Beim Auto ist es offensichtlich: 95 Prozent der Zeit ist das Fahrzeug ein Stehzeug und parkt ungenutzt, hat der Fahrtenvermittler Uber ausgerechnet. Welche Verschwendung.
Bei anderen Konsumgütern ist es kaum anders: Eine Bohrmaschine läuft bei ihrem Besitzer gerade einmal 45 Stunden, selbst wenn dieser ein fleißiger Heimwerker ist. Dabei ist die Maschine auf rund 300 Stunden Nutzungsdauer ausgelegt, schreiben die Heinrich-Böll-Stiftung und der Naturschutzbund (Nabu) in ihrer Kurzstudie „Nutzen statt besitzen“. Daraus ergibt sich eine Ressourcenverschwendung, die sich immer weniger Menschen leisten wollen oder können. 74 Tonnen an Rohstoffen werden in Deutschland pro Jahr und Kopf verbraucht, schreibt der Nabu – ein Wirtschaftsmodell, das nicht weltweit skalierbar ist.
„Auch die Industrie verschwendet mit ihrem linearen Geschäftsmodell ein großes Potenzial“, sagt Patrick Wiedemann, Geschäftsführer des Logistik- und Recycling-Spezialisten Reverse Logistics Group (RLG). „Heutige Vertriebsmodelle im Consumer-Bereich sind rein am Verkauf orientiert und nicht auf eine Interaktion mit dem Kunden ausgerichtet. Oftmals gibt es keinerlei Hersteller-Kunde-Verbindung.“ Damit verschwenden Unternehmen das Wertvollste, was sie haben: den Kontakt zum Kunden.
Worum es geht, sieht man, wenn man das Pferd von hinten aufzäumt. So wird die von der Politik gewünschte Umstellung der individuellen Mobilität auf Elektroautos kaum realisiert werden können, wenn jeder Haushalt künftig – wie heute – ein oder zwei Autos selbst besitzen will. Allein die Produktion der Lithium-Ionen-Batterien eines Elektroautos belastet die Umwelt unter Umständen stärker, als sie durch CO2-freies Fahren entlastet würde.
„Europa braucht 2030 die Kapazität von mehr als zehn Tesla-Gigafactories, um die angepeilte Nachfrage nach Elektroautos zu befriedigen“, sagt Peter Carlsson von Northvolt AB beim Auto-Gipfel 2017 in Stuttgart. Teslas Gigafactory in Nevada ist das größte Werk für Antriebsbatterien weltweit. Northvolt plant eine ähnliche Batterieproduktion in Schweden.
China brauchte 40 bis 50 solcher Werke, um die Fahrzeugproduktion auf E-Mobile umzustellen. Das klingt weder realistisch noch sonderlich umweltfreundlich. Erst nach acht Jahren Nutzung wird die Umweltbilanz eines Elektroautos positiv, weil die Batterieproduktion so viele Ressourcen verbraucht, stellt eine Studie des schwedischen Umweltministeriums fest.
Sharing schont die Umwelt
Beim Automobil sehen deshalb immer mehr Menschen die Lösung im Car- und Ride-Sharing. Viele Nutzer teilen sich ein Auto oder bieten im Internet eine Mitfahrt an. Carsharing findet in Deutschland immer mehr Fans, seit Autohersteller wie Daimler (Car2go) und BMW (DriveNow) die einstige Ökonische als Geschäftsmodell entdeckt haben und offensiv vermarkten: Die Zahl der Nutzer hat sich in Deutschland in zehn Jahren auf 1,7 Millionen mehr als verzehnfacht.
Könnte „Nutzen statt besitzen“ ein Trend auch in anderen Branchen werden? Darauf hoffen nicht nur Umweltverbände und Ökoaktivisten. Ein System der Kreislaufwirtschaft könnte in vielen Bereichen die Lösung sein, sagt Logistikexperte Wiedemann: „Wenn wir von Kreislaufwirtschaft reden, geht es meist nur um Abfallvermeidung, Recycling und die Schonung von Ressourcen und Umwelt.“ Das entsprechende Gesetz von 1996 regelt vor allem die Entsorgung und stoffliche Verwertung von Abfällen. Ein Ansatz, der vor dem Hintergrund endlicher Rohstoffvorkommen und der Umweltbelastung durch Müllverbrennung und Deponien sicher Sinn gemacht hat und noch macht.
