Tichys Einblick
Die "Verkehrswende" scheitert:

Immer weniger Unternehmen an Bahn-Güterverkehr angeschlossen

Der Verkehr solle wegen des Klimas auf die Schiene verlagert werden. Das ist eine der gängigsten Forderungen der Politik. Doch die Realität offenbart das Gegenteil: Vier von fünf Anschlüssen an den Güterverkehr sind seit der Bahn-Reform stillgelegt worden.

Stillgelegte Eisenbahnbrücke bei Wadern im Saarland

IMAGO / Eibner

„Mehr Verkehr soll auf die Schiene verlegt werden.“ Das ist ein Satz, der einem deutschen Politiker so leicht über die Lippen geht wie einem Kellner: „Kollege kommt gleich“ oder „draußen nur Kännchen“. Doch wie bei anderen beliebten Forderungen à la „Der Mittelstand muss entlastet werden“ oder „Die Bürokratie muss abgebaut werden“ passiert hier nicht nur nichts. Sondern das Gegenteil findet statt: Als die Bahn 1994 reformiert wurde, gab es noch 11.742 private Anschlüsse für den Güterverkehr, mittlerweile sind es nur noch 2.314 Anschlüsse. Ein Abbau von 80 Prozent in 28 Jahren.

Die Zahlen stammen von der „Allianz pro Schiene“. Sie hat dafür die Daten des Bundesverkehrsministeriums ausgewertet. In der gemeinnützigen Allianz haben sich nach eigenen Angaben 24 Verbände und über 170 Unternehmen zusammengeschlossen. Darunter Nabu, BUND und die Deutsche Umwelthilfe. Der Rückbau privater Anschlüsse hat Folgen für den Bahnverkehr in Deutschland: „Immer weniger Gewerbetreibende können ihre Waren direkt auf der Schiene zum Kunden transportieren, das passt nicht zum politischen Ziel des Bundes, den Güterverkehr auf der Schiene zu stärken“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz.

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Die Allianz der Verbände sieht den Staat in der Pflicht: „Das Grundübel ist, dass der Staat selbstverständlich Straßenanbindungen an Gewerbegebiete komplett mit Steuergeld zahlt, nicht aber die Anschlüsse ans Schienennetz.“ Der erste Teil stimmt nur in Ausnahmefällen. Für den Anschluss an Straßen müssen Unternehmen im Umlageverfahren in der Regel bezahlen. Auch sind sie entgegen der Unterstellung der Allianz dabei meist „bürokratischen Antragsverfahren“ unterworfen.

Die Allianz drückt in einer missglückten Mitteilung nicht klar aus, was sie will. Die Forderungen ergeben sich vielmehr aus den Klagen darüber, was der Straßenverkehr angeblich bekomme: „Die Koalitionsvereinbarung sieht einen verpflichtenden Prüfauftrag der Schienenanbindung für neue Gewerbe- und Industriegebiete vor. Diesen Prüfauftrag hat aber noch niemand erhalten – und das, obwohl die Zeit drängt und der Verkehrssektor klimapolitisch von Jahr zu Jahr mehr aus dem Ruder läuft“, sagt Flege. Daraus lässt sich schließen, dass die Allianz eine solche Pflicht gut fände, und mutmaßlich haben sie auch nichts dagegen, wenn der Staat für die Kosten der Anschlüsse aufkommt.

Doch das Rad dreht sich in die andere Richtung, wie Flege beobachten muss: In der „Bereinigungssitzung“ habe der Bundestag beschlossen, den Etat für Zuschüsse zu privaten Gleisanschlüssen um 16 Millionen Euro zu kürzen – von 34 auf 18 Millionen Euro. Das sei ein „fatales Signal“, sagt Flege. Dem Umstieg von der Straße auf die Schiene habe die Politik ohnehin Barrieren in den Weg gestellt.

Neun-Euro-Ticket
Auf Kunden von Bus und Bahn warten hohe Preise im Herbst
Die Allianz listet zehn Gründe für das Scheitern auf. An erster Stelle steht der hohe Strompreis: „In Europa müssen Güterbahnen nur in Österreich (1,5 Cent pro Kilowattstunde) eine noch höhere Stromsteuer zahlen als in Deutschland (1,14 Cent pro Kilowattstunde, insgesamt 141 Mio. Euro pro Jahr)“, heißt es auf der Internetseite der Allianz. Auch hätten Deutschland und Europa technische Entwicklungen verschlafen: Güterzüge würden „nahezu weltweit automatisiert aneinander gekoppelt“ – nur hier halt nicht.

Unter einem anderen Defizit leidet auch der Personenverkehr: das schlechte Schienennetz. Anders als auf Autobahnen fehle es auf der Schiene an Überholspuren, bemängelt die Allianz: „Von diesen Überholgleisen gibt es zu wenig und sie sind häufig so kurz, dass 90 Prozent des Schienennetzes für Güterzüge mit EU-Standardlänge (740 Meter) nicht befahrbar sind.“ Güterzüge müssten daher oft stehen bleiben, um Passagierzüge vorbei zu lassen.

Wie voll die deutschen Gleise sind, merkt jemand, der mit einem Sonderzug unterwegs ist – etwa zu einem Fußballspiel. So lässt sich die Strecke Mainz–München in weniger als fünf Stunden schaffen. Mit einem Sonderzug werden es schnell über acht Stunden. Fast jede zweite Minute besteht dann aus Warten.

Die Lösung ist einfach, im Prinzip: Deutschland braucht mehr Schienen, wenn es die Verkehrswende wirklich schaffen will. Bestehende Strecken müssen mehrspurig werden, neue Strecken hinzukommen. Das Problem ist nur, dass sich die Politik angewöhnt hat, lieber Leichtes zu sagen, als Schweres zu machen.

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