Tichys Einblick
Artensterben in der Gründerszene

Wirtschaft ohne Unternehmer

Immer weniger wollen selbstständig arbeiten. In den vergangenen 20 Jahren hat sich ihre Zahl glatt halbiert. Der Wirtschaftsminister zeigt sich „besorgt“ – dabei tun gerade er und seine steuerfinanzierten Berufskollegen alles dafür, Bürger davon abzuhalten, eine eigene Firma aufzumachen.

@ Joshua Ness

Straßenklos. Man kann es sehr gut erklären am Beispiel von Straßenklos. Wir kommen gleich darauf zurück.

Zunächst dies: Wir dichten und denken gerne (sagt man). Aber wir unternehmen lieber nichts. Wir belehren gerne andere (sage ich). Aber wir wollen nicht unser eigener Chef sein. Nur noch jeder vierte Erwerbstätige hatte 2018 den Wunsch nach beruflicher Selbstständigkeit. Das sind so wenige wie noch nie, seit die staatliche Förderbank KfW diese Daten 2000 zum ersten Mal sammelte.

Die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland hat im vergangenen Jahr ein Rekordtief von 547.000 erreicht, berichtet der sogenannte „Gründungsmonitor“ der KfW weiter. Und von allen EU-Staaten hat Deutschland die zehntschlechteste Selbstständigenquote: gerade einmal 9,2% – weit hinter dem EU-Durchschnitt (12,7%), noch weiter hinter dem Durchschnitt der EURO-Staaten (13,0%).

Oder anders: Beim Spitzenreiter Griechenland arbeitet fast jeder Vierte im eigenen Betrieb. In Deutschland ist es noch nicht einmal jeder Zehnte.

Was ist da los?

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Nun ja: woher soll sie auch kommen, die Eigeninitiative – verbunden mit dem Wunsch, selbst und in eigener Regie etwas aufzubauen? Die Marktwirtschaft (die Deutschland nach dem Krieg reich und wieder zu einem respektablen Staat gemacht hat) wird heute so unfassbar geringgeschätzt, dass sich mittlerweile selbst CDU und FDP ihrer wenigen Unternehmer-Mitglieder ziemlich unverhohlen schämen.

Massiver Widerstand der Gewerkschaften verhindert jedwede ökonomische Alphabetisierung an den Schulen: Denn Wirtschaftsunterricht, der den Namen auch verdient, könnte natürlich eine positive Einstellung der Schüler zur Sozialen Marktwirtschaft zur Folge haben – und das wäre ja noch schöner, wenn tatendurstige junge Unternehmerpersönlichkeiten die Schulen verließen statt frühvergreister künftiger Apparatschiks.

Grundeinkommen ja, Gründer nein.

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Von interessierter Seite wird gebetsmühlenartig eine „zu unternehmerfreundliche“ Politik beklagt. Die Kritik für sich ist schon ziemlich irre in einem Land, das jährlich fast 140 Milliarden Euro – und damit knapp die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts – für Soziales ausgibt. Zusätzlich aber geht sie auch grotesk an der Wirklichkeit vorbei.

Denn mit Unternehmern hat Deutschlands politische Kaste tatsächlich gar nichts am Hut. Berlin ist groß(kotzig), das scheint bei den dorthin entsandten Volksvertretern irgendwie eine hypnotische Fixierung auf Größe zu erzeugen (bzw. auf das, was man für groß hält). Jedenfalls versteht der zuständige Minister – wie die allermeisten seiner Vorgänger – Wirtschaftspolitik als Hilfeleistung für die Großindustrie bzw. für Großkonzerne.

Das spiegelt das fatale Missverständnis wi

der, dem unsere steuerfinanzierten Politiker und ihr steuerfinanzierter Beamtenapparat ebenso erliegen wie ihre Büchsenspanner in den quasi-steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien: dass nämlich die großen Konzerne das Rückgrat des deutschen Wohlstands bildeten.

Das ist so falsch wie nur irgendwas.

