Der Satz ist vielsagend. Zwar leitet er keinen Text ein, den jemand lesen möchte, der ein wenig Ahnung hat. Doch er ist bezeichnend für das Wirtschaftsverständnis der Deutschen: „Die Wirtschaft muss sich endlich aus der Abhängigkeit von den PS-Konzernen lösen“. So leitet der Spiegel einen Beitrag über die Krise in der Automobilindustrie ein. Die Wirtschaft ist im Wirtschaftsverständnis der Deutschen wie eine einheitliche Person: Im Tatort ist sie der Bösewicht. In der Politik die starke Schulter, die endlich mehr Last tragen müsse und in den Analysen der Medien ist sie jemand Verantwortungsloses, der endlich nach den Vorstellungen all der Politikwissenschaftler, Studienabbrecher und Theaterwissenschaftler im Journalismus handeln solle.
Spoileralarm: Das alles ist die Wirtschaft nicht. Sie ist keine Einzelperson, der ein Journalist anordnen könnte, sich von der Autoindustrie zu lösen. Wie einem Schulbuben, der bisher nicht einsehen will, dass zwei und zwei vier ergibt. Die Wirtschaft ist die Summe all derer, die Wohlstand produzieren. Sei es, dass sie Brötchen backen, Leitungen verlegen, Weihnachtsschmuck verkaufen – oder eben Autos herstellen. Wenn das VW-Werk in Zwickau schließt, löst sich der Bäcker nicht von den PS-Konzernen, sondern er verliert Kunden – oder die verlieren an Kaufkraft.
Wenn die Eliten eines Volks so wenig von Volkswirtschaft verstehen, wundert es wenig, wenn die den Bach runter geht – auch wenn der zuständige Minister sie den Bach raufklettern sieht. Die schlechten Nachrichten sind Legion. Die neuesten des Statistischen Bundesamtes: Der LKW-Maut-Index ist von Oktober auf November um 0,5 Prozent zurückgegangen. Der Index gilt als Frühindikator für die Konjunktur: Sind keine Waren und Rohstoffe unterwegs, kann auch nichts verkauft und produziert werden. Die Produktion im Produzierenden Gewerbe ist im Oktober um 1,0 Prozent im Vergleich zum September zurückgegangen – um 4,5 Prozent im Vergleich zum Oktober 2023.
In diesem Abwärtssog befindet sich „die Wirtschaft“. Sie hat in der Regierungszeit der Ampel an Substanz verloren. Vor diesem Hintergrund tröstet es auch wenig, dass der LKW-Maut-Index von November 2023 auf 2024 um 0,2 Prozent gestiegen ist. Das ist Erholung auf niedrigstem Niveau. Sie genügt nicht einmal, um die Verluste der Vorjahre auszugleichen, geschweige denn um Wachstum zu generieren, das eine immer älter werdende Gesellschaft eigentlich dringend benötigt. Doch all den fleißigen Bäckern, Installateuren, Verkäuferinnen und Autoherstellern wird es in Deutschland schwer gemacht. Kein Wunder in einem Land, dass die Fleißigen als eine einzige Person behandelt, die moralisch lernbedürftig sei, (noch) mehr von ihrem Wohlstand abgeben müsste und im beliebten Sonntagskrimi als Dauermörder herhalten muss.
All die gängigen Probleme kennt auch die Stahlindustrie: Die hohen Steuern und Energiepreise, ein öffentlicher Dienst, der allen Fleißigen in der Wirtschaft immer mehr die Luft zum Atmen nimmt und letztlich eben auch das Unverständnis der politischen Entscheider. Auch im Stahlbereich sind die Zahlen deprimierend. Thyssenkrupp will 11.000 Arbeitsplätze abbauen, Saarstahl sieht laufende Investitionen von fast 5 Milliarden Euro in Gefahr.
Der Zweck des „Gipfels“, den Olaf Scholz (SPD) zur Stahlindustrie abhält, ist schnell abgehandelt. Der Kanzler verkündet, es gehe um konkrete Beschlüsse. Die staatlichen und staatsahen Medien verbreiten die Bilder: Der Kanzler mit Unternehmern, der Kanzler mit Gewerkschaftern, ernste Gesichter, große Gesten, pathetische Worte und die Botschaft: Bei all dem gehe es um konkrete Beschlüsse. Das verbreiten staatliche und staatsnahe Medien brav. Für sie ist das Einordnung, für andere die kritiklose Übernahme von PR-Slogans der Regierung.