Doch selbst bei hochwertigen Konsumgütern wie Waschmaschinen oder Computern wird am Ende des Lebenszyklus gerade mal etwas Kupfer, Aluminium oder Stahl recycelt. Und da viele Sekundärrohstoffe nach wie vor sehr billig sind, ist solches Recycling ökonomisch meist wenig sinnvoll und ein Zuschussgeschäft. Wiedemann: „Bei Lithium-Ionen-Batterien, wie sie in Elektroautos verwendet werden, gibt es noch kein wirtschaftlich darstellbares Recycling.“ Folge: Solche Batterien werden nach Ende des Lebenszyklus oftmals als Sondermüll verbrannt.
„In unserem linearen Ökonomiemodell, das sich auf Produktion, Verkauf, Verbrauch und Verwertung beschränkt, wird ökologisch und ökonomisch ein Riesenpozential verschenkt“, sagt Wiedemann. „Circular Economy“ könne aber viel mehr sein als Recycling: Hier könnte ein neues Ecosystem entstehen, welches Endkunden, Unternehmen und der Umwelt nutzt.
Wiedemanns RLG zum Beispiel organisiert die Rücknahme von Produkten, Komponenten und Materialien in Europa, Amerika und Asien – von der Autobatterie bis zum Laptop. Sie entsorgt Autowerkstätten in Deutschland und Smartphones in den USA, stellt die Logistik der Geräte von der Rücknahme bis zum Recycling sicher. „Doch wir wollen mehr“, sagt Wiedemann, „gemeinsam mit der Industrie wollen wir neue Wege beschreiten.“
Die Idee lässt sich am Beispiel einer Waschmaschine gut beschreiben. Ein solches Gerät wird heute verkauft und nach Ende der Lebensdauer weggeworfen. Nutzbare Komponenten werden verschrottet, Recyclingerlöse verschwendet und – last, but not least – Kunden nicht gehalten. Komponenten, die durchaus noch verwendet werden könnten, wie der Motor oder die Edelstahltrommel, werden, wenn überhaupt, nur stofflich verwertet. Wiedemann: „Solche Maschinen sollten so designt werden, dass zumindest Teile mehrere Lebenszyklen aushalten.“
In der Tat: Warum sollte der Endkunde eine solche Waschmaschine nicht mieten oder sogar nur für die Nutzung des Gerätes zahlen, statt sie für viel Geld zu kaufen? Mit dem Internet der Dinge vernetzt, könnte das Gerät sogar nötige Verbrauchsmittel wie Waschmittel, Weichspüler oder Enthärter automatisch bestellen, einen Fehler melden und eine Wartung ordern. Die Hersteller könnten eine Technologie anbieten, die langlebig und damit in jeder Hinsicht effizienter ist.
Erst durch das Internet und neue, IT-basierte Geschäftsmodelle für den Einzelhandel (Amazon), den Individualverkehr (Uber), Finanzprodukte oder Flüge (Preisvergleichsportale) begreifen Unternehmen, dass ihr wertvollster Besitz der Kontakt zum Kunden ist. Durch das von Wiedemann propagierte Betreibermodell entstünde für Hersteller eine bisher nicht gekannte Kundenbindung. „Ein Anbieter weiß doch heute in den wenigsten Fällen, wer seine Endkunden sind, welche Wünsche sie haben und wir er sie befriedigen kann.“ Der direkte Draht zum Kunden ist im Zeitalter von Big Data und Industrie 4.0 aber für klassische Konsumgüterhersteller überlebenswichtig.
Neue Wege der Kundenbindung
Hier winken Unternehmen wie Waschmaschinenherstellern, die sich derzeit in einem harten Preiswettbewerb befinden, ungeahnte Möglichkeiten, ihr Geschäft auszuweiten. Wiedemann hält es sogar für denkbar, dass der Hersteller dem Endkunden das Gerät kostenfrei zur Verfügung stellt und über die Verbrauchsmaterialien amortisiert – ähnlich wie das Druckerhersteller tun, die ihre Geräte günstig verkaufen, um dann an den Farbpatronen zu verdienen. Die Industrie hat damit Milliarden verdient. Zudem wird bei Druckern und Kopierern die Nutzung meist nach Aufwand in Rechnung gestellt, statt eine feste Rate zu berechnen.