„Die Wirtschaft“ bei uns, das sind vor allem die Familienunternehmen. Sie machen 90 Prozent unserer Firmen aus, beschäftigen 60 Prozent unserer Arbeitnehmer und erwirtschaften mehr als die Hälfte des privaten deutschen Gesamtumsatzes (hier nachzulesen). Verantwortung und Risiko gehören hier noch zusammen und sind nicht – wie bei den Banken – entkoppelt. Boni werden, wenn überhaupt, nur bei Erfolg gezahlt und nicht – wie bei den Autokonzernen – auch bei Betrug.

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Nur in den Familienunternehmen gibt es auch Unternehmer. Die Vorstandsherren in den Stahl-und-Glastürmen der großen Kapitalgesellschaften (Damen gibt’s da ja kaum) mögen sich für Unternehmer halten. In Wahrheit sind Top-Manager auch nur abhängig Beschäftigte mit Einzelbüro.

Allerdings haben sie – anders als echte Unternehmer – üppig Zeit und ebenso üppige Spesenkonten: üppig genug, um in Berlin Minister und Abgeordnete und Spitzenbeamte und Journalisten zu umgarnen. Da kommen dann abhängig beschäftigte Beamte und abhängig beschäftigte Manager und abhängig beschäftigte Journalisten mit nicht weniger abhängigen Politikern zusammen. Alle gemeinsam verkörpern sie das deutsche Lebensideal: den Leitenden Angestellten.

Man soll ja vorsichtig sein mit Volksmentalitäten, aber so sind wir – das ist unser deutsches Leitbild: fleißige Pflichterfüllung mit begrenzter Haftung; verlässlicher Durchschnitt bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber dem Außergewöhnlichen.

Wir bewundern Franz Beckenbauer, aber wir lieben Uwe Seeler.

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Dazu passt ein mindestens europaweit einzigartiger politischer Paternalismus. Hinter der grotesken Überregulierung unseres öffentlichen Lebens – vor allem unserer Wirtschaft – steckt ein sagenhaftes Misstrauen gegenüber der Eigeninitiative

Und da kommen wir zu den – genau, Straßenklos.

„City-Toilette“ nannte Hans Wall seine neuartige öffentliche Bedürfnisanstalt, die der rastlose schwäbische Unternehmer im November 1991 den staunenden Berlinern im Bezirk Friedrichshain präsentierte. Beim anschließenden Sektempfang (bitte alle denkbaren anzüglichen Wortspiele jetzt mal vergessen) erzählte Wall dann, wie er um ein Haar verzweifelt wäre bei dem Versuch, die in anderen europäischen Großstädten längst üblichen Einrichtungen nach Deutschland zu bringen – und wie er darüber sogar fast seine Firma aufgegeben hätte.

Denn um die „City-Toilette“ aufzustellen, musste Wall mehr als 1.000 (in Worten: eintausend) Genehmigungen und Gutachten vorlegen. Das war insgesamt so viel Papier, dass es gerade so in ebendiese „City-Toilette“ passte. Die misst 2,71 mal 3,43 mal 2,27 Meter. Oder anders: Es war viel Papier. Sehr viel. So viel, dass Wall ernsthaft überlegt hatte, aufzugeben und sein Unternehmen dichtzumachen.

Seitdem ist es nicht besser geworden, ganz im Gegenteil – und keineswegs nur im „Reichshauptslum“ (Don Alphonso).

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Der deutsche Zeitgeist meint es insgesamt nicht gut mit der Eigeninitiative.

Die Generation Selfie-Stick setzt auf Selbstbespiegelung statt auf Selbstständigkeit, auf Weltrettung statt auf Firmengründung.

„Es gibt den Revolutionär, den Söldner und Abenteurer, der vor privaten Lebensproblemen in ein Kollektiv, in den Dienst einer Institution oder Idee flieht. Er ist damit den Schwierigkeiten eines Lebens mit einer Familie, den Anforderungen eines Berufes und selbständiger alltäglicher Entscheidungen enthoben.“

(Gerhard Szczesny, „Das sogenannte Gute“)

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