Tichys Einblick
Elon Musk

Was hinter Teslas Gewinnsträhne steckt

Dass es bei Tesla längst nicht so rosig aussieht, wie Musk stets glauben machen will, kann man mit etwas Hintergrundwissen an der Bilanz ablesen.

imago Images

Frage an Radio Eriwan: Ist Tesla-Chef Elon Musk ein begnadeter Zauberer oder der weltbeste Ingenieur? Antwort: Im Prinzip ein begnadeter Zauberer, denn er bekommt bald den Oscar für den unglaublichen Trick, dass seine Elektroautos sofort aufgeladen sind, wenn der Blitz einschlägt.

Ähnlich verzaubernd verhält es sich mit den Geschäftsbilanzen des kalifornischen Autobauers. Die Medien jedenfalls jubelten nach dem zweiten Quartalsbericht 2020 des Unternehmens, dass Tesla angeblich zum vierten Mal hintereinander einen Vierteljahresgewinn ausweist. Endlich, könnte man sagen, ist der Laden in den schwarzen Zahlen. Stimmt das wirklich? Die Details der Reihe nach. Für die einen ist der Mann ein Guru, wenn nicht sogar ein Gott. Musk, der Gründer und Chef des Elektroautobauers Tesla, gilt vielen als Fleisch gewordenes Sinnbild für Fortschritt und modernes Unternehmertum. Ein Macher. Andere, auch nicht wenige, sehen in ihm lediglich einen Lautsprecher, der regelmäßig große Sprüche macht und alle paar Monate durch Kapitalerhöhungen Milliarden an Dollar vom Finanzmarkt abgreift – weil seiner Firma sonst das Geld auszugehen droht.

Musk ist obendrein ein selbstverliebter Typ, der oft mehr durch merkwürdige Aktionen auffällt als durch sein eigentliches Geschäft. Wie etwa durch das öffentliche Paffen eines Rauschmittels in einem Video-Podcast, durch das Herstellen und Vertreiben eines Flammenwerfers oder wie jüngst im Juni/Juli durch die Produktion und den Vertrieb sogenannter Short-Shorts. Mit den knappen Höschen wollte er jene Börsen-Haie veräppeln, die auf einen fallenden Aktienkurs (im Börenslang „Short“ genannt) von Tesla wetteten. Nicht nur, dass die Flammenwerfer rasch ausverkauft waren und auch die Shorts weg gingen wie warme Semmeln, obendrein amüsierte sich die Szene darüber und der Unterhaltungskünstler Musk bekam dafür von vielen Seiten Applaus. Ohne Zweifel kommt seine Hollywood-Ausstrahlung bei vielen an.

Doch hat der US-Glamourboy mit Superstaranstrich auch seinen Laden im Griff? Antwort: Eher nicht. Das zeigt sich auch in der Qualität der Autos. Nach der jüngsten Einstufung des renommierten J.D Power Reports für 2020, das ist die wohl wichtigste und aussagekräftigste Hitliste zur allgemeinen Zufriedenheit mit Automobilen in den USA, liegt die Marke Tesla bei 250 Qualitätsproblemen (Durchschnitt 166) innerhalb von 90 Tagen nach dem Kauf auf dem katastrophalen letzten Platz, Rang 28. Gründe dafür seien insbesondere Fertigungsprobleme aber auch eine geringere Reichweite als angegeben oder ein ungenauer Entfernungsmesser. Die Befragung wurde in 35 US-Bundesstaaten unter 1 250 Tesla-Besitzern – zumeist Fahrer des populären Mittelklassewagens Model 3 – durchgeführt.

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Und dass es auch wirtschaftlich längst nicht so rosig aussieht, wie Musk stets glauben machen will, kann man mit etwas Hintergrundwissen an der Bilanz ablesen. Musk meldete zwar für das zweite Quartal 2020 nach dem US-Rechnungslegungs-Standard „Generally Accepted Accounting Principles“ (GAAP) überraschend 104 Millionen Dollar Gewinn. Macht unterm Strich 0,50 US-Dollar je Aktie. Doch, so fand Focus-online heraus, ein etwas tieferer Blick ins Zahlenwerk zeigt, „dass bei Tesla nicht alles so rund läuft, wie es den Anschein hat. Die Gewinne, die Tesla vermeldete, stammen gar nicht aus dem Verkauf der Stromer“. Zwischen April und Juni kamen allein 428 Millionen Dollar der Einnahmen vom Verkauf sogenannter ‚regulatory credits‘ – Punkte, die von diversen US-Staaten für umweltfreundliche, emissionsfreie Fahrzeuge vergeben werden. Sie werden auch „ZEV credits“ genannt, wobei ZEV für Zero Emission Vehikels steht. Wer in den in Frage kommenden Bundesstaaten Autos verkaufen will, muss ein Mindestmaß solcher Punkte haben, sonst drohen Strafen von den Behörden. Die Formel dafür, wie viele es dieser credits gibt, ist höchst kompliziert, erschließt sich keinem Laien und bemisst sich unter anderem nach der Reichweite wie auch nach dem Aufladetempo der verwendeten Akkus.

Focus-online weiter: „Da Tesla nur Stromer herstellt, sammelt der Konzern reichlich Punkte, die er an Wettbewerber weiterverkaufen kann, die noch Punkte brauchen. Das System gleicht damit dem Handel mit Emissionszertifikaten in Europa. Der Clou dabei: Weil Tesla die Punkte umsonst kassiert, kann der Konzern diese mit einer 100-prozentigen Marge weiterverkaufen. Nie verkaufte Tesla mehr solcher Punkte als im zweiten Quartal. Noch im Vorjahresquartal hatte Tesla mit diesem Geschäft nur 111 Millionen Dollar erlöst. Zieht man diese Erlöse vom Nettoumsatz von 1,267 Milliarden Dollar ab, bleiben nur noch 839 Millionen Dollar übrig – das ist zu wenig, um die operativen Kosten von 940 Millionen Dollar zu decken.“ Ohne den Punktehandel wäre es mit dem Bilanzgewinn also nichts geworden.

