Die Gene des VW-Konzerns wurzeln seit Gründung am 18. Mai 1937 (Berlin, Wolfsburg gab es noch nicht) als Kind der „Deutschen Arbeitsfront“ des Nazi-Regimes in der „Kraft durch Freude“, nicht in der Kraft durch Freunde. Das durchzieht die Konzerngeschichte bis heute.
Ein Streit zwischen der neuen Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo und Vorstandschef Herbert Diess offenbart erneut die besondere Macht des Betriebsrates in Deutschlands größtem Autokonzern. Diess glaubte, einen Auftritt vor der Betriebsversammlung vermeiden zu können. Doch Cavallo (italienisch „Pferd“) zwang Diess mit einer geharnischten Reaktion, von seinem hohen Ross zu steigen.
Zu den Einzelheiten kommen wir gleich. Doch zunächst zur Erinnerung: Die Konflikte zwischen Konzernführung und Gesamtbetriebsrat sind legendär, gelegentlich sogar zur Unterhaltung der Öffentlichkeit untermalt durch Schmuddelaffären wie in den Nuller-Jahren, damals mit den Hauptdarstellern Gesamtbetriebsrat Klaus Volkert und VW-Personalvorstand Peter Hartz.
Zwischen Volkerts Nachfolger Bernd Osterloh und der VW-Führung traten mit Einsetzen der Dieselaffäre 2015 neue Konflikte offen zu Tage. Hauptakteur auf Vorstandsseite war diesmal Herbert Diess, der 2015 von BMW zu VW gewechselt war. Zum 1. Juli 2015 bestellte der Aufsichtsrat der Volkswagen AG Herbert Diess zum Mitglied des Konzernvorstands der Volkswagen AG und zum Vorsitzenden der Marke Volkswagen Pkw. Mit Wirkung zum 13. wurde Diess dann zum Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG gekürt – Ziel erreicht.
Seither ist das Verhältnis zwischen Konzernführung und Gesamtbetriebsrat angespannt, manchmal bis kurz vorm Zerreißen. Die Bewältigung der Diesel-Affäre, vor allem aber die Transformation und Neuausrichtung des trägen Konzernapparates an das Zeitalter von Elektromobilität und Digitalisierung bei gleichzeitig gewaltiger Steigerung von Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit schuf immer wieder neue Konfliktpotentiale zwischen dem geschmeidigen, aber notorisch auf Konflikt gebürsteten Vorstandsvorsitzenden Diess und dem knorrigen Betriebsratschef Osterloh, der sich wie alle seine Vorgänger als die graue Eminenz in der VW-Konzernführung sieht. Mal wollte Diess das Handtuch werfen, mal sollte es ihm zugeworfen werden. Diess stand wiederholt auf der Kippe, im Ergebnis aber brachte er den bräsigen Konzern voran.
Frieden im Verhältnis zwischen Diess und Gesamtbetriebsrat versprach sich der VW-Aufsichtsrat von dem Augenblick an, als der machtbewusste und vierschrötige Bernd Osterloh im Mai 2021 die Seiten wechselte, um hochdotiert als Personalvorstand mit weitreichenden Befugnissen in den Vorstand der Volkswagen LKW-Tochter Traton zu wechseln.
Seine Nachfolgerin als Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Volkswagen wurde im Frühjahr 2021 Daniela Cavallo (46), leise und zierlich, mit italienischen Wurzeln, bereits der Vater war bei VW beschäftigt. Seit Anfang 2019 war die studierte Betriebswirtin und Mitglied der IG Metall Cavallo Stellvertreterin von Osterloh. Dem Handelsblatt von damals zufolge „soll die Deutsch-Italienerin systematisch als Nachfolgerin aufgebaut werden. Einige Jahre bekommt sie dafür Zeit.“ Und das wurde sie dann auch, nachhaltig.
Denn der Frieden in der „Wolfsburg“ währte gerade mal ein halbes Jahr, dann brach der Machtkampf zwischen Betriebsratschefin Daniela Cavallo und CEO Herbert Diess wieder offen aus, das alte Drama nahm seinen Lauf, diesmal sogar besonders heftig. Und diesmal mit Herbert Diess auf der Verliererseite.
