Nach langem Hin und Her um das Lieferkettengesetz haben sich die Unterhändler des Europäischen Parlaments sowie die EU-Staaten auf eine Einigung verständigt. Gemäß der neuen Richtlinie sollen große Unternehmen bestraft werden, wenn sie gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen. Unter „großen Unternehmen“ sind Firmen zu verstehen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und einen weltweiten Nettoumsatz von 150 Millionen Euro verbuchen. Für Unternehmen außerhalb der Europäischen Union gilt dies, wenn sie drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Nettoumsatz von 300 Millionen Euro innerhalb der EU erwirtschaften. Der Finanzsektor ist vorerst ausgenommen.
Die Einigung sieht auch vor, dass die Einhaltung der Richtlinie als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen herangezogen werden kann. Das bedeutet, dass jede Kommune beispielsweise bei Bauvorhaben sicherstellen muss, dass ihre Geschäftspartner Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Wirtschaftsverbände kritisieren den Beschluss scharf.
„Ein riesiges Schlupfloch“
„So haben BDI (Industrie), BDA (Arbeitgeber), ZDH (Handwerk), DIHK (Handel) sowie der Gesamtmetall-Verband in den vergangenen Wochen zwei offene Briefe an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerichtet, wie der Spiegel berichtete. Darin heißt es, die deutsche Wirtschaft verfolge die Diskussion um das EU-Lieferkettengesetz „mit großer Sorge“. Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dts teilten die genannten Verbände bereits vor der Einigung mit, dass die Lieferketten-Richtlinie „ein Fehler“ sei, da die Regulierung „unabsehbar“ sei. „Das Gesetz darf nicht kommen“, stellten die Verbände unmissverständlich klar.
Mit der „Safe Harbour“-Regelung könnten sich Unternehmen zum Beispiel ihre Produkte oder die globalen Produktionsprozesse von externen Prüfern als einwandfrei zertifizieren lassen. Haben Betriebe dieses Zertifikat, können sie nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz belangt werden. Das Problem dabei ist, dass es nicht funktioniert. „Das ist ein riesiges Schlupfloch und eine große Hürde für Betroffene, wenn sie Schadenersatz einklagen wollen“, sagt Armin Paasch von der Hilfsorganisation Misereor gegenüber dem WDR.
Es drohen „unverhältnismäßig hohe Strafen“
Und Paasch fährt fort: „Unternehmen bekommen eine Haftungserleichterung gerade dadurch, dass sie Risiken nicht beachten. Und das widerspricht absolut dem Sinn dieses Gesetzes.“ Es besteht der Verdacht, dass solche Lücken für Unternehmen ganz bewusst geschaffen werden. Das Stichwort lautet „unvorhersehbare Risiken“. Für diese müssten die Unternehmen dann auch nicht haften. Damit überlässt laut Misereor die Bundesregierung den Firmen selbst zu entscheiden, wofür sie haften und wofür nicht.
Die Opposition sieht hingegen große bürokratische Belastungen für die Unternehmen. „Noch höhere bürokratische Belastungen und unverhältnismäßige Strafen für Unternehmen“ seien „das Gegenteil dessen, was in der aktuellen schwierigen wirtschaftspolitischen Lage geboten ist“, kommentierte auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Bundestag, Lukas Köhler. Ähnlich sieht das die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebeler.
Einzig profitiert der Staatsapparat
Im Detail heißt das: Die Geschäftsleitung muss eine Grundsatzerklärung über ihre Menschenrechtsstrategie formulieren und kommunizieren, sowie entsprechende Präventionsmaßnahmen anbieten, zum Beispiel Schulungen, Änderung der Beschaffungsstrategien, vertragliche Zusicherungen seitens Lieferanten. Selbstverständlich muss die Erfüllung fortlaufend dokumentiert und ein jährlicher Bericht erstellt werden, der für jedermann einsehbar ist. Verstöße gegen das Lieferkettengesetz werden hart sanktioniert.
Unternehmen müssen sich auf Strafen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes einstellen, wenn sie die Richtlinie missachten. Für die Überwachung und Ermittlungen sollen übrigens die nationalen Behörden zuständig sein. Das bedeutet konkret: mehr Planstellen und mehr Bürokratie für den Staatsapparat.