Der französische Peugeot-Hersteller PSA und der italienisch-amerikanische Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) sind Mitte Januar nach langer Vorbereitungszeit eine Ehe eingegangen. Die neue Gruppe heißt Stellantis. Der Name – wohl inspiriert von lat. „stella“ (die Sterne) – klingt wenig autoafin, eher ein bisschen nach Brotaufstrich für ISS-Astronauten. Dahinter verbirgt sich die Geburt eines neuen Autogiganten, die Megafusion des französischen Peugeot S.A. (PSA) Konzerns mit dem italo-amerikanischen Fiat Chrysler Automobiles(FCA). Es entsteht, völlig ungewohnt, ein Weltkonzern erstmals wieder europäischer Prägung.
Sitz der neuen Holding ist Amsterdam, in den Aufsichtsrat entsendet PSA sechs und FCA fünf Aufsichtsratsmitglieder. Präsident und Verwaltungsratsvorsitzender von Stellantis ist John Elkann (44), Enkel des legendären Fiat-Patriarchen Giovanni „Gianni“ Agnelli (1921-2003). Carlos Tavares (62), heutiger CEO von PSA und „master mind“ hinter der Fusion, übernimmt als CEO auch die Führung von Stellantis.
Die Fiat Familie Agnelli wird laut der Zeitung Le Parisien mit rund 14,4 Prozent im neuen Konzern vertreten sein. Weitere größere Aktienpakete werden von der Familie Peugeot und dem französischen Staat gehalten.
„Vor uns liegen Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten“, sagt der knallharte Topmanager Tavares mit Wurzeln in Lissabon. Er sanierte in den vergangenen Jahren den von Peugeot übernommenen deutschen Hersteller Opel mit eiserner Hand. Der neue Autoriese will für Mobilität stehen, die „sicher, sauber und erschwinglich“ ist. So lautet das Credo von Tavares.
Für den Wettbewerb am Weltautomobilmarkt werden mit Stellantis die Karten neu gemischt. Zwei Familien heiraten, aus Konkurrenten werden Geschwister, künftig kommen beispielsweise Fiat 500 und Opel Corsa aus einem Haus. Die Markennamen: Abarth, Alfa Romeo, Citroën, Dodge, DS, Fiat, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Vauxhall, RAM, Jeep, haben fast alle eine lange Tradition. Sie sind in Europa und USA ein Asset in der Unternehmenskultur und -bewertung und bleiben daher erhalten – vorerst. Ein Auto namens Stellantis wird es vorerst wohl nicht geben, vielleicht später in China, wo Markentradition keine Rolle spielt.
Aber muss sich der Rest der Branche jetzt fürchten? Entsteht aus der Familien-Hochzeit dieser „Blechelefanten“ wirklich ein neuer Leitstern oder droht dem Verbund das Schicksal einer Supernova, bei der auf ein schnelles helles Aufleuchten die Vernichtung durch eine riesige Explosion folgt? Erinnerungen an die „Hochzeit im Himmel“ zwischen Daimler und Chrysler und deren schmerzhaftes Ende für die Daimler-Aktionäre werden wach!
Kann das gut gehen? Vier Fragen sind zu beantworten:
- Stimmt die Unternehmenskultur zwischen den Partnern?
- Welchen Stärken bringt die Fusion den Brautleuten?
- Welche Schwächen hat der neue Autokonzern?
- Muss der Wettbewerb Stellantis fürchten?
Punkt 1.: Stimmt die Unternehmenskultur zwischen den Partnern?
Der häufigste Grund für ein Scheiterten von Fusionen zwischen Automobilunternehmen war und ist eine zu große Diskrepanz der Unternehmens-Kulturen – ein reines Führungsproblem. Das war bei BMW/Rover so, das war so bei Daimler/Chrysler, um zwei prominente Beispiel aus der deutschen Automobilgeschichte zu nennen. Beide Fusionen gingen mit jeweils hohen Milliardenverlusten des Fusionsführers eklatant schief.
Diese Gefahr ist bei Stellantis gering:
- Frankreich und Italien sind die Heimatländer von Peugeot und Fiat („Fabbrica Italiana Automobili Torino“); beide Unternehmen haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert und pflegen eine romanische Lebens- und Führungsart.
- FCA ging im Januar 2014 aus der völligen Übernahme von Chrysler durch Fiat hervor, und wurde bereits durch den damaligen Fiat CEO, den italienischen Kanadier Sergio Marchionne, nach der Fusion „europäisiert“ und saniert. Auf der anderen Seite hat PSA-Chef Carlos Tavares mit der Übernahme der Traditionsfirma Opel, die seit 1929 ununterbrochen im Besitz der US-Firma General Motors war und durch diese geführt und heruntergewirtschaftet worden war, bewiesen, wie man auch amerikanische Dauerbaustellen wie Opel in kurzer Zeit sanieren und gewinnbringend machen kann.
Punkt 2.: Welchen Stärken bringt die Fusion den Brautleuten?
Beide Firmen sind im Prinzip wirtschaftlich gesund, gravierende „cultural clashs“ sind nicht zu befürchten. Vor nicht allzu vielen Jahren stand Fiat bei Insidern im Ruf die Abkürzung von Fix it again Toni zu sein, wegen allfälliger Qualitätsmängel. Und das Markensymbol von Peugeot, der Löwe, bewies die Schärfe seiner Zähne vor allem in den Mahlwerken von Pfeffer- und Salzmühlen, wurde aber ansonsten auf dem Automarkt für altmodisch und zahnlos gehalten.
Diese Zeiten sind vorbei, Qualitätsmängel wurden ausgemerzt, Tavares hat PSA auf Effizienz und Schlagkraft getrimmt, Fiat hat unter der FCA-Führung heftig restrukturiert und sich qualitätsmäßig erheblich verbessert.
