Tichys Einblick
Neues Offizialdelikt?

Wie Hubertus Heil Polizisten in die Betriebe schickt

„Eines der wichtigsten Projekte der Ampel in den nächsten Monaten“: So nennt Fraktionschef Rolf Mützenich nach den Wahlniederlagen der SPD in Sachsen und Thüringen das Tariftreuegesetz. Die öffentliche Kritik an dem Vorhaben ist gewaltig. Dabei wird ein Punkt fast immer übersehen.

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

In jedem Betrieb mit mindestens fünf Mitarbeitern kann ein Betriebsrat gegründet werden. So steht es im Betriebsverfassungsgesetz (§ 1 BetrVG).

Es KANN ein Betriebsrat gegründet, MUSS aber nicht. Das liegt allein in der Hand der Belegschaft, sofern da eben mindestens fünf Leute arbeiten. Vor allem in kleinen Familienbetrieben kommt es oft vor, dass die Mitarbeiter völlig freiwillig darauf verzichten – viel öfter, als uns die Gewerkschaften vorgaukeln.

Dennoch gibt es immer wieder mal Arbeitgeber, denen vorgeworfen wird, die Gründung von Betriebsräten aktiv zu verhindern. Das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und der ehemalige Lieferdienst Gorillas in Berlin hatten hier zuletzt für Schlagzeilen gesorgt. Anschuldigungen, bestehende Betriebsräte in ihrer Arbeit zu behindern, gab es unter anderem gegen Amazon, den Lieferdienst Flink in Freiburg, den Sportschuhhändler Foot Locker in Berlin, Lidl und TK Maxx.

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Bisher war die Behinderung der Gründung eines Betriebsrats, genauso wie die Behinderung von dessen Arbeit, als Verstoß gegen das BetrVG ein sogenanntes Antragsdelikt: Polizei und Staatsanwaltschaft wurden erst aktiv, wenn jemand einen Strafantrag stellte – umgangssprachlich: eine Anzeige erstattete.

Ohne Anzeige keine Ermittlung: Dieses Prinzip ist in unserem Rechtssystem weit verbreitet. Es gilt für eine ganze Reihe von Delikten, zum Beispiel für Hausfriedensbruch – oder auch, wenn jemand unbefugt mein Fahrzeug benutzt. Da kann ich als Betroffener immer selbst entscheiden, ob ich das mit dem Täter persönlich kläre oder ob ich die Polizei einschalte.

Antragsdelikte verhindern zumindest ein bisschen, dass unsere Justiz mit noch mehr Nichtigkeiten zugemüllt wird. Wenn die 18-jährige Tochter mit Führerschein sich das Auto vom Vater „ausleiht“, ohne Papa vorher Bescheid zu sagen, dann ist das rein rechtlich die unbefugte Nutzung eines Kraftfahrzeugs (§ 248b StGB). Und wenn jemand sein Auto auf dem von mir angemieteten Parkplatz abstellt, ist das rein rechtlich Hausfriedensbruch (§ 123 StGB).

Aber soll sich darum IMMER ernsthaft die Polizei kümmern, und womöglich noch ein Staatsanwalt …? Eben.

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Auch die Verhinderung der Gründung eines Betriebsrats und die Behinderung eines bestehenden Betriebsrats in dessen Arbeit waren bisher Antragsdelikte. Gab es in Unternehmen mit mindestens fünf Mitarbeitern keine Belegschaftsvertretung, hat das niemanden interessiert, solange sich niemand beschwerte. Und es beschwert sich recht selten jemand, obwohl man das ja auch anonym tun kann. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) erklärt, dass bisher nur sehr wenige Anzeigen wegen Behinderung von Betriebsratsarbeit bei den Staatsanwaltschaften landen – obwohl die Gewerkschaften gerne behaupten, es sei anders:

„Die Behauptung erinnert eher an das Ungeheuer von Loch Ness: Viele wollen es gesehen haben, nur entdeckt hat es bisher niemand“, heißt es in einer Stellungnahme der Arbeitgeber. Die Zahl der Verfahren, in denen es zu einer Anklage komme, liege im einstelligen Bereich.

Mit dem neuen Tariftreuegesetz soll nach den Plänen von Arbeitsminister Hubertus Heil aus dem Antrags- nun also ein Offizialdelikt werden. Damit hebt der SPD-Mann, der selbst nie in der freien Wirtschaft gearbeitet hat, die Behinderung der Gründung eines Betriebsrats strafrechtlich auf dieselbe Stufe wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Entführung oder Erpressung: Staatsanwälte müssen künftig automatisch wegen „Demokratieverhinderung“ ermitteln, wenn es dafür Verdachtsmomente gibt.

Genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Wie genau, bitteschön, soll so eine Prüfung denn aussehen? Wo soll ein Verdacht herkommen, wenn es von niemandem eine Anzeige gibt? In der Praxis wird es nur so laufen können, dass der Anfangsverdacht auf Behinderung einer Betriebsratswahl immer dann gegeben ist, wenn kein Betriebsrat gewählt wird, obwohl das Gesetz einen erlaubt.

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Auch wenn eine Belegschaft absolut freiwillig auf einen Betriebsrat verzichtet, wird der pflichtbewusste Staatsanwalt künftig also gar nicht anders können, als die Polizei zu Ermittlungen in die Firma zu schicken. Da wird dann geprüft, ob der Chef nicht vielleicht doch irgendwie ein klitzekleines Bisschen die Gründung der Belegschaftsvertretung ver- oder zumindest behindert hat.

Dem Betriebsfrieden ist damit sicher enorm gedient.

Bei uns gibt es etwa 3,5 Millionen Unternehmen. Knapp drei Millionen haben weniger als zehn Beschäftigte. Genauer werden die Daten nicht erfasst. Geschätzt dürfte es aber etwa anderthalb Millionen Betriebe mit weniger als fünf Mitarbeitern geben, in denen dann kein Betriebsrat gebildet werden kann.

Bleiben noch gut zwei Millionen Unternehmen, in denen ein Betriebsrat gebildet werden muss, wenn die Mitarbeiter das wollen. Und überall dort, wo es keine Belegschaftsvertretung gibt, werden Polizei und Staatsanwaltschaft künftig lustig prüfen, ob da auch wirklich alles mit rechten Dingen zugeht.

Woher Deutschlands Justiz das Personal dafür nehmen soll, steht in dem Gesetzentwurf übrigens nicht.

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