Tichys Einblick

Warum deutsche Unternehmen oft in Indien scheitern

Wer in Indien Erfolg im Geschäftsleben haben will, braucht starke Nerven. Um nicht zu scheitern, sollte man sich unbedingt mit den kulturellen Verschiedenheiten beschäftigen.

© CHANDAN KHANNA/AFP/Getty Images

Wer in Indien Erfolg im Geschäftsleben haben will, braucht starke Nerven. Um nicht zu scheitern, sollte man sich unbedingt mit den kulturellen Verschiedenheiten beschäftigen. Auf der langen Reise durch Indien erforscht der Autor nicht nur die Kultur, sondern wirft auch einen neuen Blick auf die westliche Welt. Auf Besuch bei einer Familie in Delhi spricht man über die differenten Business-Mentalitäten.

Rajis Bruder ist Software-Ingenieur und hat schon mit deutschen Firmen gearbeitet. Er war sogar schon längere Zeit bei Bosch in Gerlingen. Difficult, very difficult to work with Germans, erzählt er. Sie sagen genau, was sie von uns erwarten. Wenn wir das nicht können, geben wir das aber nicht direkt zu, sonst verlieren wir das Gesicht. Also sagen wir erstmal zu allem JA. Daraus ergeben sich oft Probleme, die die Deutschen immer wieder ansprechen. Wir haben dann den Eindruck, sie legen es geradezu darauf an, dass wir das Gesicht verlieren.

Offene Kritik beschämt uns und wenn das vor Untergebenen passiert, ist auch unsere soziale Stellung angegriffen. Und dann machen wir lieber erstmal gar nichts mehr. Wer nichts macht, macht nichts falsch. Und die Deutschen fühlen sich dann erst recht in ihrer Kritik bestätigt. In Indien haben wir keine Fehlerkultur.
Viele Inder sind technisch nicht schlecht ausgebildet, aber kritisches Denken ist nicht angesagt. Bei uns ist Harmonie das Wichtigste.
Wenn uns ein Projekt übertragen wird, denken wir, das wird schon klappen. Probleme werden nicht wirklich zum Thema gemacht. Deshalb funktioniert auch vieles nicht richtig.

Und dann erzählt er eine Geschichte und krümmt sich vor Lachen.

Der Chef einer deutschen Firma mit einer Niederlassung in Indien erklärte seine Ziele und sagte jedem unserer Gruppe, er solle seine Meinung dazu sagen. Natürlich stimmten wir alle zu, aber wir erzählten ihm doch nur, was er hören wollte. Viele sind gar nicht gewohnt, eine eigene Meinung zu haben.
Beim nächsten Meeting gab unser indischer Chef andere Ziele vor. Wir wussten, dass das so nicht geht, aber der Chef hat recht und wichtig ist, dass bei uns niemand sein Gesicht verliert. Also folgten wir ihm. Der Deutsche bekam einen Wutanfall und machte sich so auch noch zum Outcast. Er hat einfach unsere Kultur nicht verstanden. Wir sind keine Gesellschaft, in der jeder ständig seine Meinung vertritt. In Asien gibt es nicht die Diskussionskultur des Westens. Für uns ist das Einvernehmen wichtig und das schaffen wir, indem wir der Führung folgen. Wenn wir JA sagen, heißt das nur: Du bist der Chef, und wir versuchen deinen Lösungsweg umzusetzen. Und wenn das nicht funktioniert, vertuschen wir die Probleme einfach.
Das Prinzip eines starken Anführers ist für uns wichtig, um die Entwicklung einer Gruppe oder eines Unternehmen in die richtige Richtung zu lenken. Wenn das fehlt, wird es hier schwierig.

Wir können genauso wenig aus unserer Haut wie die Deutschen, die ohne Rücksicht auf soziale Verluste ihr Ding durchsetzen. Wir versuchen die Gruppe zusammenzuhalten, reden auch am Arbeitsplatz viel über Persönliches und trinken zusammen Tee. Deshalb fühlen wir uns bei der Arbeit auch wohl. In Deutschland ist das eher verpönt. Da gilt das Persönliche bei der Arbeit als Zeitverschwendung. Aber Arbeit ist doch auch unser Leben.
Wenn wir vom Chef begeistert sind, schlafen wir auch im Büro. Wo ist das Problem? Die Deutschen sind effektiv, aber sie haben ständig Urlaub und Wochenende, weil sie sich von ihrer effektiven Art erholen müssen.

Dann wollen die Deutschen immer eine Deadline. Wie sich das schon anhört. Wenn wir den Abgabetermin nicht schaffen, sind wir tot? Spinnen die? Was ist schon Zeit in der Unendlichkeit des hinduistischen Denkens. Zeit ist Maya, ist Illusion. Wenn es heute nicht klappt, klappt es morgen.

Wir passen uns dem Karma an, die Deutschen versuchen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wenn es regnet, warten wir darauf, dass der Regen aufhört. Die Deutschen holen einen Regenschirm und nehmen ein Taxi, um pünktlich zu sein. Das machen sie, weil sie ihr westliches Schuldbewusstsein plagt. Das haben wir nicht. Solange wir uns sozial sicher fühlen, ist uns das egal. Wir schämen uns, wenn wir in der Gruppe bloßgestellt werden. Der Deutsche fühlt sich schuldig, wenn er gegen eine Regel verstößt. Das ist was ganz anderes. Eigentlich leben wir leichter.

