Die Corona-Hilfen für die Unternehmen gehen in eine weitere Verlängerung. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) haben unisono und unabhängig voneinander verkündet, dass die Hilfen über den September hinaus gewährt werden sollen. „Niemand soll kurz vor der Rettung ins Straucheln geraten“, so Scholz. Zunächst wolle er die Kurzarbeiterregelung wie auch die Wirtschaftshilfen bis zum Jahresende verlängern, möglicherweise müsse man aber auch im „nächsten Jahr dem einen oder anderen Unternehmen helfen“.
Die erneute Verlängerung der üppigen Corona-Hilfen lässt sich jedoch kaum mehr mit der Corona-Pandemie und den Folgen staatlicher Auflagen für die Unternehmen begründen. Bis Oktober wird jeder Impfwillige ab dem 12. Lebensjahr durchgeimpft sein. Politisch lassen sich Beschränkungen des öffentlichen Lebens – selbst wenn die Inzidenzen deutlich steigen sollten – nicht mehr rechtfertigen, was sich gegenwärtig in Großbritannien sehr deutlich zeigt.
Absehbar werden daher nur noch solche Unternehmen unmittelbar von der Corona-Pandemie betroffen sein, denen es in den etwa 18 Monaten seit dem Beginn der Krise nicht gelungen ist, ihr Geschäftsmodell an ein möglicherweise verändertes und über das Ende der Pandemie andauerndes Konsumverhalten anzupassen. Die Unternehmen sind also nicht mehr unmittelbar von der Pandemie betroffen, sondern fast ausschließlich von Folge-Folge-Wirkungen. Dies gilt insbesondere für die aus dem Takt geratenen Lieferketten, was für manche Unternehmen zwar existenzgefährdend ist, wofür sich jedoch kaum eine Rettungspflicht durch den Steuerzahler ableiten lässt. Der Staat sollte in diese Krise nicht eingreifen und so endlich einmal wieder dafür sorgen, dass sich die besser aufgestellten Unternehmen wettbewerblich durchsetzen können.
Corona – ein Alibi
Die geplante Verlängerung der Corona-Hilfen zielt also nicht darauf ab, die Unternehmen vor den Folgen der Pandemie sowie politischer Entscheidungen zu bewahren. Die wirtschaftspolitischen Rettungsmaßnahmen offenbaren immer deutlicher ihr wahres Gesicht: Es geht darum, ein trotz aggressiver Niedrigzinspolitik und gigantischer fiskalischer Stimulierung nur gerade so stabilisiertes Wirtschaftssystem vor gefährlichen Kettenreaktionen zu bewahren, die das fragile Gefüge ins Wanken bringen könnten. Die üppigen Corona-Hilfen, die von einigen Ökonomen wie beispielsweise Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats zurecht als „Zuviel der Förderung“ gegeißelt werden, dienten dazu, nicht nur die unmittelbar von der Pandemie betroffenen Unternehmen zu unterstützen, sondern alle schwachen Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Eilig durchgesetzte Gesetze verhindern Insolvenzen, EU-Wiederaufbauprogramme sowie die seit der Finanzkrise 2008 immer aggressivere Geldpolitik sorgen dafür, dass auch nicht direkt von der Pandemie betroffenen Unternehmen vor Verwerfungen geschützt wurden. Die mit der Gießkanne bereitstellten Corona-Hilfen zielten von Anfang an darauf ab, auch die schon vor der Corona-Pandemie strauchelnden Unternehmen, vor der Pleite zu bewahren, selbst wenn sie nicht oder kaum von der Corona-Krise tangiert waren.
Die Wirtschaftspolitik in Deutschland wie auch in anderen entwickelten Volkswirtschaften kämpft seit Jahrzehnten mit dem Problem, dass sie mit ihrer einseitig auf Stabilisierung geschwächter Unternehmen ausgerichteten Orientierung, eine gelähmte Wirtschaft geschaffen hat. Diese verheerende wirtschaftspolitische Ausrichtung hat dazu geführt, dass die Unternehmen im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung immer weniger investieren. Um Investitionen dennoch zu erzwingen, sollen sie mit niedrigen Zinsen und Subventionen motiviert werden, was jedoch nicht gelingt. Das zeigt sich an den seit den 1970er Jahren im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung rückläufigen Investitionsquoten. Wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen benötigen kein zusätzliches Kapital für Investitionen, denn sie erzielen seit Anfang der 2000er Jahre Finanzierungsüberschüsse. Faktisch dient das billige Geld daher vor allem dazu, geschwächten und angeschlagenen Unternehmen mit niedrigen Zinsen bei steigender Verschuldung über die Runden zu helfen. Zudem ermöglicht es den Staaten die Verschuldung zum Nulltarif, was immer umfangreichere fiskalische Eingriffe gestattet. Mit wirtschaftlicher Stimulierung, Rettungsgeldern und Unternehmenssubventionen kompensieren sie die fehlende Investitionsbereitschaft der Unternehmen, um so die wirtschaftliche Stagnation zu übertünchen.
