Tichys Einblick
"Maskenzwang ist eine Katastrophe"

Schuhhändler vor dem Aus: „Die Mehrwertsteuer-Senkung wird verpuffen“

Vor zehn Jahren ist Lewin Berner mit anderen Investoren zusammen in die traditionsreiche Schuhmarke Sioux eingestiegen, weil das Unternehmen aus seiner Heimatstadt vor dem Ende stand. Jetzt hat die für den Fachhandel zuständige Vertriebstochter Antrag auf Planinsolvenz in Eigenverwaltung gestellt. Ist die Marke mit dem Häuptlingskopf Corona-Opfer?

Tichys Enblick: Ist Sioux ein Corona-Opfer?

Lewin Berner: Ja, dass wir ausschließlich wegen Corona in die Knie gegangen sind, das ist absolut der Fall. Wir waren bis Anfang März, also fast das gesamte erste Quartal erfolgreich unterwegs. Tatsächlich wäre das unser bestes erstes Quartal in den letzten 10 Jahren gewesen. Die Corona-Maßnahmen haben all unsere Planungen zu Makulatur verkommen lassen. Wir werden aber jetzt nicht knieend verharren. Das speziell gewählte Sanierungsverfahren gibt uns gute Chancen, nach einer Restrukturierung wieder gestärkt aufzustehen. Wir werden auch diese schwere Krise überstehen. Da bin ich mir sicher.

Der Lockdown ist vorbei, die Schuhläden sind wieder geöffnet. Kein Aufholeffekt?

Nein, das haben sich alle im Markt sicherlich erhofft. Und in der ersten Woche der Wiedereröffnung gab es einen Hauch der Erholung, sicherlich auch wegen gewisser aufgestauter Aufholeffekte. Das ist aber wieder jäh abgeknickt in der Folgewoche und fiel zusammen mit der Einführung des Maskenzwangs. Tatsächlich führt der Maskenzwang dazu, dass die Einkaufsneigung des Konsumenten wieder deutlich zurückgegangen ist. Sie wird als notwendiges Übel akzeptiert, im Gegenzug kauft der Verbraucher aber nur noch das Nötigste stationär ein und vermindert die Zeit unter der Gesichtsbedeckung so gut es ihm möglich ist. Für unsere stationären Händler ist der Maskenzwang eine Katastrophe.

Auch nicht im Herbst?

Ich erwarte auch im Herbst keine grundlegende Besserung. Die Konsumentenzurückhaltung speist sich ja aus mehreren Faktoren: Erstens hat die apokalyptische Dauerberichterstattung zu Corona zu einem großen Unsicherheitsgefühl für einen Großteil der Bevölkerung geführt. Die Politik heizt dies auch stetig weiter an mit Aussagen wie zuletzt die der Bundeskanzlerin: „Wir stehen erst am Anfang“, oder die von Außenminister Maas: „Die Situation ist fragil“. Solche Äußerungen zu tätigen, nachdem das Infektionsgeschehen nachweislich vollständig abgeebbt ist, halte ich für grob fahrlässig.

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Zweitens sind Anschaffungsneigung und Einkommenserwartungen der Verbraucher historisch niedrig. Wer soll es ihnen verdenken, bei der massiven Kurzarbeit und aufkeimenden Arbeitsplatzsorgen. Und drittens ist zu befürchten, dass uns die Maskenpflicht erhalten bleibt. So interpretiere ich Verlautbarungen aus dem Bundesfinanzministerium, zuletzt bei der Verkündung der Umsatzsteuersenkung, dass die Pandemie erst dann endet, wenn ein Impfstoff für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung steht. Wir hoffen auf ein Ereignis das möglicherweise erst in mehreren Quartalen oder in Jahren eintritt, möglicherweise nie. Es bleibt alles also maximal ungewiss. Und Ungewissheit ist Gift für jedwede Zuversicht auf Seiten der Verbraucher.

Und es gibt keinen Boom durch die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer?

Nein, schauen Sie, die Händler klagen im Moment über massive Rückgänge bei Frequenz und Umsatz. Die Preise sind im Modebereich schon auf niedrigstem Sale Niveau. Und liegen 20%, 30%, teilweise bis zu 50% unter dem Unverbindlichen Verkaufspreis. Das ist klar, im Markt gibt es einen immensen Warenüberhang aus den Frühjahr-Sommer-Kollektionen. Dennoch kaufen die Konsumenten aus den oben beschriebenen Gründen nicht in dem Maße ein, wie es der Handel zum Überleben braucht. Die 3%-Umsatzsteuersenkung wird meiner Befürchtung nach verpuffen. Ich hatte mir hier ein zielgerichteteres Regierungshandeln erhofft, wenn man mit der Gießkanne alles gleichermaßen gießt, kommt eben bei den echt Bedürftigen zu wenig an.

Liegt es auch am Produkt und der Marke?

Nein, was ich schildere, zieht sich komplett durch den gesamten Konsumgütermarkt. Wir haben durch die enge Zusammenarbeit mit 600 Händlern einen ganz guten Überblick, was auf den Flächen los ist. Das Problem sind hier ja hauptsächlich die historisch niedrigen Frequenzen und die Kaufzurückhaltung der Konsumenten. Unser Online-Shop www.sioux.de, der von der Schwestergesellschaft Sioux Online GmbH betrieben wird, die nicht von der Planinsolvenz betroffen ist, boomt regelrecht. Die Verbraucher nehmen unsere Produkte also gut an. Wir haben eine bekannte Marke und anerkannt hohe Qualitäten. Das Hauptproblem liegt im stationären Handel. Und das Bittere ist: die Händler können nichts dafür. Sie sind Opfer von Maßnahmen, die sie nicht zu verantworten haben. Das ist wirklich bitter. Und ich kann Ihnen berichten von Gesprächen mit gestandenen Männern, die den Tränen nahe sind, wenn sie sehen, wie ihr Lebenswerk in die Knie gezwungen wird.