Auch das Geschäft mit Smartphones, die sich für die Netzbetreiber über die laufenden Gebühren oder eine Flatrate bezahlt machen, funktioniert ähnlich. Welcher iPhone-Nutzer weiß schon, dass sein Gerät im Apple-Store 800 Euro kostet, obwohl er nur eine monatliche Flatrate zahlt. So wie Hewlett Packard seine eigene Druckertinte verkauft, können Waschmaschinenanbieter ihr eigenes Waschpulver oder Kaffeeautomatenhersteller wie Nespresso ihren eigenen Kaffee verkaufen.
Allein durch Schonung der Ressourcen und bessere Effizienz könnten die Volkswirtschaften der EU-Staaten durch eine solche Kreislaufwirtschaft bis 2025 im Jahr 630 Milliarden Euro an Kosten einsparen. Das hat eine McKinsey-Studie für die Ellen MacArthur Stiftung festgestellt. Die Stiftung hat sich unter anderem dem Thema Kreislaufwirtschaft verschrieben. Die Vorteile durch eine bessere Kundenbindung für die Unternehmen sind darin noch gar nicht enthalten.
Längere Lebensdauer der Geräte
Leute, die wie Wiedemann ihr Geld mit der Kreislaufwirtschaft verdienen wollen, fordern von der Industrie allerdings eine Voraussetzung: Die Produkte müssten auf eine längere Lebensdauer hin konstruiert und ins Internet der Dinge eingebunden werden. Der Hersteller müsste die Maschine zudem jederzeit zurücknehmen, um sie im Ganzen oder zumindest in Teilen zweitzuverwerten. Eine effiziente Logistik von Geräten und Verbrauchsmaterialien würden Dienstleister organisieren. Ein intelligentes Abrechnungssystem müsste ebenfalls eingerichtet werden.
Die Endkunden ließen sich leicht von den Vorteilen eines solchen Geschäftsmodells überzeugen. Sie zahlten nur für die Nutzung und müssten nicht Hunderte Euro für ein Gerät mit begrenzter Lebensdauer investieren. Hinzu kommt, dass der Kunde immer den letzten Stand der Technik nutzen könnte, wodurch sich auch Einsparungen beim Stromverbrauch ergäben.
Noch einmal Wiedemann: „Es ist zu erwarten, dass sich diese Geschäftsmodelle zunächst im B2B-Sektor und später auch im Konsumentenbereich verbreiten.“ Wenn der Anbieter einen Teil seines Kosten- und Erlösvorteils an den Nutzer weitergäbe, hätten alle Mitspieler dieses Systems etwas davon. Der Hersteller könnte die Lager- und Kapitalkosten für Ersatzteile reduzieren, „indem er wiederverwendbare Komponenten bedarfsgerecht aus rücklaufenden Geräten entnimmt“, rechnet Wiedemann vor.
Kritik an der Wegwerfgesellschaft
Heute geschieht das genaue Gegenteil: Produkte werden auf einen optisch günstigen Endpreis hin und für eine begrenzte Lebensdauer konstruiert. Die Stiftung Warentest fand 2013 in Tests von Waschmaschinen und Energiesparlampen zwar keine direkten Anzeichen für „eingebaute Lebensdauer“, beanstandete aber die mangelnde Qualität mancher Produkte.
Der Anteil der Elektrogeräte, die im privaten Haushalt wegen eines Defekts ausgetauscht werden mussten, ist von 2,5 Prozent im Jahr 2004 auf 8,3 Prozent im Jahre 2013 gestiegen, hat das Freiburger Öko-Institut in einer Studie festgestellt.
Von einer zunehmend ökologisch denkenden Verbraucherschaft werden diese Auswüchse der Wegwerfgesellschaft zunehmend kritischer gesehen.
Alles nur Zukunftsmusik? RLG-Chef Wiedemann gibt sich in Sachen Umsetzung optimistisch: „Wir sprechen mit Waschmaschinenherstellern und dem Handel über eine Umsetzung. Sie müssten bereit sein, ihr Geschäftsmodell zu ändern: Nicht möglichst viele Geräte zu verkaufen, sondern den Kunden den größten Nutzen zu stiften steht künftig im Fokus.“