Es gibt aber auch noch andere Merkwürdigkeiten im Quartalsbericht. Dazu schrieb etwa die britische Financial Times, dass sich auch bei den so genannten „accounts receivables“ (erwartete Einnahmen) im zweiten Quartal etwas getan habe. Der Begriff bezeichnet noch ausstehende Zahlungen, die, sofern alles sauber ist, Kunden und Geschäftspartnern schon in Rechnung gestellt sind und dann auch bilanziert werden dürfen. Seit Jahren schwankt die Zahl der „accounts receivables“ im Bereich von etwa 20 Prozent des Umsatzes. Im zweiten Quartal jedoch sprang dieses Verhältnis bei Tesla auf 25 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit sechs Jahren, so die Financial Times. Anders ausgedrückt: Während die Umsätze insgesamt leicht gesunken sind, hat Tesla offenbar mehr als früher (noch) unbezahlte Rechnungen als Erlöse bilanziert. Bei Beobachtern hat das – freundlich formuliert – zu angehobenen Augenbrauen geführt, denn solche Bilanzierungspraktiken gelten mindestens als fragwürdig. Tatsächlich stieg diese Position in der Bilanz des zweiten Quartals im Vergleich zum Vorjahresquartal auf nunmehr 1,485 Milliarden Dollar (eine Zunahme von fast 30 Prozent).

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Auch hier ist festzustellen, dass ein Großteil dieser offenen Rechnungen nicht aus dem Verkauf der Fahrzeuge stammt. Das bestätigte Teslas Finanzvorstand Zachary Kirkhorn in einer Analystenkonferenz nach der Vorstellung des Zahlenwerkes. Kirkhorn sagte: „Weniger als 30 Prozent unserer receivables stammen aus dem Verkauf neuer Autos.“ Laut Kirkhorn würden allein offene Rechnungen aus dem Handel mit den Emissionspunkten gut 40 Prozent der Position ausmachen. Und diese „erwarteten Einnahmen“ entsprechen 594 Millionen Dollar in der Bilanz. Kritische Analysten vermuten, dass womöglich alle Pluspunkte-Verkäufe im zweiten Quartal erstmal auf Rechnung gemacht wurden, damit der Konzern diese als Umsatz verbuchen kann. Bezahlt wird erst dann, wenn die Käufer die Punkte auch wirklich brauchen. Prinzipiell hat Tesla so womöglich künftige Umsätze in die Gegenwart gebeamt, mit dem Ziel, das vierte Gewinnquartal in Folge zu vermelden.

Man könnte auch sagen: Luftbuchungen. In Bayern gibt es für Burschen, die so arbeiten, eine schöne Bezeichnung. Dort sagt man über Typen wie Elon Musk halbwegs freundlich: „A Hund isser scho.“ Wahrscheinlich aber trifft es der Begriff „Schlawiner“ genauer. Denn das ist der gebürtige Südafrikaner, der es bei der Suche nach frischem Kapital oder bei der Verkündigung angeblicher schwarzer Zahlen oder neuer Verkaufsrekorde bisher immer wieder geschafft hat, Anleger zu bezirzen. Und ideologisch eindeutig ausgerichtete Medien jubeln dazu. Der Beleg dafür, dass das Getöse Erfolg hat, ist der Aktienkurs. Am 9. August 2019 lag der bei knapp 210 Euro. Gut ein Jahr später, am 5. August 2020, hatte er die 1000-Euro-Marke längst überschritten: An dem Stichtag pendelte er um die Mittagszeit bei sagenhaften 1266 Euro.

P. S.: Nach einer Civey-Umfrage für die „Automobilwoche“ sehen 60 Prozent der Befragen die hochfliegende Bewertung des E-Auto-Pioniers skeptisch. In der Automobilwoche steht:

„Der kalifornische E-Auto-Pionier ist mittlerweile an der Börse mehr wert als sämtliche deutschen Autokonzerne zusammen. Wer die Aktie bereits vor einem Jahr im Depot hatte, darf sich über einen Kursgewinn von gut 550 Prozent freuen. Die Bewertung hat sich dabei längst von den wirtschaftlichen Kennzahlen entkoppelt. Tesla ist zu einer Glaubensfrage geworden … Für nur 20 Prozent der Befragten bildet der Börsenwert das tatsächliche Potenzial von Tesla ab. Über 60 Prozent halten die Aktie dagegen offensichtlich für überbewertet. 19 Prozent können sich nicht richtig entscheiden.

Ausgewertet nach Altersgruppen ergibt sich ein anderes Bild. Das sind gute Nachrichten für Elon Musk. Denn gerade bei den jüngeren potenziellen Käufern profitiert Tesla von seinem starken Image und dem Lifestyle-Versprechen. Jeder Dritte der 18- bis 29-Jährigen kann die hohe Bewertung nachvollziehen – sprich, attestiert Tesla eine große wirtschaftliche Zukunft. Das Verständnis für den Börsen-Hype sinkt dann in den weiteren Altersgruppen deutlich … Bezogen auf die Zielgruppe Autofahrer fällt übrigens die Zustimmung für Tesla noch geringer aus. Über 66 Prozent halten den Hersteller für falsch bewertet an der Börse. Womöglich spielen hier Qualitätsstudien für Neuwagen, bei denen Tesla oftmals schlecht abschneidet, eine größere Rolle.“


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