Ausgangspunkt war eine von Diess geplante Reise zu Investoren in den USA, die justament dann stattfinden sollte, als Cavallo für den 4. November eine Betriebsversammlung angesetzt hatte, die erste nach zwei Jahren Corona-Pause. Bei den Mitarbeitern hatte sich großer Gesprächsbedarf aufgestaut: umfassende Kurzarbeit auch im Stammwerk Wolfsburg wegen fehlender Speicherchips und Bauteile, zum Teil Versäumnissen der Logistik geschuldet; permanent erhöhter Rationalisierungs- und Effizienzdruck auf die Belegschaften; immer und überall mit Verweis auf den Konkurrenten Tesla – dem Lieblingsunternehmen von Herbert Diess – , der Elektroautos in 15 Stunden zusammen bauen würde, während VW dafür doppelt so lange brauche. Und schließlich stand die offene Drohung von Konfliktchampion Diess im Raum, bei VW seien 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr, wenn sich nicht schleunigst viel ändere: schnellere Entscheidungen, mehr Effizienz, sonst werde die Lage für den 670.000-Mitarbeiter-Konzern bald existenzbedrohlich sein. Womit er angesichts der unglaublichen Herausforderungen durch Klimawandel, Elektromobiliät und Vernetzung, vor denen die Branche steht, nicht ganz unrecht hat.
War es aber nicht, Konfliktmaschine Herbert Diess sagte seine Teilnahme ab, zunächst wegen einer zeitgleich geplanten USA-Reise, danach weil der notorische Provokateur Diess plötzlich und unerwartet seinerseits für den gleichen 4. November der Betriebsversammlung zu einer eigenen Informationsveranstaltung via VW-Intranet einlud. Diese sollte unter dem Motto stehen: „Beschäftigte fragen: Herbert Diess antwortet“. Laut Einladung sollte dabei Vorstandsvorsitzender Diess 200 Beschäftigten Rede und Antwort stehen.
Für Cavallo war das ein Affront sondergleichen. Sie tobte offenbar in einer Kombination von italienischer Grandezza mit Osterlohscher Blutgrätsche. Noch am gleichen Tag der Vorstandseinladung ließ Cavallo laut Süddeutscher Zeitung (SZ 28.10.2021) mit zuvor noch nie vernommener Schärfe in einem offenen Brief an ihre Arbeitnehmerklienten verlauten: „Während der Konzernvorstandsvorsitzende mit seinen Surfaktionen auf dem Mittellandkanal, den Fahrraddemos vorm Werkstor oder den gemütlichen Wandertouren mit seinen Vorstandskollegen den Anschein erweckt, als liefe alles rund, stecken die Kolleginnen und Kollegen seit Monaten fast durchgängig in Kurzarbeit fest“. Das sei eine „dramatische Situation, die es so noch nie gab“. Und weiter schrieb sie: „Herbert Diess zieht die Investoren an der Wall-Street der eigenen Belegschaft vor – dieses Verhalten ist beispiellos in der Geschichte unseres Konzerns und zeigt einmal mehr, dass der Konzernvorsitzende selbst in dieser Krise weder Empathie noch Gespür für die Situation der Belegschaft hat.“
Vor allem die Paralleleinladung des Vorstands gegen die hochheilige Betriebsversammlung brachte für Cavallo das Diess-Fass zum Überlaufen. Das Auftreten der Arbeitgeberseite sei – milde gesprochen – flegelhaft, das Verhalten von Konzernchef Diess, nach „eigenem Drehbuch“ eine Dialogveranstaltung in den Terminkalender zu schieben anstatt zur Betriebsversammlung zu erscheinen, zeige, dass „… Herr Dr. Diess weiterhin keinerlei Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit hat“. Noch nie habe sich in der VW-Geschichte ein Manager in Krisenzeiten so ignorant und respektlos gegenüber Belegschaft verhalten. Es ginge ihm um Selbstdarstellung. Vor allem wolle der Vorstandsvorsitzende auch in Wolfsburg die Bühne ganz für sich allein haben (alle Zitate wörtlich oder sinngemäß nach SZ).
Touché!
Cavallos Botschaft wirkte, Diess knickte ein. Er sagte kurzfristig sowohl die geplante USA-Reise wie die eigene Dialogveranstaltung ab. Und sagte sein Erscheinen auf der Betriebsversammlung zu.
Was die alten Machtstrukturen im VW Konzern wieder an den Tag fördert. Der Betriebsrat in Wolfsburg war und ist unverändert mächtig, ohne seien Mitwirkung und Zustimmung bleibt jede Veränderung im Konzern eine Illusion. Und Daniela Cavallo (italienisch „Pferd“) möchte offensichtlich auch in Zukunft „Frau im Sattel“ bleiben.
Auf den nächsten Akt im Drama, darf das Publikum gespannt sein.