Normalerweise gehört es ja für einen Sozialdemokraten oder Grünen zum guten Ton, sich über Besserverdiener aufzuregen. Aber in den vergangenen Wochen gab es ein eigenartiges Schauspiel: Auf einmal war jeder ein übler Populist, der die klassische sozialdemokratische Position einnahm und etwas gegen hohe Löhne sagte. Auf einmal waren es die Grünen und die Sozialdemokraten, die Seite an Seite mit der CDU und der FDP kämpften, um Besserverdiener-Löhne namens Diäten automatisch zu erhöhen.
Der Grund dafür: Es ging ums eigene Geld. Um die Diäten der Abgeordneten.
Führen wir sie dennoch kurz in Form einer einfachen Frage: Wenn sich der Bundestag so einig ist, dass eine Koppelung staatlicher Zahlungen an die allgemeine Lohnentwicklung eine so großartige Sache ist, wieso führen wir sie dann nicht auch an anderen Stellen ein? Wieso sind Hartz IV, Mindestlohn, Renten und Beamtenbesoldungen nicht mit dem gleichen Automatismus ausgestattet?
Natürlich, weil es gute Argumente gegen solche Lohngleitklauseln gibt. Da Löhne aus politischen Gründen in der Regel nur nominal steigen können, werden Anpassungen in der Lohnstruktur nur dadurch möglich, dass ein Inflationsausgleich im Einzelfall ausgehandelt werden muss. Dieses Aushandeln ist ein wichtiges Instrument in einer Volkswirtschaft, um nicht in die klassische Sozialismusfalle zu tappen, in der noch ein Kohlenschaufler im ICE nach seinem Produktivbeitrag des Jahres 1948 bezahlt werden müsste. Genau diesen Prozess des Aushandels wollen die Damen und Herren Abgeordneten gern für alle Bevölkerungsgruppen aufrechterhalten (was auch sinnvoll ist) – nur nicht für sich selbst (was nicht sinnvoll ist). Sie verhindern gern die öffentliche Diskussion darüber, wenn es ums eigene Geld geht. Und deshalb wurde diese Diskussion auch jetzt nicht geführt, weil es ja das schöne Populismusargument gibt, mit dem man jede Diskussion beenden kann.
Hätten wir sie geführt, wäre aufgefallen, dass zu Zeiten der D-Mark ein solcher Automatismus sogar verboten gewesen wäre. Es gab damals im §3 des Währungsgesetzes ein Indexierungsverbot. Die Koppelung nominaler Zahlungen an andere Größen hätte damals von der Bundesbank genehmigt werden müssen. Damit sollte verhindert werden, dass die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale entsteht, die Italien ewig geplagt hat. (Wieso dieses Indexierungsverbot mit dem Euro abgeschafft wurde, wäre noch einmal eine ganz eigene Frage, aber lassen wir die hier einmal aus.)
Dennoch könnten sich die Parlamentarier genau damit einen Bärendienst erwiesen haben. Durch die Digitalisierung dürfte in den kommenden Jahren die Lohnentwicklung deutlich geringer ausfallen als die allgemeine Produktivitätsentwicklung, weil die Einkommen voraussichtlich immer mehr in Richtung Kapitaleinkommen verschoben werden. Das haben die Parlamentarier nicht bedacht, weil ihnen diese verheerende Wirkung der Digitalisierung schlichtweg nicht bewusst ist. Würde der beschlossene Automatismus nun über lange Zeit so beibehalten, dann werden sie sich irgendwann erstaunt die Augen reiben, wie wenig Erhöhung der Diäten noch herausspringt.
Aber machen Sie sich keine Sorgen um unsere Mitglieder des Bundestages. Sie werden eines Tages endlich bemerken, dass die Löhne in Zukunft langfristig real sinken. Und dann werden sie zu Anfang einer Legislaturperiode großherzig mit einer Zweidrittel-Mehrheit auf ihre eigene automatische Angleichung an die allgemeinen Löhne verzichten und sie für die anderen staatlichen Zahlungen einführen.