Die Bundesregierung hat über die KfW und andere Instrumente mehrere Hundert Milliarden an Unterstützung ausgeschüttet. Kommt das Geld nicht nicht an?

Einerseits muss man immer wieder betonen: Es sind im Kern, was bei den Unternehmen ankommt, rückzahlbare und verzinsliche Kredite. Man kann das als temporäre Unterstützung sehen, aber es sind und bleiben Darlehen. Schauen Sie: Die Händler oder auch wir erleiden hohe Verluste durch die Corona-Maßnahmen. Man kann nun diese Verluste temporär mit Krediten zuschütten, aber spätestens  bei der Rückzahlung kommt der Tag der Wahrheit. In anderen Ländern, insbesondere im Club Med der Europäischen Union läuft das anders. Da erhalten die Firmen Zuschüsse, die nicht rückzahlbar sind. Damit können sie ihre Verluste kompensieren.

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Und wenn ich das richtig verstanden habe, sollen 500 Milliarden € aus dem neuen 750 Milliarden € EU-Programm, das wir nicht Eurobonds nennen sollen, genau als Zuschuss in die Unternehmen der Oliven-Länder fließen. Anders als in Deutschland. Das ist, glaube ich, für die deutschen Unternehmer schwer zu verstehen. Was uns anlangt, haben wir jedenfalls aufgrund der Bedingungen keine Programmkredite in Anspruch nehmen können. Ich höre von vielen Unternehmern, bei denen das nicht klappt,  das trifft vor allem kleinere  und mittlere Unternehmen. Ausgenommen sind Großunternehmen, die bekommen in der Regel individuell verhandelte Lösungen abseits der Standardbedingungen.

Sind die Hilfen falsch angesetzt und zu bürokratisch?

Also was schnell gekommen ist, sind die Corona-Soforthilfen, zwischen 10.000 und 50.000€ pro Betrieb. Das war für die Solo-Selbständigen ein Segen. Aber für alle Firmen, die etwas größer sind, war das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ansonsten kann ich nur aus der Praxis sagen, so weit mir bekannt, bemühen sich alle involvierten Stellen schnell zu handeln und pragmatische Lösungen zu finden. Es ist einfach aber zu viel Antragsgeschehen in zu kurzer Zeit. Was aber nichts an folgendem Sachverhalt ändert: Für deutsche Unternehmen hat die Krise überwiegend nur zwei Ausgänge: Entweder hochverschuldet oder insolvent. Das ist die bittere Wahrheit zum Thema Corona.

Wie entwickeln sich die Innenstädte – beschleunigt sich der Verödungsprozess?

Der Bundesverband der Einzelhändler (HDE) befürchtet, dass bis zu 50.000 Händler aufgeben werden im Nachgang der Krise. Das deckt sich mit meinen Sorgen. Wir erleben so etwas wie ein Massensterben unter den Händlern. Die Auswirkungen auf die Innenstädte werden gewaltig sein. Der Handel hat ja viele Funktionen, nicht nur eine Wirtschaftsfunktion. Er macht die Innenstädte interessant und lebenswert, er sichert Jobs vor allem für Menschen, die nicht voll arbeiten können oder wollen. Der Handel ist wichtig für Sicherheit und Sauberkeit, er stemmt die Hauptsumme aller Investitionen für attraktive Innenstädte. Er ist vor allem aber auch Begegnungsstätte, in kleinen Gemeinden ohnehin, insbesondere auch für die älter werdende Bevölkerung in ländlichen Gegenden. Das wird, wenn hier nicht fundamental umgesteuert wird, schmerzlich fehlen.

War der Lockdown ihrer Meinung nach falsch und was wären die Alternativen gewesen?

Also ich bin Schuhhersteller und kein Virologe. Aber mir scheint, dass das alles schon extrem übertrieben war, zu hart und zu lang. Tatsächlich ist ja keine der Weltuntergangsprognosen eingetreten und mich beschleicht das Gefühl, dass das nicht überwiegend wegen der Maßnahmen kam. Schauen Sie, überall ging das Infektionsgeschehen fast zeitgleich zurück, mit oder ohne harten Lockdown. Das weist darauf hin, dass es sich auch hier um Korrelationen und nicht um Kausalitäten gehandelt hat, also wie man so schön sagt „mit“ aber nicht „wegen“. Jedenfalls sagt die Statistik, dass in Deutschland aufgelaufen überhaupt keine Übersterblichkeit festzustellen ist. Alle Prognosen des RKI waren also in der Essenz falsch. Vielmehr wird nun eintreten, was ich von Anfang an befürchtet habe: Nach dem Lockdown, kommt der Breakdown. Zumindest für unsere Branche, und ich fürchte, das wird sich auch auf andere Branchen ausweiten. Handel und Nichtlebensmittel waren nur einfach sehr früh und unmittelbar betroffen.

Sie Fragen: was hätte man anstelle dessen tun können? Eine Alternative wäre gewesen, die wirklichen Risikogruppen zu isolieren und zu schützen. Und vielleicht wenige Teilbranchen tatsächlich schließen (z.B. Großveranstaltungen, Bars, Kneipen, Diskotheken). Den wenigen Betroffenen hätte man dann mit viel weniger Geld effektiv helfen können und wirkliche Kompensationen zahlen können. Was sich nun aber herausstellt: Alle verursachten Schäden kompensieren, das kann der Staat nicht. Er steht jetzt schon auf der Kippe hinsichtlich der nachhaltigen Finanzierungsfähigkeit.

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