einlagenzins von vier Prozent auf drei Prozent senken wird, um unter anderem auf die „deutlich gesunkene Inflation“ zu reagieren: Die Teuerungsrate liegt laut IMK-Prognose in diesem Jahr mit durchschnittlich 2,4 Prozent „wieder nahe am Ziel der EZB“ und wird dieses Mitte 2025 mit 2,0 Prozent erreichen. Das IMK würde es begrüßen, wenn die EZB den Einlagezins senkt: Das wäre ein „längst überfälliger“ Beitrag, um die „stagnativen Tendenzen in der Währungsunion“ nicht noch weiter zu verfestigen.
Aber in Sachen Ampel-Politik sieht das IMK düster: „Während eine Lockerung der Geldpolitik in Sicht ist, zeichnet sich eine konjunkturgerechte Umkehr der deutschen Fiskalpolitik bisher nicht ab“, kritisiert das Institut. Ganz und gar nicht, wie Robert Habeck (Grüne) beweist: Der Wirtschaftsminister zeigt sich diese Woche zufrieden: Daten vom Umweltbundesamt zeigten, dass das Klimaschutzziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent zu senken, greifbar sei. Dies unterstreicht, dass die „ergriffenen Maßnahmen Wirkung entfalten“.
Habeck sagt dazu: „Zum ersten Mal überhaupt zeigen die Zahlen: Deutschland ist auf Kurs – erstmals. Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030. Und das mit einer Wirtschaft, die sich wieder erholt.“ Dem IMK reicht es hingegen nicht aus, dass sich die Wirtschaft ein wenig „erholt“ hat: Mit der „restriktiven Fiskalpolitik“ sorge die Bundesregierung dafür, dass aus der „leichten Erholung“ eben kein Aufschwung wird.
Dass ein solcher Aufschwung ausbleibt, zeigen ernüchternde Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Verglichen mit dem Vorjahresmonat ist die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen im Februar
um fast ein Fünftel gestiegen. Das ist keine Ausnahme: Seit dem letzten Juni sind die Zuwachsraten im Vorjahresvergleich damit durchgängig im zweistelligen Bereich. Bezogen auf 10.000 Unternehmen in Deutschland gab es im vergangenen Jahr insgesamt 52,5 Insolvenzen. Die meisten davon trafen den Bereich „Verkehr und Lagerei“ – mit 106,5 Fällen. Auch das Baugewerbe hat offensichtlich zu kämpfen: Bezogen auf 10.000 Unternehmen meldeten 79,9 aus dieser Branche eine Insolvenz an. Habeck kann sich freuen: Somit gibt es weniger Unternehmen, die Kohlenstoffdioxid ausstoßen – ein Erfolg für seine Klimaziele.
In der Immobilienbranche machen sich die Folgen der wirtschaftlichen Rezession besonders bemerkbar: Im Januar haben die Behörden den Bau von 16.800 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das fast ein Viertel weniger Genehmigungen als im Januar zuvor. Im Vergleich zum Januar 2022 ist die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen sogar um mehr als 40 Prozent oder 12.900 gesunken. Weniger Baugenehmigungen deuten an, dass weniger gebaut wird und weniger in Gebäude investiert wird – und weniger Kohlenstoffdioxid ausgestoßen wird. Dass solche Investitionen weiterhin „massiv“ sinken werden, bestätigt die IMK-Prognose: „Nach einem Rückgang um 5,4 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024 fallen sie 2025 noch einmal um jahresdurchschnittlich 1,3 Prozent“, schreiben sie in ihrer Pressemitteilung.
Aber nicht nur die Immobilienbranche ist betroffen, wie weitere Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Der „reale Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe“ ist im Januar gegenüber Dezember um rund 1 Prozent gesunken. Im Vergleich zum Januar des letzten Jahres haben diese Unternehmen aus der Industrie sogar rund 5 Prozent weniger Aufträge erhalten.
Als Grund gibt das IMK an: Öffentliche und private Investoren sind sich unsicher, welche Spielräume sich künftig bieten werden und inwiefern Deutschland ihre Kapitalanlagen fördert. Diese Unsicherheiten „bleiben hoch und bremsen“. Das IMK findet es „in der bereits lang andauernden Wirtschaftsflaute“ daher „notwendig“, dass Deutschland mehr in Infrastruktur investiert und die Ampel diese „transformativen Investitionen“ direkt und indirekt fördert, beispielsweise über günstigere Abschreibungsmöglichkeiten. Außerdem müsse die Ampel den Strompreis senken, zum Beispiel indem sie die Netzentgelte aus dem Bundeshaushalt zahle. Die Wissenschaftler vom IMK sehen die Schuldenbremse daher als ein „gravierendes Versäumnis“ der Ampel: „Im vergangenen Jahr begründeten die Energiepreisschocks, die Deutschland besonders stark trafen, das schwache Wachstum in Deutschland. In diesem und im kommenden Jahr ist es die Schuldenbremse, die Deutschland zum wirtschaftlichen Schlusslicht unter den Industrieländern macht.“
Aber nicht nur Deutschland muss handeln. Sondern auch die Europäische Union, wie die Deutsche Handels- und Industriekammer (DIHK) fordert: „Insgesamt muss sich die EU wieder auf ihre eigentlichen Kernaufgaben konzentrieren: die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit“, fordert DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. „Hier hat die EU-Kommission einige Hausaufgaben zu machen, beispielsweise auch bei den Freihandelsabkommen.” Eine DIHK-Umfrage ergab, dass die EU als Unternehmensstandort für fast zwei Drittel der deutschen Industriebetriebe innerhalb der letzten fünf Jahre an Attraktivität verloren hat.
Wansleben betont daher, an welchen „wichtigsten Baustellen“ die kommende Legislaturperiode arbeiten muss: Eine bessere internationale Verzahnung, mehr Innovation, niedrigere Energiekosten, schnellere Verfahren, mehr Fachkräfte und vor allem weniger Bürokratie. Der „Green Deal“ sorge derzeit dafür, dass Bürokratie auf- und nicht abgebaut wird, kritisiert Wansleben. Auch seine Kollegin vom DIHK Sibylle Thierer meint, das Regulierungsdickicht werde immer größer: „Das kostet Zeit, Geld und bindet Personal.“
Die Folge laut Wansleben: „Europa läuft trotz der grundlegend guten Ausgangslage Gefahr, im internationalen Wettbewerb an Boden zu verlieren.“ Gerade komplexe Zulassungs- und Genehmigungsverfahren sowie kleinteilige Dokumentationspflichten wirken sich besonders negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. Wansleben findet daher: „Dieser Trend muss umgehend gestoppt werden.“