Aber das ist strategische Langfrist-Musik! Kostenreduktion steht bei einer Mega-Fusion in der Autoindustrie stets an erster Stelle, allen Treuschwüren der Brautleute zum Trotz. Der zukünftige Stellantis Chef – und bisherige Konzernchef von PSA – Carlos Tavares ist in der Szene als knallharter Sanierer bekannt! Er hat als Synergieeffekte aus der Fusion jährliche Einsparungen von 5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Jetzt muss er liefern!
Bei Konstruktion und Entwicklung sowie in der Produktion wird man ganze Werke zusammenschließen, die Anzahl der Mitarbeiter verringern. Denn die Fusionsmusik spielt zunächst einmal bei den Kosten! Da wird Neo-CEO Tavares wohl wieder den Rotstift in die Hand nehmen, den er in Rüsselsheim bei Opel schon erfolgreich eingesetzt hat. Kein Autokonzern braucht vier große Entwicklungszentren in USA, Turin, Paris und Rüsselsheim gleichzeitig – auch Stellantis nicht. Opel soll sich in Zukunft um die Elektromobilität im Konzern kümmern – immerhin. Aber der Weg vom Verbrennungsmotor-Spezialisten hin zum Batteriechemiker ist weit!
Punkt 3.: Welche Schwächen hat der neue Autokonzern?
Vor dem Hintergrund einer 50-jährigen Erfahrung in der Welt- Automobilindustrie sind zwei Schwächen zu benennen, die eine rational und in Zahlen fassbar, die andere eher emotional begründet.
- Stellantis kann wettbewerbsfähige Stückzahlen und Marktanteile in Europa und den USA vorweisen, ist aber bisher in China und Asien nur schwach vertreten. Vor allem eine stärkere Präsenz im Wachstumsmarkt China ist angesagt. – Da sind neue Konstellationen zu erwarten.
- Die größte Schwachstelle bei der transkontinentalen Fusion von arbeitsteiligen Automobilkonzernen liegen in der Führung solcher amorphen Gebilde. Da mag der Mann an der Spitze noch so belastbar, zäh und ehrgeizig sein, irgendwann wird die Konzernsteuerung zu komplex; auch wenn moderen Medien heute die globale Omnipräsenz der CEOs physisch erheblich entlasten.
Und dennoch: Entweder ist die Führung überfordert oder sie überfordert sich selbst. Ein – längst vegessenes – Paradebeispiel liefert die Bildung der Premier Automotiv Group (PAG) durch Ford.
PAG wurde 1998 gegründet, gehörte zur Ford Motor Company und versammelte die Premium- und Luxusmarken des Konzerns wie Lincoln, Aston Martin, Jaguar/Land Rover und Volvo organisatorisch unter einem Dach mit Sitz in London. CEO der neuen Gesellschaft wurde Wolfgang Reitzle, dem zuvor bei BMW der Posten als CEO versagt geblieben war. In seiner neuen Funktion mutierte Reitzle einem on-dit zur Folge vom exzellenten Automobilentwickler zum rekordverdächtigen Vielflieger mit hoher automobiler Aktenkenntnis. Als PAG sich als nicht erfolgreich führbar erwies, wurden die meisten Marken von Ford verkauft und agieren heute unabhängig.
Ähnlich erging es der Fusion BMW/Rover – obwohl nur cross the channel – und der Transatlantik-Hochzeit Daimler/Chrysler trotz hohem personalpolitischem Engagement der Brautmutter Daimler in Gestalt von Dr. Z (Dieter Zetsche). Allerdings kamen bei beiden Fusionen hausgemachte Fehler hinzu, die bei Tavrares so nicht zu erwarten sind.
Punkt 4. Muss der Wettbewerb Stellantis fürchten?
Klare Antwort: Ja!
- Chinesische Autobauer müssen jeden westlichen Hersteller als Wettbewerber fürchten, Stellantis als Automacht jetzt noch mehr.
- Hersteller wie VW, Hyundai, Toyota oder Renault u.a., die sich unmittelbar mit Stellantis im Wettbewerb befinden, müssen auf Kosten- und Preisvorteile als Folge der Skalenerträge aus der Fusion natürlich reagieren, schon der Aktionäre wegen.
Und Renault hat schon reagiert: Neu-Chef De Meo hat unmittelbar nach Bekanntgabe der Stellantis-Fusion beim französischen Autobauer die „Renaulution“ ausgerufen: mehr Klasse statt Masse; mehr Rendite, weniger Absatzrekorde. De Meo will bis 2025 die Kosten um drei Milliarden Euro senken, die Kapazitäten um 23 Prozent dauerhaft auf 3,1 Millionen Fahrzeuge kürzen, weltweit 15.000 Arbeitsplätze abbauen.
Und nur ein Hinweis: Die Zusammenarbeit zwischen VW und Ford wurde in den letzten Jahren enger. Auch Tesla würde ins VW Programm gut passen – würde vom Börsenwert her nicht der Schwanz mit dem Hund wackeln!
- Auch wenn die deutschen Nobel-Autobauer wie Audi, BMW und Daimler von dieser Fusion nicht unmittelbar betroffen sind, sondern mehr mit internen Technik- und Personalproblemen und Tesla beschäftigt sind, ganz unberührt lässt Stellantis auch sie nicht.
Denn die langjährige Erfahrung lehrt: In der Autoindustrie herrscht „chain competition“, Kettenwettbewerb. Wenn Leute wie Tavares und Elkann Steine in den Autoteich werfen, schlagen die Wellen überall ans Ufer.