Dass die Inflation, sprich die Geldentwertung, eine Art Steuer ist, mag eine „Binsenweisheit“ sein. Dennoch ist sie wahr. Im Unterschied zu einer Steuer trifft sie jedoch nicht alle gleichermaßen; sie trifft vor allem ärmere Bevölkerungsschichten. Da helfen auch keine Energiekosten-Zuschüsse für Wohngeldempfänger und anderes mehr.
Anfang Februar dieses Jahres lag die Inflationsrate im Euroraum noch bei 5,1 Prozent. Ende März 2022 verzeichnete sie einen Sprung auf durchschnittlich 7,5 Prozent. Es ist damit der höchste Stand seit der Euro-Einführung.
In vier Euro-Staaten ist die Rate inzwischen zweistellig. Laut Eurostat liegt sie in Estland bei 14,8 Prozent, in Litauen bei 15,6 Prozent in Lettland bei 11,2 und in den Niederlanden bei 11,9 Prozent. Deutschland verzeichnet 7,6 Prozent.
Noch im Februar dieses Jahres rechnet die EZB im Jahresverlauf mit einem Rückgang der Inflation, also mit einem vorübergehenden Phänomen und war der Ansicht, die Inflation werde durch „Sonderfaktoren“ getrieben. Aktuell geht die Währungsbehörde von einem Anstieg der Preise in 2022 von 6,0 Prozent aus, wie sie am Freitag mitteilte. Wie das bei zu erwartenden Lohn-Preis-Spiralen erreicht werden kann, bleibt mindestens eine Denksportaufgabe.
Auf der Homepage der EZB heißt es: „Das wichtigste Ziel der EZB besteht darin, die Preise stabil zu halten. Wir arbeiten für die Menschen im Euroraum und sorgen dafür, dass der Wert des Euro erhalten bleibt.“ Und weiter: „Stabile Preise sind der beste Beitrag, den die Geldpolitik zum Wirtschaftswachstum leisten kann.“
Davon kann keine Rede sein. Vor Ostern tagte der EZB-Rat. Mit ihrer Entscheidung zur Zinspolitik tat sich die EZB schwer; besser gesagt, sie tat gar nichts. Der Rat beschloss, den Leitzins auf dem bisherigen Niveau von null Prozent zu belassen. Eine Zinswende ist demnach offenbar nicht in Sicht. Die EZB scheint die Zeichen der Zeit nicht zu deuten.
Das Anleihekaufprogramm der EZB namens APP, also die Übernahme der „Wertpapiere“ der Staatsschulden in die Bilanz der EZB, „soll ab April bei 40 Milliarden Euro monatlich liegen und dann im Mai auf monatlich 30 Milliarden sowie im Juni auf 20 Milliarden Euro sinken“, schreibt das Handelsblatt. „Die seit der jüngsten EZB-Ratssitzung im März eingegangenen Daten hätten innerhalb des Gremiums „die Erwartung bekräftigt, dass die Nettokäufe von Anleihen im dritten Quartal abgeschlossen werden sollten“, heißt es im Statement der Notenbank. „Je länger die EZB an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhält, desto mehr steigen die Inflationserwartungen der Menschen und setzt sich die sehr hohe Inflation dauerhaft fest“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Ebenfalls eine „Binsenwahrheit“ ist, dadurch, dass die EZB als Notenbank von Banken Staatsanleihen oder auch Unternehmensanleihen kauft, erhöht sich die im Umlauf befindliche Geldmenge. Kommt mehr Geld in Umlauf, zieht die Konjunktur an und die Inflation steigt. Man bezeichnet das schlechthin auch als „Gelddrucken“.
Die EZB-Bilanzsumme stieg Ende August 2021 auf rund 8,2 Billionen Euro. Das sind rund 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Euroraum. Ende Dezember 2021 war der Euroraum mit 100 Prozent des BIP verschuldet. Vom Stabilitätspakt, der ein Ziel von 60 Prozent setzte, ist der Euroraum damit weiter entfernt denn je.
Doch zurück zur Geldentwertung namens Inflation. Die EZB unternimmt zu wenig, eigentlich gar nichts, um die Geldentwertung zumindest abzubremsen. Den Ankauf von Wertpapieren hat sie noch immer nicht beendet und will ihn voraussichtlich erst Ende des dritten Quartals 2022 beenden. Merkwort: voraussichtlich.
Auch in unserem Nachbarland Schweiz wird über den Preisanstieg debattiert, selbst wenn dort die Rate noch bei 2,4 Prozent verharrt. Die Streitfrage der Ökonomen lautet: Droht die Teuerung in mittlerer Frist auch in der Schweiz auf ein amerikanisches oder europäisches Niveau zu steigen?
Während in der Schweiz mit einer nominalen Aufwertung des Franken gerechnet wird, stürzt im Euroraum die Währung ab. „Nachdem die Währungshüter abermals offengelassen haben, wann sie mit höheren Zinsen gegen die Inflation vorgehen, fiel der Euro auf den tiefsten Stand seit fast zwei Jahren“, nämlich unter die Marke von 1,08, berichtet die Welt. Dies habe damit zu tun, dass die EZB betonte, sie werde „irgendwann“ die Zinssätze anheben – nachdem das Anleihekaufprogramm beendet worden ist. „Ein schwacher Euro erhöht den Inflationsdruck, weil die meisten Rohstoffe in Dollar gehandelt werden und sich so der Einkauf verteuert.“
Indessen warnt der Deutsche-Bank-Vize vor einer zweistelligen Inflationsrate. „Unsere Prognose ist, dass wir im Laufe des Jahres bei einer Inflationsrate von sieben bis acht Prozent liegen werden“, erklärte Karl von Rohr in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). „Für den Fall, dass die Energieimporte stärker limitiert werden, könnten wir sogar zehn Prozent und mehr sehen.“ Und weiter: „Das Vermögen schmilzt wie Eis in der Sonne.“ Insgesamt müssten sich die Bürger auf Inflationsraten einstellen, „wie wir sie seit den Siebzigerjahren nicht mehr gesehen haben.“
Mit Blick auf die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte von Rohr, dass er baldige Zinserhöhungen für „dringend erforderlich“ halte, „damit die Inflationserwartungen sich nicht auf hohem Niveau verfestigen.“ Doch mit dem aktuellen Ratsbeschluss der EZB sieht es derzeit mitnichten danach aus. Der Weg zu einer „galoppierenden Inflation“ scheint vorgezeichnet.