Die Wirtschaftspolitik steckt fest
Die Zentralbanken sind längst in einem Teufelskreis gefangen, der niedrige Zinsen erzwingt. Denn nicht nur geschwächte und daher oft hochverschuldete Unternehmen würden steigende Zinsen nicht mehr verkraften. Auch die Staaten der entwickelten Volkswirtschaften, also insbesondere die der USA, Japans und Europas würden ihre fiskalischen Optionen, die den kontinuierlichen Fluss wirtschaftlicher Wohltaten gewährleisten, bei steigenden Zinsen sofort einbüßen. Diese fiskalischen Impulse sind inzwischen jedoch existenziell zur Stabilisierung der Unternehmen.
Nicht nur die Zentralbanken, sondern auch die Staaten kommen aus der wirtschaftspolitischen Abwärtsspirale, die sie selbst initiiert haben, nicht mehr heraus.
Ihre wirtschaftspolitische Ausrichtung ist für kontinuierlich sinkende Unternehmensinvestitionen verantwortlich und hat dadurch ein fragiles wirtschaftliches Gefüge geschaffen. Die Stabilisierung dieses fragilen Gefüges, dessen Labilität sich durch vielfältige Blasen an den Finanzmärkten zeigt, erfordert den Aufbau immer umfangreicherer und ständig neuer wirtschaftspolitischer Stützpfeiler mit denen die Schwächsten der Schwachen Unternehmen vor dem Untergang bewahrt werden müssen. So ist das Risiko platzender Blasen und massenhafter Unternehmenspleiten zu einem Schrecken ohne Ende geworden, der die Wirtschaftspolitik immer stärker antreibt.
Mit der wirtschaftspolitischen Intervention in der Corona-Krise ging es nie einfach darum, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für die Unternehmen und die Erwerbstätigen zu mindern. Es steht viel mehr auf dem Spiel. Es geht um die Rettung einer zu keinem selbstragenden Aufschwung mehr fähigen Wirtschaft vor dem Kollaps. Allein die Vereinigten Staaten haben zur Abwendung dieses Szenarios und in der Hoffnung darauf, dass die Unternehmen den entscheidenden Impuls erhalten, seit dem Beginn der Corona-Pandemie konjunkturstützende Maßnahmen in Höhe von 5,3 Billionen US-Dollar ergriffen. Das sind 25,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieser fiskalische Impuls könnte sogar – bei Umsetzung der noch in Planung befindlichen Konjunkturprogramme – auf über 9 Billionen US-Dollar oder 40 Prozent des BIP 2020 anwachsen, schreibt die Deutsche Bank.
Eingedämmte Depression
Die Corona-Pandemie ist gewissermaßen zum Lieblingsfeind der Wirtschaftspolitik geworden. So lassen sich nicht nur nie dagewesene Rettungs- und Wiederaufbauprogramme, sondern auch die noch aggressivere Fortsetzung der seit der Finanzkrise 2008 extremen Niedrigzinspolitik begründen.
Kurz vor dem Ausbruch der Pandemie im September 2019 scharrte Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit den Hufen und behauptete, dass er die notwendigen „vielen, vielen Milliarden“ gebunkert habe, um einer Rezession in Deutschland die Stirn zu bieten. Scholz signalisierte, dass er bereitstehe um den Industrieunternehmen unter die Arme zu greifen, die zu diesem Zeitpunkt schon eine einjährige Rezession zu verkraften hatten. Mit dem kurz darauf folgenden Ausbruch der Pandemie hatte er endlich eine gute Begründung gefunden und konnte ein Feuerwerk massiver Wirtschaftshilfen abbrennen, das vor allem solche Unternehmen schützte, die die damals recht milde Rezession möglicherweise nicht überlebt hätten.
Um den destabilisierenden Konsequenzen einer wirtschaftlichen Krise vorzeitig begegnen zu können, suchen Politiker und Zentralbanker nach ständig neuen Begründungen – neuerdings die Klimakrise – für wirtschaftliche Eingriffe, mit denen sie die schlimmen Folgen ihrer wirtschaftspolitischen Orientierung, marode Unternehmen zu bewahren, anstatt den Wandel zu forcieren, kaschieren. Die nächste Bundesregierung, so befürchtet Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei Creditreform, werde sich wohl kaum trauen, die Unternehmen von dauerhaften Finanzspritzen zu entwöhnen, und vermutet, dass dann Zuschüsse für die Digitalisierung eine geeignete Rechtfertigung abgeben könnten.
Politiker, Zentralbanker und Ökonomen sowie die sie unterstützenden meinungsführenden Kreise sehen keine Notwendigkeit, in Anbetracht der wirtschaftlichen Depression, die die entwickelten Volkswirtschaften fest im Griff hat, einen Offenbarungseid zu leisten. Denn mit Hilfe den von Ihnen eingesetzten wirtschaftspolitischen Instrumente gelingt es ihnen sehr erfolgreich die Folgen dieser Depression einzudämmen. Sonst müssten sie die seit den 1970er Jahren eingesetzten Strategie der wirtschaftlichen Stabilisierung in Frage stellen, die, wie der ehemalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn schreibt, zwar geeignet ist, Krisen zu dämpfen, aber dazu führt, dass die Wirtschaft „in ein schleichendes Siechtum und eine Dauerkrise“ abgleitet. Warum auch sollten sie ihre Herangehensweise in Frage stellen? Schließlich läuft es doch. Kein Unternehmen geht mehr bankrott, die meisten erzielen hohe Gewinne, die Vermögenspreise steigen, die Schulden werden sozialisiert und das Beste: Das Volk murrt nicht!
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.