So erzählt er voller Engagement und ich bin erstaunt, dass er die Dinge so klar auf den Punkt bringt.

GADAMERS REISEN
Indien: So fremd, so vertraut
Und dann erzählen mir meine Gastgeber, was ich in Asien schon oft gehört habe: Sie schwärmen vom grandiosen Ruf der deutschen Ingenieurskunst. Germany is good for studying in only 1 subject. They have the best engineers in the world. Gut zu wissen, was die Inder denken. Und was halten die Deutschen selbst von ihren Ingenieurwissenschaften? Sexy ist deren Image nicht gerade. Die jungen Deutschen entscheiden sich heute gerne für irgendwas mit Medien, die Frauen studieren Gender Mainstream und fordern dann die Frauenquote im Aufsichtsrat von BMW, damit die Welt endlich gerecht und gut werde. Stolz richtet sich mein Gastgeber auf: India is a strong country. I am proud to be an Indian. In 20 Jahren wird Indien mit China darum kämpfen, die Weltmacht Nummer 1 zu sein. Germany will be anywhere behind. – Na ja, dann können wir unsere Eurythmielehrer nach Indien schicken, wie jetzt indische Yogalehrer zu uns kommen, denke ich mir, grinse und nippe an meinem Zimttee.

Raji, mein Wohltäter ist wirklich fürsorglich. Selbst zu so weit vorgerückter Stunde telefoniert er noch in der Stadt herum, um ein günstiges Hotel für mich aufzutreiben. Gesucht, gefunden und dann will Raji mich unbedingt hinfahren und dort nach dem Rechten sehen. Nunmehr nur zu dritt im Fiat, fühle ich mich wie in einer Luxuslimousine mit Chauffeur.
Sauberkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr, so denkt manch indisches Hotel. Als Raji das Zimmer besichtigt, staucht er also erst einmal das Personal zusammen, das dann noch hektisch unter dem Ecktisch wischt.

Als Europäer bin ich gewohnt, beim Gepäcktragen selbst Hand anzulegen. Aber das wäre hier ein Fauxpas und unsozial dazu. In den Augen der Angestellten wäre ich ihnen nicht behilflich, sondern ich würde den dienstbaren Geistern ihren Job wegnehmen. Aber es braucht aktive Zurückhaltung, meinen Rucksack nicht selbst die Treppe hinaufzutragen. Ich bin es nicht gewohnt, mich bedienen zu lassen. Nachdem das Zimmer einigermaßen sauber ist und sich alles zu meinem und insbesondere zu Rajis Wohlgefallen entwickelt hat, verabschiedet sich mein Wohltäter wohlwollend von mir: You call me, if you have problems. Greetings to Germany.

Ananya hat eine Überraschung für mich, eine ihrer unzähligen Nichten hat einen deutschen Verlobten. Stolz stellt sie ihn mir vor. Tobias ist, tja, er ist arbeitslos. Letzte Woche leitete er in Delhi noch eine Möbelfabrik mit 400 Mitarbeitern. Tobi ist Holztechniker, wurde als deutscher Manager eingestellt und erwirtschaftete einen schönen Gewinn. Aber der Eigentümer frönte einem teuren Hobby: Er kaufte Porsches aller Art und stellte sie nach Farben geordnet in seiner Möbelfirma auf. Das war weise, denn für Indiens Straßen sind derlei Gefährte nicht gebaut. Weniger weise war, dass er damit seiner Firma alle Mittel entzog und sie so in die Pleite trieb.
Die Möbelfabrik arbeitete auch für westliche Betriebe. Diese hatten früher eigene Produktionsstätten in Indien. Für indische Verhältnisse bezahlten sie traumhafte Gehälter. Doch für die westliche Öffentlichkeit waren das immer noch Hungerlöhne und so übte sie Druck aus, die Arbeiter zu noch höheren Standards zu beschäftigen. Das Ergebnis ist, dass viele westliche Firmen nicht mehr in Indien produzieren, sondern Aufträge an indische Betriebe vergeben. Und dort herrschen nun viel schlechtere Arbeitsbedingungen als die vorher vom Westen beklagten. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht, meint Tobi.

Als die Firma noch liquide war und produzierte, profitierten davon nicht nur Porsche, der Chef und die Angestellten, nein, jeden Monat schickten auch Polizei, die Stromwerke und die Verwaltung ihre Boten vorbei, um sich ihre „Kuverts“ abzuholen.

Das klappt immer, denn so eine Firma ist schnell geschlossen – aus Umweltschutzgründen zum Beispiel. „Vergisst“ das Management nämlich die Umschläge zu überreichen, dann hat die Verwaltung mit der Schließung des Betriebs aus Gründen des Umweltschutzes nicht nur eine gute Presse, sondern sie hat auch der Betriebsleitung ein Zeichen gesetzt, das diese sobald nicht vergisst. Bakschisch wird überall erwartet. Tobi erzählt, dass bei ihm einmal im Monat der Telekomtechniker vorbeikam, außerhalb der Wohnung die Verbindung unterbrach und dann scheinheilig meldete, dass das Telefon nicht mehr funktioniere. Viel Trinkgeld war nötig, dass der Gute den Draht wieder zusammenklemmte. Als kostengünstigste Lösung erwies sich am Ende, auf das Festnetz zu verzichten und ganz auf das Handy zu setzen.

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