Seine politische Agenda hat Scholz schon vor dem Gipfel verbreitet. Wer den Gipfel als bedeutendes Ereignis ernstnehmen will, dem macht es der Kanzler wirklich nicht leicht. Auf dem Nachrichtenportal X schreibt Scholz: „Mir sind wichtig: verlässliche Strompreise, die Förderung von Investitionen und der Schutz vor Dumping-Stahl.“
Die Zeitungen der Funke-Mediengruppe lässt Scholz verkünden: Die Stahlbranche habe eine hohe geostrategische Bedeutung. Etwa in der Rüstungsindustrie dürfe sich Deutschland nicht von Zulieferern abhängig machen. Ob der Kanzler sich eine Verstaatlichung der Stahlindustrie vorstellen könne? „Ich nehme jetzt keine Option vom Tisch.“ Also ja. Der in Ungnade gefallene ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) warnt Scholz vor einer Verstaatlichung.
Wobei der Deutschlandfunkt dem Kanzler assistiert: Wenn der Staat das Geld gibt und bestimmt, sei das ja noch keine Verstaatlichung. Was es sonst ist? Dazu fehlt wohl noch das Wording. Doch so wie es da ist, gilt das. Jede andere Beschreibung der Realität wird für Öffentlich-Rechtliche fehlende Einordnung sein, Fake News oder gleich Hass und Hetze. Wer als Regierung den Deutschlandfunk hat, braucht eigentlich keine PR-Abteilung mehr.
Interessant ist es trotzdem, was Scholz ankündigt. Es zeigt, dass er entschlossen ist, all die Politik weiter zu betreiben, die zu der besagten Talfahrt der deutschen Wirtschaft geführt hat: Pakete, in denen der Staat ungeheure Summen an Geld verteilt. Einmischung der Politik und Verwaltung bis tief in die kleinsten Ebenen der Unternehmen – bis hin zur Verstaatlichung, wenn sich kein Mutiger und Fleißiger mehr findet, der gegen die in Deutschland gesetzten Bedingungen ankämpfen will.
Der Kanzler wolle bezahlbaren Stahl und absolut klimafreundlichen Stahl für Deutschland. Genauso gut könnte er fordern, dass Socken nicht mehr stinken und wir endlich aus der Toilette trinken können, ohne Ausschlag zu bekommen. Klar lässt es sich fordern, dass die Stahlindustrie noch mehr Klima-Auflagen schultern muss und dabei billiger produziert. Nur umsetzen lässt sich das halt nicht. Wie Scholz und sein „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) seit drei Jahren beweisen.
Alle Politik steht in Deutschland derzeit unter dem Vorbehalt, dass es im Parlament an Mehrheiten fehlt – oder am Willen zu Mehrheiten. Vorerst sind Scholz Ankündigungen also nur Wahlkampf-Getöse. An seinen Sieg im Februar glaubt eigentlich derzeit niemand. Doch Friedrich Merz tut das Seine dazu, den Kanzler weniger schlecht aussehen zu lassen – und schon vor vier Jahren hatte keiner mit dessen Sieg gerechnet.
Dass Scholz nun Subventionen für die Stahlindustrie ankündigt, ist kein großes Ding. Sei es in Form von Investitionshilfen oder sei es in Form von staatlich subventionierten Strompreisen für die Branche. Es wäre die Fortsetzung seiner bereits gescheiterten Wumms-Politik. Spannend ist, dass Scholz mit dem Ausschluss oder höheren Bezollung ausländischen Stahls droht. Das ist immerhin ein neuer Gedanke. Auch wenn Deutschland sich da erst in der EU durchsetzen müsste. Das wäre noch das kleinere Problem. Das größere würde es darstellen, die Akzeptanz dafür bei den 26 Partnern zu finden.
Ob Scholz das tut, was er sagt, ist fraglich. Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering hat sich einmal beklagt, es sei unfair, Politiker danach zu bewerten, was sie vor der Wahl sagten. Bei Olaf Scholz ist es eigentlich immer unfair, ihn beim Wort zu nehmen. Zumindest führt es zu einem mangelhaften Erkenntnisgewinn, den eigentlich nur staatliche oder staatsnahe Journalisten akzeptieren können.
Die Wirtschaft wird sich auch weiterhin nicht an deren Ideen orientieren. Es wird weiter Unternehmen geben, die in Deutschland Subventionen mitnehmen, um dann doch nicht zu produzieren. Die versuchen, sich den widrigen Umständen entgegenzustellen – und auch die, die daran scheitern oder sich rechtzeitig ins Ausland retten.
Die Gipfel bleiben PR-Getöse. Die Realität der deutschen Politik lautet CO2-Steuer: Die erhöht die Bundesregierung zum Jahreswechsel um 22 Prozent. Noch mehr Bäcker geben dann auf, noch mehr Waren bleiben unverkauft und noch mehr Stahl und Autos werden anderswo produziert. Die Wirtschaft muss ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, mag der Spiegel da denken und schreiben. Aber einen Dreck müssen wir, werden die Fleißigen dagegenhalten. Wenn es sich nicht lohnt, Wohlstand zu erwirtschaften, dann tun wir das auch nicht. Zumindest nicht in Deutschland.